Über den Tod eines Stutzers

[54] Wien im Heumond 1779.


Weint, ach! weint, ihr süssen Herrchen!

Ritter Marcipan ist todt.

Seht! hier liegt das arme Närrchen,

Ähnlich einem Liebesgott.


An Erfindung neuer Moden

Für das ganze Stutzerreich

That's von allen Stadtpagoden

Keine weit und breit ihm gleich.


Sagt, wer duftete von süssen

Wohlgerüchen je so sehr?

Und wer liebte Leckerbissen,

Meth und Zwieback so, wie er?
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Held Achill, der Trojens raschen

Hector einst Respekt gelehrt,

Ward als Kind im Styx gewaschen,

Und mit Löwenmark genährt.


Aber Marcipans Frau Mutter

Tauchte diesen kleinen Tropf,

Glaub' ich, in ein Fass voll Butter

Oder in den Honigtopf.


Syrupp, Milchkoch, süsse Süppchen,

Zuckersäftchen aller Art

Klebten unserm lieben Püppchen

Immer an dem Pflaumenbart.


Sieh! drum ward der Held so schwächlich,

Wie von Gyps ein Wackelmann,

Zart und niedlich und zerbrechlich,

Gleich dem feinsten Porcellan.
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Musst' er in der Traufe gehen,

So zerfloss er, gleich dem Salz:

Blieb er in der Sonne stehen,

So zerrann er euch, wie Schmalz.


Und diess Püppchen musste fallen!

Ach! ein Kork, den ungestüm

Des Schampagners Kraft mit Knallen

Ausstiess, fuhr an's Näschen ihm.


Leblos sank das arme Närrchen

Von dem sammtnen Stuhl hinab:

Weint, ach! weint, ihr süssen Herrchen!

Weint an eures Helden Grab!

Quelle:
Joseph Franz Ratschky: Gedichte, Wien 1791, S. 54-57.
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