Zwey und Dreyssigstes Kapitel.

[313] Wie Pantagruel mit seiner Zung ein ganzes Kriegsherr deckt', und was der Author in dessen Mund sah.


Sowie Pantagruel in Dipsodien an der Spitz seiner Schaaren einzog, war alles Volk vergnügt darüber, ergaben sich ihm ohn Verzug, und aller Orten wo er hinkam, da brachten sie ihm die Schlüssel der Städt aus freyen[313] Stücken entgegen getragen: bis auf die Halmyrodier, welche sich wider ihn halten wollten und seinen Boten zur Antwort gaben, sie wollten sich ihm nicht anders ergeben als unter guter Sicherheit.

Was! sprach Pantagruel, Sicherheit! wollen sie eine bessere haben als Hand am Pot, und Faust am Glas? Wohlan itzt kommt, und treibt mir sie zu Paaren! Also rückten all in Reih und Glied zum Sturm entschlossen wider sie an. Doch unterwegen auf einer großen Plän erwischt' sie ein dichter Regenschauer, daß sie sich schüttelten und zusamen drängten. Welches als Pantagruel sahe, ließ er durch seine Hauptleut ihnen zu wissen thun, es wär halt nix, und säh er über den Wolken deutlich daß es nur einen kleinen Sprebel geben würd; doch auf alle Fäll sollten sie sich zusammenstellen, so wollt er ihnen ein Obdach geben. Stellten sich also in guter Ordnung dicht aneinander. Er aber streckt' die Zung heraus noch nicht gar halb, und deckt sie damit wie eine Gluckhenn ihre Küchlein.

Mittlerweil hätt ich nun, der ich euch diese wahrhaftigen Thaten hie erzähl, mich unter ein Klettenblatt salviret; es war führwahr um nichts kleiner als der Monstribler Bruckenbogen. Als ich sie aber so gut unter Dach sah, ging ich auch hin und wollt bey ihnen mit untertreten, konnts aber nicht mehr, so klamm gings zu (wie man dann wohl zu sagen pflegt: am End der Ellen schnappt das Tuch ab). Also stieg ich, so gut ich konnt an ihm hinan und wandert wohl zween Meilen weit auf seiner Zung hin, bis ich ihm endlich in den Mund kam. Aber, o ihr Götter und Göttinnen! was erblickt ich da! Jupiter erschlag mich gleich mit seinem dreyspitzigen Donnerkeil, wo ich auch nur ein Wörtlein lüge. Ich spaziert darinn umher, wie in Sanct Sophien zu Konstantinopel, und sah da mächtige Felsenblöck, groß wie die Berg in Dänemark: ich glaub 's sind seine Zähn gewesen: grosse Wiesen, dichte Wälder, auch feste wohlverschanzte Städt, nicht kleiner denn Poictiers oder Lyon. Den Erst den ich da antraf war ein guter Gesell,[314] der bauet' Kraut auf seinem Acker; den befrug ich, schier ganz verwundert: Ey mein Freund, was schaffst du hier? – Ich bau halt Kraut, antwortet' er. – Ey wie dann so? und zu was End? – Hum, sprach er, Herr, nicht Jedem wächst der Sack mörselsdick; wir können eben All nit reich seyn. Hiemit verdien ich mir mein Brod, und trags zu Markt in die Stadt selt hinten. – Jesus! sag ich, ist hie wohl gar eine neue Welt? – Ist weiter just nix neues dran, antwortet' er; doch sprechens, da draussen wär auch eine Welt, und hätt auch Sonn und Mond, und alles vollauf zu leben drein: die hie ist aber doch älter. – Schon gut, mein Freund, sag ich zu ihm, und wie heißt die Stadt, da du dein Kraut zu Markt hinführest? – Aspharagus, Herr: recht wackre Leut, und lauter gute Christen drinn, die euch gar trefflich gastiren werden. – Kurz, ich ward schlüssig hin zu gehen.

Itzt wie ich nun so weiter zieh, treff ich auf einen Buben am Weg, welcher den Tauben Netze stellet'. Den frag ich: Freund, von wannen kommen euch diese Tauben? – Kyrie, die kommen von der andern Welt, antwortet' er. – Da dacht ich mir wie, wenn Pantagruel etwann jähnt', die Tauben wohl zu ganzen Flügen, in Meinung es wär ein Taubenschlag, ihm in das Maul ziehn möchten. Also ging ich dann vollends in die Stadt, die ich gar schön und fest befand; war auch ein guter Luft daselbst. Aber die Pförtner vor dem Thor wollten mir nach dem Laufpaß sehen. Darob ich sehr betroffen frug: Wie, meine Herren, hats irgend hie wegen der Pest Gefahr? – Ach Gnädigster! versetzten sie, unweit von hie, da sterben euch die Leut auf der Gassen wie eins im Wagen drüber fährt. – Ey heiliger Gott! sprech ich, und wo dann? – Drauf sagten sie mir, es wär in Laringen und in Pharingen, welches zwey grosse und reiche Handelsstädt wie Rouen und wie Nantes sind: und wär der erste Ursprung der Pest ein fauler und giftiger Brodem gewesen, unlängst vom Abgrund aufgestiegen, daran über zweyundzwanzighundertsechzigtausend und sechzehn Köpf seit nun acht Tagen verblichen wären. Da überschlug, erwog und befand ich daß[315] dieß aus des Pantagruel Magen ein stinkender Othem gewesen war, als er den vielen Knoblauch aß, wie oben ist ermeldet worden.

Von dannen schlug ich mich ins Gebirg, welches seine Backzähn waren, und triebs so lang bis ich auf einen zu stehen kam: da fand ich euch die allerbesten Ort der Welt; viel schöne grosse Ballenspiel, schmucke Laubengäng, schöne Triften, Rebenhügel im Überfluß, und eine unzählbare Meng kleiner artiger Gasthäuslein nach welscher Manier in den Auen belegen, und alles rings voll Fröhlichkeit. Daselbst verblieb ich wohl an die vier Monat, und hab mein Lebtag seit der Zeit nicht wieder so flott wie damals gelebt. Stieg alsdann an den hintersten Zähnen nach den unteren Lefzen hinunter; aber in einem tiefen Wald unweit der Ohren en passant ward ich von Räubern ausgezogen. Fand dann im Grund einen kleinen Flecken (der Nam ist mir entfallen davon) wo ich noch flotter als jemals lebt, auch ein klein Zehrgeld mir verdienet'; und wißt ihr wie? Mit Schlafen: denn dort dingt man die Leut zum Schlafen tagweis: verdienen den Tag ihre fünf, auch wohl sechs Sol damit; die aber recht laut schnarchen können, stehen sich bis sieben und achtehalben. Da erzählt ichs denen Ratsherrn wie ich im Thal wär geplündert worden; die sagten mirs dann für gewiß daß dieß Volk da hinten in alle Weg ein bös Gesindel und von Natur erzräuberisch wär. Daraus ich mir dann abstrahirt: wie wir das Land bey uns zu Haus in vor und hintern Bergen theilen, so heißts dort: vor und hintern Zähnen; ist aber weit besser Leben vorn, und auch ein weit gesünderer Luft. Und dacht daneben auch wie wahr doch das Sprichwort sagt: die eine Welt-Hälft weiß weder Kix noch Kax von der andern. Masen noch Keiner dieß Land beschrieben, welches doch mehr denn fünfundzwanzig bewohnte Königreich in sich faßt, die Wüsten und ein breiter Meerstrich nicht mitgerechnet. Aber ich hab ein grosses Buch darüber geschrieben, der Maulinger Geschicht betitult; denn also hab ichs zubenannt, weil sie im Maul meines Herrn und Meisters Pantagruel wohnen. Endlich wollt ich auch wieder heim; da stieg ich dann an seinem Bart hinab und schwang mich ihm auf die Schultern, von wo ich weiter zu Thal abglitt und vor ihm platt auf die[316] Erd hin fiel. Als er mich sahe, frug er mich: Ey mein Alcofribas, woher kommst Du? – Aus euerm Maul, Herr, antwort ich. – Und wie lang, sprach er, war'st du darinnen? Seit ihr, sprach ich, den Feldzug in Halmyrodien thätet. – Das ist schon über sechs Monat her, sagt' er: und wovon lebtest du, was assest du, was trankest du? – Herr, sag ich, dasselbe da ihr von lebet, und von den leckern Mundbißlein, die euch durch euern Schlund passierten, erhub ich mir den Transito. – Wohl, sprach er, doch wohin schissest du? – In euern Hals, Herr. – Ha ha ha! du bist fürwahr ein artiger Knab. Wir han itzund mit Gottes Hülf das ganze Dipsodierland bezwungen; ich schenk dir die Burgvogtei Salmigundien. – Vergelts euch Gott, Herr! sprach ich zu ihm, ihr thut mir weit mehr Liebs und Guts als ich um euch verdienet hab.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 1, S. 313-317.
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