Dreizehnter Auftritt


[156] Carlos kommt in der größten Beängstigung. Graf Lerma ihm entgegen.


CARLOS.

Sie such ich eben.

LERMA.

Und ich Sie.

CARLOS.

Ists wahr?

Um Gottes willen, ist es wahr?

LERMA.

Was denn?

CARLOS.

Daß er den Dolch nach ihr gezückt? daß man

Aus seinem Zimmer blutig sie getragen?

Bei allen Heiligen! Antworten Sie!

Was muß ich glauben? was ist wahr?

LERMA.

Sie fiel

Ohnmächtig hin und ritzte sich im Fallen.

Sonst war es nichts.

CARLOS.

Sonst hat es nicht Gefahr?

Sonst nicht? Bei Ihrer Ehre, Graf?

LERMA.

Nicht für

Die Königin – doch desto mehr für Sie.

CARLOS.

Für meine Mutter nicht! Nun, Gott sei Dank!

Mir kam ein schreckliches Gerücht zu Ohren,[156]

Der König rase gegen Kind und Mutter,

Und ein Geheimnis sei entdeckt.

LERMA.

Das letzte

Kann auch wohl wahr sein –

CARLOS.

Wahr sein! Wie?

LERMA.

Prinz, eine Warnung gab ich Ihnen heute,

Die Sie verachtet haben. Nützen Sie

Die zwote besser.

CARLOS.

Wie?

LERMA.

Wenn ich mich anders

Nicht irre, Prinz, sah ich vor wengen Tagen

Ein Portefeuille von himmelblauem Samt,

Mit Gold durchwirkt, in Ihrer Hand –

CARLOS etwas bestürzt.

So eins

Besitz ich. Ja – Nun? –

LERMA.

Auf der Decke, glaub ich,

Ein Schattenriß, mit Perlen eingefaßt –

CARLOS.

Ganz recht.

LERMA.

Als ich vorhin ganz unvermutet

Ins Kabinett des Königs trat, glaubt ich

Das nämliche in seiner Hand zu sehen,

Und Marquis Posa stand bei ihm –

CARLOS nach einem kurzen erstarrenden Stillschweigen, heftig.

Das ist

Nicht wahr.

LERMA empfindlich.

Dann freilich bin ich ein Betrüger.

CARLOS sieht ihn lange an.

Der sind Sie. Ja.

LERMA.

Ach! ich verzeih es Ihnen.

CARLOS geht in schrecklicher Bewegung auf und nieder und bleibt endlich vor ihm stehen.

Was hat er dir zuleid getan? Was haben

Die unschuldsvollen Bande dir getan,

Die du mit höllischer Geschäftigkeit

Zu reißen dich beeiferst?[157]

LERMA.

Prinz, ich ehre

Den Schmerz, der Sie unbillig macht.

CARLOS.

O Gott!

Gott! – Gott! Bewahre mich vor Argwohn!

LERMA.

Auch

Erinnr ich mich des Königs eigner Worte:

Wie vielen Dank, sagt' er, als ich hereintrat,

Bin ich für diese Neuigkeit Euch schuldig!

CARLOS.

O stille! stille!

LERMA.

Herzog Alba soll

Gefallen sein – dem Prinzen Ruy Gomez

Das große Siegel abgenommen und

Dem Marquis übergeben sein –

CARLOS in tiefes Grübeln verloren.

Und mir verschwieg er!

Warum verschwieg er mir?

LERMA.

Der ganze Hof

Staunt ihn schon als allmächtigen Minister,

Als unumschränkten Günstling an –

CARLOS.

Er hat

Mich liebgehabt, sehr lieb. Ich war ihm teuer

Wie seine eigne Seele. O, das weiß ich –

Das haben tausend Proben mir erwiesen.

Doch sollen Millionen ihm, soll ihm

Das Vaterland nicht teurer sein als einer?

Sein Busen war für einen Freund zu groß,

Und Carlos' Glück zu klein für seine Liebe.

Er opferte mich seiner Tugend. Kann

Ich ihn drum schelten? – Ja, es ist gewiß!

Jetzt ists gewiß. Jetzt hab ich ihn verloren.


Er geht seitwärts und verhüllt das Gesicht.


LERMA nach einigem Stillschweigen.

Mein bester Prinz, was kann ich für Sie tun?

CARLOS ohne ihn anzusehen.

Zum König gehen und mich auch verraten.

Ich habe nichts zu schenken.

LERMA.

Wollen Sie[158]

Erwarten, was erfolgen mag?

CARLOS stützt sich auf das Geländer und sieht starr vor sich hinaus.

Ich hab ihn

Verloren. O! Jetzt bin ich ganz verlassen!

LERMA nähert sich ihm mit teilnehmender Rührung.

Sie wollen nicht auf Ihre Rettung denken?

CARLOS.

Auf meine Rettung? – Guter Mensch!

LERMA.

Und sonst,

Sonst haben Sie für niemand mehr zu zittern?

CARLOS fährt auf.

Gott! Woran mahnen Sie mich! – Meine Mutter!

Der Brief, den ich ihm wiedergab! ihm erst

Nicht lassen wollte und doch ließ!


Er geht, heftig die Hände ringend, auf und nieder.


Womit

Hat sie es denn verdient um ihn? Sie hätt er

Doch schonen sollen. Lerma, hätt er nicht?


Rasch entschlossen.


Ich muß zu ihr – ich muß sie warnen, muß

Sie vorbereiten – Lerma, lieber Lerma

Wen schick ich denn? Hab ich denn niemand mehr?

Gott sei gelobt! Noch einen Freund – und hier

Ist nichts mehr zu verschlimmern.


Schnell ab.


LERMA folgt ihm und ruft ihm nach.

Prinz! Wohin?


Geht ab.


Ein Zimmer der Königin.


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 2, München 31962, S. 156-159.
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