[170] Die Königin. Marquis von Posa.
KÖNIGIN.
Ach endlich, Marquis! Glücklich, daß Sie kommen!
MARQUIS bleich, mit zerstörtem Gesicht, bebender Stimme und durch diesen ganzen Auftritt in feierlicher, tiefer Bewegung.
Sind Ihre Majestät allein? Kann niemand
In diesen nächsten Zimmern uns behorchen?
KÖNIGIN.
Kein Mensch – Warum? Was bringen Sie?
Indem sie ihn genauer ansieht und erschrocken zurücktritt.
Und wie
So ganz verändert! Was ist das? Sie machen
Mich zittern, Marquis – alle Ihre Züge
Wie eines Sterbenden entstellt –
MARQUIS.
Sie wissen
Vermutlich schon –
KÖNIGIN.
Daß Karl gefangen worden,
Und zwar durch Sie, setzt man hinzu – So ist
Es dennoch wahr? Ich wollt es keinem Menschen
Als Ihnen glauben.
MARQUIS.
Es ist wahr.
KÖNIGIN.
Durch Sie?
MARQUIS.
Durch mich.
KÖNIGIN sieht ihn einige Augenblicke zweifelhaft an.
Ich ehre Ihre Handlungen,
Auch wenn ich sie nicht fasse – Diesmal aber
Verzeihen Sie dem bangen Weib. Ich fürchte,
Sie spielen ein gewagtes Spiel.[170]
MARQUIS.
Ich hab es
Verloren.
KÖNIGIN.
Gott im Himmel!
MARQUIS.
Seien Sie
Ganz ruhig, meine Königin! Für ihn
Ist schon gesorgt. Ich hab es mir verloren.
KÖNIGIN.
Was werd ich hören! Gott!
MARQUIS.
Denn wer,
Wer hieß auf einen zweifelhaften Wurf
Mich alles setzen? Alles? So verwegen,
So zuversichtlich mit dem Himmel spielen?
Wer ist der Mensch, der sich vermessen will,
Des Zufalls schweres Steuer zu regieren
Und doch nicht der Allwissende zu sein?
O, es ist billig! – Doch warum denn jetzt
Von mir? Der Augenblick ist kostbar, wie
Das Leben eines Menschen! Und wer weiß,
Ob aus des Richters karger Hand nicht schon
Die letzten Tropfen für mich fallen?
KÖNIGIN.
Aus
Des Richters Hand? – Welch feierlicher Ton!
Ich fasse nicht, was diese Reden meinen,
Doch sie entsetzen mich –
MARQUIS.
Er ist gerettet!
Um welchen Preis ers ist, gleichviel! Doch nur
Für heute. Wenig Augenblicke sind
Noch sein. Er spare sie. Noch diese Nacht
Muß er Madrid verlassen.
KÖNIGIN.
Diese Nacht noch?
MARQUIS.
Anstalten sind getroffen. In demselben
Kartäuserkloster, das schon lange Zeit
Die Zuflucht unsrer Freundschaft war gewesen,
Erwartet ihn die Post. Hier ist in Wechseln,
Was mir das Glück auf dieser Welt gegeben.
Was mangelt, legen Sie noch bei. Zwar hätt ich
An meinen Karl noch manches auf dem Herzen,[171]
Noch manches, das er wissen muß; doch leicht
Könnt es an Muße mir gebrechen, alles
Persönlich mit ihm abzutun – Sie sprechen
Ihn diesen Abend, darum wend ich mich
An Sie –
KÖNIGIN.
Um meiner Ruhe willen, Marquis,
Erklären Sie sich deutlicher – nicht in
So fürchterlichen Rätseln reden Sie
Mit mir – Was ist geschehn?
MARQUIS.
Ich habe noch
Ein wichtiges Bekenntnis abzulegen;
In Ihre Hände leg ichs ab. Mir ward
Ein Glück, wie es nur wenigen geworden:
Ich liebte einen Fürstensohn – Mein Herz,
Nur einem einzigen geweiht, umschloß
Die ganze Welt! – In meines Carlos Seele
Schuf ich ein Paradies für Millionen.
O, meine Träume waren schön – Doch es
Gefiel der Vorsehung, mich vor der Zeit
Von meiner schönen Pflanzung abzurufen.
Bald hat er seinen Roderich nicht mehr,
Der Freund hört auf in der Geliebten. Hier,
Hier – hier – auf diesem heiligen Altare,
Im Herzen seiner Königin leg ich
Mein letztes kostbares Vermächtnis nieder,
Hier find ers, wenn ich nicht mehr bin –
Er wendet sich ab, Tränen ersticken seine Stimme.
KÖNIGIN.
Das ist
Die Sprache eines Sterbenden. Noch hoff ich,
Es ist nur Wirkung Ihres Blutes – oder
Liegt Sinn in diesen Reden?
MARQUIS hat sich zu sammeln gesucht und fährt mit festerem Tone fort.
Sagen Sie
Dem Prinzen, daß er denken soll des Eides,
Den wir in jenen schwärmerischen Tagen
Auf die geteilte Hostie geschworen.[172]
Den meinigen hab ich gehalten, bin
Ihm treugeblieben bis zum Tod – jetzt ists
An ihm, den seinigen –
KÖNIGIN.
Zum Tod?
MARQUIS.
Er mache –
O, sagen Sie es ihm! das Traumbild wahr,
Das kühne Traumbild eines neuen Staates,
Der Freundschaft göttliche Geburt. Er lege
Die erste Hand an diesen rohen Stein.
Ob er vollende oder unterliege –
Ihm einerlei! Er lege Hand an. Wenn
Jahrhunderte dahingeflohen, wird
Die Vorsicht einen Fürstensohn, wie er,
Auf einem Thron, wie seiner, wiederholen
Und ihren neuen Liebling mit derselben
Begeisterung entzünden. Sagen Sie
Ihm, daß er für die Träume seiner Jugend
Soll Achtung tragen, wenn er Mann sein wird,
Nicht öffnen soll dem tötenden Insekte
Gerühmter besserer Vernunft das Herz
Der zarten Götterblume – daß er nicht
Soll irre werden, wenn des Staubes Weisheit
Begeisterung, die Himmelstochter, lästert.
Ich hab es ihm zuvor gesagt –
KÖNIGIN.
Wie, Marquis?
Und wozu führt –
MARQUIS.
Und sagen Sie ihm, daß
Ich Menschenglück auf seine Seele lege,
Daß ich es sterbend von ihm fordre – fordre!
Und sehr dazu berechtigt war. Es hätte
Bei mir gestanden, einen neuen Morgen
Heraufzuführen über diese Reiche.
Der König schenkte mir sein Herz. Er nannte
Mich seinen Sohn – Ich führe seine Siegel,
Und seine Alba sind nicht mehr.
Er hält inne und sieht einige Augenblicke stillschweigend auf die Königin.[173]
Sie weinen –
O, diese Tränen kenn ich, schöne Seele,
Die Freude macht sie fließen. Doch vorbei,
Es ist vorbei. Karl oder ich. Die Wahl
War schnell und schrecklich. Einer war verloren,
Und ich will dieser eine sein – ich lieber –
Verlangen Sie nicht mehr zu wissen.
KÖNIGIN.
Jetzt,
Jetzt endlich fang ich an, Sie zu begreifen –
Unglücklicher, was haben Sie getan?
MARQUIS.
Zwo kurze Abendstunden hingegeben,
Um einen hellen Sommertag zu retten.
Den König geb ich auf. Was kann ich auch
Dem König sein? – In diesem starren Boden
Blüht keine meiner Rosen mehr – Europas
Verhängnis reift in meinem großen Freunde!
Auf ihn verweis ich Spanien – Es blute
Bis dahin unter Philipps Hand! – Doch weh!
Weh mir und ihm, wenn ich bereuen sollte,
Vielleicht das Schlimmere gewählt! – Nein! Nein!
Ich kenne meinen Carlos – das wird nie
Geschehn – und meine Bürgin, Königin,
Sind Sie!
Nach einigem Stillschweigen.
Ich sah sie keimen, diese Liebe, sah
Der Leidenschaften unglückseligste
In seinem Herzen Wurzel fassen – Damals
Stand es in meiner Macht, sie zu bekämpfen.
Ich tat es nicht. Ich nährte diese Liebe,
Die mir nicht unglückselig war. Die Welt
Kann anders richten. Ich bereue nicht.
Mein Herz klagt mich nicht an. Ich sahe Leben,
Wo sie nur Tod – in dieser hoffnungslosen Flamme
Erkannt ich früh der Hoffnung goldnen Strahl.
Ich wollt ihn führen zum Vortrefflichen,
Zur höchsten Schönheit wollt ich ihn erheben:[174]
Die Sterblichkeit versagte mir ein Bild,
Die Sprache Worte – da verwies ich ihn
Auf dieses – meine ganze Leitung war,
Ihm seine Liebe zu erklären.
KÖNIGIN.
Marquis,
Ihr Freund erfüllte Sie so ganz, daß Sie
Mich über ihm vergaßen. Glaubten Sie
Im Ernst mich aller Weiblichkeit entbunden,
Da Sie zu seinem Engel mich gemacht,
Zu seinen Waffen Tugend ihm gegeben?
Das überlegten Sie wohl nicht, wieviel
Für unser Herz zu wagen ist, wenn wir
Mit solchen Namen Leidenschaft veredeln.
MARQUIS.
Für alle Weiber, nur für eines nicht.
Auf eines schwör ich – Oder sollten Sie,
Sie der Begierden edelster sich schämen,
Der Heldentugend Schöpferin zu sein?
Was geht es König Philipp an, wenn seine
Verklärung in Eskurial den Maler,
Der vor ihr steht, mit Ewigkeit entzündet?
Gehört die süße Harmonie, die in
Dem Saitenspiele schlummert, seinem Käufer,
Der es mit taubem Ohr bewacht? Er hat
Das Recht erkauft, in Trümmern es zu schlagen,
Doch nicht die Kunst, dem Silberton zu rufen
Und in des Liedes Wonne zu zerschmelzen.
Die Wahrheit ist vorhanden für den Weisen,
Die Schönheit für ein fühlend Herz. Sie beide
Gehören füreinander. Diesen Glauben
Soll mir kein feiges Vorurteil zerstören.
Versprechen Sie mir, ewig ihn zu lieben,
Von Menschenfurcht, von falschem Heldenmut
Zu nichtiger Verleugnung nie versucht,
Unwandelbar und ewig ihn zu lieben,
Versprechen Sie mir dieses? – Königin –
Versprechen Sies in meine Hand?[175]
KÖNIGIN.
Mein Herz,
Versprech ich Ihnen, soll allein und ewig
Der Richter meiner Liebe sein.
MARQUIS zieht seine Hand zurück.
Jetzt sterb ich
Beruhigt – Meine Arbeit ist getan.
Er neigt sich gegen die Königin und will gehen.
KÖNIGIN begleitet ihn schweigend mit den Augen.
Sie gehen, Marquis – ohne mir zu sagen,
Wann wir – wie bald – uns wiedersehn?
MARQUIS kommt noch einmal zurück, das Gesicht abgewendet.
Gewiß!
Wir sehn uns wieder.
KÖNIGIN.
Ich verstand Sie, Posa –
Verstand Sie recht gut. – Warum haben Sie
Mir das getan?
MARQUIS.
Er oder ich.
KÖNIGIN.
Nein! Nein!
Sie stürzten sich in diese Tat, die Sie
Erhaben nennen. Leugnen Sie nur nicht.
Ich kenne Sie, Sie haben längst darnach
Gedürstet – Mögen tausend Herzen brechen,
Was kümmert Sies, wenn sich Ihr Stolz nur weidet.
O, jetzt – jetzt lern ich Sie verstehn! Sie haben
Nur um Bewunderung gebuhlt.
MARQUIS betroffen, vor sich.
Nein! Darauf
War ich nicht vorbereitet –
KÖNIGIN nach einem Stillschweigen.
Marquis!
Ist keine Rettung möglich?
MARQUIS.
Keine.
KÖNIGIN.
Keine?
Besinnen Sie sich wohl. Ist keine möglich?
Auch nicht durch mich?
MARQUIS.
Auch nicht durch Sie.
KÖNIGIN.
Sie kennen mich
Zur Hälfte nur – ich habe Mut.[176]
MARQUIS.
Ich weiß es.
KÖNIGIN.
Und keine Rettung?
MARQUIS.
Keine.
KÖNIGIN verläßt ihn und verhüllt das Gesicht.
Gehen Sie!
Ich schätze keinen Mann mehr.
MARQUIS in der heftigsten Bewegung vor ihr niedergeworfen.
Königin!
– O Gott! das Leben ist doch schön.
Er springt auf und geht schnell fort. Die Königin in ihr Kabinett.
Vorzimmer des Königs.
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