Zehntes Kapitel.

[367] Wie Pantagruel Panurgen fürstellt daß es ein kitzlich Ding sey um den Ehestandsrath, und von Homerischen und Vergilianischen Loosen.


Euer Rath, sprach Panurg, ist mit Verlaub zu melden, ein Art von Retour-Kutsch; nichts wie Gespött, Paronomasien, Sarkasmen, Epanalepsen und Widersprüch in einem Othem. Eins hebt immer das ander auf: weiß nicht woran ich mich halten soll. – Auch sind, versetzt' Pantagruel, in euern Fragen der Wenn und Aber allzuviel, als daß ich etwas darauf baun noch schliessen möcht. Steht[367] ihr denn nicht auf euerm Sinn fest? Da liegt der Knoten: das ander ist nur eitel Zufall, hangt von des Himmels Schickungen ab. Wir sehn eine gute Anzahl Menschen in diesem Spiel so glücklich fahren, daß uns in ihren Ehen ein Bild und Gleichniß der Freuden des Paradises gespiegelt scheint; hinwieder Andre so unselig, daß es die Teufel die in den Wüsten von Thebais und Monserrat die Kläusner versuchen, nicht ärger sind. Man muß es wagen auf gutes Glück; hie heissts: verbind die Augen, bück dich und küß die Erd; im Uebrigen befiehl dich Gott, wenn dus ja doch bestehen willt. Gewissern Trost weiß ich euch auch nicht zu geben. Doch, gefällt es euch, könnt ihr noch eins thun.

Bringet mir die Schriften des Vergilius her: so wolln wir sie mit dem Nagel dreymal aufthun, und nach der Zahl der Vers die wir zusamen ausgemacht, euer beschiednes Ehstandsloos erkundigen. Denn wie man auch schon öfters durch homerische Loos sein Schicksal erfahren hat. – Zum Beyspiel Sokrates der, als er im Kerker den Vers Homeri sagen hört', wo Achilles spricht Iliad. IX. 362:


Ἤματί κε τριτάτω Φϑίην ἐρίβωλον ἱκοίμεν.

Am dritten Tage werd ich sonder Weilen

Zur lieblichen fruchtbaren Phthia eilen,


voraussah, daß er am dritten Tag darauf sterben würd, und es dem Aeschines anzeigt', wie Plato im Kriton, Diogenes Laertius und Cicero Primo de Divinatione schreiben. Deßgleichen Opilius Macrinus dem, als er gern hätt wissen mögen ob er römischer Kaiser würd werden, der Spruch zum Loos fiel, Iliad. VIII. 102:


Ὦ γέρον, ἦ μάλα δή σε νέοι τείρουσι μαχηταὶ,

σὴ δὲ βίη λέλυται, χαλεπὸν δέ σε γῆρας ὀπάζει.

O alter Mann, dich überwiegen weit

Die jungen Streiter und beherzten Leut:

Dir ist die Kraft zerronnen; hart und schwer

Folgt dir das Alter nach und druckt sich sehr.


Auch war er in der Tat schon alt, und ward als er das Reich nicht länger als ein Jahr und zween Monat besessen, vom jungen und mächtigen Heliogabalus dessen entsetzet und umgebracht.[368]

Deßgleichen Brutus der, als er das Loos der Pharsalischen Schlacht, darinn er umkam, erforschen wollt, den Vers antraf den Patroklus sagt Iliad. XVI. 849:


Ἀλλά με μοῖῤ ὀλοὴ καὶ Λητοῦς ἔκτανεν ὑιὸς.

Erschlagen ward ich durch den bittern Hohn

Treuloser Parzen und Latonens Sohn.


Apollo nämlich war das Feldwort und Loosungszeichen in selbiger Schlacht – so sind auch durch Vergilische Loos vor Alters grosse Ding erkannt und höchst wichtige Begebenheiten vorhergesehn worden; ja sogar die Erlangung des römischen Kaiserthums. Wie sich begab mit Alexander Severus, der auf diese Weis den Vers erloost' Aeneid. VI. 851:


Tu regere imperio populos, Romane, memento.

Wird einst, o Römerkind, der Kaisermantel dein,

Regiere so die Welt, daß es ihr mag gedeihn:


darauf nach etlichen Jahren in Wahrheit und wirklich zum Kaiser in Rom erwählt ward.

Mit Hadrianus dem römischen Kaiser, der, als er in Sorg und Zweifel war wie Trajanus für ihn gesinnt wär, in welcher Gunst er bey ihm stünd, das Vergilianische Loos befragt', und diese Vers traf Aeneid. VI. 809:


Quis procul ille autem ramis insignis olivae,

Sacra ferens, nosco crines, incanaque menta

Regis Romani.

Wer ists, der dort von weitem in der Hand

So würdig herträgt den Olivenzweig?

Am grauen Haar, am heiligen Gewand

Kenn ich den alten Römerkönig gleich:


drauf vom Trajanus adoptirt ward, und ihm in der Regierung folgte.

Mit Claudius Secundus wohlbelobtem römischen Kaiser, dem dieser Vers zum Loos ward, Aeneid. I. 269:


Tertia dum Latio regnantem viderit aestas.

Wenn dich der dritte Sommer noch erreicht

Auf Roma's Thron, und als Gebieter zeigt.


In Wahrheit regiert' er nur zween Jahr.[369]

Demselben, als er seines Bruders Quintilii halber, dem er zum Regiment wollt helfen, das Loos frug, ward dieser Vers, Aeneid. VI. 869:


Ostendent terris hunc tantum fata.

Ihn zeigen wird allein das Schicksal dieser Erden:


wie auch geschah; denn als er nur erst siebzehn Tag regiert hätt, ward er erschlagen.

Dasselbe Loos fiel auch dem Kaiser Gordianus dem Jüngern.

Clodius Albinus, sein gutes Glück zu wissen lüstern, schlug das auf, was Aeneid. VI. 858 steht:


Hic rem Romanam, magno turbante tumultu,

Sistet eques, sternet Poenos, Gallumque rebellem.

Der Ritter wird, wenn Sturmeswetter dräun,

Des Römerreiches Schirm und Retter seyn;

Wird aus Karthago Siegesehren tragen,

Und Gallische Rebellen niederschlagen.

Mit Kaiser D. Claudius, des Aureliani Vorfahren, dem,


als er nach seinen Nachkommen frug, dieß Vers-Loos ward, Aeneid. I. 278:


His ego nec metas rerum, nec tempora pono.

Denselben geb ich lang zu dauern, und

Setz ihres Glückes weder Ziel noch Stund.


Auch hätt er ein lang Geschlecht von Enkeln.

Mit Herrn Pierre Amy, als er sich Raths erhohlt' ob er den Fallstricken der Irrwisch entgehn würd, und diesen Vers traf, Aeneid. III. 44:


Heu! fuge crudeles terras, fuge littus avarum.

Flieh eilends dieß barbarische Gezücht,

Flieh diesen geiz'gen Strand, und säume nicht:


drauf ihren Klauen auch glücklich entrann.

Und tausend andre mehr, von denen ich nicht ausführlich melden will wie ihnen nach dem Loos der Vers die sie[370] gezogen, ihr Schicksal fiel. Will auch nicht eben daraus folgern, daß dieses Loos schlechthin ohn Ausnahm untrüglich wär. Es könnt euch irren.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 1, S. 367-371.
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