Vierter Auftritt


[25] Königin. Prinzessin von Eboli. Marquisin von Mondekar und Marquis von Posa.


KÖNIGIN.

Ich heiße Sie

Willkommen, Chevalier, auf span'schem Boden.

MARQUIS.

Den ich noch nie mit so gerechtem Stolze

Mein Vaterland genannt als jetzt. –

KÖNIGIN zu den beiden Damen.

Der Marquis

Von Posa, der im Ritterspiel zu Reims

Mit meinem Vater eine Lanze brach

Und meine Farbe dreimal siegen machte –

Der erste seiner Nation, der mich

Den Ruhm empfinden lehrte, Königin

Der Spanier zu sein.


Zum Marquis sich wendend.


Als wir im Louvre

Zum letztenmal uns sahen, Chevalier,

Da träumt' es Ihnen wohl noch nicht, daß Sie

Mein Gast sein würden in Kastilien.

MARQUIS.

Nein, große Königin – denn damals träumte

Mir nicht, daß Frankreich noch das einzige

An uns verlieren würde, was wir ihm

Beneidet hatten.

KÖNIGIN.

Stolzer Spanier!

Das einzige? – Und das zu einer Tochter

Vom Hause Valois?

MARQUIS.

Jetzt darf ich es[25]

Ja sagen, Ihre Majestät – denn jetzt

Sind Sie ja unser.

KÖNIGIN.

Ihre Reise, hör ich,

Hat auch durch Frankreich Sie geführt. – Was bringen

Sie mir von meiner hochverehrten Mutter

Und meinen vielgeliebten Brüdern?

MARQUIS überreicht ihr die Briefe.

Die Königin-Mutter fand ich krank, geschieden

Von jeder andern Freude dieser Welt,

Als ihre königliche Tochter glücklich

Zu wissen auf dem span'schen Thron.

KÖNIGIN.

Muß sie

Es nicht sein bei dem teuern Angedenken

So zärtlicher Verwandten? bei der süßen

Erinnrung an – Sie haben viele Höfe

Besucht auf Ihren Reisen, Chevalier,

Und viele Länder, vieler Menschen Sitte

Gesehn – und jetzt, sagt man, sind Sie gesonnen,

In Ihrem Vaterland sich selbst zu leben?

Ein größrer Fürst in Ihren stillen Mauern,

Als König Philipp auf dem Thron – ein Freier!

Ein Philosoph! – Ich zweifle sehr, ob Sie

Sich werden können in Madrid gefallen.

Man ist sehr – ruhig in Madrid.

MARQUIS.

Und das

Ist mehr, als sich das ganze übrige

Europa zu erfreuen hat.

KÖNIGIN.

So hör ich.

Ich habe alle Händel dieser Erde

Bis fast auf die Erinnerung verlernt.


Zur Prinzessin von Eboli.


Mir deucht, Prinzessin Eboli, ich sehe

Dort eine Hyazinthe blühen – Wollen

Sie mir sie bringen?


Die Prinzessin geht nach dem Platze. Die Königin etwas leiser zum Marquis.


Chevalier, ich müßte[26]

Mich sehr betrügen, oder Ihre Ankunft

Hat einen frohen Menschen mehr gemacht

An diesem Hofe.

MARQUIS.

Einen Traurigen

Hab ich gefunden – den auf dieser Welt

Nur etwas fröhlich –


Die Prinzessin kommt mit der Blume zurück.


EBOLI.

Da der Chevalier

So viele Länder hat gesehen, wird

Er ohne Zweifel viel Merkwürdiges

Uns zu erzählen wissen.

MARQUIS.

Allerdings.

Und Abenteuer suchen, ist bekanntlich

Der Ritter Pflicht – die heiligste von allen,

Die Damen zu beschützen.

MONDEKAR.

Gegen Riesen!

Jetzt gibt es keine Riesen mehr.

MARQUIS.

Gewalt

Ist für den Schwachen jederzeit ein Riese.

KÖNIGIN.

Der Chevalier hat recht. Es gibt noch Riesen,

Doch keine Ritter gibt es mehr.

MARQUIS.

Noch jüngst,

Auf meinem Rückweg von Neapel, war

Ich Zeuge einer rührenden Geschichte,

Die mir der Freundschaft heiliges Legat

Zu meiner eigenen gemacht. – Wenn ich

Nicht fürchten müßte, Ihre Majestät

Durch die Erzählung zu ermüden

KÖNIGIN.

Bleibt

Mir eine Wahl? Die Neugier der Prinzessin

Läßt sich nichts unterschlagen. Nur zur Sache.

Auch ich bin eine Freundin von Geschichten.

MARQUIS.

Zwei edle Häuser in Mirandola,

Der Eifersucht, der langen Feindschaft müde,

Die von den Ghibellinen und den Guelfen

Jahrhunderte schon fortgeerbt, beschlossen,[27]

Durch der Verwandtschaft zarte Bande sich

In einem ewgen Frieden zu vereinen.

Des mächtigen Pietro Schwestersohn,

Fernando, und die göttliche Mathilde,

Colonnas Tochter, waren ausersehn,

Dies schöne Band der Einigkeit zu knüpfen.

Nie hat zwei schönre Herzen die Natur

Gebildet für einander – nie die Welt,

Nie eine Wahl so glücklich noch gepriesen.

Noch hatte seine liebenswürdge Braut

Fernando nur im Bildnis angebetet –

Wie zitterte Fernando, wahr zu finden,

Was seine feurigsten Erwartungen

Dem Bilde nicht zu glauben sich getrauten!

In Padua, wo seine Studien

Ihn fesselten, erwartete Fernando

Des frohen Augenblickes nur, der ihm

Vergönnen sollte, zu Mathildens Füßen

Der Liebe erste Huldigung zu stammeln.


Die Königin wird aufmerksamer. Der Marquis fährt nach einem kurzen Stillschweigen fort, die Erzählung, soweit es die Gegenwart der Königin erlaubt, mehr an die Prinzessin von Eboli gerichtet.


Indessen macht der Gattin Tod die Hand

Pietros frei. – Mit jugendlicher Glut

Verschlingt der Greis die Stimmen des Gerüchtes,

Das in dem Ruhm Mathildens sich ergoß.

Er kommt! Er sieht! – Er liebt! Die neue Regung

Erstickt die leisre Stimme der Natur,

Der Oheim wirbt um seines Neffen Braut

Und heiligt seinen Raub vor dem Altare.

KÖNIGIN.

Und was beschließt Fernando?

MARQUIS.

Auf der Liebe Flügeln,

Des fürchterlichen Wechsels unbewußt,

Eilt nach Mirandola der Trunkene.

Mit Sternenschein erreicht sein schnelles Roß

Die Tore – ein bacchantisches Getön[28]

Von Reigen und von Pauken donnert ihm

Aus dem erleuchteten Palast entgegen.

Er bebt die Stufen scheu hinauf und sieht

Sich unerkannt im lauten Hochzeitsaale,

Wo in der Gäste taumelndem Gelag

Pietro saß – ein Engel ihm zur Seite,

Ein Engel, den Fernando kennt, der ihm

In Träumen selbst so glänzend nie erschienen.

Ein einzger Blick zeigt ihm, was er besessen,

Zeigt ihm, was er auf immerdar verloren.

EBOLI.

Unglücklicher Fernando!

KÖNIGIN.

Die Geschichte

Ist doch zu Ende, Chevalier? – Sie muß

Zu Ende sein.

MARQUIS.

Noch nicht ganz.

KÖNIGIN.

Sagten Sie

Uns nicht, Fernando sei Ihr Freund gewesen?

MARQUIS.

Ich habe keinen teurern.

EBOLI.

Fahren Sie

Doch fort in der Geschichte, Chevalier.

MARQUIS.

Sie wird sehr traurig – und das Angedenken

Erneuert meinen Schmerz. Erlassen Sie

Mir den Beschluß –


Ein allgemeines Stillschweigen.


KÖNIGIN wendet sich zur Prinzessin von Eboli.

Nun wird mir endlich doch

Vergönnt sein, meine Tochter zu umarmen. –

Prinzessin, bringen Sie sie mir.


Diese entfernt sich. Der Marquis winkt einem Pagen, der sich im Hintergrunde zeigt und sogleich verschwindet. Die Königin erbricht die Briefe, die der Marquis ihr gegeben, und scheint überrascht zu werden. In dieser Zeit spricht der Marquis geheim und sehr angelegentlich mit der Marquisin von Mondekar. – Die Königin hat die Briefe gelesen und wendet sich mit einem ausforschenden Blicke zum Marquis.


Sie haben

Uns von Mathilden nichts gesagt? Vielleicht[29]

Weiß sie es nicht, wieviel Fernando leidet?

MARQUIS.

Mathildens Herz hat niemand noch ergründet –

Doch große Seelen dulden still.

KÖNIGIN.

Sie sehn sich um? Wen suchen Ihre Augen?

MARQUIS.

Ich denke nach, wie glücklich ein Gewisser,

Den ich nicht nennen darf, an meinem Platze

Sein müßte.

KÖNIGIN.

Wessen Schuld ist es, daß er

Es nicht ist?

MARQUIS lebhaft einfallend.

Wie? Darf ich mich unterstehen,

Dies zu erklären, wie ich will? – Er würde

Vergebung finden, wenn er jetzt erschiene?

KÖNIGIN erschrocken.

Jetzt, Marquis? Jetzt? Was meinen Sie damit?

MARQUIS.

Er dürfte hoffen – dürft er?

KÖNIGIN mit wachsender Verwirrung.

Sie erschrecken mich,

Marquis – er wird doch nicht –

MARQUIS.

Hier ist er schon.


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 2, München 31962, S. 25-30.
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