Fünf und zwanzigster Brief.

Cheltenham, den 12. Juli 1828.


Meine theure Julie!1


Um zwei Uhr in der Nacht verließ ich London, diesmal recht krank, und sehr widrig gestimmt, in Harmonie mit dem Wetter, das, ganz à l'anglaise, stürmte, wie auf der See, und goß, wie mit Kannen. Als aber gegen acht Uhr der Himmel sich aufklärte, ich beim sanften und raschen Rollen des Wagens ein wenig geschlummert hatte, und durch den Regen erfrischt, nun alles smaragd grün glänzte, und ein herrlicher Duft von den Wiesen und Blumen in das offene Wagenfenster drang – da ward Dein von Sorgen gedrückter, grämlicher Freund wieder auf einige Augenblicke das harmlose, in Gott und der schönen Welt vergnügte Kind. Reisen ist in der That in England äusserst ergötzlich – könnte ich nur Deine Freude daran sehen, sie selbst in[1] Deiner Begleitung verdoppelt fühlen! Obgleich es auch später noch mitunter regnete, wovon ich übrigens im zugemachten Wagen nicht viel empfinde, so war doch, bei linder Luft, der Tag sehr angenehm. Der erste Theil des Landes, durch welches unser Weg führte, strotzte von üppiger Vegetation, gleich dem schönsten Park; der folgende bot unabsehbare Kornfelder, und zwar hier ohne Hecken dar, welches eine Seltenheit in England ist; und der letzte glich fast den reichen Ebnen der Lombardei. Ich kam bei mehreren großen Besitzungen vorbei, die ich aber des ungewissen Wetters und der gemessnen Zeit wegen unbesucht ließ. Es ist auch nun, nach meinen langen Park- und Garten-Jagden durch halb England, nicht leicht mehr in dieser Hinsicht etwas Neues für mich aufzufinden. In Cirencester besah ich eine schöne und sehr alte gothische Kirche mit einigen leidlich erhaltenen bunten Glasfenstern, und merkwürdig barokkem altem Schnitzwerk. Es ist Jammerschade, daß sämmtliche gothische Kirchen in England, ohne Ausnahme, durch geschmacklose, moderne Grabsteine und Monumente verunstaltet sind.

Spät Abends erreichte ich Cheltenham, einen allerliebsten Badeort, von einer Eleganz, die auf dem Continent nicht angetroffen wird. Schon die reiche Gaserleuchtung, und die, alle wie neu aussehenden Villaartigen Häuser, jedes mit seinem Blumengärtchen umgeben, stimmen das Gemüth fröhlich und behaglich. Auch komme ich in diesen Stunden, wo das Tageslicht mit dem künstlichen streitet, überall am[2] liebsten an. Wie ich in den fast prächtig zu nennenden Gasthof eintrat, und auf schneeweißer Steintreppe, die ein Geländer von Goldbronce zierte, über frisch glänzende Teppiche, von zwei Dienern vorgeleuchtet, nach mei ner Stube ging, gab ich mich dem Gefühle des Comforts recht con amore hin, das man nur in England vollkommen kennen lernt. In dieser Hinsicht ist daher auch für einen Mysantropen, wie ich bin, das hiesige Land ganz geeignet, weil alles, was nichts mit dem Gesellschaftlichen zu thun hat, alles, was man für Geld sich verschafft, vortrefflich und vollständig ist, und man es isolirt genießen kann, ohne daß sich ein Anderer um uns bekümmert2. Sorgenlos und unbefangen von Geschäften, mit Dir hier zu reisen, wäre das süßeste Vergnügen für mich – wie sehr entbehre ich Dich überall, und muß Dich wohl innig lieb haben, Du Gute, weil ich, wenn es mir übel geht, stets einen Trost darin finde, daß Du dem Moment wenigstens entgehst, und dagegen wenn ich etwas sehe oder fühle, das mich freut, auch immer, gleich einem Vorwurf, das peinliche Gefühl mit empfinden muß, dies Alles ohne Dich zu genießen! Eine größere Masse mannichfaltigen Lebensgenusses kann man aber gewiß in England auffinden, als es bei uns möglich ist. Nicht umsonst haben hier lange Zeit weise Institutionen gewaltet, und was den Menschenfreund vielleicht am[3] meisten beruhigt und erfreut, ist der Anblick so allgemein größern Wohlseyns und würdigerer Lebensverhältnisse. Was man bei uns Wohlhabenheit nennt, findet man hier als das Nothwendige angesehen, und durch alle Klassen verbreitet. Daraus entsteht, bis auf die kleinsten Details, ein Streben nach Zierlichkeit, eine sorgsame Eleganz und Reinlichkeit, mit einem Wort: ein Trachten nach dem Schönen neben dem Nützlichen, das unsern geringern Klassen noch ganz unbekannt ist. Ich glaube, ich schrieb Dir schon einmal von Birmingham, daß, als ich eben dort war, die Londoner Oppositions-Blätter von einer in Birmingham herrschenden Hungersnoth unter den Fabrikarbeitern berichteten. Diese bestand in der Wirklichkeit darin, daß die Leute, statt drei oder vier Mahlzeiten, mit Thee, kaltem Fleisch, Butterbrod, Beefstakes oder Braten, sich nun eine Weile vielleicht mit einer oder zwei, und blos mit Fleisch und Kartoffeln begnügen mußten. Es war aber zugleich Erndtezeit, und der Mangel an Arbeitern hierbei so groß, daß fast jeder Preis dafür bezahlt wurde. Demohngeachtet versicherte man mich, die Fabrikarbeiter würden eher alle Maschinen demoliren, ja wirklich Hungers sterben, ehe sie sich entschlössen, eine Sense in die Hand zu nehmen, oder Garben zu binden. So verwöhnt und eigensinnig, durch allgemeines Wohlleben und Sicherheit des Verdienstes (wenn man diesen nur ernstlich aufzusuchen Lust hat) ist das englische gemeine Volk, und man kann sich, nach dem Gesagten, abstrahieren, was von den[4] häufigen Artikeln solcher Art in den Zeitungen eigentlich zu halten ist.


Den 13ten.


Heute früh besuchte ich einen Theil der öffentlichen Promenaden, welche ich indeß unter meiner Erwartung fand, und trank den Brunnen, der mit Carlsbad Aehnlichkeit hat, mich aber sehr erhitzte. Die Doktoren sagen hier, wie bei uns: man müsse ihn früh trinken, sonst verliere er einen großen Theil seiner Kraft. Das Spaßhafte ist aber, daß hier früh, in ihrem Sinne, gerade da anfängt, wo es bei uns aufhört, nämlich um zehn Uhr. Das Wetter ist leider nicht günstig, jetzt kalt und stürmisch, nachdem wir früher, ziemlich lange für England, große Hitze gehabt hatten. Zur Reise ist es aber nicht so übel, und ich fühle mich dabei mindestens weit heiterer als in London, freue mich auch lebhaft auf die schönen Gegenden in Wales, denen ich entgegen reise. Sey also wenigstens in Gedanken bei mir, und laß unsere Geister Hand in Hand über Land und Meer gleiten, zusammen von den Bergen hinab schauen, und der Thäler stille Heimlichkeit genießen; denn an der Schönheit Gottes herrlicher Natur erfreuen sich die Geister gewiß durch alle Welten, in Formen so unendlich verschieden, als die Unendlichkeit selbst grenzenlos ist.

Ich führe Dich zuerst zu den sieben Quellen der Themse, die eine Stunde von Cheltenham entspringen. In einer Fly, (kleine Art Landau, nur mit einem[5] Pferde bespannt) auf deren Verdeck ich saß, um die schönen Aussichten von einem höhern Standpunkte zu betrachten, hatte ich diese Excursion unternommen. Nach langem Steigen sieht man endlich, auf einsamer Bergwiese, unter ein Paar Erlen, eine sumpfige Gruppe kleiner Quellchen, die, so weit der Blick sie verfolgen kann, als ein unbedeutendes Bächlein hinab rieseln. Dies ist der bescheidne Anfang der stolzen Themse. Es ward mir ganz poetisch zu Muthe, als ich mir dachte, wie ich erst vor einigen Stunden dasselbe Wasser, nur wenige Meilen davon, mit tausend Schiffen bedeckt sah, und wie dort der glorreiche Strom, obgleich sein Lauf nur so kurz ist, dennoch vielleicht mehr Schiffe, mehr Schätze und mehr Menschen das Jahr über auf seinem Rücken trage, als irgend einer seiner colossalen Brüder; wie an seinen Ufern die Hauptstadt der Welt liege, und wie von ihnen aus allmächtiger Handel vier Welttheile beherrsche! – Mit respektvoller Verwunderung blickte ich auf die plätschernden Wasserperlen hin, und verglich sie bald mit Napoleon, der, in Ajaccio incognito geboren, kurz darauf alle Throne der Erde erzittern machte – bald mit der Schneelawine, die unter der Zehe eines Sperlings sich ablöst, und fünf Minuten nachher ein Dorf begräbt – oder mit Rothschild, dessen Vater Bänder verkaufte, und ohne den heute keine Macht in Europa Krieg führen zu können scheint.

Mein Wagenlenker, der zugleich ein beglaubigter Cheltenhamer Cicerone war, brachte mich von hier[6] auf einen hohen Berg, Lakintonhill genannt, wo eine berühmte Vûe ist, nebst der Zugabe eines freundlichen Gasthofs zur Bewirthung der Besuchenden. Im Schutz einer Rosenlaube geborgen3, schweifte mein Blick siebenzig englische Meilen weit in das Land hinein, eine reiche Ebne mit mehreren Städten und Dörfern überschauend, unter denen die Cathedrale von Gloucester den stattlichsten Aussichtspunkt bildet. Hinter ihr thürmen sich zwei Bergreihen übereinander, die von Malvern und von Wales. So schön alles war, erweckten doch die fernen, blauen, in Duft verschwimmenden Berge nur sehnsüchtiges Heimweh in mir. Wie gern wäre ich, unter Fortunato's Wünschhütlein, an Deine Seite geflogen! Bisher hatten sich schwarze Wolken am Himmel gejagt, gerade als ich die Aussicht verließ, erschien nekkend die Sonne. Sie leuchtete mir durch einen schönen Buchenwald zu dem reizenden Landsitz des Herrn Todd, der mitten im Waldesdunkel in Gestalt eines freundlichen Dörfchens angelegt worden ist – lauter Hütten Strohdächer und Moos-Gallerien. Auf grünem Rasenplatz in der Mitte, steht die ehrwürdige Dorflinde, mit der Bank von drei Etagen für eben so viel Generationen, nicht weit davon auf verwittertem Stamme eine Sonnenuhr, und am Bergsaume nach dem Thale zu ein ländlicher Ruhesitz mit einer[7] Kuppel von Haidekraut, deren Ribben zierlich von Wurzeln geflochten sind. Oft wird bei Festen das Ganze mit Immergrün und Blumen geschmückt, und Abends mit bunten Lampen erleuchtet. In dem daneben liegenden Park, den manche schöne Parthieen auszeichnen, findet man die Ruinen einer römischen Villa, die erst vor acht Jahren zufällig entdeckt wurde, und zwar durch das plötzliche Einsinken eines Baumes. Einige Bäder sind noch wohl erhalten, so wie zwei Mosaik-Böden, die aber nur eine ziemlich grobe Arbeit darbieten, und mit pompejischen Ausgrabungen keinen Vergleich aushalten. Die Wände sind zum Theil noch mit zwei Zoll dickem, roth und blau gefärbten Stuck bekleidet, und die Heizröhren von Ziegeln erbaut, deren Qualität und Dauer unübertreffbar ist. Eine Viertelstunde davon verfolgt man deutlich die alte römische Straße, die auch noch zum Theil benutzt wird, und sich von den englischen Wegen dadurch hauptsächlich unterscheidet, daß sie, gleich einer norddeutschen Chaussee, in schnurgerader Linie geführt ist. Hoffentlich aber war der Geschmack der Römer zu gut, um sie auch mit unabsehbaren Reihen lombardischer Pappeln einzufassen, wie es bei jenen der Fall ist, deren doppelte Monotonie deßhalb eine wahre Marter für den armen Reisenden wird. Welcher Unterschied mit einer englischen Landstraße, die man in sanften Biegungen um die Berge windet, tiefe Thäler vermeidet und alte Bäume schont, statt, um der fixen Idee der geraden Linie zu folgen, sie[8] mit sechsfach größern Kosten durch dick und dünne, durch Berge und Abgründe mit Gewalt zu führen.

Auf dem Rückwege nach Cheltenham kam ich durch ein großes Dorf, wo ich einen sogenannten Theegarten zum erstenmal besuchte. Die Art, wie hier ein geringer Raum zu hundert kleinen Nischen, Bänken, und pittoresken, oft abentheuerlichen, Sitzen unter Blumen und Bäumen benutzt wird, ist merkwürdig genug, und bildet einen seltsamen Contrast mit dem Phlegma der bunten Menge, welche die Scene, nicht sowohl belebt, als staffirt.

Da es noch ziemlich früh war, als ich die Stadt wieder erreichte, so benutzte ich den schönen Abend, um einige andere Brunnen zu besuchen, wobei ich gewahr wurde, daß ich heute früh nur auf den unbedeutendsten gestoßen war. Diese Anlagen sind ungemein glänzend, vielfach mit Marmor, aber noch mehr mit Blumen, Gewächshäusern und schönen Pflanzungen geschmückt. Die Spekulationen in England steigern sich enorm, sobald eine Sache Mode wird, und dies ist hier so sehr der Fall, daß sich binnen fünfzehn Jahren in der Nähe der Stadt der Preis einer Acre Landes von vierzig auf tausend Guineen erhöht hat. Die für das Publikum bestimmten Vergnügungsörter sind hier, und ich glaube mit Recht, ganz verschieden von Garten- und Park-Anlagen eines Privatmannes behandelt. Breite Promenaden, Schatten und abgesonderte Plätze werden mehr, als Aussichten und ein großartiges, landschaftliches Ganze, bezweckt. Die Art, Alleen zu pflanzen, gefällt[9] mir. Es wird nämlich ein fünf Fuß breiter Streifen Landes längs des Weges rigolt, und dicht aneinander ein Gemisch verschiedener Bäume und Sträucher hineingepflanzt. Die am besten wachsenden Bäume läßt man später in die Höhe gehen, und die andern hält man als unregelmäßigen, niedrigen Unterbusch unter der Scheere, welches den Aussichten, zwischen der Krone der hohen Bäume und dem Gesträuch, eine schönere Einfassung giebt, das Ganze voller und üppiger macht, und den Vortheil gewährt, daß man, wo die Gegend uninteressant ist, die Laubwand von unten bis oben dicht zuwachsen lassen kann.


Worcester, den 14ten.


Entre la poire et le fromage erhielt ich gestern den schon zweimal abgelehnten Besuch des hiesigen Ceremonienmeisters, des Herrn, welcher die Honneurs des Bades macht, und in den englischen Badeörtern eine bedeutende Autorität über die Gesellschaft ausübt, wogegen er mit sonst ganz antienglischer Zuvorkommenheit und Wortschwall die Fremden begrüßt, und für ihre Unterhaltung zu sorgen sucht. Ein solcher Engländer hat in der Regel übles Spiel und erinnert stark an den Martin der Fabel, welcher die Caressen des Schosshundes nachmachen wollte. Ich konnte den meinigen nicht eher los werden, als bis er einige Bouteillen Claret bei mir ausgeschlürft, und alles Dessert, was das Haus lieferte, gekostet hatte. Dann empfahl er sich endlich, mir noch das Versprechen[10] abnehmend, den morgenden Ball ja gewiß mit meiner Gegenwart zu beehren. Da mir aber jetzt wenig an Gesellschaft und neuen Bekanntschaften liegt, so machte ich ihm faux bond, und verließ am frühen Morgen Cheltenham. Die Gegend bleibt fortwährend im hohen Grade lieblich, voller Wiesengründe und tief grüner Baumgruppen, mit immer deutlicher werdenden Ansichten der den Horizont bekränzenden Berge. Fast alle Stationen passirt man eine ansehnliche Stadt, der nie ihre hoch hinausragende gothische Kirche fehlt. Besonders reizend erschien mir die Lage der Stadt Tewksbury. Nichts kann friedlicher, idyllischer seyn, und dennoch sind alle diese blühenden Fluren blutige Schlachtfelder aus den Zeiten der unzähligen englischen Bürgerkriege, woher sie auch noch jetzt die im Laufe der Jahrhunderte so unpassend gewordenen Namen von Blutstätte, Mordfeld, Knochenacker etc. führen.

Worcester, wo ich Dir jetzt schreibe, die Hauptstadt der Grafschaft, bietet außer ihrer prächtigen Cathedrale, nicht viel Merkwürdiges dar. Die wenigen, in dieser Kirche noch übrig gebliebenen alten Glasmalereien sind mit neuen ergänzt, welche sehr hart gegen das Weiche, und doch Glühende, der alten Farben abstechen. In der Mitte des Schiffes liegt King John begraben, sein Conterfei in Stein gehauen auf dem Steinsarge. Es ist das älteste Grabmonument eines englischen Königs in Großbrittanien. Man öffnete den Sarg vor einigen Jahren und fand das Gerippe noch wohl erhalten, und[11] ganz so gekleidet, wie der König auf dem Sarge abgebildet ist. Bei Berührung der Luft zerfiel die Kleidung in Staub, das Schwert war aber vorher schon in Rost aufgegangen, und nur der Griff noch zu erkennen. Ein anderes höchst merkwürdiges Monument ist das eines Templers aus dem Jahr 1220 mit der normännischen Inschrift: Ici aist syr guilleaume de harcourt fys robert de harcourt et de Isabel de camvile. Die Figur des Ritters (beiläufig gesagt in einem ganz andern Costüme als des Grafen Brühl Templer in Berlin) ist vortrefflich gearbeitet, und liegt mit einer Natürlichkeit, einem Abandon da, welcher eine antike Statue nicht verunzieren würde. Die Kleidung besteht aus Stiefeln oder Strümpfen, wie man es nennen will, von cotte de maille, mit goldenen Sporen darüber; das Knie ist nackend, und über dem Knie geht wieder cotte de maille an, die dengan zen Körper und auch den Kopf so einschließt, daß nur das Gesicht frei bleibt. Ueber diesem Panzerhemde trägt die Figur ein langes rothes Faltengewand bis über die Wade herabhängend, und über dieses an einem schwarzen Bandelier ein langes Schwert in rother Scheide. Am linken Arme hängt ein schmaler spitzer Schild mit dem Familienwappen, nicht dem Templerkreuz, darauf eingegraben. Dieses befindet sich nur am Sarge. Die ganze Figur ist, wie Du aus meiner Beschreibung inne wirst, bemalt, und die Farben immer von Zeit zu Zeit aufgefrischt worden. Als größte Sehenswürdigkeit wird dem Fremden zuletzt[12] das Grabmahl des Prinzen Arthur gezeigt, dessen vielverschlungene Steinverzierungen wirklich der künstlichsten Drechslerarbeit gleichkommen. Auf der einen Seite der Kapelle sind fünf Reihen kleine Portrait-Figuren über einander angebracht. Die Rangordnung ist folgende: Unten Aebtissinen; auf ihnen Bischöfe; über diesen Könige; dann Heilige, und ganz oben Engel. Quant à moi, qui ne suis encore ni saint, ni ange, souffrez, que je vous quitte pour mon diner.


Llangollen, den 15ten.


Wenn ich die Ehre hätte der ewige Jude zu seyn, (und Geld muß dieser doch wenigstens ad libitum haben) so würde ich ohne Zweifel einen großen Theil meiner Unsterblichkeit auf der Landstraße zubringen, und dies namentlich in England. It is so delightful für Jemand, der fühlt und denkt wie ich. Für's erste stört und genirt mich keine menschliche Seele; ich bin, wo ich gut bezahle, überall der Erste (den herrschsüchtigen Menschenkindern immer ein angenehmes Gefühl) und habe nur mit freundlichen Gesichtern, und Leuten zu verkehren, die voll Eifer sind, mir zu dienen. Fortwährende Bewegung, ohne Uebermüdung, erhält den Körper gesund, und die stete Veränderung in schöner freier Natur, hat dieselbe stärkende Wirkung auf den Geist. Dazu, gestehe ich, geht es mir zum Theil wie dem Doctor Johnson, der behauptete: das größte menschliche Glück sey, in einer guten englischen Postchaise mit einem schönen[13] Weibe rasch auf einer guten englischen Chaussee, zu fahren. Auch für mich ist es eine der angenehmsten Empfindungen, in einem bequemen Wagen dahin zu rollen, und mich gemächlich darin auszustrecken, während mein Auge sich an den, wie in der laterna magica, immer wechselnden Bildern ergötzt. Nachdem sie verschieden sind, erregen sie meine Fantasie bald ernst, bald heiter, tragisch oder komisch, und mit großem Vergnügen male ich dann in mir selbst die gegebenen Skizzen aus; und welche gigantische, launige, seltsame Gestalten nehmen sie dann oft mit Blitzesschnelle an, gleich Wolkenbildern vor meinem Geiste auf- und nieder wogend! Findet sich jedoch die Fantasie einmal träge, so lese und schlafe ich Gottlob mit gleicher Leichtigkeit im Wagen. Meine Packerei ist keine Plackerei, um mit dem Capuziner zu reden, sondern so vortrefflich eingerichtet (durch lange Erfahrung), daß ich ohne Embarras, und ohne meinen Dienern das Leben zu sauer zu machen, stets im Augenblick das Verlangte erhalten kann. Zuweilen, wenn das Wetter gut und die Gegend schön ist, spaziere ich auch wohl meilenweit zu Fuße, enfin ich erlange ich hier allein vollkommene Freiheit – und als letztes endlich darf ich den Genuß, über alles dies meiner Herzensfreundin in einer Ruhestunde zu schreiben, auch nicht gering anschlagen. Doch nun zur Sache! Ich fuhr die Nacht durch, nachdem ich am Abend noch ein seltsames Spiel am Himmel erlebt hatte. Auf der Höhe eines Berges glaubte ich vor mir ein riesenmäßiges schwarzes[14] Gebirge, und am Fuß desselben einen unermeßlichen See zu erblicken. Es dauerte lange, ehe ich mich überzeugen konnte, daß ich nur eine optische Täuschung, durch Nebel und verschiedene Wolkenschichten gebildet, vor mir hatte. Der obere Himmel war nämlich lichtgrau und ohne Schattirung, gegen ihn aber lag eine ganz schwarze Wolkenmasse in Form des wildesten Gebirges, deren obere Linie, kühn gezeichnet, vielfach auf und nieder stieg, während die untere durch eine Nebelschicht völlig horizontal abgeschnitten war. Dieser Nebel nun schien ein auf beiden Seiten unabsehbares silberweißes Wasserbecken zu bilden, und da an ihm, unmittelbar zu meinen Füßen, sich der grüne Vorgrund, ein bewaldetes, sonniges Wiesenland anschloß, so erreichte die Täuschung wirklich einen seltenen Grad! Nur nach und nach, wie ich den Berg hinabfuhr, verschwand das zauberartige Bild in der Luft. Die schönste Wirklichkeit erwartete mich dagegen heute früh in Wales. Der Traum der Wolken schien mir im voraus die Herrlichkeit des Thales von Llangollen verkünden haben zu wollen, eine Gegend, die nach meinem Urtheil alle Schönheiten der Rheinländer weit übertrifft, und dabei eine ganz besondere Originalität in den ungewöhnlich geformten Spitzen und jähen Abhängen der Berge ausspricht. Ein reißender Fluß, die Dee, windet sich in tausend fantastischen Krümmungen, die dichtes Laubholz überschattet, durch den Wiesengrund, woraus schroff auf beiden Seiten hohe Berge empor steigen, die bald mit uralten[15] Ruinen, bald mit modernen Landhäusern, zuweilen auch mit Fabrikstädtchen, deren thurmhohe Feueressen dicken Rauch emporwirbeln, oder auch mit grotesken, einsam stehenden Felsengruppen, gekrönt sind. Die Vegetation ist durchgängig reich, und Berg und Thal voll hoher Bäume, deren mannigfache Farbenschattirungen so unendlich viel zur Anmuth und dem Malerischen einer Landschaft beitragen. In dieser üppigen Natur erhebt sich, mit um so grandioserem Effekt, eine einzige lange, schwarze, kahle Bergwand, nur mit dichtem, dunklem Haidekraut bedeckt, die sich geraume Zeit längs der Straße hinzieht. Diese prächtige Straße, von London bis Holy Head (200 Meilen)4 so eben wie ein Parquet, führt hier an der Seite der linken Bergkette entlang, ohngefähr in der Mitte ihrer Höhe, und allen ihren Krümmungen folgend, so daß, während man im scharfen Trabe und Gallop dahin fährt, fast jede Minute sich die Ansicht völlig umwandelt, und man, ohne seinen Sitz zu verändern, abwechselnd das Thal bald vor sich, bald seitwärts, bald rückwärts übersieht. An einem Ort führt eine Wasserleitung aus 25 schlanken Steinbogen, ein Werk, das den Römern Ehre gemacht haben würde, mitten durch das Thal und über den[16] Dee, so einen zweiten Fluß, 120 Fuß über dem andern, hinströmen lassend. Das Bergstädtchen Llangollen gewährt nach einigen Stunden ein köstliches Ruheplätzchen, und ist mit Recht seiner lieblichen Gegend wegen so häufig besucht. Die schönste Aussicht hat man vom Kirchhofe, neben dem Gasthaus, wo ich vor einer halben Stunde, auf ein Grabmonument geklettert, stand, und mich, mit herzlicher Frömmigkeit, glückselig des schönen Anblicks freute. Unter mir blühte ein terrassenförmiges Gärtchen mit Wein, Jelänger-jelieber, Rosen und hundert bunten Blumen, die wie zum Bade bis an den Rand des schäumenden Flusses hinabstiegen; rechts verfolgte mein Blick die emsig murmelnden gekräuselten Wellen zwischen dicht herabhängendem Gebüsch; vor mir erhob sich eine doppelte Waldregion, durch Wiesenflächen mit weidenden Kühen abgetheilt, und über alles hoch oben die kahle conische Spitze eines vielleicht ehemaligen Vulkans, den jetzt die düstern Ruinen der uralten welschen Burg Castel Dinas Bran, zu deutsch: die Krähen-Veste, wie eine Mauerkrone, decken; links zerstreuen sich die steinernen Häuser des Städtchens im Thal, und neben einer malerischen Brücke bildet der Fluß hier einen ansehnlichen Wasserfall; dicht hinter diesen angelehnt aber stellen sich, gleich Riesenwächtern, drei große Bergkolosse majestätisch vor, und verschließen dem Auge alle fernern Geheimnisse der wunderbaren Gegend. Erlaube nun, daß ich – vom Romantischen zum vielleicht weniger feinen, aber doch auch keineswegs[17] zu verachtenden Sinnengenuß zurückkehrend – mich nach inwärts wende, das heißt, nach der Stube, wo mein durch die Bergluft ungemein vermehrter Appetit, mit nicht geringem Wohlbehagen, auf dem schön geblümten irländischen Damasttuch, dampfenden Kaffee, frische Perlhuhneier, dunkelgelbe Gebirgsbutter, dicken Rahm, Toast, Muffins,5 und zuletzt zwei eben gefangene Forellen mit zierlichen rothen Fleckchen er blickt – ein Frühstück, das Walter Scott's Helden in den high lands nicht besser von diesem großen Maler menschlicher Nothdurft erhalten könnten. Je dévore déjà un oeuf – adieu.


Bangor, Abends.


Der Regen, der mich von London, mit kurzen Intervallen, stets begleitet hat, blieb mir auch heute treu, doch scheint sich nun das Wetter zum Guten ändern zu wollen. Ich habe indeß allerlei zu erzählen und einen interessanten Tag zu beschreiben. Also, noch zur rechten Zeit, ehe ich Llangollen verließ, fielen mir die beiden berühmten Jungfern (gewiß die berühmtesten in Europa) ein, welche in diesen Bergen nun bereits über ein halbes Jahrhundert hausen,[18] von denen ich schon einst als Kind, und jetzt wiederum in London viel erzählen hörte. Du hast gewiß auch durch Deinen Vater Kunde von ihnen vernommen. Sinon, voilà leur histoire. Vor 56 Jahren kam es zwei vornehmen, jungen, hübschen und fashionablen Damen in London, Lady Elleonor Buttler und der Tochter des eben verstorbenen Lord Ponsonby, in ihre Köpfchen, die Männer zu hassen, nur sich zu lieben und zu leben, und von Stunde an, als Zweisiedler in eine Einsiedelei zu ziehen. Der Entschluß wurde sofort ausgeführt, und nie haben beide Damen seit dieser Zeit auch nur eine Nacht ausser ihrer Cottage geschlafen. Dagegen reist kein Mensch nach Wales, der präsentabel ist, ohne sich einen Brief oder Empfehlung an sie mitgeben zu lassen, und wie man behauptet, interessirt sie »scandal« noch heute eben so sehr, wie damals, als sie noch in der Welt lebten, und ihre Neugierde, Alles, was in dieser vorgeht, zu hören, soll sich ebenfalls gleich frisch erhalten haben. Ich hatte von mehreren Damen zwar Complimente für sie, aber keinen Brief, den ich zu verlangen vergessen, und schickte daher nur meine Karte, entschlossen, wenn sie meinen Besuch ablehnten, wie man mich befürchten machen wollte, die Cottage zu erstürmen. Rang öffnete aber hier leicht die Thüren, und ich erhielt sofort eine gracieuse Einladung zu einem zweiten Frühstück. In einer Viertelstunde langte ich in der reizendsten Umgebung, durch einen netten pleasure ground fahrend, bei einem kleinen geschmackvollen gothischen Häuschen[19] an, gerade der Krähenveste gegenüber, auf die mehrere Aussichten durch das Laub hoher Bäume gehauen waren. Ich stieg aus, und wurde schon an der Treppe von beiden Damen empfangen. Glücklicherweise war ich bereits gehörig auf ihre Sonderbarkeiten vorbereitet, sonst hätte ich schwerlich gute contenance erhalten. Denke Dir also zwei Damen, wovon die älteste, Lady Elleonor, ein kleines rüstiges Mädchen, nun anfängt, ein wenig ihre Jahre zu fühlen, da sie eben 83 alt geworden ist; die andere aber, eine große imponirende Gestalt, sich noch ganz jugendlich dünkt, da das hübsche Kind erst 74 zählt. Beide trugen ihr, noch recht volles Haar schlicht herabgekämmt und gepudert, einen runden Mannshut, ein Männerhalstuch und Weste, statt der inexpressibles6 aber einen kurzen jupon, nebst Stiefeln. Das Ganze bedeckte ein Kleid aus blauem Tuch von ganz besonderem Schnitt, die Mitte zwischen einem Männer-Ueberrock und einem weiblichen Reithabit haltend. Ueber dieses trug aber Lady Elleonor noch Erstens: den grand cordon des Ludwigsordens über den Leib, zweitens: denselben Orden um den Hals, drittens: abermals ditto das kleine Kreuz desselben im Knopfloch, et pour comble de gloire eine silberne Lilie von beinahe[20] natürlicher Größe als Stern – alles, wie sie sagte, Geschenke der Bourbon'schen Familie. So weit war das Ganze in der That höchst lächerlich, aber nun denke Dir auch beide Damen wieder mit der angenehmen aisance, und dem Tone der großen Welt de l'ancien régime, verbindlich und unterhaltend ohne alle Affectation, französisch wenigstens eben so gut sprechend, als irgend eine vornehme Engländerin meiner Bekanntschaft, und dabei von jenem wesentlich höflichen, unbefangenen, und ich möchte sagen, naiv heitern Wesen der guten Gesellschaft damaliger Zeit, das in unserm ernsten, industriellen Jahrhunderte des Geschäftslebens fast ganz zu Grabe getragen worden zu seyn scheint, und mich bei diesen gutmüthigen Alten wahrhaft rührend ansprach. Auch konnte ich nicht ohne lebhafte Theilnahme die ununterbrochene und doch so ganz natürlich erscheinende zarte Rücksicht bemerken, mit der die Jüngere ihre schon etwas infirmere ältere Freundin behandelte, und jedem ihrer kleinen Bedürfnisse sorgsam zuvor kam. Dergleichen liegt mehr in der Art, wie es gethan wird, in scheinbar unbedeutenden Dingen, entgeht aber dem Gefühlvollen nicht.

Ich debütirte damit, ihnen zu sagen, daß ich mich glücklich schätzte, ein Compliment an sie ausrichten zu können, das mein Großvater, der vor 50 Jahren ihnen aufzuwarten die Ehre gehabt hätte, mir an die schönen Einsiedlerinnen aufgetragen habe. Diese hatten nun zwar seitdem ihre Schönheit, aber keineswegs ihr gutes Gedächtniß verloren, erinnerten sich[21] des G.... C... sehr wohl, brachten sogar ein altes Andenken von ihm hervor, und wunderten sich nur, daß ein so junger Mann bereits gestorben sey! Nicht nur die ehrwürdigen Jungfern, auch ihr Häuschen war voller Interesse, ja mitunter enthielt es wahre Schätze. Keine merkwürdige Person fast, seit dem vergangenen halben Jahrhunderte, die ihnen nicht ein Portrait, oder andere Curiosa und Antiquitäten als Erinnerung zugeschickt hätte. Diese Sammlung, eine wohl garnirte Bibliothek, eine reizende Gegend, ein sorgenfreies, stets gleiches Leben, und innige Freund- und Gemeinschaft unter sich – dies sind alle ihre Lebensgüter; aber nach ihrem kräftigen Alter und ihrem heitern Gemüth zu schließen, müssen sie nicht so übel gewählt haben. –

Unter unbändigem Regen hatte ich die guten alten Damen besucht, und unter demselben Platzregen ging jetzt die Reise weiter, zuerst bei der Ruine einer alten Abtei vorüber, und dann bei dem einstigen Palast Owen Glendower's, dessen Du Dich aus Shakespeare, und meinen Vorlesungen in M..... erinnerst. Die Mannigfaltigkeit der Gegend ist außerordentlich; zuweilen ist man von einem wahren Getümmel von Bergen aller Formen umringt, dann glaubt man sich, das Land weit überblickend, fast wieder in der Ebne, bis man von neuem in eine dunkle enge Waldstraße eingeschlossen wird. Weiterhin treibt der Fluß ruhig eine friedliche Mühle, und gleich darauf braußt er im Abgrunde über Felsenblöcke, und bildet in der Tiefe einen prachtvollen[22] Wasserfall. Gerade an dieser Stelle, der Caskade von Pont-Y-Glyn gegenüber, begegnete ich einer sehr eleganten englischen Droschke (die sehr verbesserte Ausgabe des Wiener Originals) mit vier hübschen Pferden bespannt, aber mit einem noch hübscheren Mädchen darin, die von einer zwar älteren, aber auch nicht übel aussehenden Frau begleitet war. Wir hielten beide zur Besichtigung des Wasserfalles an, und während unsere Wagen so gegenüber standen, schielte das Mädchen neugierig nach mir herüber, was ich bemerkte, und lachte. Dies erschreckte die scheue Engländerin, sie ward über und über roth, und konnte doch gleich nachher, in jugendlicher Lustigkeit, sich selbst des Lachens nicht über die Pantomimen enthalten, welche ich, im Wagen, vor der Begleiterin versteckt, ihr adressirte. Der Kampf, in den sie darüber mit sich selbst gerieth, machte die Scene noch komischer. In diesem Moment fielen meine Augen auf einen Haufen eben von mir gesammelter schöner Bergblumen, und ich schrieb schnell auf ein ausgerissenes Blatt meines Portefeuille folgende Worte: »F... M.... empfiehlt sich den unbekannten Damen respektvoll und bittet um Erlaubniß, ihnen zwei eben gepflückte Sträußer Gebirgsblumen zu senden; er sollicitirt als Gegengeschenk um die Namen der liebenswürdigen Reisenden, die ihm sein guter Stern bei Pont-Y-Glyn begegnen ließ.« – Dies befahl ich meinem Kammerdiener zu übergeben. Es wurde, wie ich hinter dem herabgezogenen Rouleau sah, mit satyrischem Lächeln von der ältern Dame, mit Erröthen[23] von der Jüngern aufgenommen. Die Antwort lautete: »Sehr verbunden; aber die unbekannten Damen müssen incognito bleiben .... vielleicht – sehen wir uns in London wieder.«

Hierauf erfolgte das Zeichen zur Abfahrt, und dahin eilten wir, nur noch ein Paar ungewisse Blicke tauschend, nach ganz verschiedenen Weltgegenden hin. War das nicht der Anfang einer artigen kleinen Avantüre? wäre ich noch ein Mensch, der seinen Launen nachgeben kann, ich hätte sogleich umkehren lassen und das Mädchen verfolgt bis ..... doch nichts weiter davon! sie kam mir aber lange nicht aus den Gedanken, denn sie war zu hübsch, um sie so schnell zu vergessen. Auf der nächsten Station erkundigte ich mich nach ihr, aber niemand wollte sie kennen. Ich blieb also allein mit dem Ueberrest meiner Blumen, und schmollte ein wenig, bis neue Gegenstände wieder meine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen. Denn das Thal von Llangollen ist nur die Vorrede zu der eigentlichen Epopöe – dem höhern Gebirge von Wales. Nachdem man hinter dem erwähnten Wasserfall, eine halbe Stunde lang in einer fast unbedeutenden, nur durch wenige Hügel unterbrochenen, Ebene gefahren ist, tritt man nicht weit von Cernioge mawr inn mit einem Mal in das Allerheiligste – ein mächtig ergreifender Anblick! Ungeheure schwarze Felsen bilden rund umher das erhabenste Amphitheater, dessen gezackte und zerrissene Zinnen in den Wolken zu schwimmen scheinen. Unter einer achthundert Fuß tief niedersteigenden Felsenwand,[24] bahnt der Fluß sich seinen schwierigen Weg, von Abgrund zu Abgrund hinabstürzend. Vor uns lag eine perspektivische Ansicht über einander wogender Berge, die endlos schien. Ich war so entzückt, daß ich mir durch lauten Ausruf Luft machen mußte. Und dabei kann man die herrliche Straße nimmer genug loben, welche, nie jähling steigend oder sinkend, alle die belles horreurs dieser Bergwelt so gemächlich betrachten läßt. Sie ist, wo sie nicht von Felsen geschützt wird, durchgängig mit niedrigen Mauern eingeschlossen, und in gleichen Distanzen sind ebenfalls zierlich gemauerte Nischen angebracht, in denen die Steine zur Ausbesserung aufgeschichtet sind, was weit geordneter aussieht, als die freiliegenden Steinhaufen an unsern Landstraßen.

Das Gebirge von Wales hat einen sehr eigenthümlichen Charakter, der schwer mit andern zu vergleichen ist. Seine Höhe ist ohngefähr der des Riesengebirges gleich, es erscheint aber unendlich grandiöser in Form, ist weit reicher an Bergspitzen, und diese besser gruppiert. Auch die Vegetation ist mannigfaltiger an Pflanzenarten, obgleich nicht so zahlreich an Bäumen überhaupt, und es hat Flüsse und Seen, die dem Riesengebirge ganz abgehen. Es fehlen ihm also die majestätischen, geschlossenen Wälder der Heimath Rübezahls, und an einigen Stellen desselben hat auch der Anbau des Menschen die Mittelstraße bereits überschritten, die meiner Ansicht nach, zu einer vollendet schönen Landschaft gehört; dagegen ist die höhere Region, von Capel Cerrig bis einige Meilen[25] von Bangor, so wild und schroff, als man es sich nur wünschen kann, und weite Strecken roth und gelb blühender Haiden, nebst Farrenkräutern und andern Pflanzen, die in unserm härtern Clima nicht fortkommen, bekränzen die Felsen, und ersetzen die Bäume, welche in dieser Höhe nicht mehr gedeihen. Die größte Mannichfaltigkeit des Gemäldes bewirken aber die colossalen, wilden und seltsamen Formen der Berge selbst. Einige sehen wirklich Wolken weit ähnlicher, als festen Massen. So ist unter andern der Trivaen mit so sonderbar geformten Basaltsäulen auf seiner Spitze bedeckt, daß alle Reisende überzeugt sind, Menschen da oben zu seh'n, die eben den Berg erstiegen, und nun in die weite Aussicht hineinschauen – es sind aber nur die Berggeister, die Merlin auf ewige Zeiten dahin gebannt.

Geschmackvoll fand ich es, daß sämmtliche Chaussee-Häuser so ganz im Charakter der Gegend gehalten waren; aus rohem röthlichen Bruchstein erbaut, mit Schiefer gedeckt, von einfacher, schwerer Architektur und mit eisernen Thoren versehn, deren Gitterwerk die sich kreuzenden Strahlen zweier Sonnen nachahmt. Der Postboy zeigte mir die Ueberreste eines alten Druidenschlosses, wohin, wie ich in meinem Buche nachlese, Caractacus nach seiner Niederlage bei Caer Caredoc retirirte. – Die welsche Sprache klingt selbst wie Krähengekrächze. Beinahe alle Namen fangen mit C an, welches mit einem Krach-Laut ausgesprochen wird, den eine fremde Kehle nicht nachahmen kann. Diese Ruine ist jetzt in zwei bis drei bewohnte[26] Hütten verwandelt, und ihre Lage nicht eben ausgezeichnet. Bemerkenswerther schien mir weiterhin ein Felsen, der in der Gestalt eines Bischofs mit Krummstab und Mitra sich darstellte, als stiege er eben aus einer Höhle, um den erstaunten Heiden das Christenthum zu predigen. Woher kömmt es wohl, daß, wenn die Natur so spielt, es eine fast erhabne Wirkung macht, und wenn es die Kunst nachahmen will, dieß immer lächerlich erscheint?

Ein kleines Tormento im Gebirge sind die vielen Kinder, welche, wie Gnomen kommend und verschwindend, den Wagen mit unbegreiflicher Beharrlichkeit bettelnd begleiten. Ermüdet von dieser Zudringlichkeit hatte ich mir bestimmt vorgenommen, Keinem etwas mehr zu geben, weil man sonst darauf rechnen kann, gar nicht mehr von ihnen verlassen zu werden; aber eines dieser kleinen Mädchen bezwang dennoch alle meine Entschlüsse durch ihre Ausdauer. Gewiß eine deutsche Meile lief sie im scharfen Trabe Berg auf Berg ab, nur manchmal durch Fußwege abkürzend, mich aber nie aus den Augen lassend, neben mir her, wobei sie unaufhörlich denselben jammervoll klagenden Ton, gleich einer Seemöve, ausstieß, der mir zuletzt so unerträglich wurde, daß ich mich gefangen gab, und der nicht zu ermüdenden Lauferin meine Ruhe mit einem Schilling abkaufte. Der unheilbringende Ton war mir aber, wie der Tik Tak einer Uhr, die man fortwährend zu hören gewohnt ist, so im Ohre geblieben, daß ich ihn den ganzen Tag nicht los werden konnte.


[27] Den 16ten.


Ich habe vortrefflich ausgeschlafen, und sitze nun im Gasthof am Meere, von der Reise ausruhend, und ergötze mich an den Schiffen, die auf allen Seiten die klare Fluth durchziehen. Nach der Landseite zu ragt eine Burg, von schwarzem Marmor aufgebaut, aus den uralten Eichenkronen hervor. Mit diesem Schloß werde ich meine Ausflüge beginnen, und überhaupt hier, wo ich mich sehr gut aufgehoben sehe, mein Hauptquartier aufschlagen. Auch fand ich hier ganz unerwartet einen unterhaltenden Landsmann. Du kennst den geistreichen A..., der so mager ist, und doch so stattliche Waden besitzt, so elegant gekleidet und doch so sparsam, so gutmüthig und doch so sarkastisch, so englisch und doch so deutsch erscheint. Kurz A.... frühstückte zum zweitenmal guten Appetits mit mir, und erzählte dabei die lustigsten Dinge. Er kam von S...., über welches er sich ohngefähr so vernehmen ließ:


Scherz und Ernst.


Sie wissen, lieber Freund, sagte er, daß man in Wien Jedem, der ein gebacknes Hendel essen, und NB. bezahlen kann, den Titel Euer Gnaden ertheilt – in S..... nennt man dagegen Jeden, der einen ganzen Rock trägt, in dubio, Herr .... Rath, oder noch besser, Herr Geheimer Rath, unbekümmert ob es ein wirklicher, oder nicht wirklicher (also blos scheinbarer, fantasmagorischer) ein halber, d.h. ein pensionirter, ein ganzer, nämlich voll bezahlter, oder[28] ein völlig unbefruchteter, eine titulaire Null sey. Sonderbar verschieden sind dabei die Attribute und die Functionen dieses geheimnißvollen Raths-Wesens. Bald führt seinen Namen ein invalider Staatsmann in der Residenz, dem man aus Ehrfurcht für seine Altersschwäche, und zur Belohnung eines glücklich erlebten Jubiläums, eben den gelben Greifen umgehangen hat; oder ein nicht allzuthätiger, aber desto mehr von sich eingenommener Ober-Präsident in der Provinz, dem seine Verdienste bei der Durchreise eines fremden Souverains, endlich zu Ehre und Orden verhelfen; hier ist es die rüstige Stütze der Finanzen, oder selbst der oder die rara avis, ein einflußreicher Mann nahe am Throne und dennoch ein bescheidener Mann voller Verdienst; dort aber schon wieder eine blos vegetirende Excellenz, die kein anderes Geschäft kennt als von Haus zu Haus gehend, veraltete Späße und Namenverdrehungen aufzutischen, die seit einem halben Jahrhundert das Privilegium haben, die crême de la bonne société in der Hauptstadt zu entzücken. Jetzt wird abermals ein genialer Mann daraus, der als Dichter und Mensch erfreut, und nie einen andern als den geraden Steg betritt – weiterhin repräsentirt es ein zwar weniger glänzendes, aber desto mehr umfassendes Genie, welches, obgleich der Themis eigen, auch eben so gut unter den Sternen, sowohl des Himmels als des Theaters, Bescheid weiß. Endlich verwandelt sich dieser Proteus gar in einen Cameralisten, berühmten Schaafzüchter und Oekonomen, der seine Felder – und späterhin[29] in einen Doktor, der die Kirchhöfe düngt; auch bei der unüberwindlichen Landwehr ist er zu finden, und Post7, wie Lotterie, ja Garderobe selbst, vermögen nicht ohne ihn zu bestehen. Der Hof-Philosoph, der Hof-Theologe, der Hof-Jakobiner, alle bieten sich am Ende die Hand als geheime Räthe – sie sind es, waren es oder werden es seyn – kurz kein Land scheint in dieser Hinsicht mehr berathen, und zugleich geheimer! denn so bescheiden sind diese zahllosen Räthe – daß sie oft nichts geheimer halten, als ihr Talent.

Aber eine wahre Freude ist es dagegen, zu sehen, mit welcher unbefangenen, ja rührenden Bonhomie sie sich selbst unter einander Titel geben und Ehre erzeigen, jeder dem andern sein Prädikat noch um eine Stufe höher schraubend, zur Dankbarkeit aber, wie sich von selbst versteht, dasselbe wiederum von ihm erwartend. Die verschiedenen Zusätze und Wendungen, die das arme Wort »geboren«, dabei erleiden muß, blieben gewiß jedem Fremden, der hier die deutsche Sprache erlernen wollte, ein mystisches Räthsel. Ohne mich in dieses Labyrinth weiter hinein zu begeben, erwähne ich blos, daß »geboren« allein, auch der Bettler auf der Straße nicht mehr[30] seyn will, und »Edelgeboren« eine empfindliche Beleidigung für die unteren, so wie »Wohlgeboren« für die obern, auch nicht adlichen, Staatsbeamten zu werden anfängt. Ich für meine Person schrieb hier stets an meinen Schneider: Hochwohlgeborner Herr. Es war dies allerdings ein berühmter Mann, ein Nachkomme des bekannten Freundes Robinson Crusoës, der durch den kühnen und unnachahmlichen Schnitt seiner Uniformen eine welthistorische Wichtigkeit erlangt hat. Er war also auf alle Weise wenigstens des Verdienstadels würdig.8

Um in solcher willkührlichen Titelertheilung und Empfangung nicht genirt zu seyn, ist es hier auch so vortheilhaft eingerichtet, daß bei der größten Rangsucht doch eine wirkliche bindende Rang-Ordnung gar nicht existirt, weder bei Hofe, noch durch die Geburt bestimmt, oder durch gesetzwerdende Meinung und Gewohnheit in der Nation begründet. Zu weilen ist es Geburt, öfter das Amt, bald Verdienst, bald Gunst, bald auch nur unwiderstehliche Impertinenz, welche den Vorrang gewährt, wie es Zufall und Umstände fügen. Dies gibt nun zu besondern Anomalieen Anlaß, die einem alten Edelmanne, wie ich bin, einen Baron von Tunderdendronk, [31] qui ne scaurait compter le nombre de ses ànes, wie jener P........ General sagte – gar nicht in den Kopf wollen. Klagen, Sorgen und Noth haben deshalb auch kein Ende in der Gesellschaft; nur eine gewisse lustige und vortreffliche alte Dame weiß einzig und allein, fast überall, und bei jeder Gelegenheit, den ersten Rang zu behaupten – weil sie mit vielem Geist viele körperliche Kräfte und persönliche Tapferkeit verbindet, und durch diese vereinten Eigenschaften bald mit Witz, bald mit göttlicher Grobheit, bald auch, wenn nichts anders helfen will, mit einem derben Fauststoß, bei Hof und andern Festen sich als die Erste gerirt, und die Erste bleibt. Ich weiß unter andern von guter Hand, daß die Gräfin Kakerlack bei einem der Höfe (denn es gibt deren Mehrere hier) sich durch eine Hof-Cabale zurück gesetzt fühlte, und auf den Rath ihres Freundes, des Starostes von Pückling, sich direkt an den stets gerechten und billigen Regenten wandte, und offiziell um die Bestimmung ihres Ranges bat. Man ertheilte ihr hierauf auch diesen, unmittelbar nach der Fürstin Bona, welche (hier einmal der Verdien ste ihres seligen Mannes wegen) den ersten inne hat – und der Großwürdenträger, Fürst Weise, brachte ihr selbst diese Ordre, aber, sagte er, »Liebste Gräfin, der Baronin Stolz müssen sie doch den Rang lassen, denn was wollen Sie mit Ihrer schlanken Taille gegen die ausrichten? ein einziger Ellenbogenstoß, und Sie sind lahm auf ewig! Also lassen Sie die immer vorgehn, denn Sie wissen,[32] die Polizei selbst fürchtet sich vor der, seit der famosen Einladung, die sie vor einigen Jahren an dieselbe ergehen ließ.«

Der Kraft muß Alles weichen, und dieß beweiset auch wie schwierig es ist, bloß dem Verdienste, ohne allgemein ausgesprochene Regel, den Vorrang zuzugestehen; denn Verdienst ist ja so relativ! Wenn der General, der Minister groß sind, wer kann läugnen, daß auch der vortreffliche Koch, die liebenswürdige Operntänzerin ein großes Verdienst besitzen? Dieß haben ja, wie uns die Geschichte lehrt, selbst Monarchen und Staaten stets anerkannt. So muß z.B. in England, wo in der Regel nur Adelstitel Rang gewähren (beiläufig gesagt wohl der sicherste, und dem Königthume gemäßeste Anhalt9) der große Feldmarschall und Premier-Minister Wellington, dem kleinen, zwar bekannten, aber keineswegs berühmten, Herzoge von St. Albans nachgehen, weil dieser junge Mann ein älterer Herzog ist, d.h. das Verdienst seiner Ahnfrau, der Schauspielerin Nell Gwynn, Maitresse Carls des II. – älter ist, folglich das Prioritäts-Recht ausübt, vor dem spätern Verdienste des Herzogs von Wellington.

In der hiesigen Hauptstadt ist es anders. Man[33] ist in der Regel an zu schlechtes Essen gewöhnt, um einen guten Koch sehr hoch anzuschlagen, und ist neuerlich allgemein zu tugendhaft geworden, um Maitressen zu halten. Von Verdienstschätzung ist auch nicht sonderlich mehr die Rede.10 Was eigentlich und hauptsächlich jetzt hier Rang und Ansehen giebt, ist: Diener zu seyn, des Staates oder Hofes, n'importe lequel, et comment. Beati possidentes – denn auch hier waltet das gute deutsche Sprichwort: Wem Gott das Amt giebt, dem giebt er auch Verstand! Die Bureaukratie ist an die Stelle der Aristokratie getreten, und wird vielleicht bald auch eben so erblich werden. Schon jetzt kann selbst das Gouvernement keinen seiner Beamten mehr ohne Urtheil und Recht entlassen, die Stelle im Staatsdienst, die jeder inne hat, wird für sein möglichst bestbegründetes Eigenthum angesehen, und es ist nicht zu verwundern, daß überall Beamtete diese Einrichtung bis in den Himmel erheben. Sonderbar, daß[34] demohngeachtet alle Staaten mit einer freien Verfassung, wo nämlich als Princip angenommen ist, daß die Nation, und kein bevorrechteter Stand, selbst nicht der ihrer Diener, die Hauptsache sey, einem ganz andern Systeme folgen.11 Der nicht dienende Bürgerstand ist auf andere Weise in seiner Unbeachtetheit glücklich. Er genießt seine Wohlhabenheit con amore, und als Salz des Lebens führt er Prozesse, wozu ihm die Justiz gern allen erdenklichen Vorschub leistet. Auch der Kaufmann, sowohl christlichen als vorchristlichen Glaubens findet sein Conto und wenn er es anzufangen weiß, auch nützliche Protektion – ja recht viel Geld zu besitzen, ist beinahe so viel werth als wirklicher Geheimerrath zu seyn, und die reichen Banquiers, wenn sie ein gutes Haus machen, werden zu den privilegirten Ständen gerechnet, auch manchmal dafür in den Adelstand erhoben.[35]

So behelfen sich denn viele auf's Beste; nur mit dem armen Adel, besonders dem alten, (insofern er nicht auch in den sichern Hafen der Bureaukratie eingelaufen ist) sieht es kläglich aus! Ohne Geld und freien Grundbesitz, seine Adels-Titel ins Unendliche vervielfältigend, und seine Stammgüter ins Unendliche theilend, ohne Antheil an der Gesetzgebung als den, welcher ihm in einer ständischen Schule vergönnt wird, wo man ihn zur graduellen Ausbildung einstweilen nach Quinta gesetzt hat, von seinen früher innegehabten Stiftern und Pfründen schon längst abgelöst,12 von den Behörden mehr als billig gehudelt, ja oft wegen seiner so schlecht soutenirten Ansprüche nicht nur ausgelacht, sondern auch angefeindet und verfolgt, hat er, als Corporation, sein Ansehen beim Volke gänzlich verloren, und es bleibt ihm kaum eine andere wesentliche Eigenschaft mehr übrig, als die, zur einzigen Pflanzschule für Kammerherrn[36] bei den verschiedenen respectiven Höfen der Hauptstadt zu dienen; immer noch ohne Zweifel ein beneidenswerthes Loos. –

Diese letztere Wahrheit wird auch gebührend von Vielen erkannt, und manches Geistreiche darüber, besonders von einer berühmten Schriftstellerin als Vorfechterin, ausgesprochen, die seit geraumer Zeit mit ihrem Gemahl in einer Art gemeinschaftlichen Romanenwettlauf begriffen war, welcher jede Leipziger Messe dem erfreuten Publikum zwei bis drei dergleichen Produkte, zu eben so viel Bänden das Stück, zu liefern pflegte. Das Merkwürdigste dabei war, daß die Werke des Mannes von der überschwänglichen Zartheit einer weiblichen Feder, die der Frau hingegen von etwas schwerfälliger männlicher Vielwisserei herzurühren schienen, ein Blei, das selbst die alchymistische Hand eines liebenswürdigen und geistreichen Prinzen nicht in Gold verwandeln konnte. Beide Schriften, besonders die erstern, haben indeß ihre vogue erlebt, bis endlich die anmuthig anzusehenden, und naiv kindlichen Nordlandshelden des edlen Ritters, die sich mit Zärtlichkeit duellirten, und mit klaren blauen Augen dem todtgestochenen Freunde den Friedenskuß aufdrückten, eben so wie seine wunderbaren Rosse, die über Felsenzacken gallopirten und durch Meere ihren Herren nachschwammen, ohngeachtet aller dieser wundervollen Gaben, Walter Scotts unbehosten Bergschotten weichen mußten.

Die poetischen Kammerjunker und gelehrten Theezirkel der gnädigen Frau waren bereits schon lange[37] vorher, als ein wenig ausgetrocknet, verlassen worden. Ein solcher Theezirkel war es bekanntlich auch, in dem Ahasverus, wie wir in den Memoiren des Teufels lasen, nach so langer rastloser Wanderung zum erstenmal Ruhe fand, und selig entschlief. Seitdem sind die dicken Bände der berühmten Schriftstellerin zu schmalen Erzählungen eingeschwunden, liebliche Ephemeren, die zwar nur einen Tag lebten, aber dafür sich auch nur an Höfen, in Kammern, unter Prinzen, Hofdamen und Fräuleins, Kammerherrn, Kammerjunkern und auch Hofkammerlakayen (denn nichts was dem Hofe angehört, ist gering zu schätzen) bewegen. Sogar spukende Kammern kamen neulich zum Vorschein; die Geister, welche erschienen, waren aber so matt, so sehr ausgemergelten Hofschranzen ähnlich, avec un tel air de famille, daß sie höchstens an eine Gänsehaut erinnerten, ohne sie jedoch zu erregen. Die Pikanteste von allen war ohne Zweifel diejenige, welche einst die Gesellschaft der Hauptstadt persiflirte, in der die arme Viola eine verdächtige Rolle spielte, und eine vornehme Dame auftrat die jene für große Summen an eine hohe Person verkauft haben sollte. Diese Geschichte war mit Recht eine moralische zu nennen, denn sie erweckte bei jedem Gutgearteten, der sie damals las, gewiß gerechten Abscheu vor Verläumdung und leichtsinniger Verdammung. Böswillige aber ergötzten sich auf andere Art daran – und so blieb das Ganze nicht ohne Werth, ein Meisterstück aber könnte man es nennen, wollte man es gegen alle die Mittelalterlichen,[38] Tugend- und Jammervollen, Christlichen und Zotenreißenden, Italiänisirenden und Deutschthümelnden etc. Erzählungen halten, welche die Bedürfnisse unserer Journal- und Almanachs-Literatur jetzt Miriadenweise hervorrufen, und von denen man zum Theil nicht einmal mit Schiller sagen kann, daß sich darin: »wenn sich das Laster besp .... die Tugend zu Tische setze.« Es kömmt hier weder zu dem einen noch dem andern, sondern von Anfang bis zu Ende leidet man nur an dem geistigen Pendant einer sogenannten Ekel-Cur. Nachdem vergebens nach allen Seiten gezielt worden ist, brennt zuletzt das Ganze dennoch ohne Explosion von der Pfanne, und weit entfernt, sich zu Tische zu setzen, bleibt der unglückliche Leser für lange Zeit von aller Nahrung degoutirt.13[39]

Doch auf die gelehrte und liebenswürdige Dame zurückzukommen, von der eben die Rede war, so spielte zu der Zeit, als ich in den dortigen Regionen verweilte, um die Wintersonne ihres Hof- und Schriftglanzes, ein seltsamer Insektenschwarm, in der großen Welt eine Cotterie genannt – welche, soviel ich weiß, noch jetzt als Grundsatz aufstellt (wer hätte heut zu Tage nicht Grundsätze!): daß der Adel wirklich von einer andern Sorte Blut, als andere Menschen, durchströmt werde, und nur höchstens im Wege der Impfung ein gemeiner Baum noch veredelt werden möge, z.B. durch natürliche Kinder großer Herren u.s.w. Dieser Adel bleibe also vor allem rein und abgeschlossen, lehrt sie, er entehre sich weder durch Industrie noch gemeinnützige Spekulationen, welches eine gewisse Frau von Tonne, in einer sehr gehaltreichen Schrift, als einen Hauptgrund des Verfalles des Adels im Lande aufführt. Etwas schriftstellern und künstlern (auch für Geld, ja selbst für bürgerliches Geld) bleibt jedoch dem Adel erlaubt, wie man überhaupt Künstlern eine Mittelstufe zwischen Adelichen und Bürgerlichen gestattet. Konstitutioneller, hoher Adel und repräsentative Verfassung ist dagegen keineswegs nach dem Geschmack dieser Parthei, aus dem sehr natürlichen Grunde, weil unter solchen fatalen Umständen ihr eigner Adel, dessen Alter sie selbst allein genau kennen, und dessen verschuldeter Landbesitz sich in tausend kleine Antheile bis zur mikroskopischen Unentdeckbarkeit versplittert hat – zu dem schrecklichen[40] Loose verdammt seyn würde, in der Kammer der Gemeinen (wo noch?) Platz nehmen zu müssen. Wer kann es ihnen daher verdenken, wenn sie in solcher Lage die Kammer des Prinzen vorziehen, besonders wenn sie Herren darinnen werden können – doch das verhüte Gott! Hoffentlich bleiben sie hier immer nur titulaire, nicht wirkliche geheime Räthe und Kammerherren.


(Die Fortsetzung ein andresmal)


Abends.


Ich konnte es doch nicht so lange aushalten, in der Stube sitzen zu bleiben; das Schloß vor meinen Fenstern lockte zu mächtig! Ich bestieg also gleich nach A....s Abreise einen Bergklepper, und ritt wohlgemuth darauf zu. Dieses merkwürdige Gebäude ist von einem in jeder Hinsicht steinreichen Manne aufgeführt; denn seine, eine Stunde weiter im Gebürge liegenden Steinbrüche, bringen ihm jährlich 40,000 L. St. Er hat an einer der vorteilhaftesten Stellen, am Ufer des Meeres, einen weitläuftigen Park angelegt, und die sonderbare, aber meisterhaft ausgeführte, Idee gehabt, alle Gebäude darin in dem altsächsischen Style zu erbauen. Man schreibt diese Architektur fälschlich in England den Angelsachsen zu, da sie doch von den sächsischen deutschen Kaisern herrührt, und gewiß keines dieser vielfachen Monumente älter ist. Schon die den Park umgebende, wohl eine deutsche Meile fortlaufende[41] hohe Mauer, erhält dadurch ein seltsames Ansehen, daß in ihrer obern Schicht 3 bis 4 Fuß hohe, aufrecht stehende, unegale, spitzige Schieferstücke eingemauert sind, eine zugleich sehr zweckmäßige Vorrichtung. Bei jedem Eingang droht ein thurmartiges Fort mit Fallgittern u.s.w. dem Eindringenden (kein übles Symbol für die Illiberalität der modernen Engländer, die ihre Gärten und Besitzthümer strenger, als wir unsere Wohnstuben, verschließen) dann muß der Besucher noch eine Zugbrücke passiren, ehe er den dunklen Thorweg der imponirenden Burg betritt. Der schwarze, nur roh bearbeitete, Marmor von der Insel Anglesea, aus dem die großen Massen bestehen, harmonirt wunderbar mit dem majestätischen Charakter der Gegend. Bis in die kleinsten Details, selbst die Stuben der Bedienten, und noch geringere Plätze nicht ausgenommen, ist mit genauer Sorgfalt alles reiner old Saxon style. Im Eßsaal fand ich eine Nachahmung des Dir früher beschriebenen Schlosses Wilhelms des Eroberers zu Rochester. Was damals nur ein großer Monarch ausführen konnte, realisirt jetzt als Spielwerk, nur noch größer, schöner und kostbarer, ein simpler Landgentleman, dessen Vater vielleicht mit Käsehandel anfing. So ändern sich die Zeiten! Der Grundplan des Gebäudes, den mir der gefällige Architekt vorlegte, gab Gelegenheit zu einigen häuslichen Informationen, die ich Dir hier mittheile, weil fast alle englische größere Landhäuser so eingerichtet sind, und sie, wie so vieles, die Zweckmäßigkeit englischer[42] Gebäude darthun. Die Dienerschaft hält sich nie im Vorzimmer, hier die Halle genannt, auf, welche immer wie die Ouverture bei einer Oper, den Charakter des Ganzen anzudeuten sucht. Sie ist gewöhnlich mit Gemälden oder Statuen geschmückt, und dient, wie die elegante Treppe und alle übrigen Zimmer, nur zum beliebigen Aufenthalte der Familie und Gäste, welche sich lieber manchmal selbst bedienen, als immer einen solchen dienenden Geist hinter ihren Fußstapfen wissen wollen. Die Bedienten sind daher alle in einer entfernteren großen Stube (gewöhnlich im rez-de chaussée) versammelt, wo sie auch zusammen, ohne Ausnahme, männliche und weibliche, zu gleicher Zeit essen, und wo alle Klingeln aus dem Hause ebenfalls aboutiren. Diese hängen in einer Reihe nummerirt an der Wand, so daß man sogleich sehen kann, von woher geklingelt wird; an jeder ist noch eine Art Pendulum angebracht, das sich 10 Minuten lang, nachdem die Klingel schweigt, noch fortbewegt, um den Saumseligen an seine Pflicht zu erinnern!14 Das weibliche Personal hat gleichfalls ein großes Versammlungszimmer, worin es, wenn nichts anderes vorkömmt, näht, strickt und spinnt. Daneben befindet sich ein Behältniß zum reinigen der Glaswaaren[43] und des Porzellains, welches den Mädchen obliegt. Jede von diesen, so wie die männlichen Diener, haben im obersten Stock ihre besondere Schlafzelle. Nur die Ausgeberin (housekeeper) und der Haushofmeister (butler) bewohnen unten ein eignes Quartier. Unmittelbar an das der Ausgeberin anstoßend ist die Kaffeeküche und die Vorrathskammer für Alles, was zum Frühstück nöthig ist, welche, in England wichtige, Mahlzeit speciell zu ihrem Departement gehört. Auf der andern Seite ist ihr Waschetablissement, mit einem kleinen Hofe verbunden; es besteht aus 3 Piecen, die erste zum Waschen, die zweite zum Plätten, die dritte bedeutend hohe, welche mit Dampf geheizt wird, zum Trocknen bei schlechtem Wetter. Neben des Haushofmeisters Logis befindet sich seine pantry, ein geräumiges feuerfestes Zimmer mit rund umher laufenden Schränken, wo das Silber aufbewahrt wird, das er auch hier putzt, so wie die zur Tafel nöthigen Glas- und Porzellainwaaren, die ihm, sobald sie von den Mädchen rein gemacht sind, welches alles sehr pünktlich geschieht, sogleich wieder abgeliefert werden müssen. Aus der pantry führt eine verschlossene Treppe in die Bier- und Weinkeller, welche der butler ebenfalls unter sich hat.

Ein sehr romantischer Weg brachte mich, erst durch den Park, dann am Saum eines schön bewaldeten Bergstroms hin, in einer Stunde nach dem Schieferbruch, der 6 Meilen vom Schloß im Gebürge liegt. Aus den Dir bereits genannten Einkünften kannst Du Dir denken, welch' ein bedeutendes Werk dies ist.[44] Fünf bis sechs hohe Terrassen von großem Umfang steigen an den Bergen empor, und auf ihnen wimmelt alles von Menschen, Maschinen, Prozessionen von hundert aneinander gehängten, schnell auf Eisenbahnen hinrollenden Wagen, Lasten heraufziehenden Krahnen, Wasserleitungen, und so weiter. Ich brauchte ziemlich lange, um das Ganze nur flüchtig zu besehen. Um zu einem entfernteren Theile des Werks zu gelangen, wo man eben die Felsen mit Pulver sprengte, was ich zu sehen wünschte, mußte ich mich auf einem der kleinen Eisenwagen, die zum Transport des Schiefers dienen, durch eine pechschwarze, nur vier Fuß hohe und vierhundert Schritt lange, durch den Felsen gehauene Galerie auf dem Leibe liegend fahren lassen. Dies geschah vermittelst einer Winde. Es ist eine höchst fatale Empfindung, sich durch diese schmale Schlucht mit tausend unregelmäßigen Zacken, welche man, am Eingange wenigstens, deutlich sieht, bei ägyptischer Finsterniß mit großer Schnelle durchreißen zu lassen, welches Fremde auch gewöhnlich ablehnen. Man kann sich des Gedankens nicht erwehren, daß wenn man, ohngeachtet der beruhigenden Versicherung des Führers, der zuerst voraus fährt, nun dennoch an irgend eine dieser Zacken anstieße, man auch ohnfehlbar ohne Kopf an der andern Seite ankäme. Nach Passirung dieser Gallerie mußte ich noch auf einem, nur zwei Fuß breiten Wege ohne Geländer, am Abgrunde hinwandern, bis ich durch die zweite niedrige Höhle endlich zu dem gewünschten, in der That schaudervoll prächtigen Ort,[45] gelangte. Hier schien man sich schon in der Unterwelt zu befinden! Die mehrere hundert Fuß hohen, spiegelglatten, abgesprengten Schieferwände ließen vom blauen Himmel kaum so viel noch sehen, um Tag von Dämmerung unterscheiden zu können. Der Boden, auf dem wir standen, war gleichfalls abgesprengter Felsen, und in der Mitte bereits ein tiefer Spalt, von ohngefähr sechs bis acht Fuß Breite, schon weiter herunter gearbeitet. Ueber dieser Schlucht amüsirten sich einige Kinder der Steinarbeiter, halsbrechende Sätze zu machen, um ein paar Pence dafür zu verdienen; an den Felsenwänden aber hingen überall Bergleute, gleich schwarzen Vögeln mit ihren langen Eisen pickend, und Schieferblöcke mit Geprassel herunter werfend. Doch jetzt schien das ganze Gebürge zu wanken, lauter Warnungsruf erschallte von mehreren Seiten, die Pulvermine sprang. – Ein großer Felsen löste sich nun von hoch oben langsam und majestätisch ab, stürzte gewaltig in die Tiefe, und während Staub und abspringende Steinstückchen die Luft gleich dickem Rauch verfinsterten, hallte der Donner im wilden Echo rings um uns wider. Diese, fast täglich an verschiedenen Orten des Steinbruchs nothwendigen, Operationen sind so gefährlich, daß, nach der eignen Versicherung des Direktors, man bei dem ganzen Werk im Durchschnitt jährlich auf 150 Verwundete und 7 bis 8 Todte rechnet! Ein zu diesem Behuf eignes bestimmtes Hospital nimmt die Blessirten auf, und ich selbst begegnete beim Herreiten, ohne es zu wissen,[46] der Leiche eines vorgestern Gebliebenen, car c'est comme une bataille. Die Leute waren so aufgeputzt und mit Bergblumen geschmückt, daß ich die Prozession im Anfang für eine Hochzeit hielt, und fast erschrak, als auf meine Frage, wo der Bräutigam sey, einer der Begleiter schweigend auf den nachfolgenden Sarg wieß. Nach der Aeußerung des Direktors ist jedoch die Hälfte der Unglücksfälle der Apathie der Arbeiter selbst zuzuschreiben, die, obgleich jedesmal gewarnt, dennoch in der Regel zu sorglos sind, um sich bei der Explosion zur rechten Zeit und weit genug zu entfernen, und da der Schiefer sich oft in platten messerscharfen Stücken ablöst, so ist ein unbedeutendes, in weite Ferne geschleudertes Stück der Art hinlänglich, dem Manne, den es trifft, die Hand, ein Bein oder gar den Kopf rein abzuschneiden, welcher letztere Fall, wie ich hörte, einmal wirklich vorkam. Da wir selbst von dem Foyer nicht zu weit entfernt standen, so benutzte ich den Wink, und machte wieder linksum, durch die höllische Gallerie, um mir die friedlicheren Arbeiten zu besehen. Diese haben vielfaches Interesse. So kann z.B. Papier nicht zierlicher und schneller beschnitten werden, als hier die Schiefertafeln, und kein Kienblock kann leichter und netter spalten, als die Steinplatten, die der Arbeiter mit geringer Mühe durch einen einzigen Schlag des Meißels in Scheiben wie die dünnste Pappe, und von 3 bis 4 Fuß im Durchmesser, zertheilt. Der rohe Stein kömmt aus den eben beschriebenen Regionen sämmtlich auf wahren Pariser Rutschbergen zum[47] Verarbeiten herab, und wie dort bringt die Kraft der herabrollenden beladenen Wagen auch die leeren wieder hinauf. Die Eisenbahnen sind hier nicht, wie gewöhnlich, concav, sondern convex, und die Wagenräder entsprechend.


Den 17ten.


Der Tag ging mit Ruhen, Schreiben und Lesen hin, und bietet daher wenig Stoff dar; ehe ich mich zu Bette lege, muß ich aber doch, der süßen Gewohnheit folgend, noch ein wenig mit Dir plaudern. Ich dachte eben an die Heimath und unsern verehrten Freund L..., der jetzt wieder umher reist, mir aber neulich ein ganzes Heft seiner älteren Bemerkungen zusendete. Soll ich Dir eine Echantillon davon mittheilen? – also höre:


Betrachtungen einer frommgemüthlichen Seele aus Sandomir oder Sandomich15


1., Als die Sächsischen Postillone auf meine Kosten vielen Schnaps getrunken hatten etc.


Wie viel besser ist es doch bei uns, als überall in der Fremde! Freilich erlebt man dort manches Merkwürdige. Zum Beispiel ist es gewiß ein sonderbarer Umstand (und doch kann ich nach vielfältiger Erfahrung[48] nicht mehr daran zweifeln) daß, wenn hier die Pferde müde und faul sind (was leider nur zu oft statt findet), nur der Postillon Schnaps zu trinken braucht, um jene wieder sichtbar zu erheitern und muthig zu machen. Die Weisheit der Natur und ihre verborgenen Kräfte sind unergründlich! – Das eben erwähnte Phänomen erklärt sich indeß vielleicht aus der bekannten Erfahrung, daß Wein in den Fässern zu gähren anfängt, wenn der Weinstock blüht16. Auf der letzten Station vor Torgau bekam mein Begleiter, der Gardelieutenant Graf S... aus Potsdam, bei dem das Reich der Gnade noch gar nicht zum Durchbruch gekommen ist, und der sich deßhalb auch noch jeden Augenblick über weltliche Dinge so unnütz ereifert – Händel mit unserm Postillon, und ward so böse, daß er ihn, mit dem Stocke drohend, einen sächsischen Hund nannte. »O Jeses nein, mein gnädger Herr Leutnant« erwiederte dieser recht albern, »da erren Se sich, mer sind ja schon seit mehr als zehn Jahren Preißische Hunde.« Man sieht doch, daß es den Leuten hier noch ganz an unsrer nationalen Bildung fehlt.


2., Nach meinem schickungsreichen Unglücksfall am 6ten Juli 1827.


Vier Wochen lang konnte ich nicht schreiben! dankbar und tiefgerührt ergreife ich heute zum erstenmale[49] wieder die Feder, um die merkwürdige Schickung aufzuzeichnen, die ich erlebte! Als ich vorigen Monat nach M.... reiste, ward ich, grade wie der Fremde in den Kleinstädtern, immediat vor dem sogenannten Chausseehause schrecklich umgeworfen, und brach den rechten Arm. Mein erster Ausruf – ich gestehe es zu meiner Beschämung – war ein garstiger Fluch! mein zweiter aber schon Dank, brünstiger Dank dem Schöpfer, daß ich nur den Arm und nicht den Hals gebrochen hatte! Bei solchen Gelegenheiten erkennt man deutlich die unergründlichen Wege, und die schützende, uns immer zur rechten Zeit Hilfe bringende Hand der Vorsehung. Hing nicht mein Leben an einem Haare, und wollte mir Gott nicht hier eindringlich beweisen, daß es nur von ihm abhing, meine Augen auf ewig zu schließen, oder mein junges Leben noch zu schonen, das vielleicht, denn was ist Gott unmöglich! noch zu großen und wichtigen Dingen bestimmt ist? Ja ihr Philosophen, innig und jubilierend fühle ich es: Nur der Glaube macht selig!


3., Als ich bei Torgau beinahe in der Elbe ersoff etc.


Gewiß ist es, daß man nicht eher ins Wasser gehen sollte, als bis man schwimmen kann, wie schon ein griechischer Weiser sehr richtig bemerkt hat. Ich war so unvorsichtig, mich ohne diese Kenntniß gestern zu baden (denn von dem rebellischen Turnen und Leibesübungen dieser Art hielt ich mich immer fern) und wäre, da ich einen Krampf in der Wade bekam,[50] und darüber etwas die Contenance verlor, vielleicht jetzt schon ein Todter, ohne einen Mann, den der Himmel wiederum grade um diese Zeit herbeiführen mußte, mich zu retten. Könnte ich gegen so viele Beweise speciellen Schutzes blind seyn! – Die ganze Elbe ist mir dennoch seitdem etwas zuwider geworden. Ich bekämpfe dies aber als ein tadelnswerthes Gefühl, da man bedenken muß, von welchem Nutzen dieser Fluß doch für so viele unserer Mitbrüder ist17. Obgleich die Bemerkung, glaube ich, schon früher gemacht worden ist, so bleibt es doch nicht weniger beachtungswerth, daß man bei großen Städten fast immer auch einen Fluß findet; – aber so weise, so gnädig hat es die gütige Vorsehung überall zu unserm Nutzen eingerichtet, wir Menschen erkennen es nur zu selten! Ja für alle hat die Natur wie eine gütige Mutter gesorgt! Der Biene gab sie ihren Stachel, dem Biber seinen Schwanz, dem Löwen seine Kraft, dem Esel die Geduld, dem Menschen aber seinen hohen Verstand, und wo dieser, nebst der trügerischen Vernunft nicht ausreicht, himmlische Offenbarung. O wie dankbar fühle ich mich immer, wenn ich dies recht bedenke, ich, der ohnedem für so viele geistige und körperliche Vorzüge mehr als viele meiner Mitmenschen zu danken habe. – Möge ich es nie vergessen! Amen.
[51]

4., Als ich dem Juden Abraham meinen schon zweimal prolongirten Wechsel, mit alterum tantum endlich bezahlen mußte.


Es hat mich der Zweifel beunruhigt, ob die Juden wirklich bis an der Welt Ende bestehen, und so wie jetzt, vom Fluche getroffen, zerstreut, und gedrückt auf Erden leben, und uns deßhalb fortwährend so sehr werden prellen müssen!

Doch, ist dieser Zweifel nicht schon Sünde, da es so in vielen heiligen Büchern steht? Ueberdies geht ja von unserm Lande, wo von jeher die größte Aufklärung herrschte, auch jetzo wiederum die Bekehrung dieser unglücklichen Verirrten aus. Ach hier drängt mich ein neuer banger Zweifel! Werden auch gewiß einst alle Bewohner der Erde Christen heißen? Es ist zwar so verkündet, aber neulich stieß ich bei meinen gelehrten Studien auf eine Berechnung, die mir zu meinem wahren Schrecken zeigte, daß es überhaupt unter 800 Millionen Menschen bis jetzt nur noch etwas über 200 Millionen gibt, welche sich nach dem wahren Namen nennen. Hoffentlich werden indeß die braven Bibelgesellschaften das Ihrige thun und nicht ermüden. Den Engländern muß es aber doch noch nicht rechter Ernst damit seyn, da sie in Indien fast noch keinen Einzigen bekehrt haben. Die mögen wohl, wie gewöhnlich, nur politische Zwecke damit verbinden18. Uebrigens las ich neulich von einem Missionair[52] daselbst, daß ihm ein Hindu recht frech geantwortet habe: Ich lasse mich nicht eher von Euch zum[53] Christen bekehren, bis Ihr Euch von mir nicht auch zum Hindu habt bekehren lassen – denn ich glaube[54] an die Wahrheit meiner Religion, Ihr an die Wahrheit der Eurigen. Was Einem recht ist, ist dem Andern billig – und einzelne Fabeln und Mißbräuche mag es vielleicht in beiden geben, der Geist aber wird wohl aus seiner Familie seyn. Das sind noch recht schlechte Aussichten19! Ich selbst, der, ohne mich deshalb rühmen zu wollen, bereits in meiner Vaterstadt[55] einen alten Juden, mit dessen Handel es nicht mehr recht fort wollte, zur Taufe vermochte, wofür er noch jetzt eine Pension von mir erhält – suchte auch mein Scherflein zu der Sinneswandelung eines wirklichen Indiers beizutragen, der nach vielen wunderbaren Schicksalen bis in unsere hyperboräischen Gegenden verschlagen worden war, woselbst die Herrnhuter sich lange, und dennoch vergebens, mit seiner Bekehrung bemüht hatten. Er hörte mir recht geduldig zu, und ich muß gestehen, ich bewunderte, von der Wichtigkeit des Gegenstandes hingerissen, meine eigne Beredtsamkeit. Aber was war der ganze Erfolg? Er sah mich lächelnd an, nahm mein Almosen, schüttelte mit dem Kopf, wie eine Pagode, und ließ mich ohne alle weitere Antwort stehen!


P.S. Eben erhalte ich zu meinem großen Schrecken die Nachricht, daß der von mir bekehrte Jude gestorben, und auf dem Todbette, aus Gewissensbissen – (sollte man so etwas für möglich halten!) wieder ein Jude geworden ist!


5., Als ich vom Begräbniß der Madame R... zurückkam.


Vor einigen Tagen begab sich hier eine höchst merkwürdige Geschichte! Es sind erst kürzlich zehn Jahre verflossen, daß ein hübsches, und was mehr sagen will, auch ein frommes Mädchen in einem hiesigen Conditorladen angestellt war. Obgleich vielen Versuchungen[56] bei ihrem süßen Metier ausgesetzt (denn nicht alle junge Leute, die den Conditorladen besuchen, besitzen meine Sittsamkeit) wollte sie doch auf Niemand hören, und fand ihre Freude blos in der Frömmigkeit. Sie versäumte keine Betstunde beim Präsidenten S... oder andere, wo sie nur zu einer solchen Zutritt erlangen konnte, und ging vor allen jeden Sonntag, wenigstens einmal, in die Kirche. Eines Sonntags jedoch (es war Martini, wenn ich nicht irre) vergaß sie dieser Pflicht, und blieb, sich mit weltlichem Putze beschäftigend, zu Hause. Da nahte sich ihr die Nemesis in Gestalt eines jungen Mannes, dem sie schon längst heimlich geneigt war, und der an jenem verhängnißvollen Tage es wahrscheinlich sehr weit in ihrer Gunst brachte, denn kurze Zeit darauf heirathete er sie. Im Anfang lebten sie sehr glücklich, und bekamen mehrere Kinder. Nach und nach jedoch ließ, in den Zerstreuungen der Ehe ihre Frömmigkeit bedeutend nach. Die Unglückliche schien ihre weltlichen Pflichten als Gattin und Mutter zu lieb zu gewinnen, und von nun an dem Genusse der Betstunden und der Lektüre heiliger Bücher sogar vorzuziehen, aber die Folgen ihres Leichtsinns zeigten sich bald. Ihren Mann traf vielfaches, wie man versichert, sonst unverschuldetes Unglück, einige ihrer Kinder starben, die Familie verfiel in Armuth, und der Mann hierüber zuletzt in die tiefste Melancholie. Letzten Sonntag aber, grade am zehnten Jahrestag jenes erwähnten Sonntags, wo das unglückliche Mädchen nicht in die Kirche ging,[57] hat ihr Mann, in einem Anfall von Wahnsinn, sich und seine Frau grausam ermordet! hier erkenne man, wie die gerechte göttliche Strafe langsam, aber desto sicherer ihr Opfer findet. – Ich enthalte mich aller strengen Betrachtungen, aber wer durch dieses warnende Beispiel nicht gewitzigt wird, nicht einsieht wie strafbar und gefährlich es ist, den regelmäßigen Besuch der Kirche auch nur einmal aus Leichtsinn zu versäumen – den bedaure ich! er kann nur durch Schaden klug werden, und wohl ihm, wenn er es noch diesseits wird! –


6., Als ich meinen letzten Korb in D.. bekam.


Ich bin sehr unglücklich in der Liebe, eine Sache, die schwer zu begreifen ist, aber dennoch bleibt es wahr, daß mir schon wieder einer meiner wohl angelegtesten Pläne mißlungen ist!

Seit lange schon liebte ich Fräulein M.. mit allem Feuer meines ungestümen Charakters. Ich wagte zwar nicht, es ihr zu sagen, aber meine Blicke, die ich stundenlang schmachtend auf sie heftete, sprachen zu deutlich, um nicht verstanden zu werden. Demohngeachtet hatte ich meiner Angebeteten noch kaum mehr als ein spöttisches Lächeln abgewinnen können, als endlich eine wichtige Epoche, nämlich ihr achtzehnter Geburtstag eintrat. Ich beschloß durch eine ausgezeichnete Galanterie jetzt ihr Herz zu bestürmen, was ich mir um so eher, und mit gutem Gewissen erlauben durfte, da ich nie andre als redliche Absichten[58] hege. Ich dachte nun lange nach, was ich wohl wählen sollte. Rosenstöcke und alle botanischen Geschenke, wie Früchte u.s.w. sind so alltäglich, Putz durfte es nicht seyn, denn dies würde einer indirekten Andeutung geglichen haben, daß ich sie für eitel halte, noch weniger hätte ich ihr mögen etwas Kostbares anbieten, um sie nicht für interessirt zu erklären, ein frommes Gesang- oder Erbauungsbüchlein wagte ich nicht zu wählen, um nicht sündlich bei irdischen Zwecken Heiliges zu profaniren – nein, nur etwas Gefühlvolles und zugleich zart auf unsre Verhältnisse Anspielendes mußte es seyn. – Da fiel mir plötzlich, wie ein Blitz in dunkler Nacht, der Gedanke ein, daß die Zeit der frischen Häringe herannahe. Dies Wort elektrisirte mich, und mit der gewöhnlichen Schnelligkeit meiner Conceptionen, gewahrte ich im Augenblick, was hier alles verborgen liege. Sogleich schickte ich eine Staffette nach Berlin, um dort, wo alles Neue bekanntlich stets zuerst zu finden ist, wo möglich noch vor der jährlichen Annonce in den zwei löschpapiernen Zeitungen, besagte Geschöpfe Gottes zu erhalten. Alles ging nach Wunsch – beide lagen vor mir, ehe wenige Tage vergingen. Ich ließ sie nun noch, statt der Petersilie, auf einigen liebevollen Blättern des Clauren'schen Vergißmeinnichts (die nie verblühen) anrichten, und überdachte nochmals, was ihre stumme Sprache (nämlich der Häringe) außerdem noch alles auszudrücken fähig sey.

Es wäre vielleicht zu weit hergeholt, wenn ich es geltend machen wollte, wie Häring an Hymen erinnere,[59] und beide Worte offenbar eine etymologische Verwandtschaft haben, weil sie beide mit einem großen H anfangen und auch das kleine n in beiden vorkömmt – aber deutlicher schon sprach der Umstand: daß sie ein Paar waren – die Haupt-Pointe aus, auf die es abgesehen war. Die blaue Farbe, die an den Himmel erinnert, bedeutete unsre beiderseitige Sanftmuth, und die starke Einsalzung die Schärfe unsres Verstandes und attischen Witzes. Die unverwelkbaren Blätter schrieen, so zu sagen: Vergiß mein nicht! und spielten zugleich sehr deutlich auf die nie versiegende Wonne an, die wir empfinden würden, wenn wir uns erst ganz besäßen! Was aber, glaube ich, der Sache die Krone aufsetzte, war ohne Zweifel das artige Wortspiel, welches im Namen selbst liegt. Hering – her-Ring! deutlicher und zugleich delikater (in jeder Bedeutung des Ausdrucks, denn frisch eingesalzene Heringe sind in Preußen und Sachsen eine Delikatesse) konnte ich meine Liebe, und meine redlichen Absichten unmöglich erklären. Um jedoch ganz sicher zu seyn, gehörig verstanden zu werden, legte ich oben darauf noch eine, auf chinesisches Reispapier zierlich gemalte und ausgeschnittene Rose, in deren Blättern ich mit schüchterner Hand folgende kleine Erstlinge meiner Muse verbarg:


Wem ist's so wohlig auf dem Grund,

Wer wird in blauer Fluth gesund?

Der Hering.
[60]

Die Fluth sind Deine blauen Augen,

O laß hinab in sie mich tauchen

Als Hering.


Ach, so erhöre doch mein Fleh'n,

Laß Schönste, ach laß es gescheh'n –

Gib her-Ring!


Wer sollte glauben, daß Alles dennoch umsonst war! In schlichter Prosa antwortete mir die Frau Mutter ganz ungebunden und kurz: ihre Tochter bedaure sehr, von jeher eine idyosinkratische Abneigung gegen Heringe empfunden zu haben, so daß sie selbst die letzten Theaterstücke des berühmten Willibald Alexis nicht mehr sehen konnte, seitdem sie in Erfahrung gebracht, daß der Verfasser nur Hering heiße. Sie sende mir daher meine Fische nebst begleitender Poesie mit vielem Danke für die gute Meinung, in beifolgendem Korbe ergebenst zurück.

Glücklicherweise tröstet die Frömmigkeit ein wahrhaft von ihr ergriffenes Gemüth über Alles, aber ich mußte wohl zwei Stunden in der Bibel lesen, ehe ich wieder hinlängliche Geduld und Fassung erhielt – und obgleich der Wallfisch, welcher Jonas verschlang, und mit dem ich mich heute unterhielt, sehr groß war, so verschwand er doch jeden Augenblick in meiner Phantasie vor dem verhängnißvollen Herings-Paar.

In meinem Aerger (den ich leider immer noch nicht ganz besiegt habe) muß ich aber den erwähnten[61] beiden Löschpapiernen nun auch etwas abgeben. Sie sollten doch in ihren Annoncen sich nicht nur richtiger Orthographie befleißigen, sondern auch auf den Sinn einige Rücksicht nehmen. Von den schmähligen Wurstbällen, Wisotzki, und Jungfern Stechen, will ich nichts sagen, aber in einer Sammlung vaterländischer Merkwürdigkeiten, die ein Berliner Freund von mir angelegt hat, finde ich von besagten Zeitungen einige Blätter mit folgenden zwei Todes-Anzeigen von demselben unglücklichen Vater; und einer dritten, ältern Ankündigung zu einem Concert.


1) Heute nahm der liebe Gott, auf seiner Durchreise durch Teltow, meinen jüngsten Sohn Fritz, an den Zähnen zu sich.

2) (Einen Monat später.) Heute nahm der liebe Gott schon wieder meine Tochter Agnese zur ewigen Seligkeit zu sich.

3) Montag wird im hiesigen Schauspielhause ein Concert gegeben. Der Ertrag der Einnahme ist zur Grundlage eines Unterstützungs-Fonds unsrer im Kampfe für das Vaterland gebliebenen Landsleute bestimmt.


Nun frage ich Jeden, ob das nicht den Tod lächerlich machen heißt, gewiß eine schwere Sünde, auch wenn sie absichtslos begangen wird.


Soweit vor der Hand unser Freund L..


Aber die Nacht wird blässer – schon dämmert das neue Licht. Ich sage also wie das Lied von Moore:[62] Es ist schon Tag, d'rum gute Nacht. Ich sende Dir diesen langen Brief, den ein Bekannter morgen früh mit nach London nimmt, durch unsre Gesandtschaft, und schließe mit einem herzlichen Kuß, der, wohl eingesiegelt, hoffentlich die P.... Douanen unangefochten passiren wird, und wenn ich zaubern könnte, sich für jeden unberufenen Leser in einen derben Nasenstüber verwandeln müßte.


Dein treuer L..

A1 Man kann läugnen, daß Carl des Großen und der Spanier Heidenbekehrungen den meisten Erfolg hatten, nur Schade, daß die Spanier, eigentlich bessere Christen, als sie waren, erst zu einem neuen Heidenthume zwangen.


1

Dieser Name ist ein fingierter, weil wir nicht autorisirt sind, den wahren herzusetzen. So haben wir auch einige andere Namenbezeichnungen und Andeutungen gesellschaftlicher Verhältnisse maskieren zu müssen geglaubt.

A.d.H.

2

Du wenigstens weißt, daß diese Stimmung nicht in Egoismus begründet ist.

3

Es ist eine der großen Schönheiten Englands, daß man dort, selbst den ganzen Winter hindurch, fast bei allen Wohnungen die üppig blühendsten Lauben und Ranken gefüllter Monats-Rosen antrifft.

4

Wo andere Meilen nicht ausdrücklich benannt sind, ist immer von englischen die Rede, deren bekanntlich vier und eine halbe auf die deutsche Meile gehen.

A.d.H.

5

Eine Art lockerer Semmel mit croquanter Rinde, die heiß mit Butter gegessen wird.

A.d.H.

6

Die »Unaussprechlichen« wird dieses Kleidungsstück in England genannt, wo eine Frau der guten Gesellschaft zwar wohl häufig Mann und Kinder verläßt, um mit einem Liebhaber davon zu laufen, oder doch zu decent ist, um das Wort »Beinkleider« öffentlich nennen hören zu können.

7

Die Post soll übrigens in jenem Reiche durchaus Extra-Post seyn, und Manche es sehr bedauern, daß sie nicht noch einen größern Theil der Staatsmaschine fährt, um dem jubilarischen Stillstand einen neuen Anstoß zu geben.

A.d.H.

8

Ich kenne übrigens Züge von diesem Künstler, die manchem industriellen Edelmann unserer Zeit zur Ehre gereichen wurden, z.B. der, daß er seine Rechnungen nur alle fünf Jahre einschickt, und der großmüthigste Gläubiger aller Isolani's der Armee ist.

Avis aux lecteurs!

9

NB. wenn der Adel darnach beschaffen, d.h. wahrer National-Adel ist, so wie ihn England zum Theil besitzt, oder auch wie ihn Grävell in seinem Regenten gut definirt.

A.d.H.

10

Hier meint mein seliger Freund ohne Zweifel nur, in der Schätzung gewisser Beamten, die aus guten Gründen die Mittelmäßigkeit über alles lieben – denn nirgends geht von höchster Stelle wohl edlere Würdigung des Verdienstes aus, als gerade dort, wenn ich anders den gemeinten Ort richtig deute. Das ganze Land sah davon erst kürzlich ein allgemein erfreuendes Beispiel in der zarten Auszeichnung des verehrten Staatsmannes, der, an der höchsten Stelle stehend, bewiesen, daß er auch die höchsten Ansprüche darauf hat. Giebt es Einen, der noch an dem Letztern zweifelt – so ist es gewiß nur er selbst.

A.d.H.

11

Wenn ich nicht gewiß wüßte, daß mein Freund diese Stelle anno 1828 geschrieben hätte, so würde ich sie für eine Reminiscenz aus der Antritts-Rede des Präsidenten Jackson halten. Dieser will gar, daß die sämmtlichen Beamten der vereinigten Staaten (mit wenigen Ausnahmen) gleich dem Präsidenten, alle fünf Jahre Andern Platz machen sollten. Eheu jam satis! Was würden unsere Regierungs-Räthe zu einer solchen Wirthschaft sagen! Ganze General-Commissionen könnte davon, im eigentlichsten Sinne des Worts, der Schlag rühren! denn, wer weiß, wenn in 5 Jahren es an die Renovirung ginge, ob man ihre Beibehaltung überhaupt noch der Mühe, ich wollte sagen, des Geldes, was sie kosten, werth finden würde.

A.d.H.

12

Ablösen, reguliren, separieren – welcher Guts- und auch bäuerliche Besitzer in jenem aufgeklärten Lande kennt nicht die eigentliche Bedeutung dieser Worte! Schön und liberal, obgleich den Knoten etwas gewaltsam durchhauend, war die Idee des Gesetzes, aber wie wird es ausgeführt! Hierüber wäre ein Buch zu schreiben, und sollte geschrieben werden. Die Ausführung dieses Geschäfts ist nämlich vollkommen von der Art, wie ein gewisser Herr von Wanze als Pächter verkleidet den wohlhabenden Bauern zu A... auf ihrer Kirmeß das Pharao lehrte. Ihr setzt Euer Geld, sagte er, ich theile die Karten rechts und links. Was links fällt, gewinne ich, was rechts fällt, verliert ihr.

A.d.H.

13

Der Billigkeit gemäß, muß man jedoch zugeben, daß der Ausnahmen von dieser Schilderung auch viele sind. Wenn z.B. Goethe nicht verschmäht »einen Mann von 40 Jahren« unter die Unmündigen zu schicken, wenn Tiek sich unserer mit einer ganz ächten Novelle erbarmt, L. Schefer, in seltsam sich durchkreuzenden Blitzen, Herz und Geist zu berühren weiß, Kruse eine Criminal-Geschichte anmuthig macht, oder irgend eine Therese, Friederike etc., die, sonst so undurchdringlichen, Geheimnisse weiblicher Herzen enthüllt (der Verdienste anderer Haupterzähler, der Kürze wegen, gar nicht einmal zu erwähnen) so sieht man wohl, daß einige Hand-Arbeiter gar gute und vollständige Waare liefern könnten – wenn nicht bereits die ganze Fabrik durch das Maschinen-Wesen verdorben wäre.

A.d.H.

14

Diese Penduln können also von einem spitzfindigen Bedienten, je nachdem sie längere oder kürzere Zeit nachschwingen, zugleich als ein Thermo- oder Hygeometer der Geduld ihrer respektiven Herrschaften benutzt werden.

A.d.H.

15

Die Einwohner selbst können nicht ganz genau angeben, welche Endung die eigentlich richtige sey.

16

NB. nicht zu vergessen: unsern gelehrten Professor Blindemann zu fragen, was er von dieser Auslegung hält?

17

Unter anderen auch für die Elbschiffahrtscommissarien, die ihre Arbeit eben so schön beendet, und Alle Orden dafür bekommen haben. Ob mir Gott wohl auch einen Orden bescheeren wird?

18

Um dem Scherz ein ernstes Wort hinzuzufügen, möchte ich hier fragen: »Wer ehrt nicht die menschenfreundlichen Motive, welche die Bibelgesellschaften hervorbrachten, und Missionarien versenden? aber – sind diese beiden, selbst wenn nicht, wie leider so oft geschieht, der schändlichste Mißbrauch damit getrieben wird, auch die rechten Mittel zum Zweck? Der Erfolg lehrt uns fast überall das Gegentheil. Man bedenke, daß Gott selbst das Christenthum erst zum zweiten Bunde sendete, der erste war rein auf irdisches Interesse und despotische Gewalt basirt.

Ich möchte daher fast sagen, wenn ich mich nicht fürchtete zu spaßhaft zu erscheinen, daß man erst damit anfangen müßte, die Wilden zu Juden zu bekehren, ehe man sie zu Christen machte. Dies würde auch mit dem Interesse des Handels, diesem wichtigen Hebel, absonderlich gut übereinstimmen. Man civilisirte sie dann vielleicht mit Schachern weit schneller, als durch Paulus Briefe an die Corinther.

Dies könnte uns als Fingerzeig dienen, und die Naturgemäßheit solchen Verfahrens wird auch überall durch Erfahrung bestätigt, wo derselbe Gang zu gehen ist. Menschen, die so wenig civilisirt sind, als z.B. die noch fast thierischen Bewohner Afrika's, zu Christen machen zu wollen – scheint mir fast eben so unvernünftig, als den Affen europäische Sprachmeister zu schicken. Auf dieser Stufe der Cultur sind eben nur Interesse und Gewalt, der eine wohlthätige Gewohnheit folgt, anwendbar, und in dieser Hinsicht möchten (einmal angenommen, daß wir Beruf und Recht haben, weniger Civilisirte zu unsrer Civilisation, auch ohne ihren Willen, empor zu heben) selbst die Bekehrungen mit dem Schwerdte nicht so unzweckmäßig als die durch Bibelgesellschaften seyn, immer vorausgesetzt, daß sie ohne Grausamkeit, und aus wahrhaft guter Absicht bewerkstelligt würden. Der andere Weg, nämlich: durch ihr eignes augenblickliches Interesse auf die Wilden zu wirken, kann nur durch Handel erreicht werden, und scheint der gerechteste und mildeste von allen, würde aber doch auch von einem gewissen Zwang begleitet werden müssen, um schnelle und dauernde Resultate herbeizuführen. Das Schlimmste bei den Bemühungen, das Christenthum voreilig einzuführen, ist aber ohne Zweifel, daß die Wilden sobald sie mit Christen in Collision kommen, gewahr werden müssen, daß diese selbst fast in allen Dingen, diese Lehre der Liebe fortwährend, sowohl unter sich als gegen sie selbst entgegenhandeln, Gouvernements, Corporationen und Einzelne. Ihr einfacher Verstand, der durch höhere Cultur noch nicht rektificirt ist, kann dies ohnmöglich zusammenreimen, und da sie überdem, wie Kinder, bei der neuen Lehre hauptsächlich nur die Mythe ins Auge fassen, so ist es ihnen nicht sehr zu verdenken, wenn die Liberalen oder Freidenker unter ihnen ausrufen, Fabel für Fabel, Morden für Morden, Sclaven verkaufen für Sclaven verkaufen – wo ist der Unterschied?« Hätten die christlichen Mächte ernstlich den Sclavenhandel abgeschafft, und zugleich die, zur Schande Europa's, noch immer bestehenden Raubnester an Afrika's Küsten vernichtet, England aber, statt einen einzelnen Reisenden nach dem andern (die sich noch obendrein durch ihre englisch-christliche Arroganz, ohne die Mittel sie durchzuführen, dort nur verächtlich und lächerlich machen) von den Einwohnern umbringen, oder am Clima sterben zu lassen – eine sich Respekt verschaffende, und durch vorgängigen Aufenthalt an der Küste schon abgehärtete, Expedition ins Innere geschickt, die mit Würde und mit wohlthätiger Gewalt, dem Handel eine menschlichere Richtung zu geben, und die entgegenstehenden Hindernisse, wenn auch zum Theil durch die Macht der Waffen, zu zerstören gesucht hätte – so würde gewiß ein großer Theil Afrika's jetzt unendlich mehr civilisirt seyn, als durch hundertjährige Missionen und Bibelsendungen zu erreichen möglich seyn wird. Einige werden hier sagen: A quoi bon tout cela? Andere die Frage aufwerfen, wer uns das Recht gebe, uns ungerufen in die Angelegenheiten Fremder zu mischen? Die Antwort hierauf würde zu weit führen; was mich betrifft, gestehe ich, den Grundsatz der Jesuiten in so weit zu theilen, daß ich annehme: Ein edler Zweck, das heißt: ein zum Besten Anderer gefaßter Plan, der zugleich mit der Kraft ihn auszuführen verbunden ist, heiligt auf den hohen Standpunkten der Menschheit alle, redlich in demselben Sinn angewandte Mittel, in sofern sie sich nur auf offene Gewalt beziehen – denn Verrath und Unredlichkeit kann nie zum Guten führen.

A.d.H.

19

Kotzebue in seiner neuesten Reise um die Welt gibt uns ein ergreifendes Gemälde von dem Unwesen der englischen Missionaire auf Otahaiti und den Sandwichs-Inseln. Als man, fügt er hinzu, den, für das Glück seines neu geschaffenen Reichs zu früh verstorbenen, König Tameamea zur Annahme der christlichen Religion bewegen wollte, erwiderte er, auf die Statuten seines Cultus hinweisend: Dies sind unsre Götter, die ich seit meiner Kindheit zu verehren gelehrt wurde. Ob ich Recht oder Unrecht daran thue, weiß ich nicht; aber ich folge meinem Glauben, der nicht schlecht seyn kann, da er mir vorschreibt, keine Ungerechtigkeit zu begehen.

A.d.H.

Quelle:
[Hermann von Pückler Muskau]: Briefe eines Verstorbenen. Erster und Zweiter Theil: Ein fragmentarisches Tagebuch aus England, Wales, Irland und Frankreich, geschrieben in den Jahren 1828 und 1829, Band 1, Stuttgart 21831, S. 63.
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