Dritter Absatz

[494] Beschreibet / wie Agapistus / dem ruckwendenden Polyphilo / entgegen gefahren / ihn zu empfangen /und wie Atychintida / durch die Liebs-Erzehlung der Phormenä / erzürnet / dem Agapisto Befehl ertheilet /Polyphilum von Macarien abzuwenden / auch wie sich Agapistus / in diesem / verhalten? Lehret[494] den vierdten Anstoß der Tugend-liebenden / nemlich Mißgunst.


So lassen wir nun Polyphilum in seinen bekümmerten Gedancken fahren / und eilen / vor ihm hin / zum Agapisto / zu sehen / was der machet. Er verbrachte seine Zeit / in der Gesellschafft der Königin / und Erwartung Polyphili. Alle Stund wurden ihm zu lang /weil er Polyphilum nicht sahe / doch vergönnete er ihm gern die Zeit seiner Verweilung / weil er wohl errathen konte / es würde Polyphilo wohl gehen. Er hatte auch von Atychintida / wiewol ungewiß / vernommen / daß Polyphilus Macarien liebe / und stärckete ihn nicht wenig / in dieser Einbildung / seine belobte und beliebte Reden / die er / nie ohne sondern Eyfer / von Macarien geführet. Diese Gedancken beredeten Agapistum / daß er ihm fürnahm / Polyphilo entgegen / und auf Soletten zuzueilen / damit er aus der Gegenwart Polyphili und Macarien erkenne / ob ihm Polyphilus seine Lieb verhälet. Setzete sich derohalben auch zu Schlitten / und nahm den Sohn Melopharmis mit sich / vorgebend / er wolle ein wenig spatzieren fahren. Die Königin war leicht überredt /weil sie ihr nicht einbildete / daß Agapistus auf Soletten zuzufahren entschlossen: Erinnerte doch / daß sich Agapistus wohl in acht nehme / damit er keinen Schaden leide / sonderlich / weil er das verfluchte Pferd (so waren der Königin Wort) wieder angeschirrt /welches so wohl Polyphilum / als eben Agapistum selbsten zu Fall gebracht. Aber Agapistus war etwas verwegen / und wolte heut erweisen / daß er wohl ein Pferd bendigen könne /[495] dielleicht Polyphilum zu sch mpffen: Allein er muste gleiche Widerwertigkeit erfahren / dann ob er morgens früh sich aufmachte / und Polyphilum gar wohl hätte bey Macarien antreffen können / verhinderte ihn doch / das ungezähmte Roß /so sehr / daß er den gantzen Tag / mit seiner Fuhr /vertragen muste / die er in zwo Stunden hätte verrichten können. Denn er auch nicht den halben Weg auf Soletten hinter sich gelegt / als ihm Polyphilus mit Phormena entgegen kam.

Den Kuß / damit sie einander zu empfangen gewohnet / verwehrete die Furcht / es möchten / wenn sie abstiegen / und sich hertzten / die Pferde durchgehen / bevor da das Roß Agapisti erschröcklich schnaubete / und mächtig wütete. Darum Agapistus /den Gruß / mit folgenden Worten erklingen ließ: Glück zu Polyphilo / und Freude seinen Gedancken! deme Polyphilus / die Antwort / mit einem Gegen-Gruß / versetzte. Und Agapistus: was macht Macarie: wie lebt Talypsidamus? Ist Psychitrechis noch gesund? Polyphilus: sie leben alle wol / und lassen Agapistum grüssen / tragen Verlangen / ihn mit nächsten zu sehen. Auch Talypsidamus und Psychitrechis /überschicken Agapisto den schuldigen Danck / vor seine beschehene Hülff und Errettung: wünschen / mit nächsten Gelegenheit zu haben / selbigen gegenwärtig abzulegen / und mit angenehmer Bedienung / zu erwidern. Sind auch sehr bekümmert / daß er / durch ihre Befreyung / in so schwere Bedrangnus gerathen /dafür sie sich ewig verpflichtet bekennen. Denn (das wir jetzt erinnern müssen) es hatte Polyphilus / so bald er zu Talypsidamo / und seiner vertrauten Psychitrechis kommen[496] / den gantzen Handel / was sich mit Agapisto begeben / erzehlet / deßwegen sie theils erschrocken / theils erfreuet / Agapistum zu sehen wünscheten / auch Polyphilum ersuchten / einer gelegenen Zeit zu befehlen / die ihn auf Soletten bringe; Das er mit einem Ja-Wort versprochen.

Agapistus / nachdem er alles das von Polyphilo vernommen / bedanckte sich des guten Willens / und bekräfftigte den Wunsch / mit seinem Verlangen; das er aber dißmal nicht erfüllen konte / darum er wieder zu ruck / und mit Polyphilo / gen Sophoxenien / fahren muste. So bald sie dahin kommen / und abgestiegen waren / führete Polyphilus Phormenam / die Gesandtin / zur Atychintida / mit schuldigem Gehorsam /die sondere Gnad zu erwidern versprechende / die ihn zu den Führer Phormenœ erwählet. Die Königin konte der Zeit kaum erwarten / daß Polyphilus ausgeredt / alsbald sie anfieng / Polyphilum und Phormenam um Macarien zu fragen / deren Polyphilus antwortete / den Bericht wolle er der Phormena überlassen / die in allem / die Warheit bekennen werde: und damit nahm er Urlaub / und eilete zum Agapisto / der allbereit / in seinem Zimmer / Polyphilum erwartete.

Wir wollen aber erst melden / was Phormena mit der Königin geredt. Der Anfang ihrer Rede / war das Lob Macarie / und das Ende war Wunder. Sie erzehlete alles das / was sich begeben / und wie sie sich /über die Herrlichkeit Macarien / nicht gnug wundern könne. Sie berichtete die verständige Reden / die sie so wohl in weltlichen / als himmlischen Dingen geführet. Sie preisete ihre Höflichkeit und Zucht; auch die Wunder-schöne Sitten /[497] die sie / aus der Menschen Zahl / in den Himmel versetze / und der Welt zum Wunder-Bild vorstelle. Mit einem Wort / die hochgezierte Macarie / sey die einige / deren vor allen Kunst-und Tugend-liebenden Damen / so viel deren unter der Sonnen leben / mit Recht / der Name einer Göttin und Beherscherin der Kunst und Tugend / gegeben werde. Polyphilus aber / fieng Phormena ferner an /ist allein bey Macarien gewesen / und so viel ich mercken kan / muß er sie hertzlich lieben / weil er seine Pein / auch in meiner Gegenwart / nicht verbergen können: so hat sich / im Gegentheil / Macarie nicht unfreundlich geberdet / so gar / daß sie ihm vergönnet / die gantze Tisch-Zeit / ihrer beliebenden Hände zu geniessen / und ist das liebwinckende Augenspiel /ein offener Zeuge / eines Gunst-brennenden Hertzens /gewesen.

Diese Rede machte die Königin voller Eyfer / voller Mißgunst; dieses zwar wegen des Ruhms Macarien / jenes aber wegen Polyphili / den sie vielleicht selber gern geliebet hätte. Doch ließ sie sich gegen Phormenam nichtsmercken / beschloß aber / die Verhindernus dieser Liebe / dergestalt zu befördern / daß Polyphilus Macarien nicht mehr sehen solle. Ach! elender Polyphile! soll deine Freud so bald zerstöret /und deine Ruh so zeitig vernichtet werden? Soll Polyphilus Macarien nicht mehr sehen / so muß er sterben: was will Atychintida dann lieben? Solte sie nicht zu frieden seyn / daß er bey ihr wohne / und sich täglich mit ihm erlustigen könne? Aber das war der Neid /welcher solche Wurtzeln / in ihrem verboßtem Sinn /gewonnen / daß er nicht konte ausgerottet werden: wofern er sich nicht selber noch verzehren wird.[498]

So lassen wir sie nun in ihrer heimlichen Boßheit /und sehen / was Polyphilus und Agapistus gethan. Dieses Frag und jenes Antwort / war von Macarien. Polyphilus erzehlte alles / wie es ergangen / und was er genossen / auch / wie er nicht zweiffele / es werde /nach dieser Zeit / sein Wunsch also erfüllet werden /daß er sich / in dem Schoß seiner hertzgeliebten Macarien / wisse / wie er sie allbereit in dem Seinen ruhen lassen.

Nun wuste Agapistus / was Polyphilum nach Soletten gezogen / deßwegen er sich mit ihm freuete / und nichts mehr wünschete / als daß seinen Wunsch die Götter beseeligen / und durch keine Verhindernus / zu ruck halten wollen. Erbot sich auch willig in allem zu dienen / und dem Polyphilo in seinem Vornehmen /behülfflich zu seyn. Dessen sich Polyphilus bedanckte / und nichts mehr begehrte / als daß er stets mit ihm von Macarien reden wolle / dann er darinnen eine Linderung seiner Pein / und eine Versüssung seiner verbitterten Schmertzen suchete: allein er verstärckete vielmehr seine Noth / und erregte / durch solche betrügliche Freud / dem Hertzen / desto brünstiger Verlangen / das hernach nicht anderst / als in eine hefftige Passion konte verwandelt werden. Gleichwol erwählte er ihm die Erinnerung seiner Macarien / solte auch sein Hertz / vor Verlangen / bersten. Darum Agapistus allerhand Fragen ersinnete / allerhand Liebs-Geschicht erzehlte / und auf Macarien deutete / bloß Polyphilum / den der Schmertzen des grossen Verlusts /in die höchste Bekümmernus / versenckete / zu trösten. Sie blieben auch in dieser angenehmen Unterredung / biß die Königin Agapistum zu sich fordern[499] ließ / da er Polyphilum allein lassen muste / und hören / was deren Befehl seyn würde.

Diese / nachdem sie den Gruß Agapisti / mit gnädigem Danck / angenommen / fieng sie folgender Gestalt an: Edler Agapiste! die Aufrichtigkeit eures Gemüths / so ihr uns / in vielen / erwiesen / zwinget mich eurer Verschwiegenheit etwas zu vertrauen / daß ich keinem andern trauen darff. Ich weiß / daß ihr Polyphilum hertzlich liebt / und er ist werth / daß er geliebet werde / darum werdet ihr auch für se ne Wolthat sorgen. Ich vernehme / daß Polyphilus Macarien liebe / und um ihre Gunst zu bitten / diese Reise verrichtet / die er auch unschwer erhalten. Nun sehe ich /und erkenne / daß / wann Polyphilus in diesem Beginnen fort fähret / wird er sich / in diesen noch jungen Jahren / alles Glücks und künfftigen Ehr entziehen. Deßwegen bitte ich euch / durch die Liebe Polyphili /ihr wollet / Krafft dessen / daß ihr viel bey ihm vermöget / sein Glück befördern / und ihn warnen / vor dem künfftigen Unglück: widriges Falls ich gezwungen werde / weil ich schuldig bin / sein Bestes zu befördern / dasselbe mit Gewalt zu verwehren / was mein geneigtes Hertz / mit heimlichen Verbot / widerrathen wollen. Bemuhet euch / Agapiste! so viel ihr könnet / saget aber nicht / daß ich solches gebeten /oder vielmehr befohlen / sondern versuchet eure Kräffte / mit freundlicher Erinnerung / dafern solche auch etwas richten werden / sollet ihr an der reichen Vergeltung nicht zweiflen: besondern euch versichert halten / daß ich diesen Dienst / mit Königlicher Gnade / versetzen werde.

Agapistus konte kaum ein Wort antworten / so erschröckte ihn die Rede der Königin / denn er gedachte[500] / folge ich diesem Befehl / so verdiene ich bey Polyphilo Feindschaft / erhalt ich aber jenen Freund /werde ich bey der Königin / mit Polyphilo / in gleichem Haß bestehen. Doch gieng ihm die Freundschafft Polyphili für alles. Daher er die Rede der Konigin / mit diesen Worten / beantwortete: Durchleuchtigste Königin! die Mannigfaltigkeit der Guts-Erzeigung / so mich zu deren Gehorsam verbinden / solte mich billich zwingen / in allem / dero Befehl unwidersprechlich zu folgen: allein in einer solchen Sach / die den besten meiner Freunde einen unersätzlichen Schaden / und E. M. keinen Nutzen bringet / wird mich das Verbindnus der Treue / so ich mit Polyphilo aufgerichtet / allerdings entschuldigen / wann ich nicht Folge leiste. Dann so viel ich von Macarien gehöret /hat sich Polyphilus / den Seeligsten / unter dem Sonnen-Liecht / zu schätzen / dafern er ihrer Gewogenheit geniessen kan / dann er eine solche Dame liebet / die männiglich / wegen ihrer Tugend und Verstand / lieben muß. Darum ich E. M. vor Polyphilum bitte / dafern sie ihm einen Gnaden-Blick des Glückes gönnen will / sie wolle seinen Vorsatz / mit ihrem Widerwillen / nicht hindern / sondern / so viel möglich / befördern / weil wir allesamt durch Polyphilum beglücket und erfreuet leben werden.

Mit was ergrimmten Eyfer Atychintida diese Vertheidigung Polyphili anhörete / geben folgende Wort gnug zu erkennen / da sie anfieng: So habt ihr euch auch dem Polyphilo verschworen / sein Verderben zu befördern? Wie dörffet ihr euch unterstehen / die Treu / damit ihr euch ihm verbunden bekennet / so hoch gegen mir zu rühmen / die ich doch erfahre / daß sie mehr ein blosser Schein ist / und eine[501] falsche angestrichene Heucheley / in dem ihr mehr zu seinem Verderben / als Bestem / zu helffen geneigt seyd. Fordert das die Pflicht eures Versprechens / daß / dafern ihr Polyphilum / von einem Unglück / befreyen könnet / ihr euch dessen entziehet? Aber / ihr haltet das vor kein Unglück? Sehet an / den Stand Polyphili /bedencket seine Jugend / behertziget sein Gemüth /und was künfftig aus ihm werden könne / das stellet euch vor die Augen. Um wieviel kan er seine Kunst verstärcken / wann er bey uns bleibt / und unsre Tempel fleissig durchsuchet? Um wieviel kan er seine Tugend vermehren / wann er noch andere Länder und fremder Völcker Sitten und Gebräuche durchsiehet? Um wie viel kan er seine Ehr / seinen Ruhm / seinen Namen erheben / und aller Orten kündig machen /wann er seine Kunst / die sich kaum angefangen / verstärcket / und seine Tugend / die in der ersten Blüt ist / zu völligem Wachsthum kommen lässet? Bleibt er aber in der Liebe Macarien / so bleibt er in einer unvollkommenen Weißheit / unvollkommenen Tugend / unvollkommenen Ehre. Welchen unwiederbringlichen Schaden / er nachmals / mit Thränen / beklagen wird. Zwar ist er ausser aller Schuld / dann seine Jugend lässt ihm das nicht bedencken / aber die mitteln Jahre / werden dem Alter / die spate Reu kläglich zu beweinen geben. Ihr wisset wohl / Agapiste! daß Polyphilus einen hohen Sinn / und Ehr-begieriges Gemüth hat / das nicht leiden kan / noch sich drucken lassen. Ihr wisset / daß er aller Orten gerne geehret /und andern vorgezogen ist: welches er auch wol erhalten könte: allein / wann er in der Solettischen Finsternus verborgen ligt / wer wird ihn erheben / und wer wird ihn ehren /[502] wann er die zuwachsende Jahre /nicht gleich auch / mit dem Wachsthum der Weißheit und Tugend / beehret. Darum seyd nochmaln gebetten / edler Agapiste! um der Ehr / und des Glücks Polyphili willen / ihn von diesem Vorsatz abzulencken /und seinen Wolstand besser zu beobachten: Ich verspreche euch / daß nicht nur Atychintida / sondern Polyphilus selbst / euren Dienst / mit grossem Danck /erkennen werden.

Was solte Agapistus thun? Er sahe / daß er nichts richten würde / und wurde ihm die Versuchung zu schwer / darum er alsobald bey sich gedachte / er wolle es dem Polyphilo offenbahren / wie es ihm die Königin vertrauet; seyn die Gründe warhafftig / werde Polyphilus sich schon besser besinnen / sey es aber /aus falschem Hertzen / geredt / behalte er doch freyen Willen / zu folgen / oder zu widerstreben: deßwegen versprach er der Königin / weil die Sache so gestaltet wäre / wolle er freylich alles versuchen / was zu Verbesserung seines Vornehmens taugen würde. Bat auch um gnädige Verzeihung / daß er sich vorher so widerwillig erzeiget / weil solches die schuldige Pflicht / so ihn Polyphilo verbunden / erheischet. Nach dem redeten sie ferner von andern Begebenheiten / die wir hie nicht erzehlen wollen / sondern sehen / was indessen Polyphilus in seinem Zimmer gethan.

Quelle:
Maria Katharina Stockfleth: Die Kunst- und Tugend-gezierte Macarie, 2 Bände, Band 1, Nürnberg 1669, S. 494-503.
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