Siebenter Auftritt


[201] Carlos. Graf Lerma.


LERMA.

Retten Sie sich, Prinz.

Der König wütet gegen Sie. Ein Anschlag

Auf Ihre Freiheit – wo nicht auf Ihr Leben.

Befragen Sie mich weiter nicht. Ich habe

Mich weggestohlen, Sie zu warnen. Fliehen

Sie ohne Aufschub.

CARLOS.

Ich bin in den Händen

Der Allmacht.

LERMA.

Wie die Königin mich eben

Hat merken lassen, sollen Sie noch heute

Madrid verlassen und nach Brüssel flüchten.

Verschieben Sie es nicht, ja nicht! Der Aufruhr

Begünstigt Ihre Flocht. In dieser Absicht

Hat ihn die Königin veranlaßt. Jetzt

Wird man sich nicht erkühnen, gegen Sie

Gewalt zu brauchen. Im Kartäuserkloster

Erwartet Sie die Post, und hier sind Waffen,

Wenn Sie gezwungen sollten sein –


Er gibt ihm einen Dolch und Terzerolen.


CARLOS.

Dank, Dank,

Graf Lerma!

LERMA.

Ihre heutige Geschichte

Hat mich im Innersten gerührt. So liebt

Kein Freund mehr! Alle Patrioten weinen

Um Sie. Mehr darf ich jetzt nicht sagen.

CARLOS.

Graf Lerma! Dieser Abgeschiedne nannte

Sie einen edlen Mann.[201]

LERMA.

Noch einmal, Prinz!

Reisen Sie glücklich. Schönre Zeiten werden kommen;

Dann aber werd ich nicht mehr sein. Empfangen

Sie meine Huldigung schon hier.


Er läßt sich auf ein Knie vor ihm nieder.


CARLOS will ihn zurückhalten. Sehr bewegt.

Nicht also –

Nicht also, Graf- Sie rühren mich – Ich möchte

Nicht gerne weich sein –

LERMA küßt seine Hand mit Empfindung.

König meiner Kinder!

O, meine Kinder werden sterben dürfen

Für Sie. Ich darf es nicht. Erinnern Sie sich meiner

In meinen Kindern. – Kehren Sie in Frieden

Nach Spanien zurücke. Seien Sie

Ein Mensch auf König Philipps Thron. Sie haben

Auch Leiden kennenlernen. Unternehmen Sie

Nichts Blutges gegen Ihren Vater! Ja

Nichts Blutiges, mein Prinz! Philipp der Zweite

Zwang Ihren Ältervater, von dem Thron

Zu steigen – Dieser Philipp zittert heute

Vor seinem eignen Sohn! Daran gedenken

Sie, Prinz – und so geleite Sie der Himmel!


Er geht schnell weg. Carlos ist im Begriff, auf einem andern Wege fort zueilen, kehrt aber plötzlich um und wirft sich vor dem Leichnam des Marquis nieder, den er noch einmal in seine Arme schließt. Dann verläßt er schnell das Zimmer.


Vorzimmer des Königs.


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 2, München 31962, S. 201-202.
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