2. Liebe/ der Poeten Wezz-stein

[22] 1.

Warum ich nur von Lieben

die Blätter voll geschrieben/

warum mein Buch verzärtlet lacht:

möcht' einer wundernd fragen.

Drüm wil ich selber sagen

was mich darzu hat angebracht:


2.

Der Feuer-hauch der Musen

hat meinen engen Busen

mit solchen Flammen nicht gerührt.

Apoll ist hier nicht Meister/

nicht Pallas/ so die Geister

auff Helikons Gebüsche führt.


3.

Die Lust/ die Red' und Blikke/

der Glieder ihr Geschikke/

und was Rosillen mehr beschönt:

Ihr Wesen/ Kleidung/ Lachen

Betrübniß/ Schlaf und Wachen

hat mich mit Efeu umgekrönt.


4.

Straks bin ich ein Poete/

wenn ihre Wangen-röhte[22]

im weissem Alabaster blikkt.

Wenn in die göldne Seiten

wil ihre Kehle streiten/

so werd' ich auß mir selbst entzükkt.


5.

Ist wo ihr Leib entblösset:

so bin ich schon beflösset

mit Wasser auß dem Pferde-Guß.

Auff ihr Bewegen/ regen/

wächst mir geschwind entgegen

ein Buch/ das Troja trozzen muß.


6.

Der mag die Tugend melden

und der die alten Helden

auß Teutschland tragen zu Papier/

der hohe Sachen schreiben:

Ich wil die Liebe treiben

und wie Rosille mir komt für.


7.

Der Schiffer schwazzt von Stürmen/

der Krieger praalt von Türmen

die er so oft erstiegen hat/

der Bauer lobt die Felder/

der Jäger Wild und Wälder/

der Reisender so manche Stat:


8.

Ich bin ein Jungfer-lieber/

die Zunge geht mir über

von dehm/ was auß dem Hertzen quillt.

Wer mich hierum wil schelten/

der fluche den Gewalten/

die ob uns hat ein Weibes-Bild.


Quelle:
Kaspar Stieler: Die geharnschte Venus, Stuttgart 1970, S. 22-23.
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