Achter Absatz

[380] Gespräche des Polyphilus / Agapistus und Schireno / mit dem Gitildo und Damatus / in des Vinellio Garten / von dem Wasser / von der Arbeit /von den Blumen / von der genüglichen Zufriedenheit /und wahren Glückseeligkeit.


So bald die Mittags-Malzeit vorbey war / kamen Gitildo und Damatus / zweyen Schäfere des Ortes / und brachten dem Polyphilus und Agapistus einen Gruß vom Vinellius / mit Bitte / sie möchten ihm zu gut halten / daß er sie diesen Tag nicht ehren könte: und wolte er deßwegen / wann sie ihn morgen besuchten /sich selbst entschuldigen. Polyphilus bedankte sich gar höflich / vor so geneigtes Anbringen / und sagte: daß diese Entschuldigung vor Dienere zu hoch sey /und wurden sie sich überflüssig vergnügt befinden /wann nur ihnen Vinellius / nach seiner Weile / eine Aufwartung erlauben würde. Hierauf baten jene / sie möchten sich gefallen lassen / zu kürtzung der Zeitweile / weil es ein schöner Tag war / in ihres Vorstehers Vinellio Garten zu spaziren: welches sie bewilligten / und ihnen nachfolgten. Sie befanden den Garten von solcher Lieblichkeit / daß sie nicht wusten /wohm sie am ersten die Augen wenden solten. Die or dentlich-gesezte Bäume / die ungemeine Schönheit[380] der Blumen / die zierlich-gebaute Gallerien / und die Menge der Fremden Gewächse / gaben dem Gesichte und Geruch gnug zu arbeiten. Sonderlich aber ergezten sie sich / weil es etwas heiß / bey einem künstlichen Spring-Brunnen / dessen Crystalline Feuchtigkeit / sich durch etliche Röhren in die Höhe hebte /und mit einer Kugel spielte.

Sie sezten sich / der Kühle des Wassers zu geniessen / und die Kunst des Brunnes zu betrachten / auf den dabey stehen den / grün-bewachsenen Bühel / und begunten die Tugend und Nutzbarkeit des Wassers zu loben: als welche viel grösser / als daß sie zubeschreiben / und so notwendig / daß wir / ohne dasselbe /kaum einen Tag würden leben können. Freylich /(sagte Polyphilus) würden wir bald zu grund gehen /wann wir eine Zeitlang des Wassers beraubt wären: welches doch ihrer wenig erkennen. Dann bey solchem Uberfluß der Bäche und Brunnen / kan man der Armseligkeit nicht warnehmen / welche von deren Mangel entspringen würde. Es ist nichts / in und an uns / das nicht des Wassers vonnöten habe. Man möchte wol dieses Geschöpfe / wie es das erste und meiste / auch wol das vornemste in diesem sichtbaren Welt-Gebäude / nennen. Ja / ich gläube / daß die göttliche Weißheit und Allmacht in keinen Element / als in diesen / sich verwunderlicher mache. Ist es nicht verwunderbar / daß das von Wasser gebaute Wolken-Dach / am Himmel über uns schwebet / und doch nicht herab fället: da doch nichts weicher ist / als das Wasser / und nichts dünner / dann die Luft / welche man / nicht allein nicht greiffen / sondern auch nicht sehen kan. Kommen wir auf die Erde / so[381] ist eben so grosses Wunder / daß derselben übergrosse Last das Wasser zum grunde hat / auf welchem sie / wider alle ihre Natur / als ein leichter Balle daher schwimmet /und nicht untersinket: da doch ein kleines Steinlein /wann es hinein geworffen wird / zu Grund gehet.

Und was sagen wir von dem Meer selbsten? welches so viel Wunder / als Wellen mit sich führet. Ist es nicht ein Wunder / daß diese Versamlung der Wasser so ordentlich ab- und zu fliesset / daß es nicht aus seinen Schranken tritt / und ob es gleich noch so ungestümm tobet / dennoch die Gräntze / welche ihm die Ordnung des Schöpfers gesetzet / behält / und die Erde nicht verschwemmet. Ich geschweige der unzehlichen Menge der Fische / von welchen diese unergründliche Tieffe wimmelt: deren Grösse und Seltsamkeit nicht kan erforschet / viel weniger beschrieben werden. So ist auch dieses nicht das geringste Wunder / daß das saltzig- und bittere Meer-Wasser /durch die Kraft der Erde also geläutert wird / daß es in süssen und wol-geschmacken Brunnen wieder hervor quillet: wie wir hier dergleichen vor uns haben. Hat also der Poet Pindarus recht gesagt: Lobe nur was dir gefällt! Wasser doch den Preiß behält. Ich muß bekennen / (gab Gitildo zur Antwort /) daß der Himmel / durch die Wasser und Brunnen / herrlich wundert: Massen / wann wir alle Seltenheiten / die / der unerschöpfliche Brunn der höchsten Weißheit und Allmacht / in den Wassern und Brunnen zeiget / erzehlen solten / wir viel Tage darmit zubringen müsten. Wann die Kunst der Natur zu Hülfe komt / wird die Verwunderung noch grösser[382] und ergetzlicher: wie an diesen und andern dergleichen / schönen Brunnen zu sehen / die ausser dem Geruch / fast alle Sinnen erquicken. Das Gesicht / wird durch das Silberhelle fliessen; das Gehör / durch das anmutige Rauschen; der Geschmack / durch das süsse Trinken; und die Empfindung / durch die allerlieblichste Kühlung /sonderlich bey warmen Wetter / treflich gelabet. Nur ist zu betauren / daß die Zubereitung solcher Brunnen / so viel Mühe kostet / und man diese Lust mit so viel Arbeit und Kosten zu wege bringen muß.

Was haben wir (versezte Polyphilus) in dieser Eitelkeit / ohne die Arbeit. Nicht nur die Lust / sondern auch die Notturft / muß durch die Arbeit erlanget werden. Dieser Bissen Brod / und dieses Glas Wein / so hier vor uns stehet / können wir nicht ohne viel Mühe geniessen. Wie manchen sauren Schweiß muß der Ackermann / der Schnitter / der Drescher / der Müller /der Becker / der Weinhecker / der Kelterer / der Fuhrman / und viel andere / von der Stirn wischen / ehe wir das vor uns sehen? Und dieses ist bloß Brod / und Wein. Je köstlicher die Kost / je mehr Arbeit sie auch erfordert: und muß man manchmal ganz Indien durchreisen / und mit Gefahr Leibs und Lebens Gewürtze und Zucker heraus holen / ehe man eine Speise auf die Tafel bringet. Was soll ich sagen / von den Kleidern? Das Hemd / so wir am Leib tragen / wird durch so viel Mühe verfertiget / daß das Frauenzimmer etliche zwanzig Arbeiten zehlet / ehe es ein Hemd kan heissen. Zu geschweigen der andern Kleider / an welchen oftmals so viel Handwerker und Künstler arbeiten. Dann es ist nicht[383] genug / daß uns die Thiere ihre Häute / die Schafe ihre Wolle / die Kamele und Biber ihre Haare / und die Seiden-Würmer ihre gespünst geben: sondern man durchgräbet auch die Erde / und suchet Gold und Silber; man waget sich in das Meer /und holet die theure Perlen und die Farbe des Purpurs; man schiffet in die Insuln / und bringet köstliche Steine: damit ja die Hoffärtigen zu prangen / und die Menschen zu arbeiten bekommen. So ist auch die Weißheit und Kunst selber / die doch etwas Göttliches zeiget / nicht ohne Arbeit zuerlangen / sondern wird mit vieler Mühe ergriffen. Wieviel Schulen muß man durch-lernen / wie viel Schriften muß man durchlesen / wie viel Papier muß man füllen / und wie viel Fragen muß man beantworten / ehe man den Namen eines Gelehrten erlanget! Wiewol / durch solchen Titul / die Arbeit nit gemindert / sondern nur gehäuffet wird.

Was ist aber die Ursach / (fragte Gitildo) daß man alles so mühsam erwerben muß? hätte uns nicht der Schöpfer / Speise und Kleider / Wissenschaft und Klugkeit / ohne so viel Arbeit / verschaffen können? Freylich hätte er es thun können / (sagte Polyphilus) wann er nicht die Arbeit vor nötig und nützlicher ersehen hätte: daher er sie allen seinen Geschöpfen auferleget. Dann es wird nichts ohne Arbeit / weder im Himmel noch auf Erden / gefunden. Auch die Engel haben ihre Geschäfte / dadurch sie GOtt ehren / und den Menschen dienen. Sonne / Mond / und Sterne /treibrn ihren Lauf und ihre Wirkung unermüdet. Die Elemente unter dem Himmel / die so wol leblose als lebendige Geschöpfe / arbeiten in der Ordnung[384] / darein sie der Schöpfer gesezt. GOtt will in der Natur nichts müssiges haben: sondern / wie er selber für und für wirket / also sollen auch seine Creaturen / ohne unterlaß / ihre Geschäfte haben. Dann der Müssiggang / ist eine Mutter und Säugamme aller Laster. Wie die stehende Wasser Schlamm und Unflat geben / also bringet der Müssiggang Schande und Unglück. Ja es hänget der Diebstal / auf gewisse Maß / an dem Müssiggang: Dann ob gleich ein Müssiggänger einem andern das Seinige nicht nimmet / so bestilt er doch das gemeine Wesen / indem er ihm den Dienst und den Nutzen entziehet / welchen er leisten könte. GOtt hat uns Leib und Seele gegeben / nicht /daß wir sie feyren und schlaffen lassen / sondern daß wir damit arbeiten / und unsere Sinne / Vernunft und Glieder gebrauchen sollen. So sind auch / Weißheit /Verstand / Geschicklichkeit / Stärke / Reichtum / und dergleichen Güter / uns nicht nur zu unserm Nutzen /sondern GOtt zu Ehren / und den Menschen zu dienen / geschenket; welches auch die Heyden erkennet /und daher gesaget: Niemand sey ihme allein / sondern zu des Höchsten Ruhm / und des Vaterlaudes Nutzen / in die Welt gebohren. So dienet auch die Arbeit nicht wenig zur Gesundheit: weil dadurch der Verstand geschärffet / das Gemüt ermuntert / und die Gliedmassen hurtiger gemacht werden. Die Arbeit /machet die Speise wolgeschmack / die Zeit kurtz und den Schlaff süsse. Die Arbeit / vermehret die Güter /vergrössert die Ehre / und wehret der Sünde. Ja sie befördert die Erkentnüs / und das Lob Gottes: dann aus der künstlichen Arbeit der Menschen / wird die Herrlichkeit[385] dessen / der ihren Verstand erschaffen /erkennt und gepreiset. Demnach soll niemand / der zu arbeiten einige Kräfte hat / sich dieser nützlichen und nötigen Ordnung entziehen.

Es scheinet wol / (sagte hierauf Gitildo) aus diesem Lobspruch der Arbeit / daß Polyphilus derselben fleißig gedient / und nun bald den Lohn erwartet. Aber /wo wird unsre Gesellschaft bleiben? wir wollen gehen und vernehmen / was auch sie vor Unterredung haben. Hiermit stunden sie auf / willens sich zu den andern zu verfügen. Es hatten aber dieselben indessen / mit Beschauung des Blumwerkes / sich ergetzet / und die vielerlry fremde Gewächse beobachtet. Jezt ist die Zeit / (sagte Agapistus) da die Erde ihren Blumen-Pracht treibet / und den Himmel mit seinen Sternen zu trotzen beginnet. Dem ist also! sagte Damatus. Die Göttin Flora / machet sich je länger je herrlicher / und bekommet / durch Erzielung so vieler neuer Gewächse und Blumen / immer mehr Anbetere.

Wol recht / (versezte Agapistus) nennet er Anbetere / welche die vergängliche Blumen mehr / als deren Erschaffern / verehren und bedienen. Es ist zwar die Garten-Lust sehr ergetzlich / und wol wehrt / daß sie von edlen und hohen Gemütern beliebet werde. Dann was ist süsser / als wann man / von der Sorge und Arbeit ermüdet / seine Ruhe in den Freuden-vollen Gärten suchet / und unter den kühlen Schatten der lieblich-blühendem Bäume / die verwunderliche Schönheit der Blumen betrachtet / aus derselben unterschiedlichem Geruch / Farbe und Gestalt / die Weißheit / Allmacht und Güte Gottes erkennet / und den offnen Himmel /[386] mit dem ganzen Chor der Lust-Sän ger / deßwegen lobet? Aber man tritt hierinn meist aus den schranken / dienet den Geschöpfen mehr als dem Schöpfer / und machet die Gärten zu abscheulichen Tempeln: indem mancher mehr Geld auf Blumen und fremde Gewächse / als etwan auf den Gottesdienst und die Armuht verwendet; auch mehr trauret /wann er einer Blume beraubt wird / als wann er GOtt erzürnet / oder den Nächsten beleidigt. Es solte uns billig jede Blume eine Staffel seyn / daran auf zu steigen / und aus so herrlichen Geschöpfen uns den himmlischen Werkmeister erkennen machen. Sie solten uns auch ein Spiegel seyn / unsre Gebrechlichkeit / Hinfälligkeit / und Sterblichkeit zu betrachten. Aber wir thun gerad das Widerspiel / und gebrauchen die Blumen zu Werkzeugen der Hoffart und Eitelkeit. Viel klüger handeln die jenigen / welche der Gärten und Blumen zu einer mässigen Lust und Ruhe gebrauchen: darneben aber bedacht sind / wie sie vielmehr den Garten ihres Gemüts mit den Blumen der Tugenden auszieren mögen; welche den Samen der Unsterblichkeit tragen / und auch in dem strengsten Winter herrlich blühen. Wir Schäfere / lassen den Städten ihre stoltze Gärten / und vergnügen uns mit der Lust / so die Natur ohne Bemühung reichet. Die grüne Tapezerey des Feldes / samt dem Purpur der Violen / und andere Blumen / ergetzen uns mehr /weder die theure Gewächse der kostbar-erbauten Gärten.

In dm sie dieses redten / kame Githilto mit dem Polyphilus / und fragte: von was sie so eifrig sprachten? Wir haben (antw. Schirenus) die[387] Blumen betrachtet: deren Mißbrauch Agapistus tadelt / und hingegen rühmet / daß er / bey seinen gemeinen Feld-Blumen / in höchster Vergnügung lebe. Solte Agapistus (versezte Githildo) bey seiner Hirten-Lust so vergnügt leben /daß ihm ganz nichts fehlet? das wäre wider die Natur der Menschen / die eine stete Unvergnüglichkeit bey sich führen / und nimmermehr mit ihren Glücke zu frieden sind / sondern allezeit etwas finden / das ihnen verdrießlich ist / und etwas wünschen / das ihnen mangelt. So gar auch die Allerreichsten / die Allermächtigsten / die Allerglückseeligsten / hören nicht auf zu wünschen / daß sie mögen noch reicher / mächtiger und glückseeliger werden: dann die Natur heget eine unersättliche Begierde. Wann ich schon / (widerredte Agapistus) an einem der jezt benanten Stücke oder sonst Mangel leide / so kan doch solcher Mangel meine Vergnügung nicht hintern.

Was soll dieses für eine Vergnügung seyn / (fragte Githildo) die noch einigen Mangel empfindet? Weil durch den Uberfluß / (versezte Agapistus) die Begierde nicht aufgehoben wird / wie mein wehrter Githildo iezt erwehnet / und auch die Reichsten / die Herrlichsten und Glückseeligsten / nicht aufhören zu hoffen /zu wünschen / und zu suchen: so kan hingegen auch /von dem Mangel / die Vergnügung nicht umgestossen werden / und der Allerärmste / der Allerverachteste /der Allerunseeligste nichts weiter hoffen / wünschen und suchen. Dann die Vergnügung / bestehet nicht in Menge der Güter / sondern in der Zufriedenheit des Gemütes / die man / ohne so viel Gezeugs / erlangen kan. Was nutzet grosser Reichtum / als / die Sorge[388] zu vermehren? Die Natur fordert Speise und Kleider: und dieser Notturft kan mich der Reichtum nicht entbinden / noch der Hirtenstand mir selbige versagen. Hätte ich aller Welt Güter / so könte ich mich doch nicht so satt essen / daß mich nicht wieder hungern solte. Ich könte auch nicht mehr essen / als ein Armer: dann die Natur ist mit wenigen vergnügt / und wird durch den Uberfluß mehr gekränket / als erlustiget. Warum soll ich dann viel begehren / wann ich an Wenigen genug habe? Mancher Geitzhals / sitzet über seinen Registern / und sinnet ängstiglich / wie er seine Güter erhalte und vermehre: da ich indessen / frey von solcher Plage / ein fröliches Schäfer-Liedlein anstimme. Und worzu dienen / grosse Ehren-Stellen und Aemter? werde ich vielleicht dadurch frömmer? gar schwerlich! Ich bleibe wol / wer ich bin / ich habe gleich Diener hinter mir / oder bin selbst ein Diener. Die Tugend glänzet / auch ohne den Purpur. Die Laster aber / lassen sich damit nicht zudecken / sondern werden dadurch nur scheinbarer. Kurtz: alle Güter der Menschen / haben nur den Namen / daß sie Güter seyen / sind aber in der Warheit eine rechte Last / und können das Gemüte nicht ersättigen / sondern vielmehr beschweren.

Was ist dann die Ursach / (sagte Damatus) daß die Menschen diese Güter so hoch verlangen / und dieselben zu erhalten / so viel Mühe / Arbeit und Ungelegenheit erdulten / wann sie davon keine Vergnügung zu hoffen / sondern nur Beschwerung haben sollen? Die Ursach dieses Irrtums / (erwiederte Polyphilus) fliesset her / aus der Unwissenheit / Blind- und Torheit der Menschen: welche die[389] wahre Glückseeligkeit (die billig ein jeder verlanget) in solchen Sachen suchen / da sie am allerwenigsten zu finden ist. Sie fühlen zwar in sich / ein Verlangen nach derhöchsten Vergnügung: aber sie wehlen Irrwege / zu selbiger zu gelangen. Daher suchen sie die Ruhe / (wie ein unruhiger Kranker / der von einen Bette ins andere fliehet) bald in Reichtum / bald in Hoheit / bald in Wollüsten. Aber sie betriegen sich selber / und finden für das Gemüte / in solchen Verwirrungen / keinen Frieden: weil es ja unmüglich / daß die über irrdische Seele / von genießung solcher eitlen Dinge / einen Wolgeschmack empfinden soll. Dann Reichtum / Ehre / Ansehen /und der ganze übrige Kram des Glückes / ist nicht mehr / dann ein Schatten der Glückseeligkeit / welcher dem jenigen die Hand nicht füllet / der nach ihm greiffet; und weil sie ein zertheiltes / unbeständiges /endliches und sehr unvollkommenes Wesen sind /können sie die unendliche und unsterbliche Seele nicht sättigen / sondern nur verunruhigen. Die Seele findet keine Zufriedenheit / sie kehre dann wieder in den Ursprung / davon sie ausgeflossen / und ergreiffe GOtt / dessen Bildnüs sie ist. Dieser allein / ist die Quelle / von welcher alle Glückseelikeit herfliesset /und der Punct / in welchem die untödliche Seele Ruhe findet. Zu diesen Zweck aber zugelangen / ist keine andere Strasse / als der Weg der Weißheit: auf den uns die edle Tugend führet. Diese schönste Begleiterin / lehret uns alles Unvollkommene verachten /Furcht und Hoffnung trotzen / Noht und Unglück besiegen. Diese / machet unsern Geist die Klugheit / unsern Wandel die Gerechtigkeit / unsere[390] Worte die Warheit / unsere Begierden die Mässigkeit / und unser Thun die Beständigkeit ergreiffen. Ja / sie schenket / den warhaftigen Adel / die beständige Güter / die würdigste Hoheit / die reinste Wollust /und führet uns / unverfehlt / zum wahren Gut und zu der höchsten Glückseeligkeit.

Freylich / (sagte Githildo) ist Tugend und Weißheit / mit denen sich nichts vergleichen lässet / der allein-sichere Weg zur Vollkommenheit: wer einmahl darauf gelanget / lässet sich durch keinen Zufall ab wenden oder weiter bewegen / sondern kan mit vergnügter Seelen-Ruhe dieses Weltgetümmel verlachen. Aber wie wenig kommen zu dieser Vollkommenheit? Die meisten / kleben mit ihren Begierden an der Erde / verwickeln ihre Flügel / damit sie sich zu den Sternen schwingen könten / in dem Netz der Wollust /und werden auch mit solchem Garn verstricket und gefangen.

Dergestalt spracheten diese Schäfere / biß die Sonne ihre Pferde zur Tränke zu führen begunte: da sie sämtlich nach Hause giengen / und einander für die gute Gesellschaft dankten. Polyphilus empfohle sich dienstlich an den edlen Vinellius / nahme samt dem Agapistus höflichen Abschied / und folgete dem Schireno nach seiner Behausung. Daselbst war die Abend-Kost schon bereitet / und der Tisch gedecket: welchen mit ihrem Sitze ferner zu bekleiden / Schireno / wie er aller Höflichkeit voll war / sie beyde so zierlich bate / daß ein weniges Weigern die gröste Unhöflichkeit gewesen wäre. Polyphilus hatte kaum den ersten Bissen genossen / als er bereits anfienge zu fragen / und von Schireno zu forschen / ob er / die Besuchung der[391] beyden Schäfere / für eine blosse Beehrung / oder für eine Forschung halten solte? Ich weiß es wol nicht! (sagte Schireno) es könte vielleicht beydes seyn / weil Vinellius an seiner Person zweifelt. Hierauf erzehlte er ihme / was er vorigen Tags mit ihme davon geredt. So muß ich dann (sagte Polyphilus) mich besser in acht nehmen / weil ich sehe / daß ich allbereit verrahten / und auch hier bekant bin. Aus dieser Rede schlosse Schireno / daß des Vinellio Meinung vom Polyphilus wahr seyn müsse / und fienge an / ihn vielmehr / als zuvor / zu ehren. Also wurde auch dieser Abend mit freundlichen Gesprächen beschlossen: worauf man sich allerseits zu Ruhe begeben.

Quelle:
Maria Katharina Stockfleth: Die Kunst- und Tugend-gezierte Macarie, 2 Bände, Band 2, Nürnberg 1673, S. 380-392.
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