Siebzehntes Kapitel.

[392] Wie Panurg mit der Sibyll von Panzoust spricht.


Ihr Weg ging sechs Tagreisen weit. Am siebenten wies man ihnen das Haus der Prophetinn auf der Spitz eines Berges unter einem gossen breiten Kastanienbaum. Sie traten unschwer in die Strohhütt, die schlecht gebaut, mit schlechtem Geräth versehn und ganz verräuchert war. Basta, sprach Epistemon; Heraklitus, der grosse Scotist und Nebel-Doctor, erschrak nicht, als er auch einmal in ein solch Haus kam, und gemahnt' seine Jünger und Schüler, daran, daß die Götter da eben sowohl als in prächtigen Palästen wohnten. Und glaub, so mag etwann das Hüttlein der weitberufnen Hekale beschaffen gewesen seyn, worinn sie den[392] jungen Theseus herbergt'; auch wohl die Hütt des Hyrieus oder Oenopion, die Jupiter, Neptun und Merkur miteinander zu betreten geruhten, darinn hausten und schmausten, und statt der Zech freundbrüderlich den Orion darinn fabrizirten. – Sie fanden das Mütterlein beym Kamin im Winkel. Das ist, rief Epistemon, das wahre Sibyllen-Conterfey, leibhaft geschildert durch des Homeri γρηΐ καμινοι (grii kaminoi). – Die Alte war fast schlecht im Zeug, schlecht angethan, hundsdürr, triefäugig, zahnlos, herzspännig, nasentröpflich und schachmatt, und macht sich eben ein Gerichtlein Grün-Kohl mit einer gelben Speckschwart und altem Saporet zurecht. – Potz grün und gehl! rief Epistemon, wir sind verlesen, wir werden aus ihr kein Wörtlein bringen, denn wir haben den güldenen Zweig nicht. – Ich hab mich darauf schon vorgesehn, antwort' Panurg: ich hab ihn hie in meinem Ränzel, in Form eines Reifens von purem Gold, nebst schönen lustigen Carolinern. – Auf diese Wort verneigt' Panurg sich tief vor ihr, und präsentirt' ihr sechs geräucherte Ochsenzungen, einen grossen Buttertopf voll Kuskus, einen Stauffen mit Wein, eine Hammelshod voll neugeprägter Carolinen: zuletzt, mit einem tiefen Bückling, steckt' er ihr an den Arztfinger ein artigs Reiflein von Gold, darein ein Beussischer Krötenstein prächtig[393] gefaßt war; zeigt ihr darauf mit kurzen Worten die Absicht seines Zuspruchs an, und bat sie höflich um ihren Rath und Prophezeyung guten Glückes für seine Hochzeit die er fürhätt.

Die Alte blieb eine Zeitlang stumm, tiefsinnig und mit verbissenen Zähnen: setzt' sich dann auf einen umgestülpten Scheffel, und nahm drey alte Spindeln zur Hand: die dreht' und wandt sie verschiedentlich zwischen den Fingern um, versucht' die Spitzen, und behielt sie spitzigst; die zwo andern warf sie unter ein Hirsen-Stampf. Nahm itzt ihr Spuhlrad, und drehet's neunmal um: beym neunten, ohn weiter mehr daran zu rühren, sah sie dem Lauf des Rades zu, und wartet' ab bis es ganz still stund.

Dann sah ich sie ihrer Schlarfen (wir nennens Holzschuh) einen ansziehn, ihre Schürz, gleichwie die Priester das Amictum beym Meßlesen, über den Kopf thun und unterm Kinn mit einem alten buntscheckigen Bändlein zusammenbinden. Also vermummelt thät sie einen mächtigen Zug aus dem Stauffen, nahm drey Carolin aus der Hammelshod, steckt' sie in drey Nußschalen, und legt' sie auf einen umgestürzten Federtopf. Thät im Kamin drey Besenstrich, warf in das Feuer ein halb Reisbund und einen dürren Lorbeerzweig; sah still dem Brennen zu, und merkt' daß es ohn all Geräusch und Knistern verbrannt'. Da schrie sie furchtbar auf, und murmelt' dabey zwischen den Zähnen allerley barbarische Wort von so befremdlichem Klang und Endung, daß Panurg zum Epistemon sprach: Kreuz Gottes! ich zitter, ich glaub ich bin verhext. Sie redt nicht wie ein Christ, schau her! ob sie nicht um vier Spannen länger ist worden, seit sie die Schürz umnahm! Was soll dieß Wackeln der Kinnbacken? was will sie mit diesem Schlottern der Schultern? zu was End schmatzt sie so mit[394] den Lefzen wie ein Aff wenn er Krebs zerpflückt? Mir gellen die Ohren, ich mein, ich hör schon Proserpinen brüllen: die Teufel werden gleich hier seyn: hu, der gräulichen Thier! Kotts Gnod! kommt fort, ich sterb vor Angst. Ich hab die Teufel nicht lieb, mir ekelt vor Teufeln, es sind leidige Bursch! Kommt, laßt uns fliehen, adé Madam! Viel Dank der Ehr, ich heirath nicht, nein, nein, ich verreds für nun und ewig! – Und wollt damit aus der Stub entspringen. Allein die Alte, mit ihrer Spindel, kam ihm zuvor, und lief in ein Höflein oder Baumgeheg am Haus. Da war ein alter Maulbeerbaum, den schüttelt' sie dreymal und schrieb mit ihrer Spindel auf acht Blätter, die 'runterfielen, summarisch etliche kurze Reimen, warf sie darauf in den Wind, und sprach zu ihnen: Gehet und sucht sie wenn ihr wollt, findet sie wenn ihr könnt: darauf steht euer Ehstandsloos geschrieben. – Mit diesen Worten entschlupft' sie wieder in ihre Höhl, hub auf der Thürschwell Rock, Jupp und Hemd auf bis an die Achseln, und ließ ihnen ihren Hintersten sehen. Panurg gewahrt's und sprach sofort zum Epistemon: Helf uns Sanct Holzbock! das ist das Sibyllinenloch, wo ihrer schon mehr verunglückt sind die drein gekuket. Flieht dieß Loch! – Flugs krampt' sie das Pförtlein hinter ihr zu, und ward nicht mehr gesehen. Da liefen sie nach den Blättern und sammelten sie, wiewohl nicht ohn viel Müh und Arbeit, weil sie der Wind durch das Gebüsch im Thal verstreut hätt, fügten sie zusammen und fanden diesen Reimspruch:


Ausbälgen wird sieAussaugen wird sie

Dein gut Gerücht.Dein best Schmalz.

Dick werden wird sie,Dich schinden wird sie,

Von dir nicht.Doch nicht all's.


Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 1, S. 392-395.
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