Sechs und Zwanzigstes Kapitel.

[302] Wie wir aufs Eiland Hodi kamen, wo die Weg unterwegen sind.


Nachdem wir so zwey Tag entlang gesegelt, kam uns das Eiland Hodi vor Augen, wo wir etwas Merkwürdiges sahen. Die Weg allda sind Thier, wenn anders der Schluß des Aristoteles nicht trügt: daß ein unfehlbar Zeichen und Merkmal eines Thieres wär, wenn sichs von selbst bewegt. Denn dorten wandern die Weg wie Thier umher, und ihrer etliche sind Irrweg, nach der Planeten Gleichniß, andre Fahr- und Fußweg, Kreuzweg, Schleichweg. Und wenn die fremden Passagier, Knecht oder Landeskinder frugen: Wo geht der Weg 'naus, oder der? so hört ich daß die Antwort war: bey der Windmühl, am Wirthshaus; aufs Dorf, aufs Stadel, ans Wasser. Darauf hockten sie sich jeder auf seinen Weg, und kamen ohn all ihr Zuthun, ohn ein Glied zu rühren, an den Ort wohin sie wollten, wie ihr in Arles oder Avignon, die Leut auf der Rhon' ankommen seht, die in Lyon zu Kahne steigen. Und wie ihr wißt daß unterm Mond kein Ding durchaus vollkommen, nichts in allen Stücken glücklich ist: so sagt' man uns auch daß daselbst eine Raß von Kerlen wär, sie hiessens Wegeplacker und Pflastertreter, vor denen liefen und scheuten sich die armen Weg als wie vor Mördern: denn sie warteten an der Straß ihnen wie Wölfen und Schnepfen auf, denen man Luder und Streichgarn legt. Von denen sah ich die Diener der Gerechtigkeit Einen in Verwahrsam führen, weil er ganz unbilligerweis und Frau Minerven zum Schabernack, den Weg zur Schul ergriffen hätt, welches der längst von allen war. Ein andrer wieder macht' sich breit, wie er vielmehr auf gut soldatisch den Kürzesten ergriffen hätt; und meint', der Fund brächt ihm den Nutzen, daß er dadurch meist was er wollt, der erst erreicht' und habhaft würde.

Wie eines Tags auch Karpalim zu Epistemon sprach, als er ihn, seine Ent in der Faust, an eine Mauer harnen traf: es wundert' ihn nicht mehr wenn er ihn beym Lever des guten Pantagruel allzeit zuerst erscheinen säh, weil er[303] immer den Kürzesten von Allen zög, und der am wenigsten staucht' und stiesse.

Da erkannt ich den grossen Heerweg von Bourges; der trat im Abtsschritt auf, lief aber auch vor ein Paar Kärrnern, die ihn mit Füssen ihrer Gäul zu treten und mit ihren Karren zu rädern schwuren, wie Tullia ihrem Vater Servius Tullius dem sechsten Römer-König mit ihrem Wagen übern Bauch fuhr. Auch die alte Strôß von Peronne auf Sanct Quentin erkannt ich da, und schien mir ihrem Ansehn nach, gar eine treue fromme Strôß. Dort unter Felsen fand ich den lieben alten Weg von Laferrate; er ritt auf einem grossen Bären, und gemahnt' mich von weitem schier an den heiligen Hieronymus wie er in Bildern geschildert wird, wenn nur sein Bär ein Leu wär gewesen. Denn er war ganz mortifiziert, hätt einen langen ungestrählten schloorweißen Bart, man hätt gedacht es wär ein Eiszapf: ging behenkt mit einer schweren Last Paternoster aus grob gehobeltem Föhrenholz. So hockt' er gleichsam auf den Knieen, denn weder stund noch lag er gar, und schlug sich mit grossen rauhen Steinen die Brust wund, daß es nur zugleich ein Schrecken und Erbarmen war.

Derweil wir ihn noch so beschauten, zog uns ein fahrender Bakalar des Lands bey Seit, und wies auf einen ganz weissen, glatten, etwas wenigs mit Stroh gefutterten Weg und sprach zu uns: Hinfort verachtet mir nicht die Meinung des Milesischen Thales, der lehrt daß Wasser aller Ding Ursprung gewesen, noch des Homeri Wort, dem nach alle Ding aus dem Meer entstanden sind. Der Weg den ihr da vor euch seht, entsprang aus Wasser, und wird auch wieder zu Wasser werden: vor zwey Monden fuhr man mit Kähnen hie, itzund mit Karren. – Nun fürwahr, sprach Pantagruel, da singt ihr uns kein neues Lied; derley Umstaltungen sehn wir alljährlich und tausend mehr.

Dann, in Betracht der Fahrten, dieser beweglichen Weg, sagt' er uns noch daß, seines Glaubens, Philolaus und Aristarch auf diesem Eiland herausstudirt, auch wohl Seleucus[304] die Meinung zu verfechten sich bestärket hätt: daß sich in Wahrheit die Erd und nicht der Himmel um zwey Achsen dreh, obschon davon das Widerspiel uns wahr schien: wie wenn wir auf dem Loir-Strom führen, die nächsten Bäum uns zu laufen schienen und drum nicht liefen, sondern wir, mit dem Lauf des Kahns.

Wie wir itzt nach den Schiffen gingen, sahn wir am Strand drey Wegelauerer auf Räder flechten, die man im Hinterhalt erwischt; auch ward bey einem kleinen Feuer ein grosser Galgenstrick geröstet, der einen Weg geplackt und ihm eine Ripp entzwey geschlagen hätt; und sagt' man uns, dieß wär der Nil-Damm- und Deich-Weg in Aegypten gewesen.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 2, S. 302-305.
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