9. Beständigkeit überwindet den Neid

[35] 1.

Wenn mich mein Kind wil traurig sehn

und Blut auß meinem Herzen pressen

so spricht sie: Du wirst mich vergessen

so bald du wirst von hinnen gehn.

Sag/ Rosilis/ Ach! meine Fromme:

Woher dir doch der Argwohn komme.


2.

Hat ein verbooßter Läster-Mund

mich irgend bey dir angegeben:[35]

Bekenn es/ Rosilis/ mein Leben/

thu mir die falschen Lügen kund.

Durch offenbahrung/ Red' und Frage

wird offt gewehrt der bösen Sage.


3.

Ich bin ja mir wol nicht bewust

daß ich mich wor vergriffen hätte.

So lang ich hang' an deine Kette/

und deine Gunst rührt meine Brust:

Ist nichts geschehn mit meinem wissen

drauß du was böses köntest schliessen.


4.

Kein einger Mund hat mich gerührt

seit ich den deinen dürffen herzen.

Hastu mich wo mit einer scherzen

gesehn? Wor Heucheley gespürt?

Die Ader wolt' ich auß mir reissen

und selber vor die Hunde schmeissen.


5.

Ich bin und werd' auch ewig sein

wie ich mich einmahl dir versprochen/

mein Eyd verbleibet unzerbrochen/

solt' auch der Himmel fallen ein/

die Erde nimmer feste stehen

und alles drunt- und drüber gehen.


6.

Zwar rühm' ich meine Liebe nicht

wie der wol hundert Schwüre machet

indessen unterm Hute lachet/

hab' ich dir schon ins Angesicht

niemahl von grosser Gunst gepralet

und falsche Berge hingemahlet;
[36]

7.

So weiß es doch mein Herz allein/

mein Herz/ daß dich sonst keine kennet/

und nur in deinen Flammen brennet/

daß du die einige wirst sein/

die/ biß der Tod mich auff- wird -reiben/

soll meiner Seelen Seele bleiben.


8.

Diß schwer' ich bey der schönen Lust

bey denen Freuden-vollen Stunden/

die wir so offtermahls empfunden:

Bey dein- und meiner treuen Brust.

Dich wil ich nimmermehr vergessen.

So hör doch auff mein Herz zufressen.


Quelle:
Kaspar Stieler: Die geharnschte Venus, Stuttgart 1970, S. 35-37.
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