[106] Der König. Domingo.
König geht einigemal auf und ab, sich zusammeln.
DOMINGO tritt einige Minuten nach dem Herzog herein, nähert sich dem König, den er eine Zeitlang mit feierlicher Stille betrachtet.
Wie froh erstaun ich, Eure Majestät
So ruhig, so gefaßt zu sehn.
KÖNIG.
Erstaunt Ihr –
DOMINGO.
Der Vorsicht seis gedankt, daß meine Furcht
Doch also nicht gegründet war! Nun darf
Ich um so eher hoffen.
KÖNIG.
Eure Furcht?
Was war zu fürchten?
DOMINGO.
Ihre Majestät,
Ich darf nicht bergen, daß ich allbereits
Um ein Geheimnis weiß –
KÖNIG finster.
Hab ich denn schon[106]
Den Wunsch geäußert, es mit Euch zu teilen?
Wer kam so unberufen mir zuvor?
Sehr kühn, bei meiner Ehre!
DOMINGO.
Mein Monarch,
Der Ort, der Anlaß, wo ich es erfahren,
Das Siegel, unter dem ich es erfahren,
Spricht wenigstens von dieser Schuld mich frei.
Am Beichtstuhl ward es mir vertraut – vertraut
Als Missetat, die das empfindliche
Gewissen der Entdeckerin belastet,
Und Gnade bei dem Himmel sucht. Zu spät
Beweint die Fürstin eine Tat, von der
Sie Ursach hat, die fürchterlichsten Folgen
Für ihre Königin zu ahnden.
KÖNIG.
Wirklich?
Das gute Herz – Ihr habt ganz recht vermutet,
Weswegen ich Euch rufen ließ. Ihr sollt
Aus diesem dunkeln Labyrinth mich führen,
Worein ein blinder Eifer mich geworfen.
Von Euch erwart ich Wahrheit. Redet offen
Mit mir. Was soll ich glauben, was beschließen?
Von Eurem Amte fodr ich Wahrheit.
DOMINGO.
Sire,
Wenn meines Standes Mildigkeit mir auch
Der Schonung süße Pflicht nicht auferlegte,
Doch würd ich Eure Majestät beschwören,
Um Ihrer Ruhe willen Sie beschwören,
Bei dem Entdeckten stillzustehn – das Forschen
In ein Geheimnis ewig aufzugeben,
Das niemals freudig sich entwickeln kann.
Was jetzt bekannt ist, kann vergeben werden.
Ein Wort des Königs – und die Königin
Hat nie gefehlt. Der Wille des Monarchen
Verleiht die Tugend wie das Glück – und nur
Die immer gleiche Ruhe meines Königs
Kann die Gerüchte mächtig niederschlagen,[107]
Die sich die Lästerung erlaubt.
KÖNIG.
Gerüchte?
Von mir? und unter meinem Volke?
DOMINGO.
Lügen!
Verdammenswerte Lügen! Ich beschwör es.
Doch freilich gibt es Fälle, wo der Glaube
Des Volks, und wär er noch so unerwiesen,
Bedeutend wie die Wahrheit wird.
KÖNIG.
Bei Gott!
Und hier gerade wär es –
DOMINGO.
Guter Name
Ist das kostbare, einzge Gut, um welches
Die Königin mit einem Bürgerweibe
Wetteifern muß –
KÖNIG.
Für den doch, will ich hoffen,
Hier nicht gezittert werden soll?
Er ruht mit ungewissem Blick auf Domingo. Nach einigem Stillschweigen.
Kaplan,
Ich soll noch etwas Schlimmes von Euch hören.
Verschiebt es nicht. Schon lange les ich es
In diesem unglückbringenden Gesichte.
Heraus damit! Seis, was es wolle! Laßt
Nicht länger mich auf dieser Folter beben!
Was glaubt das Volk?
DOMINGO.
Noch einmal, Sire, das Volk
Kann irren – und es irrt gewiß. Was es
Behauptet, darf den König nicht erschüttern –
Nur – daß es so weit schon sich wagen durfte,
Dergleichen zu behaupten –
KÖNIG.
Was? Muß ich
So lang um einen Tropfen Gift Euch bitten?
DOMINGO.
Das Volk denkt an den Monat noch zurücke,
Der Eure Königliche Majestät
Dem Tode nahe brachte – dreißig Wochen
Nach diesem liest es von der glücklichen
Entbindung –
[108] Der König steht auf und zieht die Glocke. Herzog von Alba tritt herein. Domingo betroffen.
Ich erstaune, Sire!
KÖNIG dem Herzog Alba entgegengehend.
Toledo!
Ihr seid ein Mann. Schützt mich vor diesem Priester.
DOMINGO er und Herzog Alba geben sich verlegene Blicke. Nach einer Pause.
Wenn wir voraus es hätten wissen können,
Daß diese Nachricht an dem Überbringer
Geahndet werden sollte –
KÖNIG.
Bastard sagt Ihr?
Ich war, sagt Ihr, vom Tode kaum erstanden,
Als sie sich Mutter fühlte? – Wie? Das war
Ja damals, wenn ich anders mich nicht irre,
Als Ihr den heiligen Dominikus
In allen Kirchen für das hohe Wunder lobtet,
Das er an mir gewirkt? – Was damals Wunder
Gewesen, ist es jetzt nicht mehr? So habt
Ihr damals oder heute mir gelogen.
An was verlangt Ihr, daß ich glauben soll?
O, ich durchschau Euch. Wäre das Komplott
Schon damals reif gewesen – ja, dann war
Der Heilige um seinen Ruhm.
ALBA.
Komplott!
KÖNIG.
Ihr solltet
Mit dieser beispiellosen Harmonie
Jetzt in derselben Meinung Euch begegnen
Und doch nicht einverstanden sein? Mich wollt
Ihr das bereden? Mich? Ich soll vielleicht
Nicht wahrgenommen haben, wie erpicht
Und gierig Ihr auf Euren Raub euch stürztet?
Mit welcher Wollust Ihr an meinem Schmerz,
An meines Zornes Wallung Euch geweidet?
Nicht merken soll ich, wie voll Eifer dort
Der Herzog brennt, der Gunst zuvorzueilen,
Die meinem Sohn beschieden war? Wie gerne
Der fromme Mann hier seinen kleinen Groll
Mit meines Zornes Riesenarm bewehrte?[109]
Ich bin der Bogen, bildet Ihr Euch ein,
Den man nur spannen dürfe nach Gefallen? –
Noch hab ich meinen Willen auch – und wenn
Ich zweifeln soll, so laßt mich wenigstens
Bei Euch den Anfang machen.
ALBA.
Diese Deutung
Hat unsre Treue nicht erwartet.
KÖNIG.
Treue!
Die Treue warnt vor drohenden Verbrechen,
Die Rachgier spricht von den begangenen.
Laßt hören! Was gewann ich denn durch Eure
Dienstfertigkeit? – Ist, was Ihr vorgebt, wahr,
Was bleibt mir übrig als der Trennung Wunde?
Der Rache trauriger Triumph? – Doch nein,
Ihr fürchtet nur, Ihr gebt mir schwankende
Vermutungen – am Absturz einer Hölle
Laßt Ihr mich stehen und entflieht.
DOMINGO.
Sind andre
Beweise möglich, wo das Auge selbst
Nicht überwiesen werden kann?
KÖNIG nach einer großen Pause, ernst und feierlich zu Domingo sich wendend.
Ich will
Die Großen meines Königreichs versammeln
Und selber zu Gerichte sitzen. Tretet
Heraus vor allen – habt Ihr Mut – und klaget
Als eine Buhlerin sie an! – Sie soll
Des Todes sterben – ohne Rettung – sie
Und der Infant soll sterben – aber – merkt Euch!
Kann sie sich reinigen – Ihr selbst! Wollt Ihr
Die Wahrheit durch ein solches Opfer ehren?
Entschließet Euch. Ihr wollt nicht, Ihr verstummt?
Ihr wollt nicht? – Das ist eines Lügners Eifer.
ALBA der stillschweigend in der Ferne gestanden, kalt und ruhig.
Ich will es.
KÖNIG dreht sich erstaunt um und sieht den Herzog eine Zeitlang starr an.
Das ist kühn! Doch mir fällt ein,[110]
Daß Ihr in scharfen Schlachten Euer Leben
An etwas weit Geringeres gewagt –
Mit eines Würfelspielers Leichtsinn für
Des Ruhmes Unding es gewagt – Und was
Ist Euch das Leben? – Königliches Blut
Geb ich dem Rasenden nicht preis, der nichts
Zu hoffen hat, als ein geringes Dasein
Erhaben aufzugeben – Euer Opfer
Verwerf ich. Geht – geht, und im Audienzsaal
Erwartet meine weiteren Befehle.
Beide gehen ab.
Ausgewählte Ausgaben von
Don Carlos, Infant von Spanien
|
Buchempfehlung
Die 1897 entstandene Komödie ließ Arthur Schnitzler 1900 in einer auf 200 Exemplare begrenzten Privatauflage drucken, das öffentliche Erscheinen hielt er für vorläufig ausgeschlossen. Und in der Tat verursachte die Uraufführung, die 1920 auf Drängen von Max Reinhardt im Berliner Kleinen Schauspielhaus stattfand, den größten Theaterskandal des 20. Jahrhunderts. Es kam zu öffentlichen Krawallen und zum Prozess gegen die Schauspieler. Schnitzler untersagte weitere Aufführungen und erst nach dem Tode seines Sohnes und Erben Heinrich kam das Stück 1982 wieder auf die Bühne. Der Reigen besteht aus zehn aneinander gereihten Dialogen zwischen einer Frau und einem Mann, die jeweils mit ihrer sexuellen Vereinigung schließen. Für den nächsten Dialog wird ein Partner ausgetauscht indem die verbleibende Figur der neuen die Hand reicht. So entsteht ein Reigen durch die gesamte Gesellschaft, der sich schließt als die letzte Figur mit der ersten in Kontakt tritt.
62 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.
432 Seiten, 19.80 Euro