Dritter Absatz

[206] Beschreibet den Eingang Polyphili / in den Liebes-Tempel / und wie derselbe gestaltet: Lehret die nöthige Verbündnus / der Tugend-Kunst / des Glücks und der Liebe; unterscheidet die Falsche / von der Warhafften / und zeiget beyder Ursprung.


Polyphilus / dem sein Hertz in tausend Sprüngen gieng / wäre lieber unbegleitet / als mit einem Gesellen eingegangen / damit er nur geschwind die Tafeln gesehen: dann er ihm leicht einbilden kunte / man würde dieses zu letzt sparen / und ihm vorher von andern Dingen reden: aber er muste sich dißmal befehlen lassen / und im Gehorsam bleiben. Die Königin /welche wol wuste / daß die Liebes-Geheimnüs von niemand besser / als denen Weibs-Personen könten erkläret werden; auch über das / aus der Rede Polyphili von Macarien / schliessen wolte / als wäre er sonderlich denen Jungfräulichen Unterredungen gewogen: winckete einer herrlich bekleideten Damen /welche fast den letzten Ort in diesem Comitat ausfüllete / doch vor andern klug und verständig zu seyn schiene / und gesellete solche dem Polyphilo zu / daß sie ihn durch den Liebes-Tempel führe.

Polyphilus / und zugleich mit ihm die Dame /[206] entschuldigten sich beyderseits gar höflich: jener zwar /daß er nie kein Glück zu einiger Jungfer gehabt / auch mit denselben nicht wisse umzugehen / deßwegen er sich einiger Schand-Erwerbung / auch dieses Orts /beförchte: diese hingegen / wie gern sie auch mit Polyphilo fortgangen wäre / bemäntelte doch ihre Schamhafftigkeit / mit der gebührenden Jungfräulichen Zucht / die ihr widerriethe / einen jungen Gesellen mit ihr allein zu führen. Doch / wie es öffters zu geschehen pflegt / ob die Ursachen mächtig und wichtig genug wären / etwas abzulehnen / mögen sie gleichwol / wann der Will fertig / und das Hertz gefangen ist / mit den geringsten / auch wol gar falschen Widerreden umgestossen und übermannet werden: wie dann bey dieser Dame / der schuldige Gehorsam /königlichem Befehl nachzuleben / gar bald alle Jungfräuliche Zucht und Gebühr erdruckete: Polyphilus aber blieb beständig in seinem / wider die Jungfern /gefassten Haß und Widerwillen.

Der Schluß war gemacht / keine Ausred wolte helffen / sie musten miteinander daran. Das erste / darum die Jungfer Polyphilum fragte / war von seiner Liebsten / bey der sie sich höchlich zu entschuldigen hätte / damit sie keinen Haß verdiene / dorfft ihm auch wol gar ansinnen / ihr den Namen seiner Liebsten zu eröffnen / und ob er sie hertzlich liebe? Welches aber Polyphilus so artig zu beantworten wuste /daß sie ihn zu frieden ließ / und leicht merckete / daß er einen Verdruß an dergleichen Reden hätte. Dann Polyphilus fieng an von der Beschaffenheit dieses dritten Tempels zu fragen: und als sie ihm einen grossen Umschweiff machte / und in viel Vergeblichkeiten[207] aufhielt / kamen sie endlich / mit langsamen Fuß /zu dem Tempel.

Alles das aber / was die Königin / und zugleich die Jungfer auf ihr Befehl / in Verlängerung der sonst unnützlichen Reden vornahmen / geschahe bloß darum /auf daß Polyphilus nicht zu früh in den Tempel gelangete / sondern die finstere Nacht mit hinein brächte; dann zu letzt erinnerte sich allererst die Königin / daß die Entbindung ihres Fluchs bey der Nacht künfftig und zu gewarten sey.

Jetzt gehen sie zum Tempel ein / welcher Circkelrund / und in zimlicher Höhe aufgeführet war. Rings umher stunden gefrorne Crystallen-Seulen / welche von der grün-bekleideten Erden / biß an die Decke reicheten / und mit ihren durchsichtigen Glantze /welcher sich denen angezündeten Liechtern gleichsam entgegen setzte / einen nicht geringen / sondern Wunderherrlichen Schein gaben / der das gantze Zimmer erleuchtete. Es war auch gleich denen vorigen Tempeln / über dem Eingang / die Herrschafft der Liebe gebildet / deren zwey andere Weibs-Personen zur Seiten gestellet / von derer ersten sie bedienet / von der andern bekrönet wurde.

Diese drey / fieng Polyphilus an / werden gewiß Tugend / Glück und Liebe bedeuten? Ja / anwortete Erothemitis / so war der Jungfer Name / aber ihr vergesset der Kunst / welches doch das vornehmste Stück ist in der Liebe: dagegen Polyphilus versetzte /daß nur ihrer drey wären: Ja / sagte Erothemitis / aber das Tugend-Bild bedeutet zugleich die Kunst / daher ihr sehet / daß sie in der Rechten ein verguldtes Buch / in der Lincken einen Maß-Stab hält. Ists euch /fuhr Erotbemitis weiter fort /[208] nicht verdrüßlich / Polyphile! will ich euch weiter berichten / was wir sonsten davon zu halten pflegen / da ihr dann eure Gedancken mir wieder eröffnen könt / und mich / so ich in einem oder andern unrecht verfahren solte / eines bessern unterweisen.

Diß höfliche Anbringen vermochte bey Polyphilo so viel / daß er nicht nur allen vorigen Widersinn fallen ließ / besondern fast gar die Freundlichkeit dieser Damen / und ihre demütige Sittsamkeit lieb gewann /doch nicht anders / als es das Gefängnus / mit welchem ihm seine gehertzte Macarie bestricket / zuließ: darum sprach er: Edle und Tugend-völlige Dame! auf welch Wort sie ihm alsobald Einrede hielt / sagend: nicht heiß ich Dame / sondern Erothemitis: Polyphilus aber fuhr fort: solt ich das Glück von ihrer erkanten Gunst zu hoffen / oder auch zu erwarten haben /würde ich mich schon vor den bekennen dörffen / welcher in dem Glücks-Tempel nicht allein die Glück-Fälle erlernet / sondern auch selbsten sey damit gesegnet worden: bitte derowegen / so ich anderst bitten darff / sie wolle mich / ihrer angebornen Freundlichkeit nach / ihres Berichts würdigen. Auf welche Wort Erothemitis folgendes versetzte: das thue ich / so willig als schuldig. Ihr seyd / edler Polyphile! den Tugend- und Glücks-Tempel durchgangen / wisset auch / was diese beyde Jungfrauen geben und nehmen / was ihre Verrichtungen seyn / und wie weit sich ihr Dienst erstrecke. Die Kunst nehret die Tugend /die Tugend nehret das Glück / das Glück führet die Liebe: jenes habt ihr gelernet: aber das Letzte ist noch übrig / daß ihrs wisset / und ohne diesem / ist jenes /als gestorben. Lernet demnach an dem / daß Kunst und Tugend der Liebe dienet[209] / wie ihr all euer Wissen / Sinnen und Beginnen / dahin richten sollet / daß ihr vernünfftig liebet: und an dem / daß das Glück die Liebe krönet / wie ihr glücklich lieben sollet. Die Zeit leidet es nicht / daß ich alles nach der Länge / aus den beyden ersten Tempeln wieder herfür suchen / und euch zeigen solte / wie ihr aller Orten / das alles / was ihr gesehen / auf die Liebe wenden köntet / damit sie vernünfftig und glücklich zu nennen. Darum behaltet das wenige / vor viel:


Wer nicht klug ist und verständig /

Der macht keine Liebe bändig.


Und wiederum:


Wer im lieben nicht beglücket

Der wird bald bald unterdrücket.


Nach diesem giengen sie weiter fort / und ersahen /bald im Eingang / eine nackete und unbekleidete Weibs-Person / die in der einen Hand einen Angel / in der andern einen Strick hielt / und auf dem Haupt mit einer Cron / von Lilien / gezieret war. Gegen dieser stund ein andere / mit röthlichen Wangen / lieblichen Augen / und Gold-gleichem Haar / bekleidet mit Scharlach / und allerhand köstlichen Steinen gezieret /ihren Krantz in der Hand führend / und mit der Lincken auf eine verschlossene Tulipan zeigend.

Ungefragt fieng Erothemitis an: Diese beyde / edler Polyphile! bedeuten die Schönheit; diese zwar / zeigend die nackende / die eusserliche: Diese aber / zeigend die bekleidete / die innerliche. Beyde / fieng sie weiter an / sind der Liebe Urheber / und kan ohne sie / kein Liebe entweder entstehen / oder auch dauren. Deßwegen sie von der Weißheit des Himmels / in den Eingang versetzet worden. Doch ist das Behaltens werth / daß / wie unter beyden ein grosser[210] Unter schied / also auch unter der Liebe / so von dieser herrühret / und unter jener / so von der andern ihre Geburt hat. Eine ist beständig: die andere wancket gar leicht; eine ist hertzlich / die andere hat ihre Wohnung im Gesicht; eine ist getreu; die andere ligt unter einem falschen Schein verdeckt / und gleisset schön von aussen. Ihr werdet / mein Polyphile! selber wol verstehen / wohin ich ziele. Sehet an die Unbekleidete /mercket auf ihren Angel und Strick: Diese ist die nichtige Schönheit / so uns eusserlich verführet / und offtermals in die Stricke des Unglücks / ja gar der Verzweifflung gefangen nimmt: Dann welcher die Schönheit in dem Leibe / in denen umschweiffenden Augen / gebleichten Haaren / gemahlten Wangen suchen will / der findet eusserlich eine schnöde Vergänglichkeit / ein zerbrechliches Gut / einen stündlichen Raub / einen Blitz / der zugleich leuchtet und vergehet: innwendig aber Wanckelmuth und Betrug. Ja / ich glaube nicht / daß eine Zunge so beredt / ein Verstand so klug / einige menschliche Gedancken so beleuchtet sind / daß sie solten alles Unheil erzehlen /verstehen und durchdencken können / welches die eitele Schönheit mit sich zu bringen / und nach sich zu ziehen pflegt. Wann man mich fragte / was die äusserliche Schönheit wäre / wolt ich sagen / daß sie sey eine gewaltsame Tyranney / dadurch man sich / mit der Freyheit Verlust / willig und wissentlich der Knechtschafft unterwürffig machet. Oder ich wolt sagen / sie wäre eine selbstschadende Zauber-Kunst /welche durch die Augen-Stralen das Hertz anflamme /den Verstand verrucke / und den Menschen sein selbst Vergessen mache. Wiewol ich sie einem spitzigen Berg nicht übel vergleichen[211] könte / welcher auf allen Seiten mit Dornen verwildet / mit Hecken verwahret /mit Steinen verleget / zu oberst mit Wermuth bewachsen / und mit Weiden (dadurch ich die Reu deuten wolte) gleichsam umsetzet. Oder ich vergliche sie mit einer Wiesen / die zwar mit vielen bunten Blumen gezieret; aber den gifftigen Schlangen und Ungezieffer eine Enthaltung gebe. So hör ich wol / sprach Polyphilus / soll man dieser Schönheit nicht trauen? Nicht nur nicht trauen / antwortete Erothemitis / sondern sich von ihr auch nicht verführen lassen / dann sie nicht nur gantz vergängliche / sondern auch nichtige und boßhaffte Gaben führet / die äusserlich zwar herrlich scheinen / aber inwendig heßlich gestalt seyn. Dann es ist mit selbiger bewand / wie vor Zeiten mit denen Egyptischen Tempeln / die an sich selber kostbar und prächtig erbauet waren / daß das Aug gnug daran zu sehen / und das Hertz zu verwundern hatte; würde man aber einen Gott darinnen gesuchet haben /würde man / an statt seiner / viel eher und mehr einen stinckenden Bock / eine schändliche Katz / oder einen wilden Affen gefunden haben: gerad so ists mit der angeschmückten Schönheit / die herrlich gleisset /heßlich aber gestalt ist. Und daß ich endlich die lautere Warheit nicht verhele / möcht ich wol fragen / was dann die Schönheit wäre? dörfft ich mir selber antworten / sagte ich in Warheit: daß sie lauter nichts sey: besondern in der blossen Einbildung der Menschen bestehe / welche ihnen diß oder jenes für schön einbilden. Beliebt euch / Polyphile! so leset diese Verse / darinnen ihr / was von äusserlicher Schönheit zu halten / völlig vernehmen werdet. Und damit übergab sie ihm einen Zettel / darauf folgendes Gedicht geschrieben stund:
[212]

Was ist die Schönheit doch / die unser Hertz so binden /

und gantz bestricken kan? wie und wo soll ichs finden?

Sie ist wohl in der Welt: doch sag mir eins / wo gehts?

Sie ist zu treffen an: doch frag ich auch / wo stehts?

Nichts überall will mir alsdann zur Antwort werden;

Der eine sagt mir leicht: sie muß doch auf der Erden

und bey den allen seyn / die von ihr sind bestrickt /

der ander preiset sie / und die damit beglückt.

Bald findet sich der Dritt / und rühmet ihre Würde:

Der Vierdte folget dem / und klaget ihre Bürde:

Den allen aber ich entgegen / spreche frey:

Daß sie doch lauter nichts / und minder als nichts sey.

Ja! wär sie etwas noch / wie wilt du sie dann nennen?

Ein angenehmes Gifft? das muß ich zwar bekennen:

Sie hat der Titul viel / die zum Verderben geht /

und allen insgesammt / zu einem Fall-strick / steht.

Sie ist die Sonnen-Kertz / die doch gantz finster leuchtet;

Ein bittrer Wermuth-Thau / der unser Hertz befeuchtet;

Ein ziehender Magnet; ein Spiegel voller List;

Ein scharffer Stral / der / uns zu fällen / ist gerüst;

Ein Zunder böser Lüst; ein Fall und Gang zur Höllen /

der Hoffart Kummer-Rath / der Uppigkeit Gesellen;

ein Zwang der Hurerey / und Ursach aller Noht /

der Jugend eine Pein / dem Alter gar der Tod.

Ein Auszug aller Scham / der Tugenden Verderber /

der Laster Schutz und schirm / ein lauter Schand-Erwerber:

und daß ich endlich doch der Warheit pflichte bey /

so glaub ich dennoch nicht / daß diß die Schönheit sey.

Es ist der Menschen Schuld / die lassen sich bethören /

durch solchen falschen Schein: weil eilig / wann sie hören /

von einem Damen-Bild; weil eilig / wann sie sehn /

was ihnen wolgefällt; sie schon in Fesseln gehn.

Dann kan der Buhler nit die Schönheit gnug beschreiben /

die seinen Sinn besiegt; muß Tag und Nacht vertreiben

mit ihrer Gaben Lob: Er fängt von oben an

biß unten wieder zu: Er rühmt / so viel er kan /

der schönen Glieder Pracht: Wie alles sey gestaltet /

das alles er beschreibt. Und was er denckt und waltet /

ist nur auf sie gericht. Sie einig ist sein Ziel /

davon er redt und schreibt / so viel er immer will.[213]

Das jrrdische Gestirn / die leichten Augenblicke /

seyn ihre starcke Kunst / damit sie ihm entzücke

der matten Sinnen Rest. der glatten Stirnen Zier /

ist Amors sein Magnet / der ihn stets rückt zu ihr.

Das Haar / das schöne Haar / sind ihre starcke Binden /

damit sie Hertz und Sinn kan meisterlich umwinden.

Die Wangen sind Berill / die Lippen ein Rubin /

die ihn zu ihrer Gunst / auch wider Willen / ziehn.

Das Kin ist Perlen-Art / der Halß / von Alabaster /

die Kehle Chrisolith / der Brust erhobnes Pflaster

ist gleich dem Marmor-Stein / die Finger Carniol /

von Helffenbein die Arm; obgleich ein schwartzer Kol

sich denen gleichen könt: so werden sie verführet

von ihrem eignen Wahn / alsbald sie sind berühret /

durch hören oder sehn / die Liebe Schönheit weist /

so bald sie nimmt und gibt der Seelen ihren Geist.

Sie sind nicht / wer sie sind / dann wer sie gerne wären /

das können sie nicht seyn: sie wechseln mit den Ehren

die Schand / verlassen sich / und ziehen jene für

vergiß mein nicht / vergist auch seiner selbst für ihr.

Noch ist es nicht genug / von aussen seyn gepriesen /

und durch der Glieder-Pracht: es muß auch seyn erwiesen /

daß / was von Geist und Blut / durch Mund und Nase dringt

auch sein verführtes Hertz / zur heissen Liebe zwingt.

Da rencht der Athem süß / wie starcke Biesen-Blumen /

an ihr ist / was uns schickt Panchea und Idumen /

was sag ich? müssen doch / die Blumen selbst gestehn /

sie sey noch tausendmal so schön / als tausend schön.

Bald muß der Lippen-Thau dem Honigseim sich gleichen /

der offt wol Speichel ist: Kein Nectar kan erreichen /

die süsse Süssigkeit. Der durchgedrungne Schweiß

muß seyn ein Perlen-Thau / und ohne weiß seyn weiß.

Der heisse Seufftzer-Rauch muß gar gen Himmel steigen /

und ohne grosse Macht / die Macht der Sternen neigen /

bethränt sie dann / mit Leid / der Wangen Purpur-Feld /

so hat sich deren Glantz Chrystallen zugesellt.

Und was thut endlich nicht der Liebe blindes Wesen /

die / was nur ihr gefällt / vor Schönheit will erlesen /

offt aber übel zahlt: drum hüte sich / wer kan /

vor falsch-geführtem Schein: sonst kommt er übel an.
[214]

So bald Polyphilus diß Gedicht gelesen / welches ihn sehr vergnügte / fieng Erothemitis auch von der wahrhafften und lobwürdigen Schönheit an / mit diesen Worten: Ihr wisset nun / Polyphile! daß dieser abwelckenden vergänglichen Schöne nicht zu trauen; so hoffe ich auch / ihr werdet selbe hinfüro vor keine Hertzen-Zwingerin erkennen: sondern / so ihr euer Hertz durch einige Liebe wollet entzünden lassen /der wahren und beständigen Schöne viel lieber gehorsamen / als dieser Verführerin. Wisset demnach auch das / daß diese Bekleidete sey die Zierde / so auf die Tugend gegründet / und den Verstand zum Erhalter hat. Diese sollet ihr erkennen / ehe dann ihr euch ihr zu folgen verwilliget. Nach dem Erkantnus dörfft ihr trauen. Zwar ist nicht weniger auch das zu behalten /wo diese Tugend-Zierde verborgen ligt / daß daselbst auch die Tugend-Wercke äusserlich zieren / und das Verborgene / theils an den Geberden / theils auch an der schönen Gestalt / zu erkennen. Und ist so fern die Schönheit des Leibs ein Fürfechter der Tugend-Blüth / und eine Herberg einer grössern Schönheit: Dann Höflichkeit / Freundlichkeit / die wir durch die Zucht-lächlende Wangen / geziemte Falten des Mundes / liebliches Blincken der Augen / und andere Kenn-Zeichen mehr / messen / sind Früchte der Tugend: Diese aber machen eine schöne Gestalt: wie wir hie zugegen an dem Bilde sehen. Auch gibts die Tulipan / darauf sie deutet / welche / ob sie gleich verschlossen / dennoch ihr bundgefärbte Zierde aussenher gläntzen läst.

Wollt ihr demnach / edler Polyphile! wissen und verstehen / was schön ist / so müst ihr die Augen der Vernunfft zu Raht nehmen / und ihr die unbändige[215] Begierde der Liebe / wie das Pferd dem Zaum / den Bogen dem Schützen / das Schiff dem Steur-Ruder /den Werckzeug endlich dem Meister unterwürffig machen. Dann wie die Vernunfft ohne Lieb unvollkommen ist: also ist die Liebe / ohne der Vernunfft-Be herrschung / nichts / dann ein unbesonnenes verderbtes Beginnen. Wo sich aber die Vernunfft mit der Liebe durch diesen Gehorsam vermählet / da werden sie gleichsam miteinander erhitzet / in einem Streich auf die Schönheit zu zueilen / die ihnen auch in beständiger Vergnüglichkeit / tausend Befriedigung schencket / und mit einem ewigen Wohl-seyn beglücket.

Kaum hatte Erothemitis diß Wort geredt / als Polyphilum seine Gedancken schon nach Macarien gezogen. Wie kan doch / dachte er heimlich bey sich selber / etwas besser auf mich und mein Macarien gesagt werden? Freylich / allerschönste Macarie! bist du innen und aussen schön. Dein Verstand würcket freudige Geberden / deine Tugend gebieret die Freundlichkeit / daher deine lieb-winckende Augen / deine scham-beröhtete Wangen / und dein lächlender Mund / in solcher Herrlichkeit / pranget. Was kan auch mich artiger treffen? der ich / so bald ich von deiner Tugend gehöret / freylich nur durch Tugend bin entzündet worden / und hernach durch deine erleuchtende Schöne gestärcket / in dem / daß ich die blinde Begierde meiner straff-würdigen Liebe / unter dem Gehorsam meiner Vernunfft hälte. Ach / daß du doch / allerliebstes Kind! hie zugegen wärest / daß diese Erothemitis an dir die Werck zeigen könte / wie sie mir jetzo die Kunst gewiesen: Aber das daren Polyphili Gedancken: die Reden lauteten[216] viel anderst; dann / weil er wuste / daß / bey dem Jungfern-Volck /viel zu erhalten sey / wann man ihnen / ohne Aufhören / die Posaune des Lobs blase / nahm er diese Gelegenheit auch damals in acht / und rühmete ihren Verstand und Weißheit dermassen / daß er nie geglaubet / in einer Weibs-Person / die von männiglich vor gering-verständig gehalten würden / dergleichen zu finden.

Indessen führete sie ihn weiter / da zunächst etliche Weibs-Personen nacheinander stunden / deren erste gestaltet / als eine Jungfrau / in der ersten Blüth ihrer mannbaren Jahre / mit aufgeheiterter Stirn / und röthlichten Wangen / bunt gekleidet / in der Hand habend ein Zettel / mit dieser Inschrifft: die Jugend. Dieser folgte eine andere Weibs-Person mit lebhafftem Angesicht / starcken Gliedmassen / umhüllet mit einem zarten Schleyer / und an der Gütel tragend / den Namen der Gesundheit. Nach dieser war zu sehen ein stoltzes Weib in Königlichen Kleidern / güldenen Ketten / allerhand kostbaren Edelgesteinen / Perlen /Cronen / und d. g. nächst einem vollen Geld-Kasten /die ihren Namen / mit den güldenen Buchstaben / in der Hand fassete: der Reichthum. Nach allem dem erschien ein Jüngling / mit einem Fucker in der Hand /auch mit Würffeln / Karten / Bretspiel / Lauten / Geigen und andern Musicalischen Instrumenten / die vor ihm auf dem Tisch lagen / wol versehen / und dieser war der Müssiggang. Zu letzt zeigete sich das Liebes-Kind / mit einem Bogen / Köcher und Pfeilen / und schertzte mit der Abbildung der Schönheit. Von diesen begehrte Polyphilus auch Bericht: welchen ihm Erothemitis / mit folgenden Worten / ertheilte.[217]

Edler Polyphile! die Liebe / dadurch das menschliche Hertz brennet / wird theils durch andere / theils durch uns selbst entzündet. Die jetzt erklärte Bildnussen der Schönheit / können mit allem Recht die Waffen genennet werden / so uns von aussen bestreiten: aber / was wir hie sehen / das würcket unser eigen Schuld. Die Jugend / Gesundheit / Reichthum und der Müssiggang können / nicht unrecht / das Stamm-Register derselben genennet werden / weil sie durch diese bescheret / ernehret und vermehret wird. Je frischer die Jugend / je stärcker die Lieb. Was solt auf einem dürren Baum wohlschmäckende Frucht wachsen; oder mag auch eine dürre Wiese Graß tragen? Liebe erfordert frische Hertzen / und einen freudigen Muht: der ist in einem Alten nicht zu finden. Liebe ist brünstig: wo mag man aber eine Brunst finden in einem kalten Hertzen: Aber die Jugend brennet in einem steten Feuer. Und das will diß erste Bild / daß die Liebe der Jugend / nicht aber dem Alter / wol anstehe. Und trag ich keinen Zweifel zusagen / daß ein Alter gar nicht lieben könne / oder ja gefährlich. Ja ich zeuge selber wider einen Alten / der über die Liebe klagen wolte / daß er falsche Zeugnus wider sich selber führe. Dann ein Alter hasset mehr / als er liebet; ist nicht verbuhlet / sondern vernarret; nicht ein Frauen-Diener / sondern ein Todtengräber / und vielmehr unlustig / als wollustig zu nennen. Einig die Jugend stehet in frischem Flor. Ein Alter soll mehr folgen der Glocken / die zum Hauß ausleutet / als der winckenden Jungfrauen zum eingehen. Was Lusts erreget der Alte / kan er auch die Lauten rühren? die Hände sind zu steiff; kan er auf Violen[218] streichen? die Finger sind zu matt; kan er auch bewegliche Gesänge dichten? das Gedächtnus ist verlohren. Kan er auch die Gassen auf und nieder rennen? die Füsse wancken: Aber die Jugend dichtet / singet / spielet / und stifftet alle Lust. Was hat der Alte / das ihn beliebt mache? wo sind die hochgespitzte Schuh? Er müste darauf den Halß brechen: wo die Gold-gezierte gelbliche Haarlocken / die die Glatzen bedecken? sie sind verlohren. Wo das Hütlein mit den Galantery Bändlein? Es ist vergessen. Wo der köstliche gespitzte Kragen? er ist zerrissen. Wo die performirte Handschuh? sie sind zu theuer. Wo die allamode Kleidung / welche der Liebsten Farben fürtragen? sie ist ihm verdächtig. Wo ein Politischer Rock? er stehet ihm nicht an. Wo ein verguldeter Degen? er ist verrostet; und in Summa / was der Liebsten soll einen Lust erwecken / das ist nicht da. Wie solt denn ein solcher lieben? oder wie solt er von andern können geliebet werden? meines theils muß ich selber bekennen / daß ich lieber vor einem solchen weit lauffen / als nur ein wenig stehen wolte. Zwar ists nicht ohne / daß bißweilen einem Alten der Bart gestutzet / und das Maul gewässert wird / durch etwa einen freundlichen Blick: aber wer da aufbauet / der leeret seinen Beutel / und fällt endlich in den Koht. Und solte ja dem Alten sein Lieben ein wenig von statten gehen / so hats doch keinen rechtschaffenen Ausgang. Dann entweder wird er verspottet / von seiner Liebsten / oder sie wird betrogen. So fern sie in sein Begehren williget / ists in Warheit übel angeleget: wofern sie aber bey ihm thut / was man einem Alten billich thun soll / wird er sich betrogen befinden / und sie wird[219] ihm die Federn rupffen: wo ist aber alsdann eine warme Liebe?

Das ist / gedachte Polyphilus / ein artlicher Discurs / von einer Jungfer / und wünschte / dergleichen mehr zu hören; aus welchen Ursachen er dann ihre Rede mit diesen beantwortete: Verständige Jungfrau! so viel ich vernehme / seyd ihr denen Alten gewiß nicht gewogen? Nein / sprach sie / ein Polyphilus ist mir lieber / als tausend solcher. Darauf er mit lachendem Mund antwortete: wie aber / wann Polyphili Haut schon verkaufft wäre? Aber verzeihet mir /sprach er ferner / daß ich einige Frag thun darff: warum verwerffet ihr die Alten / aus solchen Ursachen / die doch in Warheit auch manche Jungfer und Jung-Gesellen / deren Jahr noch blühen / würden verwerfflich machen? Wie mancher tapfferer Liebs-Werber wird von dem Hochmuth einer stoltzen Damen verworffen? Wie viel abgeführte Damen / die nirgend schöner / als in ihrem eigenen Spiegel; nirgend beliebter / als in ihrem falschen Dünckel sind / werden hinwieder mit gleicher Müntz bezahlet? Vieler Kundschafft wird von vielen begehret / nicht Liebe zu suchen / welche bey dergleichen auch übel angeleget würde / sondern sich mit ihrer Verachtung nur zu erlustigen. Und solche / wie klug sie auch sind / mercken doch nicht / daß ihr solche Höflichkeit / mehr der Ergötzung / als Liebe wegen / erzeiget werde: Das bleibet gewiß / wie sie durch ihr tägliches Aufnehmen / und tägliches Verstossen andere schertzen / also werden sie wiederum geschertzet. Geschicht das nun an der grünenden Jugend / was wollen wir dem verdorrten Alter vor Ubel haben.[220]

Das laß ich / sprach Erothemitis / eine jedwede vor sich verantworten / mir ists zu widerlegen zu schwer. Wir wollen in unserm Werck weiter gehen / damit uns die Zeit nicht zu wenig werde. Diß ander Bild / welches / wie die Schrifft weiset / die Gesundheit ist; dann auch das dritte / der Reichthum / mit dem Vierdten / dem Müssiggang / stifften die Liebe: nicht zwar /als eigentliche Werckmeister / sondern als die vornehmste Urheber. Dann kein Krancker wird sich leichtlich verlieben / viel weniger der da bettelt / auch der nicht / welcher zu schaffen hat. Wiewol man auch / im krancken Leibe gesunde Liebe findet; aber erhalten / nicht erworben: auch unter den Armen liebet einer den andern / aber nicht brünstig / sondern verruckt. Und die Arbeitsame pflegen ihrer Lust; aber mit offtmaliger Verhindernus. Mit dem schertzet diß Liebes-Kind am allerliebsten und besten / der / durch keine Mattigkeit der Glieder / an der Gegen-Liebe verhindert; durch keinen Mangel an Geld / von der Lust-Vollbringung abgehalten: durch keine wichtige Geschäffts-Verhindernussen / von der offtmaligen Besuchung verrucket wird. Und das ist der Stamm und Ursprung der Liebe: die aber / so die Liebes-Lust üben wollen / sollen sich erinnern / bey der Jugend /ihrer Künheit / daß sie nicht durch einen Abschlag sich schrecken lassen; bey der Gesundheit / ihrer Verharrung / daß sie beständig lieben; bey dem Müssiggang / ihrer schuldigen Pflicht; und bey dem Reichthumb / daß er an Geschencken nichts erspare.

Polyphilus nahm alles wohl in acht / und da sie ferner giengen / daß sie gegen dem Liebes-Knaben stunden / sagte Erothemitis / daß / wer so weit gelange /schon bestricket liege / und von dem Knaben /[221] der Hoffnung zugeschicket würde: welche gerad gegen über auf einer Marmor-Seulen zu sehen / in Gestalt einer holdseligen Jungfrauen / welche mit einem Blumen-Crantz gekrönet / grün bekleidet / und den Liebes-Knaben in den Armen haltend / von ihrer Brust säugete: ohne Zweiffel deutet diese / sprach Polyphilus / daß die Hoffnung die Lieb nehre / und / vor ihre Betrübnüsse / den Trost zurichte. Ja / sagte Erothemitis / wann diese nicht manche Begierde stillete / manche Furcht dämpffete / und in mancher Widerwertigkeit tröstete / müsten ihrer viel / unter dem Liebes-Joch / vergehen. So lang aber diese die Mühe mindert / die Gefahr besieget / die Arbeit überwindet / die Schwachheit verstärcket / die Krafft verneuert / im Trauer-Stand ergötzet: so lang kan auch unser Hertz sich beglücket schätzen. Wie aber / sagte Polyphilus /wann diß alles versieget? So sehet ihr / antwortete Erothemitis / dort die Gedult. Diese war / durch ein weinendes Weib / gebildet / sitzend in den Dornen /schlecht bekleidet / und ein Joch auf dem Halse tragend / um welches sie die Arm geschlungen. Dieser /erinnerte Erothemitis weiter / gleichen sich alle die /so ohne Hoffnung leben / welches Leben ist der Tod.

Polyphilus / dem ein jedwedes dieser Wort / gleich einem Donnerschlag / das Hertz rührete / indem ihm eben damit seine Hoffnung / die er auf Macarien gesetzt / und zugleich die Gedult / so er in dieser Verleitung tragen muste / erkläret wurde / nahm seine Tafel / stellet sich / als wolt er diß aufzeichnen / setzete aber folgende Beschreibung seiner Hoffnung und Gedult / zu seinem Trost.
[222]

Alles ist an Gottes Segen

Und an seiner Gnad gelegen:

Die ist über Geld und Gut:

Wer auf Gott die Hoffnung setzet /

kan behalten unverletzet

einen freyen Helden-Muht.


2. Meinem Gott will ich vertrauen /

und allein auf Tugend bauen /

die da bleibet und besteht;

Ich will treu-beständig lieben /

und mich über nichts betrüben /

es mag gehen / wie es geht.


3. Gott / der mich bißher ernehret /

und so manches Glück bescheret /

ist und bleibet ewig mein:

Der so wunderlich regieret /

der mich liebet / der mich führet /

wird hinfort mein Helffer seyn.


4. Viel bemühen sich um Sachen /

die nur Sorg und Unruh machen /

auch gar unbeständig seyn:

Ich begehr nach dem zu ringen /

das Vergnügen könne bringen /

ohne falsch-verblümten Schein.


5. Hoffnung muß das Hertz erquicken /

was ich wünsche / wird sich schicken /

wann es anders Gott gefällt:

Meine Liebe / Leib und Leben /

und mich / hab ich Gott ergeben /

Ihm ist alles heimgestellt.


6. Er weiß schon / nach seinem Willen /

mein Verlangen zu erfüllen /

es hat alles seine Zeit:[223]

Ich hab ihm nichts vorzuschreiben /

freyen / oder frey zu bleiben /

wann Er will / bin ich bereit.


7. Soll ich länger einsam leben /

will ich Gott nicht widerstreben /

ich verlasse mich auf Ihn:

Ihm ich folge / der mich führet /

weil ich nie kein Creutz gespüret /

wann ich Ihm gefolget bin.


Unter währender Verfertigung / oder vielmehr Nachahmung / dieses sonst bekandten Gedichts / giengen sie etzliche Schritt fort / und da sie sich zur rechten Seiten / gegen den Morgen stelleten / ersahen sie ein Kind / das entblöset / geflügelt / an Augen und Ohren verbunden / und mit Bogen und Pfeilen gewapnet /einen Feuer-Köcher in der Hand führete. Hinter selbigem vernahmen sie noch zwey andere Gesichter / zu beyden Seiten / wiewol sie diese / wegen der Weite /nicht erkennen konten. Da sie aber näher hinzu tratten / befanden sie / auf der Rechten / eine weiß-bekleidete Weibs-Person / welche in der Rechten hatte ein Siegel / und mit der Lincken auf einen Hund deutete / der zu ihren Füssen lag: Auf der andern Seiten ersahen sie einen Jüngling / mit entblöster Stirn /daran die Wort zu lesen:


Ich bin bereit:


und eröffnetem Hertzen / darinnen er / mit dem Finger / diese Wort zeigete:


In Freud und Leid:


Dann endlich mit einem groben Kittel bekleidet / an dessen eusserstem Brem / diese Wort verworffen:

Zu jeder Zeit,


Polyphilus mochte wol etwas erachten / wohin[224] diese Figur zielte / aber der völlige Verstand war ihm verschlossen. Deßwegen er der Jungfer winckete / denselben zu ertheilen / welche folgender Gestalt fortfuhr: Diß Kind bedeutet die Liebe / und ist die Erklärung desselben mancherley. Dann wie ein Unterschied ist unter der keuschen und unkeuschen Liebe: also müssen wir solche in diesem Bild beobachten. Was die nicht-ziemende Liebe betrifft / können wir / durch die Kindheit dieses Knabens / den wenigen Verstand der Verliebten erkennen / welcher denen kindischen Entschliessungen am allergleichesten ist. Die Blösse /weiset den Verlust zeitlicher Güter / welche / mit dem Wachsthum der Liebe / immer mehr und mehr verringert werden und verwelcken. Die Flügel zeigen die Unbeständigkeit der Verliebten / die ihren Sinn bald hin bald her / bald aus und ein fliehen lassen / daß allerdings wahr sey / was jener Poet gesungen:


Wies einem Tanben-hauß sonst öffters pflegt zu gehen /

So lassen diese Sinn das Aus und Ein geschehen.


Die verbundene Augen und Ohren zeigen theils die Verstockung der Sinnen; daß es wiederum bey manchem / mit jenem Poeten heisset:


Kein Sinn der ist an mir / der unverrücket blieb /

Ich sey / ich hör / ich riech / ich schmäck / ich fühle Lieb:


Theils / daß die Liebe ein blinder Führer sey / und gar leicht in die Gruben stürtze / so ihr folgen / auch keine Hülff-Bitte erhöre noch errette: sondern sie den Schmertzen quälen lasse / welchen die brennende Kertzen / in ihnen angezündet. Und diß ist das verzehrende Gifft / die Verblendung der Sinne / die Verwirrung des Verstandes / die Zerrüttung des Gemüths / die Schul der Sünden / die Vergessenheit[225] des Guten / die Wurtzel des Bösen. Die Mörderin der Tugend / und Ernehrerin der Laster. Die Befehdung der Ehre / und Erwerberin der Schande. Das Ende der Hoffnung / und Anfang der Verzweifflung. Die Seuche des Alters / und Anstoß der Jugend: die wir sonst / in gemein / die Liebe nennen. Welche völlig zu beschreiben / vor der Menge ihrer Laster-Namen /die Unmüglichkeit nicht gestattet. Jener Poet zwar hat keinen Fleiß gesparet / wann er sie in folgendem Gedichte / auf die Frag:


Sag doch / was ist die Liebe:


mit dieser Antwort vorstellet:


Ein Band vereinter Hertzen.

Ein übersüsses Gifft.

Ein angenehmer Schmertzen.

Ein Pfeil / der leichtlich trifft.

Ein Werck / so Menschen mehret.

Ein frischer freyer Muht.

Ein Spiel / das sich verkehret.

Ein angefeurtes Blut.

Ein Last / die leicht zu tragen.

Ein angenehmes Kind.

Ein Trauren nach behagen.

Ein Strick / der Freyer bind.

Ein blind-verfinstert Wesen.

Ein helle Freuden-Nacht.

Ein Buch / mit Lust zu lesen.

Ein schön und schneller Pracht.

Ein Marck / die Reu zu kauffen.

Ein kluger Unverstand.

Ein Weg / der schnell zu lauffen.

Ein spaterloschner Brand.


Fast auf gleichem Schlag / versetzte Polyphilus /[226] hab auch ich mir einsten gefallen lassen / ihre Würde zu beschreiben / da ich / die Zeit zu kürtzen / mich fragte / mir antwortete:


Was ist die Liebe? Nichts: wie kan sie uns denn quälen?

sie muß ja etwas seyn: was denn? ey / ohn verhelen /

sag ich: sie alles ist: wer ist vergnügt mit ihr?

sie ist es / und doch nicht: das ist unmüglich schier /

Ich weiß es / was sie ist: was dann? es ist das Prangen

der hochgezierten Zierd. Es ist ein bloß Verlangen /

nach dem / das man nicht siht. Bekommt mans zu Gesicht /

so ist es eine Furcht / die will / und darff doch nicht.

Ein stets unruher Geist / ein hoffen und ein harren /

ein Ertz-Betriegerin / der Klugen mehr / als Narren.

Ein bitter-süsses Kraut / ein wunder Hertzens-Dieb /

das ist das süsse Thun / das sonsten heist die Lieb.

Und wo sind Wörter gnug / sie völlig zu beschreiben?

wo diese Dichter-Kunst / die dennoch reich / wolt bleiben?

da mich die grosse Meng / gantz arm / an Worten macht /

indem sie selber mich / mit ihrem Lob / verlacht.

Weint sie / so wein ich mit. Wo soll ich Seufftzer nehmen /

die dieses Hertzens-Weh / und unerhörte Grämen /

zur Gnüge sprechen aus? Es ist ein Seelen-Tod /

vergraben in der Grufft / der falschen Hoffnung-Spott.

Sie ist ein Schaden-froh; ein Band betrübter Hertzen /

die Mutter des Betrugs; ein angenehmer Schmertzen /

Zerrüttung des Gemüths; ein Pfeil / der immer trifft /

ein Spiel / das sich verkehrt / ein Zucker-süsses Gifft.

Die Quell des Unverstands; die Wurtzel alles Bösen.

ein bindender Gewalt / der leicht nicht ist zu lösen.

ein Herold falscher Lust; ein Dienst in Tyranney;

Ein Myrrhen-bittres Froh; ein Kugel-rundes Frey.

Ein voller Laster-Wind; ein Trauren nach Behagen /

nach Lachen ein Geheul; vor jauchtzen / nach verzagen.

Ein bald-gewandtes Blat / ein Gallen-süsser Safft /

ein Jubel ohne Lust / ein Rathschluß ohne Krafft.

Ein helle Finsternuß / ein dunckel-helles Wesen /

ein Schlaff / doch ohne Schlaff; ein Buch / das offt zu lesen /

am meisten bey der Nacht / und unsrer Sinnen Liecht /

wann die Gedancken-Post die süsse Ruhe bricht.[227]

Was mehr? sie ist ein Marck / die bittre Reu zu kauffen.

Ein ungebahnter Weg / ohn Ende durch zu lauffen:

ein Stachel überall / und eine Dornen-Bahn.

ein Stein-besätes Land / da man stöst immer an.

Ein stets-erneutes Leid / ein Sorgen-Werck der Schwachen /

dem Narren eine Lust / dem Klugen Schmertzen-Sachen /

Ein Bläßlein voller Winds / so hinfleucht / wie ein Rauch

und wann man es ergreifft / zergeht es / wie ein Hauch.

Ein Kummer-voller Trost ist sie / und eine Bürde /

bald leicht / bald wid schwer; bald schand / bald eine Würde /

ein Lust-gestohlner Traum / und eine Schmertzen-Wach /

ja! daß ichs kurtz beschließ / ein lauters Weh und Ach.


Erothemitis hörete diesem eine Weile zu / und ließ ihr die Erzehlung nicht übel gefallen: doch merckete sie leicht / daß Polyphili Mund und Hertz nicht zusammen stimme / sondern in der höchsten Brunst der Liebe / dieselbe zu schelten suche / damit er nicht /durch deren Lob / oder Vertheidigung / vor verliebt angesehen werde. Deßwegen sie ihm auch diese Freyheit gerne zuließ / und seine Rede in allem billichte /ja so gar verstärckete / daß sie bejahete / es können die Laster einer verderbten Liebe nicht gnugsam gescholten werden / ob schon alle die Nahmen / damit wir sonsten das Böse zu benennen pflegen / auf einmal zusammen gehäuffet / und dieser geschändeten Lust aufgeleget würden. Darum / sprach sie ferner /ist das alles / obs etwas geredt / noch lang nicht gnug / was ihr auch geredt. Ich meines Theils könte hinzusetzen / daß sie sey eine Eitelkeit / die belustige; eine Belustigung / die entfliehe; eine Flucht / die betrübe; eine Betrübnuß / die erfreue; eine Freude / die verführe; eine Verführung / die verderbe; ein Verderben / das erquicke; eine Erquickung / die ertöde; ein Tod / der da lebe / und ein Leben / das immer sterbe. Andere / die noch weiter sinnen / haben sie schon[228] vor dem eine Bemüssigung der Müssigen / einen Irrthum der Irrenden / einen Traum der Traumenden / und eine Wach der Wachenden genennet / vielleicht die Unendlichkeit ihres Nahmens dadurch an zudeuten. Je länger ich sinne / je mehr mir beyfällt: Ich nennete sie vielmehr eine Wache der Träumenden / und einen Traum der Wachenden. Ja ich setzte hinzu / daß sie vor eine Hoffnung / die Betrüge; vor einen Wahn / der im Zweiffel stehe; vor eine Ruh / die ermüdet; vor einen Verdruß / der uns beliebet; vor eine Bezauberung / die verstellet; vor einen Irrgarten / der verwirret; vor einen Frieden / daraus Krieg entstehen; und vor eine Treu / die wie leicht in Untreu verstellet werden kan / zu halten. Sehen wir die mancherley Sorten der Menschen an / so kan sie einem unsichtbaren Soldaten nicht übel verglichen werden / der die Männer mit dem Pfeil / die Weiber mit dem Brand / die Thier mit dem Bogen bestreitet. Sie kan nicht unrecht einem freygebigen Geitzhalse verglichen werden / als die reichlich giebet / mit Wucher wieder einzunehmen. Einem sehend-blinden / der durch die leiblichen Augen / die Augen des Verstands verlieret Einem betrüglichen Hoffmann / der alle / die sich anmelden /mit falscher Hoffnung zur Gedult weiset: Einem einfältigen Klügling / der sich einer Blödigkeit anmasset / seine Meuchel-List auszuwürcken: Einem verrähterischen Fuchsschwäntzer / der mit guten Worten böse Werck auswürcket: Und endlich / einem gefährlichen Artzt / welcher die Narren klug / die Klugen zu Narren machet.

Polyphilus hörete dieser sinnlichen Rede eine gute Weil zu / und verwunderte sich über den Verstand Erothemitis / welche diese Benahmungen[229] dergestalt nach einander hervor brachte / daß tausend geschworen hätten / sie hätte darauf studieret: wie dann auch wol glaublich war. Da sie aber noch weiter reden wolte / fiel ihr Polyphilus in die Wort / mit Vermelden / daß er zur Gnüge verstanden / was diese schandhaffte Liebe vor Gifft bey sich führe: verlange also auch zu erfahren / was dann die lobwürdige Liebe vor Ehren-Titul führe / und wie diß Bild auf jene zu ziehen.

Diese betreffend / versetzte Erothemitis / ist sie so hoch zu rühmen / als jene zu schänden: so hoch zu erheben / als jene zu stürtzen: so mächtig zu lieben / als jene zu hassen: ja / so eiferig und brünstig zu verlangen / als jene zu fliehen. Es wird aber auch selbige durch die Kindheit gedeutet / weil sie nicht nur die Jugend erfrischet / sondern so gar auch das Alter verjünget / und gleich denen holdselig-beliebten Kindern /bey männiglich angenehm machet. Die Blösse zeiget die natürliche Schönheit / welche keiner Bedeckung benöthiget / weil sie keinen Mangel zu verbergen: oder auch / daß unter den Verliebten / nichts heimlich soll gehalten werden / sondern einer dem andern /auch die allerinnerste Hertzens-Gedancken eröffnen. Die Flügel bemercken die hohen Gedancken / die sich offt über alle Himmel / ja / wol gar über tausenderley Unmüglichkeiten schwingen: Die Blindheit / einen solchen Sinn / der von allen andern abgewendet / der Geliebten sich allein traue / und durch keine fremde Schönheit / sich blenden lasse: Der Brand oder Feuer-Köcher entzündet die liebliche und löbliche Gedancken / welche auf nichts anderst gerichtet / als Verstand und Tugend. Der Waffen aber gebrauchet sich die Liebe[230] wider ihre Verächter / als die / wegen ihres Hochmuths und Widerwillens billich zu straffen /indem sie sich der gebührlichen und fast nötigen Lust entziehen / bloß darum / daß sie bey männiglich ein lieb-befreytes Leben rühmen können: Oder auch wider ihre Beschuldiger / die sie bald einer Tyranney /bald wider / als unbeständig / auch wol gar eines Betrugs anklagen: welche sie in Warheit nicht so gar ungestraffet ausgehen lässt. Diese ist einig die belobte und ruhmwürdige Lieb / welche von der Vernunfft regieret / ihren Fuß auf den Grund der innerlichen Schönheit gesetzet / die nicht mit den Zähnen wurmstichig / mit den Haaren greiß / mit der Stirn geruntzet / mit den Wangen bleich / mit den Augen trieffend / mit den Kräfften schwach / und mit dem Alter krafftloß wird: sondern je frischer / je länger sie dauret; je gesünder / je matter das Hertz; je schöner / je verruntzelter der Leib. Sie ist lieblich / von Anfang /biß zu End: ohne End herrlich / nützlich und mächtig zu allen Zeiten. Sie achtet nicht den Reichthum: sie fürchtet nicht die Armuth: sie ehret keinen König; verachtet nicht den Geringern / befördert das Gute /hintertreibet das Böse; verdienet keine Straff / und förchtet doch keinen Tod. Sie ist beständig / und lässet sich nicht vertreiben / sie scheuet kein Feuer / und förchtet nicht die Wasser. Sie achtet keinen Degen /und fliehet nicht die wilden Thier. Ihren Vorsatz kan weder die Hoffnung bessers Glücks / noch einiger Verlust der Wolfahrt zerstören. Was andere meyden /das verachtet sie; und was andern schwer düncket /das ist ihr Kinderspiel. Sie schwimmet durch die Tieffe des Meers / segelt im Ungewitter / achtet nicht der Lebens-Gefahr / und[231] bestreitet die Fluthen. Sie gewinnet die Felsen / durchsuchet die Wildnussen / und klettert über alle Berge; und diß alles aus einem Muth der Tugend und Verlangen der Künste. Sie ist eine Dienstbarkeit / aber so frey und angenehm / daß ihr alle Freyheit aufzuopffern / weil allein in ihr ein freyes Leben zu finden. Sie herschet über alle Furcht und Noht; erhält ihre Freyheit unbeleidiget. Daher sie auch nur von edlen Gemüthern / und nicht mit Aufwarten / Flehen / Weinen und Fußfallen will bedienet werden. Dann sie beherrschet nicht Knechtische Hertzen. Sie wird geführet von der Vernunfft / welche denen äusserlichen Sinnen / sonderlich den Augen /als denen unachtsamen und verführten Thürhütern /welche zum öfftern allerhand falsche Meinungen zu dem Gemüthe einlassen / einen Zaum anleget / den Muth bricht / und durch ihren Verstand von der äusserlichen Schöne / auf die innerliche / welche allein der Ursprung ist derselben / leitet. Sie hält die Begierde gefangen / und gestattet der Liebe freyen Paß: weil diese auf die Schönheit / jene aber auf die Wollust gegründet. Sie hat allenthalben Ober-Hand / allen zu gebieten / niemand zu dienen. Was sie bestricken will /kan sie mit der Schärffe einen freyen Entschliessung von sich stossen / und was ihr entgehen will / kan sie mit dem Zaum der Vernunfft anhalten. Sie hält dem Glücke die Waag / und gebietet dem Ungestümm der Zeiten. Sie bereichert den Segen / und verwehret den Schaden. Sie pflantzet den Frieden / und rottet aus die Uneinigkeit. Sie vergnüget die Sinne / und leeret die Begierde. Sie machet verständig / und verbindet die Thorheit. Sie ist nutzlich / und bringet kein Verderben. Sie tröstet[232] im Leiden / und vermehret die Freud. Sie lachet der Sorgen / und widerstehet dem Unglück. Sie bindet die Hertzen / und stürtzet den Widerwillen. Sie machet reich / und vertreibet die Armuth. Ja / was soll ich mehr sagen? Sie ist eine Gebährerin des Guten / eine Zerstörerin des Bösen. Dem Leidenden ein Trost; dem Freudigen eine Liebe: dem Schwachen eine Starcke / und dem Starcken eine Freude. Dem Hungerigen eine Ersättigung / und dem Ersättigten eine Lust. Eine Ergötzung der Betrübten / den frölichen Gewissen eine Ruh. Und mit einem Wort / eine solche Liebe / da zwey Hertzen / durch Vernunfft und Tugend / verbunden sind / ist ein Himmelreich voll Freuden und Vergnügung. Da ist kein Leid / weil kein Schaden vorhanden. Kein Mangel / weil sie gnug haben / wann sie sich haben. Kein Verlangen / weil sie mit ihnen selber vergnüget. Keine Forcht / weil sie sicher lieben. Keine Unruh / weil sie sich nicht verstören lassen. Kein Mißtrauen / weil sie einerley Hertz / in zweyen Leibern / tragen. Kein Wandel /weil sie auf dem unbeweglichen Tugend-Felsen bestehen. Keine Feindschafft / weil ihr Hertz einig / und mit dem Band der Liebe verknüpffet ist. Auch kein Mißtrauen / weil all ihr Sinnen ein Sinnen / ihr Wollen ein Wollen / ihr Wünschen ein Wünschen / ihr Reden ein Reden / ihr Thaten ein Thaten ist. Kürtzer zu fassen / diese Liebe / so aus der Zufriedenheit und Einigkeit gewürcket / ist das Band und Pfand einer glückseligen Ehe. Diese kan nicht anderst bestehen /als wann die Zuneigung / so wol an einem / als anderm Theil / sich aus der Tugend / nach der Tugend sehnet. Ziehet man aber ein Band / mit gleichen Kräfften / an beyden Enden / wie mag es[233] härter gebunden und verknüpffet werden? das ists geredt / Verstand und Tugend ist die innerliche Schönheit / welche einen derselben Liebhaber / mit solcher Vergnüglichkeit / in die Liebe führet / daß er getreu und beständig / nicht nur erfreuter Weise lieben kan / sondern auch in Ewigkeit nicht wancken / solten gleich alle Unglück und Widerwertigkeit auf ihn zustürmen. Nicht durch Mangel an Geld und Gut: dann ihre Liebe ist nicht darauf gebauet. Nicht durch Verlust der Ehren / dann ihre Liebe hat solche nie verlanget /viel weniger gehoffet. Nicht durch die hinfallende Schönheit: dann diese achtet sie nicht. Auch nicht durch Mangel anderer Gegen-Liebe / die auch auf solche äusserliche Eitelkeiten gebauet: dann dadurch wird sie viel mehr gestärcket / weil ihre Werbung bloß eine solche Gegen-Gunst verlanget / die ausser Gold und Ehr / auch vergänglicher Schönheit / einig durch Tugend und Verstand erworben / und erhalten wird. Und das darum / weil sie weiß / daß ein solche Neigung / so das Laster des Geitzes oder der Ehrsucht zu sich ziehet / nachgehender Zeit mercklich pflege zu erkalten; deßgleichen auch die Brunst / welche durch die geschmückte Schönheit entzündet: diese aber /welche sich auf die Schönheit des Verstands / und den Reichthum der Tugend beziehe / werde mit zuwachsenden Jahren / auch vielmehr zu-als abnehmen. Wo aber die Liebe nicht aus dieser Wurtzel entsprossen /da ist der Ehstand mehr eine Viehische Wollust / und ein beharrlicher Verdruß / als ein alltägliches Wohlleben der Verliebten zu nennen. Hingegen / wann selbige auf diesen Grund erbauet ist / da ist / biß in die Grube / Fried und Glück / auch unter denen / die ungleiches Alters /[234] ja ungleicher Stände sind. Es kan das erbleichte Alter die Tugend nicht schänden / viel minder die graue Haar den Verstand zernichten. Und ist die blosse Unmüglichkeit / daß die Person nicht angenehm und lieblich sey / welche mit solchen Gaben gezieret / die dem einig gefallen / der sie lieben soll. Ja /es ist unmüglich / daß die Person nicht auch im höchsten Alter schön sey / und lieb-würdig / welche die Tugend zieret / und der Verstand krönet / oder zum wenigsten so schön / daß man sie nicht heßlich nen nen könne. Und muß auf solche Art auch die aller älteste der Jüngste lieben / wann er anderst Tugend liebt. Dann gleichwie ein Mensch / der einen Verstand hat / nicht das Gemähl / sondern die Kunst; nicht die Pflantze / sondern die Frucht; nicht die Blume / sondern den Geruch; nicht die Nuß / sondern den Kern / und den Spiegel wegen des Gegen-Bildes liebet und hoch hält: also auch der Verstand- und Tugend-liebende / will er anderst diesen herrlichen Namen nicht verlieren / rühmet und liebet / so wol in einer äusserlich schönen / als nicht so schönen; nicht die Gestalt / nicht das Gemähl / nicht den Spiegel: sondern die verborgene Schönheit des Gemüths / und in dem Gemüth die Schönheit dessen / von dem sie hergerühret / nemlich / die Frucht der Tugend / und den Kern des Verstands. Und so beschaffene Liebe /ist die rechte treue und beständige Liebe; die eyfert nicht / suchet nicht eigenen Nutzen / treibet nicht Muthwillen / ist nicht verführisch / dultet alles / ist freundlich / erträglich / wolthätig / sanfftmütig / nicht murrisch / nicht frech / nicht unersättlich / und mit einem Wort / eine beständige Gefälligkeit: wie im Gegen-Satz die Liebe anderer zufälligen und hinfälligen[235] Sachen / eine beständige Mißfälligkeit mit gutem Recht kan genennet werden.

Was hätte Polyphilum mehr befriedigen können /als dieser Unterricht? mit Verwunderung sahe er die Erothemitis an / weil er solche Weißheit nicht in ihr gesuchet: hätte auch gern länger zugehöret / wann sie nicht der Zeit vor dißmal gehorsamen müssen / welche wider ihr Verhoffen dahin floß. Deßwegen dann Erothemitis selbst abbrechen / und folgend / aber mit kurtzen Worten / die zwey andere Bildnussen zu erklären folgender Art fortfahren muste: Wann wir nun /edler Polyphile! diß Kind / durch die rechtschaffene tugend-werbende Liebe / deuten / und durch unsre Begierde verlangen / wird solcher unser Gewinn / von der Treu und Beständigkeit aller Orten begleitet: welches diese Bildnussen anzeigen / durch welche zu der Rechten die Treu / zu der Lincken aber die Beständigkeit vorgezeiget wird. Dann die weisse Kleidung /deutet ein aufrichtiges Hertz; das Siegel / ist das Zeichen der Geheimnus und Verschwiegenheit; der Hund / welcher nach dem Zeugnus der Natur-kündiger / das getreueste Thier ist / die unverruckte Beharrlichkeit und treue Aufsicht. Der Jüngling aber zur Lincken bewähret die grünende Tugend / die er mit entblöster Stirn bekennet / und in einem eröffneten Hertzen zeiget / auch endlich durch den groben Kittel / in der That erweiset / wie die Inschrifften selber lehren / und ich nicht völliger anjetzo erklären kan /mit welchem Wort sie Abschied nahm / und nach empfangenem Gegen-Danck / sich wieder zu der Königin verfügte.[236]

Quelle:
Maria Katharina Stockfleth: Die Kunst- und Tugend-gezierte Macarie, 2 Bände, Band 1, Nürnberg 1669, S. 206-237.
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