Vier und Zwanzigstes Kapitel.

[281] Brief einer Dam in Paris, den ein Bot dem Pantagruel brachte, nebst der Erklärung eines Wortes, welches auf einen güldenen Ring stund.


Pantagruel, als er die Aufschrift gelesen, erschrack fast sehr, befrug den Boten nach dem Namen der Person die ihn geschickt hätt, erbrach den Brief, und fand nichts weiter darinn geschrieben, sondern blos einen güldenen Ring mit einem Tafel-Diamanten. Da rief er Panurgen und wies ihm den Casus. Der meint', das Blatt wär wohl beschrieben, nur aber so fein, daß man die Schrift nicht drauf sehn könnt, und bracht es ans Feuer, ob es etwann mit aufgelöstem Salmiak-Salz geschrieben wär. Dann taucht' ers ins Wasser ob vielleicht die Schrift mit Wolfsmilchsaft gemacht wär. Dann hielt ers an das Licht, im Fall es mit weissem Zwiebelsaft beschrieben. Dann rieb er ein Fleck mit Nußöl ein, zu sehen obs irgend mit Feigen-Lauge geschrieben wär. Dann wieder ein Stück mit Frauen-Milch, die ihre erste Tochter stillet, wenn es mit Rubetenblute geschrieben wär. Dann rieb er ein Ecklein mit Schwalbennest-Asche, wenns mit dem Tau geschrieben wär, den man in Jüdenkirschen findet. Dann wieder rieb er ein andres End mit Ohrenschmalz, wenn es mit Rabengalle geschrieben wär. Dann weicht' ers in Essig, ob es mit Springkrautsafte geschrieben. Dann schmiert' ers ein mit Fledermausschmeer, wenn es[281] mit Spermaceti oder grauem Ambra geschrieben wär. Dann legt' ers säuberlich in ein Becken mit frischem Wasser und zogs schnell wieder heraus, wenn es mit Federweiß geschrieben wär. Und als er sah daß er nichts weiter herausbracht, rief er den Boten und frug ihn: Du Gesell, hat dir die Dam, die dich geschickt hat, nicht einen Stecken mitgegeben? Denn er dacht es wär etwann der Pfiff aus dem Aulus Gellius. Aber der Bot antwortet': Herr, mit nichten. Hierauf wollt' ihm Panurg das Haar abscheeren, um nachzusehen, ob nicht die Dam mit scharfer Schwärz ihm ihre Meinung irgendwo auf seinen kahlen Kopf geschrieben: doch als er sah daß sein Haar sehr dick war, ließ ers bleiben, in Erwägung daß es in dieser kurzen Frist nicht wieder so lang hätt wachsen mögen. Und sprach itzt zum Pantagruel: Meister, bey dem lebendigen Gott! ich weiß nicht Rath noch Hülfe mehr: ich hab, um zu erforschen ob irgend was geschriebenes drinn stünd, ein Teil der Mittel probieret, die Messere Francesco die Nianto der Toskaner angiebt, der von der Art und Weis unkenntliche Schriften zu lesen, ein Buch geschrieben, deßgleichen was Zoroaster schreibt peri grammaton acriton, und Calphurnius Bassus de litteris illigibilibus, aber ich krieg nix los, und glaub s'ist weiter nichts als der Ring. Wohlan, laßt ihn mal sehen. – Betrachteten ihn also genauer, und fanden auf ebräisch darinnen: lama hasabhtani geschrieben. Unverzüglich ward Epistemon herbeygerufen und befragt was dieß heissen sollt. Der antwortet' ihnen, es wären ebräische Wort und hiessen: warum hast du mich verlassen? Sogleich versetzt' Panurg: ich habs! Seht ihr den Diamanten hie? es ist ein falscher Diamant. Die Dam also will sagen: Di, (sprich) falscher Amant, warum hast du mich verlassen? – Diese Auslegung verstund Pantagruel sogleich, denn ihm fiel ein wie er ohn Abschied von ihr zu nehmen, verreiset war, und wär sehr[282] gerne wieder umgekehrt gen Paris, mit ihr sich zu versöhnen: aber Epistemon führt' ihm das Scheiden Aeneä von der Dido, und des Tarentiners Heraklides Ausspruch zu Gemüth: daß, wenn das Schiff vor Anker hing und Noth an Mann ging, man die Sträng eh abhaun müß, als, mit Verlust der Zeit, aufknüpfen; und daß er sich aller andern Gedanken entschlagen müßt, um seiner Vaterstadt beyzustehn, die in Nöthen wär. – Die Stund darauf erhub sich aus Nord-Nord-Westen ein steifer Wind: da gingen sie mit vollen Segeln in hohe See, passirten wenige Tage darauf Porto Sancto und Mederen, und landeten an den Canarischen Inseln. Von da weiter kamen sie beym Capo Blanco, Senegien, Cap Virido, Gambrien, Sagrien, Meli und Capo di Bona Speranza vorüber, und landeten im Königreich Melinde. Von dort mit Tramontan-Wind, über Medin, Uti, Uden, Gelasin, die Inseln der Feen, am Königreich Achorien hin, liefen sie endlich im Hafen von Utopien ein, drey Meilen weit von der Amauroten Hauptstadt und etwas weniges drüber entlegen.

Nachdem sie sich nun am Land ein wenig geletzet, sprach Pantagruel: Kinder, die Stadt ist nicht weit von hier: bevor wir weiter gehen wär gut daß wir uns mit einander beriethen was zu tun ist, damit wirs nicht wie die Athenienser machen, die allezeit erst hinterdrein ihre Sach erwogen. Seyd ihr mit mir zu leben und zu sterben entschlossen? – Ja, Herr! riefen sie insgesammt: zählet so gewiß auf uns, wie auf die Finger eurer Hand. – Wohlan denn, sprach er, so hab ich nur noch einen Skrupel der mir im Geist zu schaffen macht: daß ich die Ordnung und Zahl der Feind die die Stadt belägern nicht weiß; denn wüßt ichs, würd ich getroster drauf los gehen. Darum lasset uns auf Mittel denken wie wir es erfahren mögen. – Da versetzten sie all einmüthig: Lasset uns nur hin, und zusehen, und verziehet ein wenig hie, denn spätestens bis auf den Abend bringen wir euch gewisse Botschaft.[283]

Ich, sprach Panurg, nehms auf mich, in ihr Lager zu gehen durch Runden und Wächter mitten durch; ich bankettir und pauk mich mit ihnen auf ihre eigne Gefahr herum, kein Mensch erkennt mich. Ich visitir die Artilleri und alle Zelten der Hauptleut: groß und breit will ich durch ihre Reihen einher stolziren, nie kriegt mans spitz. Der Teufel selber beluchst mich nicht, denn ich bin vom Stamm des Zopyrus. – Ich, sprach Epistemon, weiß alle Stratagemata und Heldenthaten der tapfern Streiter und Hauptleut aus dem Altertum, alle Finten und Listen des Kriegshandwerks. Ich geh, und ob man mich auch entdeckt und ertappt, entwisch ich ihnen doch, und mach ihnen dazu weiß von euch was mir beliebt: denn wißt, ich bin vom Stamm des Sinon. – Ich, sprach Eusthenes, stürz mich durch Schanzen und Verhau trotz aller Wachen und Runden durch, denn ich steig ihnen auf den Leib und schlag ihnen Arm und Bein entzwey, und wenn sie so stark wie der Teufel wären; denn ich bin vom Stamm Herkules. – Ich, sprach Karpalim, komm hinein wo ein Vogel hin kommt, denn ich bin so behenden Leibes, überhüpf euch Schanz und Gräben, ja ich renn durchs ganze Lager eh es einer nur inne wird: und fürcht mich weder vor Pfeil noch Kugel: da ist kein Roß so flink, und wärs der Pegasus des Perseus, wär es Pacolet, ich überlauf es frank und frisch. Ich will auf den Aehren des Kornes gehn, auf dem Wiesengras: kein Hälmlein soll sich unter mir beugen, denn ich bin vom Stamm der Amazon Camilla.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 1, S. 281-284.
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