Neunter Absatz

[392] Polyphilus bekomt ein Glückwunsch-Schreiben von Macarien / und gehet / mit dem Agapistus zum Vinellio. Ihr Gespräche / von der Sophoxenischen Begebnüs / und von der Gottes-Erkentnüs aus dem Buch der Natur. Sie erhalten den Schutz vom Vinellio; und Polyphilus / vom Schireno bewirtet /macht Kundschaft mit der Carminta: die des Damatus Aufwartungen mit beständiger Härte begegnet. Sein ihr zu Ehren verfasstes Lied / wird von dem ihrigen erwiedert. Sein Unterricht an den Damatus /[392] wie den Schäferinnen eine Gunst zu erlangen sey.


Des folgenden Tags / erwarten beyde Schäfere der Beruffung zum Vinellio: welche etwas langsam erfolgte. Indem sie aber / ihm aufzuwarten / sich färtig machten / kan des Talypsidamus Junge / und brachte dem Polyphilus ein Schreiben / von seiner Liebsten; welches er / so nötig auch seine Verrichtung war / erbrache und so viel daraus vernahme.


Freundlicher Polyphilus!


Nicht nur das Gesetz der Nachfolge / welches mir jederzeit meine Schuldigkeit sorgfältig vorstellet / sondern auch seine höfliche Bitte / zwinget mich / die Ehre seiner Begrüssung / durch dieses kleine Brieflein dankbarlich zuerwiedern / auch / weil es die Zierlichkeit / die er fordert / nicht erreichen kan / solchen Mangel / mit einen getreuen Wunsch zu ersetzen / daß der gnädige Himmel / sein jetziges Vorhaben zu einem glückseeligen und frölichen Ende bringen / und also seiner Widerwertigkeit den Beschluß / hingegen seiner Zufriedenheit den Anfang setzen wolle. Die Zeit wird mir / in Hoffnung seiner Vergnügung / nicht zu lang fallen / solte gleich seine Wiederkunft etwas aufgezogen werden: wann ich nur weiß / daß er sich meiner erinnert. Ob sich aber sein schönes und zierliches Hündlein meine Einsamkeit gefallen lasse / kan ich nicht wissen. Seine Bezeugungen zwar / lassen nicht eine geringe Betrübnüs[393] merken: doch wird er endlich gewohnen müssen. Die Eile des Boten / heisset mich enden. Er wolle indessen / mit seinem Reis-Gesellen / in der Fremde gesund leben / und gewiß glauben / daß ich lebenslang verbleibe /

Seine beständige

Macarie.


Dieses freundliche Brieflein ergezte den Polyphilus dermassen / daß er gedachte / es könte nun seine Verrichtung nicht anderst als wol ablauffen / weil Macarie so viel Glücks dazu wünschte. Er fragte den Jungen: wann er wieder ablauffen wolle? welcher sagte /er hätte von seinem Herrn Befehl / auf ihre wieder heimreise zu warten / damit sie des Wegs nicht verfehlen möchten. So ist dann mein Talypsidamus so sorgfältig? sagte Polyphilus / empfohle ihn des Schireno Leuten / und gienge also fort mit dem Agapistus / dem Vinellio aufzuwarten.

Sie wurden von demselben gar höflich empfangen /worauf ihn Polyphilus mit diesen Worten anredte: Seine Leutseeligkeit / edler und berühmter Vinellio! welche uns diesen Zutritt erlaubet / gibet uns auch die Hoffnung / in diesem kühnen Beginnen Vergebung /und in unserm fernern Anbringen Begünstigung zu erhalten. Wir sind Fremde / und kamen in Brundois /mit dem Vorsatze / die übrige Tage unsers Lebens dem Hirtenstande zu opfern / und also den Wi derwärtigkeiten / die uns ohne Aufhören verfolget / einen Damm zu setzen. Wie wir dann allbereit dazu einen Anfang gemacht / und nur noch den benötigten Schutz /[394] welchen die Brundoischen Schäfere von dem grossen Vinellio geniessen / zu erlangen suchen. Wir bitten demnach dienstlich / uns hiermit zu beseligen: versicherend / daß wir uns jederzeit gegen seinen Befehl gehorsam / und gegen seine Vorsorge dankbar erweisen werden. Wie wir dann hoffen / er werde / edler Vinellio! aus dem Schreiben des Schäfers Cumenus /ein Zeugnüs unsers Wandels und Anbringens verstanden haben.

Ich schätze mich glückselig / (gab Vinellio zur Antwort) daß ich die Ehre habe / mit so liebwürdigen Schäfern bekandt zu werden; vielmehr aber / daß sie gesonnen sind / unter unsern Hirten zu weiden. Dann / wo mich mein Gedächtnis nicht betrüget / und ich den Namen recht behalten / so ist er / wehrter Polyphilus! eben derjenige / welcher das Schloß Sophoxenien von den Fluch erlöset. Ich kan zwar dieses nicht laugnen / (sagte Polyphilus) sehe aber nicht /wie ich deßwegen einigen Vorzug fordern dürfte /weil selbige Handlung / mehr dem Glück / oder vielmehr der Vorsehung des Himmels / als meinem Verdienst beyzumessen. Ich habe von dieser Erlösung (fuhre Vinellio fort) so unterschiedliche Meinungen vernommen / daß ich nichts gewisses davon schliessen kan / und begierig bin / ihn selber hiervon reden zu hören. Was dünket ihn / mein Polyphilus! solte dieser Fluch / und dessen Abwendung / ein dloß Göttliches Wunderwerk seyn? oder ist einige zauberische Verblendung mit unter gelauffen? Polyphilus zoge die Schultern / und sagte: Diese Frage / edler Beschützer! ist so schwer / daß ich viel lieber mich mit der Unwissenheit entschuldigen / als eine gefärliche Antwort ertheilen[395] will. Die Unwissenheit / (versezte Vinellio) kan ihm / als die vornemste Person dieser Handlung /nicht entschuldigen: die Gefahr aber / welche seine aufrichtige Bekentnüs zurück halten könte / hat er von mir / als einem vertrauten und verschwiegnen Freund / nicht zubefürchten. Demnach bitte ich nochmals / mir seine Gedanken hiervon zu eröfnen.

Weil ich (sagte Polyphilus) seinen Befehlen meinen Gehorsam gewidmet / werde ich solchen diesem ersten nicht versagen dörffen: zumal seine Zusage mich versichert / daß ich meine Gedanken ohne Furcht offenbaren werde. Ich gestehe demnach freywillig / daß ich alles / was daselbst vorgelauffen / vor eine bloße Verzauberung halte. Dann Melopharmis ist dieser Kunst überaus erfahren / und hat / durch dieses Probstück / sich und ihren Sohn / zu Erben der königlichen Güter gemacht. So sind auch die Umstände gar zu klar / und kan jeder Vernünftiger dergleichen hiervon mutmassen. Nachdem er hierauf / dem Vinellio /den ganzen Verlauf erzehlet / sagte derselbe: Solcher gestalt / dörfte ich ihm fast Beyfall geben / daß dieses alles Zauberey gewesen. Aber ist dann niemand an dem Hof / der den Betrug merke? und sind die beyde Weißen / Coßmarites und Chlierarcha (die ich sonst vor gar gelehrt und verständig rühmen hören) zugleich mit dem Schloß verzaubert / daß sie der Königin diese Verblendung nicht offenbaren? Die Weißen / (begegnete ihm Polyphlus) sind mit mir gleicher Meinung / haben auch solches / bey der ersten Tafel /nachdem uns das Sonnen-Liecht wieder beleuchtet /der Königin durch allerhand Gespräche[396] / zu vernehmen gegeben / und ihr Vorbringen mit starken Gründen und Beweißtümern behauptet. Weil sie aber gesehen / das Atychintide dem Vorgeben der Melopharmis so verstockt glaubet / und weil sie befürchtet / daß sie / durch weitläuftigere Erklärung / den Grimm dieser Zaubererin wieder sich reitzen / auch dadurch in der Königin Ungnade / und aus ihren hohen Ehrenstellen fallen möchten: als unterlassen sie / vor diese ihre Meinung ferner zu streiten.

Dieses lezte / (erwiederte Vinellio) mag wohl die vornehmste Ursach ihres Stillschweigens seyn. Dann es ist jezt nichts gemeiners / als daß die Furcht / Ehre und Güter zu verlieren / und die Hofnung / selbige zu überkommen / die Grrechtigkeit hemmet / die Warheit unterdrucket / auch wol vernünftigen und sonst-tugendhaften Leuten den Mund schliesset / daß sie Hals-Geschwür bekommen / wie Demosthenes. Dieser wuste erstlich viel wider den grossen Alexander zu reden: Nachdem er aber von ihme ein güldnes Poeal verehrt bekommen / verstummete er / und wiese / auf anfragen üm die Ursache / mit der Hand auf seinen verbundnen Hals; anzeigend / daß dessen Krankheit ihn am Reden hinterte. Wiewol ihm dieser Geitz so übel bekommen / daß er darüber eine zeitlang der Stadt verwiesen worden. Diese Straffe würde heut zu Tag ihrer viele beschimpfen / wann man sie rügen wolte. Aber / wieder auf unser Schloß zu kommen / so bewundere ich nicht unbillig / daß die Kraft der Zauberey so mächtig / und unsre Natur in derselben Erforschung so künstlich ist: da sie doch in andern Dingen so onmächtig / daß sie / ohn ein[397] besonders Liecht der Erkentnüs / fast keine Gottheit finden kan.

Das Wesen und die Eigenschaft der Gottheit / (versezte Polyphilus) erscheinet freylich in dem Liecht der Natur etwas dunkel: das Seyn aber und die Gewißheit derselben / ist so offenbar / daß die ganze Natur / mit allen ihren Werken / davon zeuget. Es ist auch kein Land so verwildet / kein Volk so ungezämt und verblendet / das nicht gestehen muß / es sey etwas über uns / dem alles Untere dienet. Dann wohin sie die Augen wenden / da finden sie über-menschliche Wunder. Erde und Himmel / Berge und Gründe / Flüße und Brunnen / Thiere und Menschen / weisen sie auf ihren Schöpfer. Wer führet den Wagen der güldenen Sonne / auf so richtiger Straße / daß er niemals austritt / oder seine Bahn verlieret / sondern jederzeit das vorgesteckte Ziel erreichet / und nicht müde wird? Wer führet dem hochstehenden Beeren / daß er stehen bleibet / wann die andere untergehen? Wer lehret den Abend-Stern / das Tages-Liecht abzufordern? und den Morgenstern / dasselbe wieder hervor zu bringen? Wer leitet die Demanthelle Augen des Himmels / in so beständig schöner Ordnung / daß sie ihren gewohnten Lauf behalten? Diesen hohen Bewegungen /muß ja eine noch höhere Hand den Anfang geben /den Zügel führen / und die Schranken setzen.

Verlassen wir den Himmel / und beschauen die Elemente wie sich Kälte und Hitze / Naß und Trucken / vereinigen; wie das Feur von Natur in die Höhe eilet / und die Erde zu Boden sinket / gleichwol jenes nicht zu hoch steiget / und diese zu tief fallen kan:[398] So müssen wir gestehen / daß eine hohe Gewalt solche widerwärtige Dinge vereinigen / binden und halten müsse. Kommen wir aus der Luft / auf die Erde / und bedenken derselben Gewächse / Bäume / Blumen /Kräuter und Wurtzeln / ihre Form / Farbe und Wirkung; so haben wir abermal einen Uberweiß der Göttlichkeit. Betrachten wir dann die Thiere / was lauft und kreucht / was schwimmt und fleucht / wie deren jedes / sich zu rechter Zeit paaret / seine Speise und Artzney suchet und geniesset / seine Kleider / als Schuppen / Federn / Haar und Haut / mit sich bringet / auch seine notwendige Schutz-Waffen / als Hörner / Zähne / Klauen und Schnäbel / bey sich träget: So kan niemand sagen / er habe dann verblendte Sinnen / daß dieses alles ungefehr hervor komme und vermehret werde. Wann wir dann endlich uns selbst betrachten / und des Menschen künstlich-gebauten Leib / auch seine mit Vernunft begabte himmlische Seele beschauen: So muß ja ein jeder / der nur noch ein Fünklein reines Verstands übrig hat / frey gestehen: daß jener ein rechtes Meisterstück des Schöpfers / diese aber / ein schöner Spiegel der Göttlichkeit sey. Dergestalt weiset / dieses grosse Buch der Natur /gar eigentlich / den Finger dessen / der es geschrieben. Aber sein Wesen / und den Willen der Gottheit vollkömmlich zubeschreiben / ist unser Verstand allzu unvollkommen.

Welchem ist aber sicherer zu trauen? (fragte Vinellio) der Natur und Vernunft / oder der Offenbarung? Jene leget ihren Beweiß öffentlich vor die Augen /diese hingegen heiset uns auf ein unsichtbares und unbegreifliches bauen. Dieses[399] will den Weltweißen schwer fallen / wie wir an den Aristoteles sehen: welcher lieber nachgeben walte / daß die Welt von Ewigkeit her gewesen / als glauben / daß sie aus nichts erschaffen worden. Ein ander beschuldigt den Mose /daß er viel schreibe und wenig beweise. Solche Unmüglichkeiten finden sich / (sagte Polyphilus) wann man der Vernunft zuviel raum gibet / oder der Offenbarung ermangelt. Dann daß jene / ohne diese / mangelhaft sey / bezeuget das Exempel vor-berührtes und anderer Heyden / die / bey aller ihrer so grossen Vernunft und Geschicklichkeit / dennoch in so schreckliche Irrtüme gerahten / daß sie / nicht allein eine grosse Anzahl Götter erdichtet / sondern auch dieselben mit Lastern beflecket / und sich nicht gescheuet /einem Huren-Jäger / wie dem Jupiter / einer mißgönstigen Zänkerin / wie der Juno / einem listigen Betrieger / wie dem Mercurio / oder / einer unzüchtigen Bestie / wie der Venus / Göttliche Ehre zu erweisen. Hilf Himmel! in welche greuliche Blindheit sind die Menschen gefallen / daß sie verdammte und böse Leute /ja wol gar unflätige Thiere / und den abscheulichen Teufel selber / verehren und anbeten. Hieraus nun sihet man / daß Natur und Vernunft / nicht mehr als einen Schatten der Gottheit / und zwar sehr dunkel /zeigen.

Freylich / (versezte Vinellio) ist die Vernunft ein kleines Fünklein / welches / ohne das Liecht der Offenbarung / leichtlich gar verlischet / und die Menschen in schwarze Finsternüs stürzet. So lang wir auf der Erden bleiben / haben wir an der Vernunft eine sichere Führerin: so bald wir aber höher steigen / müssen wir selbige fahren lassen / weil[400] sie / wegen ihres blöden Gesichtes / auf unbekandten Strassen / leichtlich auf einen Abweg gerätet. Aber wir entfernen uns zu weit von unserm Zweck / und kommen / durch ein weitläuftiges Gespräche / aus den Wege / der sie hieher geführet. Ihre Forderung / meine Freunde! ist der Schutz / vor sie und ihre Heerde: welchen ich ihnen hiemit so willig ertheile / als würdig ich sie dessen erkenne. Dieses einige / bitte ich / mich noch zu berichten / ob sie Gebrüder seyen? Ach nein! (begegnete ihm Agapistus) das Geblüt bindet uns nicht / sondern die Freundschaft: welche mich / durch das Glück meiner Reisen / so fest an den Polyphilus gehäftet / daß ich / üm seiner Gesellschaft zu geniessen / kein Bedenken geeragen / auch den Schäfer-Stand / (wie ungleich er auch meinen vorigen Leben scheinet) zu erwehlen. Vinellio / der aus dieser Antwort etwas vornehmes an ihm ermessen konte / sagte mit freundlichen Worten: diß ist etwas ungemeines / in dieser unfreundlichen Zeit / und wehrt / daß man solche Tugend der beständigen Freundschaft / mit Nachfolge verehre und mit Dank kröne. Seine Höflichkeit / grosser Beschützer! (gab Polyphilus zur Antwort) ist / wie ich sehe / viel grösser / im ertheilen / als unsere Künheit / im Bitten. Wir erkennen uns zwar unwürdig /solcher hohen Begünstigung. Indessen danken wir unterdienstlich / vor so geneigte Gewärung unsres Ansuchens: und bitten ferner / unsre Wenigkeit auch ins künftige seiner vornehmen Gedächtnüs zu würdigen. Sie haben hieran nicht zu zweifeln / (fiel ihnen Vinello in die Rede) und werde ich solches mit dem Werke bekräftigen. Dißmal aber / wünsche ich ihnen eine[401] glückliche Reise und fröliche Ankunft bey ihren Heerden / und bitte / den Cumenus meinet wegen zu grüssen.

Die Schäfere bedankten sich hievor / und nahmen also ihren Abschied: willens / so bald sie nur von Schireno Abschied genommen / nach Soletten fort zu reisen / und Macarien ihre glückliche Verrichtung kund zu machen. Weil aber / das Geschrey von diesen Fremden / allbereit ausgebrochen / als kamen unterschiedliche Schäfere / sie zu besuchen und anzusprechen. Es fiele auch eben ein langwüriges Regenwetter ein / und nötigte sie / ihre Reise zu verschieben. Polyphilus wurde zwar hierüber ungedultig / und beharrte darauf / ungeacht alle Verhinternüs / seine Reise fortzusetzen; wie aus folgenden Zeilen / welche er diesen Abend geschrieben / abzumerken ist.


Wie lange soll die Hinternüs noch währen /

Die meine Reiß gedenket zu verstören?

Ich habe nun / dem Himmel sey gedankt!

Was ich gesucht / ja noch vielmehr / erlangt:

Und dieses solt Macarie nicht erfahren?

Und säum ich mich / es ihr zu offenbaren?

Pfuy des Verzugs! wie bin ich doch so träg!

Bald komt mir diß / bald jenes in den Weg.

Kan dieser wol ein recht-verliebter heissen /

Der / wann er soll zu seiner Sonne reisen /

Noch etwas scheut / das ihm beswerlich fält?

Gefahr und Noht / für Scherz die Liebe hält.

Sie fürchtet nit / durch Glut und Flut zu springen:

Wie soll sie dann / ein blosser Regen zwingen?

Nein! auf und fort! es regne wie es wil:

Den bösen Weg belohnt ein gutes Ziel.[402]

Ich lasse mich nicht länger hier verschliessen.

Macarie muß meine Freude wissen.

Diß wehrte Kind verdienet allen Fleiß /

Und machet leicht die sonsten schwere Reis.


Also fest hatte Polyphilus seinen Vorsatz gefasset. Und die warheit zu bekennen / es ware auch wol nötig: weil / wann er etwas leißer gestanden wäre /ihn eine neue Begebenheit bald hätte umstossen mögen. Dann als er / mit Agapistus / von Schireno Abschied nehmen wolte / und für die Bewirtung Abtrag zu thun begehrte / gabe der lachend zur Antwort: Er hätte noch nie keinen Wirt abgegeben / pflege aber gute Freunde gern nach Vermögen zu bedienen. Dafern sie aber ja seiner geringen Bewirtung eine Vergeltung thun wolten / so würde es diese seyn / wann sie ihnen gefallen liessen / noch diesen Tag bey ihm zu verziehen / und etlichen seiner bekanten Schäfern und Schäferinnen / die er zur Malzeit beruffen / Gesellschaft zu leisten. Wiewol Polyphilus ungern in diß Begehren willigte / so konte er es doch / Höflichkeit halber / seinem Guttäter nicht versagen. Ob wol (sagte er) sein Begehren / freundlicher Schireno! vielmehr einer neuen Schuld sich zu unterwerffen / als die alte abzustatten / gelegenheit gibet / so wollen wir doch / weil er solche Bezahlung selbsten wehlet /nicht dagegen streiten: nur / daß wir alsdann nicht länger aufgehalten werden / weil unsre Heimreise sehr nötig / und ohne das schon zu lang verschoben worden. Ich will (sagte Schireno) nur diesen Tag begehren: vielleicht möchte sich auch heute der Regen legen / daß sie morgen besser Wetter bekommen / wie es sich fast ansehen lässet. Auf diese Zusage verwilligten[403] sie zu bleiben / und brachten die Zeit mit allerhand Gesprächen zu / biß die Mittags-Malzeit herzu kame / da dann unterschiedliche Gäste sich einstellten.

Unter solchen / fande sich auch Carminta / eine von den vornemsten Schäferinnen des Landes Ruthiben /und des Schireno nahe Anverwandtin: Welcher ungemeine Schönheit / Höflichkeit / Tugend / Verstand und Geschicklichkeit / den Polyphilus in nicht geringe Verwunderung brachte; sonderlich / weil diese Gaben / in noch früher Jugend hervor blüheten / und durch eine wolständige Schamhaftigkeit / (die billig ein Schmuck des Frauenzimmers genent wird) grösser gemacht wurden. Er vergleichte sie in vielen Stücken /seiner Macarie: und suchte / weil diese abwesend /mit ihrer Gegenwart / an deren statt / sich zu ergetzen. Wie nun diese Schöne / von allen Schäfern zu Ruthiben bedienet und verehret wurde / also hatte sich sonderlich in sie verliebet / der Schäfer Damatus: welcher ehe dessen unsre Reisende / auf des Vinellio Befehl /besuchet. Er hatte sie lange Zeit mit grosser Höflichkeit und Demut bedienet / konte aber / ausser einer gemeinen Freundlichkeit / nicht die geringste Gegengunst erhalten. Dieses klagte er dem Polyphilus / mit dem er nun etwas bekandter worden / und sagte: Er könne nicht glauben / was unter diesen flammenden Augen / für eine eiskalte Brust verborgen / und was dieses Englische Angesicht / für ein Felsen-hartes Herz bedecke. Polyphilus bewundert solches / und gab zur Antwort: Er könne sich fast nicht einbilden /daß ein Weibsbild / gegen den Bezeugungen eines[404] Höflichen und geschickten Liebhabers / allezeit unempfindlich seyn möge.

Als aber Damatus darauf verharrte / und sagte / er hätte mit seiner Aufwartung / auch die Undankbarkeit selber / zu Mitleiden zu bewegen vermeinet / da aber Carminta ihm noch nicht einen Kuß mit Willen erlaubet: gelüstete den Polyphilus / sein Glück auch an ihr zu versuchen / in Hofnung / es würde ihm / weil er Macarie überwunden / Carminta auch nicht zu starck seyn. Ich will dann sehen / (sagte er zum Damatus) ob diese Schönheit von Marmer / oder von Fleisch gebildet sey: Arbeite ich umsonst / so ist Carminta die erste / die den Waffen des Polyphilus obsieget. Wann ich aber merken werde / daß dieser Diamant beginnet weich zu werden / so will ich den Damatus an meine Stelle beruffen. Dann ich suche hier keine Liebe / sondern nur die Ehre der liebhabenden Schäfere zu erhalten. Agapistus lachte dieses Anschlags / und sagte: Ich möchte mich mit einer Unbeweglichen nicht viel bemühen / und wolte sie immer hin hoffärtig bleiben lassen / auch meine Bedienung an eine Dankbare verwenden. Das gilt gleich viel! (versezte Polyphilus) was nicht bemühet / kan auch wenig erfreuen. Ist nur Damatus damit zu frieden / so will ich diesen Tag versuchen / wie weit ich diese Stoltze bringen kan: und so bald ich warnehme / daß die Besatzung ihres Gemütes zu accordiren willens ist / soll er diese eröfnete Vestung einnehmen / welches ich ihm durch einen Wink zu verflehen geben will. Wann nur / (antwortet Damatus) der Schertz nicht zum Ernst ausschläget / und ich in doppelten Spott gerahte.[405] Es ist gar schwer / in der Sonne stehen / und keine Hitz fühlen. Vielleicht dürfte der Werber selbst wegnehmen /was er dem Liebhaber zuführen wollen. Ach nein! (begegnete ihm Plyphilus mit Lachen) solcher Falschheit hat er sich bey mir nicht zu befahren. Mein Gemüt ist schon voll Flammen / und hat keinen Platz übrig / andere einzulassen.

Also ward dieser Anschlag beschlossen / und finge Polyphilus allgemach an seine Person zu spielen. Er bediente Carminta über Tische / da er eben gegen sie über zu sitzen kam / mit aller der Höflichkeit und Bescheidenheit / die er jemals gelernet: da sie dann ihm gleicher Weise begegnet. Nachdem sie aber von der Malzeit aufstunden / und / weil sich der Himmel wieder aufgekläret / zu des Schäfers Schireno Heerde zu spaziren / beschlossen / nahm Polyphilus die Gelegenheit in acht / und stellete sich bey Carminta sprechend: Ich weiß nicht / edle Carminta! ob ein Unbekandter die Künheit wagen darf / ihre schöne Hand zu berühren? Ist diese Vermessenheit / daß ich ihr meine Begleitung anbiete / straffbar / so gedenke sie / daß ein Fremder noch Gnade zu hoffen hat / und lasse ihr nicht verdrießlich seyn / diesen Abend der Gesellschaft eines ungeschickten Schäfers zu gönnen. Einen solchen suchet Carminta nicht an dem höflichen Polyphilus: gab diese zur Antwort. Ich ehre die Stunde /welche er verdrießlich nennet / und werde danken vor die Begleitung / um welcher willen er Vergebung suchet. Er wird selber erdulten müssen / was die Gelegenheit füget / und meine Beywohnung vertragen /welche er ihm selbsten aufbürdet. Wann diese Bürde /wie sie die kluge Carminta nennet /[406] (sagte Polyphilus) nicht süß wäre / würde ich nicht so eifrig darum bitten.

Damit fasste er sie bey der Hand / und folgte den andern Gästen. Unterwegs sprachte er mit ihr / mehr von ernsthaftigen und verständigen Sachen / als von verliebten Händeln: und bekam auch so scharffsinnige / und vernünftige Antworten / daß er sich dar über entsezte; und hätte er nicht allbereit der Macarie seine Seele verpfändet / würde sie ohne Zweiffel Carminta gewonnen haben. Zwar weiß ich auch so nicht /ob ich ihn aller Liebe gegen ihr befreyen soll: dann ihre Beschaffenheiten kommen seinem Gemüte gar zu nahe. Doch will ich nicht vor der Zeit urtheilen; dann er will nur Liebe suchen / vor einen andern / und damit er solche allmälig hervor locke / spielet er /unter den Reden / bißweilen mit einen süssen Blick gegen ihr / den er doch / als ob es ihm leid wäre / bald wieder zurück nahme. Er wuste auch / ihrer schönen Hand / mit so subtilem Drucken zu begegnen / daß Carminta niche warnahm / wie sie gefangen wurde. Als sie nun zu der Heerde gekommen / und Polyphilus sie bate / den Sitz zu nehmen / wagte er zugleich die Künheit / im Riederlassen / ihr die Hand zu küssen / welches Carminta gar schläfferig verwehrt / und also dem Polyphilus gute Hofnung zu fernerer Gunst machte. Weil er aber solche durch Liebe zu erhalten ihm nicht trauete / versuchte er es durch die Beehrung / welche dieses Geschlecht sehr bewegt / und begunte also zu singen.


1.

Kan dann dieser Himmels-Schein /

Irdisch seyn?[407]

Kan / in diesen schönen Auen /

Was die Götter zwingen kan /

Ohne falsch-erdichten Wahn /

Unser sterblichs Aug beschauen?

Macht uns euer Glantz nicht blind /

Treflichs Kind!


2.

Selbst Diana / nimmt die Flucht /

Will der Zucht /

Dieser keuschen Nymfe weichen.

Pallas sihet / ihr zur Schand /

Euren herrlichen Verstand;

Und die Venus muß verbleichen.

Auch die Musen machet stumm /

Euer Ruhm.


3.

Was die andern / nur zerstückt /

Hat beglückt /

Hat Carminta ganz beysammen.

Schönheit / Tugend / und Verstand /

Hoheit / und gelehrte Hand /

Sind die Frucht von diesem Stammen.

Aller Schäferinnen Zier /

Glänzt in ihr.


4.

Und mir schenket mein Geschick

Heut das Glück /

Diese Wehrte zu bedienen.

Weß sich schwerlich untersteht /

Den der Himmel selbst erhöht /

Darf ich Armer mich erkühnen.

Ist nicht / wer so viel begehrt /

Straffens wehrt?
[408]

5.

Ach vergebet / Schönste! mir /

Daß ich hier /

Euch zu rühmen / mich vermessen.

Ich bekenne frey und rund /

Daß mein ungeschickter Mund

Hab gefehlet / und vergessen /

Das Carminta steigen kan

Wolken an.


Diß Lied / ob es wol der Schäferin sehr behagte /wolte sie es doch / Hoffartwahn zu vermeiden / nicht unbestrafft lassen / sondern beantwortete es / durch diese Verkehrung.


1.

Solte diß nicht irdisch seyn /

Was gemein /

Weidend in den nidren Auen?

Es ist nur ein blosser Wahn /

Daß man eine Hirtin kan /

Anderst / als in Einfalt / schauen.

Was der Himmel nicht entzündt /

Bleibet blind.


2.

Ob / bey Menschen / Tugend-Frucht /

Wird gesucht /

Ist doch solches nicht zu gleichen /

Einem Göttlichen Verstand.

Alles / was uns ist bekandt /

Muß des Himmels Weißheit weichen.

Dann / vor dieser / bleibet stumm /

Unser Ruhm.


3.

Was die Menschen nur zerstückt

Hat beglückt /[409]

Hat der Himmel ganz beysammen.

Hier ist nur ein kleines Pfand /

Und ein Fünklein vom Verstand:

In der Gottheit sind die Flammen.

Was wir Gutes finden hier /

Komm von ihr.


4.

Dennoch rühm ich mein Geschick /

Weil das Glück

Mir so günstig ist erschienen:

Daß derselbe bey mir geht /

Den der Himmel hat erhöht /

Biß an jene Sternen-Bühnen;

Dessen / überhohen Wehrt /

Jeder ehrt.


5.

Schäfer! meine Pflicht-Begier

Zeiget mir /

Euers Ruhms nicht zu vergessen.

Weil mich träget dieses Rund /

Ehr ich die geprießne Stund /

Da ihr seyd bey uns gesessen;

Auch die grüne Schäfer-Bahn /

Denkt hieran.


Nachdem Carminta dieses Lied geendet / fieng Polyphilus an / ihre Englische Stimme und treffliche Reim-Kunst zu preisen / und sagte: Er hätte wol Ursach / ihrer höflichen Entschuldigung zu widersprechen / und dtn warhafftigen Innhalt seines Lieds zu behaubten. Er schäme sich aber / gegen eine so Kunstfärtige Dichterin / ferner seine schwache Zunge zu rühren / und fürchte des Marsias Spott / der mit dem Föhus wett singen wollen.[410] Ach nein! (versetzte Carminta) er fürchtet vielleicht / ich möchte / so er weiter singen würde / seine Reim-Kunst lernen. Aber er hat der Sorge nicht vonnöten / weil mein Gedächtnis solcher geschwinden Fastung unfähig ist. Ich sehe nichts unfähiges / (sagte Polyphilus) und hätte nimmermehr geglaubet / daß bey den Schäferinnen solche Klugheit wohnte / wie mir Carminta gewiesen: die ich darum billig preisen / und zum Grundriß ihren Ruhm in alle Bäume unser Wälder schneiden werde.

Also spielten diese beede mit Höflichkeit / biß endlich Polyphilus seinen Arm um Carminta schlosse /und / weil sie solches nicht hinterte / ihre Brust / mit einer gar leisen Berührung an sich drückte: welches bey Carminta so viel vermochte / daß sie selbst ersezte / worzu seine Hand zu blöd schiene / und so nahe an ihn rückte / daß er vollends zufuhre / und ihren schönen Wangen einen freundlichen Kuß beybrachte. Hätte Macarie / die so sehnlich auf ihren Polyphilus wartete / zugegen seyn / und diese also in seinen Armen sehen sollen: wie würde sie solches aufgenommen haben? Doch Polyphilus entschuldigt ssch dißmahl / mit einer fremden Verstellung / und wir wollen ihn auch nicht verrahten: wann er nur selber schweigen kan. Damatus aber / welcher mit dem Agapistus (der dieses Handels nicht genug lachen kunte) von fern stunde / und diese Mauer allgemach brechen sahe / ward voll Verwunderung / und konte kaum das Zeichen erwarten / welches ihm Polyphilus versprochen hatte: fürchtend / er möchte einen Neben Buhler bekommen[411] / und / vor seine Aufrichtigkeit / mit Spott von Carminta weichen müssen.

Als er nun / in diesen ängsten / einen Wink vom Polyphilus bekommen / verfügte er sich mit Agapisto dahin / und verursachte damit / daß Carminta / so bald sie ihrer gewar worden / aufstunde. Polyphilus wendete sich zum Agapistus / und fragte / wovon sie indessen gesprachet hätten? und gabe zugleich dem Damatus Gelegenheit / seine Stelle bey Carminta /aber gar ungleich / einzunehmen. Dann sie erzeigte ihm eben so viel / als vorhin / oder wol noch weniger Liebe und Freundlichkeit / wie demütig und höflich er auch solche suchte: also daß Polyphilus gezwungen wurde / seinen vorigen Dienst wieder anzutretten /und diese Schöne / weil nun die andere heim eilten /auch nach Haus zu begleiten.

Nachdem er von ihr einen freundlichen Abschied genommen / gieng er mit dem Damatus und Agapistus wieder zu Schireno / da ihn Damatus fragte: was er doch vor Künste gebraucht hätte / die Carminta zu bewegen? und was doch seine Liebe derselben verdrießlich machen müste? Meine Künste / (sapte Polyphilus mit lachen) weiß ich mehr zu üben / als zu beschreiben. Was auch seiner Aufwartung fehlen solte /sehe ich nicht / auser der größe der Liebe / welche der Carminta beschwerlich fällt / und seine Demut / die ihre Hoffart reitzet: dann das Frauenzimmer will mehr mit Werken / als mit Worten / überwunden seyn. Wer sie um eine Begünstigung bittet / bekommet nichts als Abschlag: wer sie aber mit Höflichkeit stihlet / erlanget Vergebung. Von allzugrosser Süssigkeit / ergiesset sich[412] die Galle: also wird / eine überflüßige Bedienung / den Weibs-Personen bitter. Diese Art Thiere /wollen mit List / und nicht mit Verfolgung / gefangen seyn. Mit dem Munde rühmen / und mit den Gebärden lieben / sind die beste Waffen der Liebhaber.

Ich sehe wol / (gab Damatus zur Antwort) daß Polyphilus sehr erfahren ist / in den Staats-Geheimnussen des Frauenzimmers. Ich will seinen Lehren folgen / und versuchen / wie viel sie vermögen. Gut! (versezte Polyphilus) wann ich wieder komme / so will ich die Probe an seiner Hochzeit sehen / wozu ich indessen Glück wünsche. Hierauf nahm er vom Damatus Abschied / und gienge mit dem Agapistus schlaffen. Des andern Tags / rüsteten sie sich zur Reise / bedankten sich gegen dem Schireno / für so viel erwiesene Ehre / und versprachen / ihre Schuldigkeit gegen seiner Liebsten sehen zu lassen: Damit nahmen sie Abschied / und giengen ganz wol zu frieden / nach der Insul Soletten.

Quelle:
Maria Katharina Stockfleth: Die Kunst- und Tugend-gezierte Macarie, 2 Bände, Band 2, Nürnberg 1673, S. 392-413.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

L'Arronge, Adolph

Hasemann's Töchter. Volksstück in 4 Akten

Hasemann's Töchter. Volksstück in 4 Akten

Als leichte Unterhaltung verhohlene Gesellschaftskritik

78 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon