[215] Carlos. Die Königin. Zuletzt der König mit Gefolge.
CARLOS in einem Mönchsgewand, eine Maske vor dem Gesichte, die er eben jetzt abnimmt, unter dem Arme ein bloßes Schwert. Es ist ganz finster. Er nähert sich einer Türe, welche geöffnet wird. Die Königin tritt heraus im Nachtkleide, mit einem brennenden Licht. Carlos läßt sich vor ihr auf ein Knie nieder.
Elisabeth!
KÖNIGIN mit stiller Wehmut auf seinem Anblick verweilend.
So sehen wir uns wieder![215]
CARLOS.
So sehen wir uns wieder!
Stillschweigen.
KÖNIGIN sucht sich zu fassen.
Stehn Sie auf! Wir wollen
Einander nicht erweichen, Karl. Nicht durch
Ohnmächtge Tränen will der große Tote
Gefeiert werden. Tränen mögen fließen
Für kleinre Leiden! – Er hat sich geopfert
Für Sie! Mit seinem teuern Leben
Hat er das Ihrige erkauft – Und dieses Blut
Wär einem Hirngespinst geflossen? – Carlos!
Ich selber habe gutgesagt für Sie.
Auf meine Bürgschaft schied er freudiger
Von hinnen. Werden Sie zur Lügnerin
Mich machen?
CARLOS mit Begeisterung.
Einen Leichenstein will ich
Ihm setzen, wie noch keinem Könige
Geworden – Über seiner Asche blühe
Ein Paradies!
KÖNIGIN.
So hab ich Sie gewollt!
Das war die große Meinung seines Todes!
Mich wählte er zu seines letzten Willens
Vollstreckerin. Ich mahne Sie. Ich werde
Auf die Erfüllung dieses Eides halten.
– Und noch ein anderes Vermächtnis legte
Der Sterbende in meine Hand – Ich gab ihm
Mein Wort – und – warum soll ich es verschweigen?
Er übergab mir seinen Karl – Ich trotze
Dem Schein – ich will vor Menschen nicht mehr zittern,
Will einmal kühn sein wie ein Freund. Mein Herz
Soll reden. Tugend nannt er unsre Liebe?
Ich glaub es ihm und will mein Herz nicht mehr –
CARLOS.
Vollenden Sie nicht, Königin – Ich habe
In einem langen, schweren Traum gelegen.
Ich liebte – Jetzt bin ich erwacht. Vergessen
Sei das Vergangne! Hier sind Ihre Briefe[216]
Zurück. Vernichten Sie die meinen. Fürchten
Sie keine Wallung mehr von mir. Es ist
Vorbei. Ein reiner Feuer hat mein Wesen
Geläutert. Meine Leidenschaft wohnt in den Gräbern
Der Toten. Keine sterbliche Begierde
Teilt diesen Busen mehr.
Nach einem Stillschweigen ihre Hand fassend.
Ich kam, um Abschied
Zu nehmen – Mutter, endlich seh ich ein,
Es gibt ein höher, wünschenswerter Gut,
Als dich besitzen – Eine kurze Nacht
Hat meiner Jahre trägen Lauf beflügelt,
Frühzeitig mich zum Mann gereift. Ich habe
Für dieses Leben keine Arbeit mehr
Als die Erinnerung an ihn! Vorbei
Sind alle meine Ernten –
Er nähert sich der Königin, welche das Gesicht verhüllt.
Sagen Sie
Mir gar nichts, Mutter?
KÖNIGIN.
Kehren Sie sich nicht
An meine Tränen, Karl – Ich kann nicht anders –
Doch glauben Sie mir, ich bewundre Sie.
CARLOS.
Sie waren unsers Bundes einzige
Vertraute – Unter diesem Namen werden
Sie auf der ganzen Welt das Teuerste
Mir bleiben. Meine Freundschaft kann ich Ihnen
So wenig als noch gestern meine Liebe
Verschenken an ein andres Weib – Doch heilig
Sei mir die königliche Witwe, führt
Die Vorsicht mich auf diesen Thron.
Der König, begleitet vom Großinquisitor und seinen Granden, erscheint im Hintergrunde, ohne bemerkt zu werden.
Jetzt geh ich
Aus Spanien und sehe meinen Vater
Nicht wieder – Nie in diesem Leben wieder.
Ich schätz ihn nicht mehr. Ausgestorben ist[217]
In meinem Busen die Natur – Sein Sie
Ihm wieder Gattin. Er hat einen Sohn
Verloren. Treten Sie in Ihre Pflichten
Zurück – Ich eile, mein bedrängtes Volk
Zu retten von Tyrannenhand. Madrid
Sieht nur als König oder nie mich wieder.
Und jetzt zum letzten Lebewohl!
Er küßt sie.
KÖNIGIN.
O Karl!
Was machen Sie aus mir? – Ich darf mich nicht
Empor zu dieser Männergröße wagen;
Doch fassen und bewundern kann ich Sie.
CARLOS.
Bin ich nicht stark, Elisabeth? Ich halte
In meinen Armen Sie und wanke nicht.
Von dieser Stelle hätten mich noch gestern
Des nahen Todes Schrecken nicht gerissen.
Er verläßt sie.
Das ist vorbei. Jetzt trotz ich jedem Schicksal
Der Sterblichkeit. Ich hielt Sie in den Armen
Und wankte nicht. – Still! Hörten Sie nicht etwas?
Eine Uhr schlägt.
KÖNIGIN.
Nichts hör ich als die fürchterliche Glocke,
Die uns zur Trennung lautet.
CARLOS.
Gute Nacht denn, Mutter.
Aus Gent empfangen Sie den ersten Brief
Von mir, der das Geheimnis unsers Umgangs
Lautmachen soll. Ich gehe, mit Don Philipp
Jetzt einen öffentlichen Gang zu tun.
Von nun an, will ich, sei nichts Heimliches
Mehr unter uns. Sie brauchen nicht das Auge
Der Welt zu scheuen. – Dies hier sei mein letzter
Betrug.
Er will nach der Maske greifen. Der König steht zwischen ihnen.
KÖNIG.
Es ist dein letzter!
Die Königin fällt ohnmächtig nieder.
CARLOS eilt auf sie zu und empfängt sie mit den Armen.[218]
Ist sie tot?
O Himmel und Erde!
KÖNIG kalt und still zum Großinquisitor.
Kardinal! Ich habe
Das Meinige getan. Tun Sie das Ihre!
Er geht ab.
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