Allwill betet

[76] Allwill betet, Melodieen tönen

In der Sphären heil'gen Festgesang,

Seine Seele schwebt, in Harmonieen

Aufgelösst, zur bessern Welt empor;


Silberhaar umwallet seinen Scheitel,

Hymnen jauchzt sein aufgehobner Blick,

Einer Lichtgestalt aus Eden ähnlich,

Von der Andacht Glorie verklärt!


Lossgewunden von dem Tand der Erde,

Hebt die Ahnung der Unsterblichkeit

Ihn empor zu höhern Regionen,

Psyche eilet ihrer Heimath zu!


Himmelswonne, schmachtendes Verlangen

Nach Vollendung hebet seine Brust,

Thront in seinen unentweihten Zügen,

Und verkläret seinen trunknen Blick;


Hebet ihn auf der Empfindung Schwingen

Hin zum Throne, wo der Welt-Chor jauchzt,

Hin zur Quelle, wo die Wahrheit strömet,

Wo Triumph des edlen Kämpfers harrt;
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Wo der Sirius die Gluten wälzet,

Wo des Adlers kühne Flamme blitzt,

Und in himmlisch-milder Lauben Kühle

Sel'ge ruhen nach des Lebens Sturm;


Ew'ge Palmen ihre Wipfel neigen,

Ahnung säuseln der Unsterblichkeit;

Blüthen, die im Erdenthale welkten,

Blühen schöner, herrlicher empor!


Schon umschweben ihn die Lichtgestalten

Der Getrennten aus dem Prüfungsthal:

Wiedersehen feiert er mit ihnen,

Der Geliebten süsses Wiedersehn!


Ruht mit ihnen unter Palmen-Schatten,

Mischt in ihren seinen Hochgesang,

Sieht die Edlen, welche Saaten streuten,

Deren goldne Frucht in Eden reift!


Thränen fliessen – süsser Wonne Thränen

In den tiefgefühlten Weihgesang,

Himmels-Chöre jauchzen ihm: Willkommen!

Neigen ihm, dem Seligen, ihr Ohr!

Quelle:
Elise Sommer: Gedichte, Frankfurt a.M. 1813, S. 76-78.
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