10.

[736] Euch, die ihr nie mein Gefühl verließt,

grüß ich, antikische Sarkophage,

die das fröhliche Wasser römischer Tage

als ein wandelndes Lied durchfließt.


Oder jene so offenen, wie das Aug

eines frohen erwachenden Hirten,

– innen voll Stille und Bienensaug –

denen entzückte Falter entschwirrten;


alle, die man dem Zweifel entreißt,

grüß ich, die wiedergeöffneten Munde,

die schon wußten, was schweigen heißt.


Wissen wirs, Freunde, wissen wirs nicht?

Beides bildet die zögernde Stunde

in dem menschlichen Angesicht.

Quelle:
Rainer Maria Rilke: Sämtliche Werke. Band 1–6, Band 1, Wiesbaden und Frankfurt a.M. 1955–1966, S. 736-737.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Sonette an Orpheus
Die Sonette an Orpheus. Geschrieben als ein Grab-Mal für Wera Ouckama Knoop
Duineser Elegien. Die Sonette an Orpheus (insel taschenbuch)
Die Sonette an Orpheus
Duineser Elegien. Die Sonette an Orpheus (suhrkamp taschenbuch)
Duineser Elegien. Die Sonette an Orpheus