XIX
Die Römerfahrt

[440] Ehe wir unserm Ritter auf dem dornenvollen Pfade der Politik folgen, müssen wir noch eine Episode seines[440] Lebens berühren, die zu merkwürdig ist, als daß sie übergangen werden dürfte. Es tut uns nur leid, daß wir etwas weit von dem bisherigen Schauplatz der Begebenheiten abschweifen müssen. Schon einmal begleiteten wir unsern Helden bis nach Spanien; heute müssen wir ihm nach Italien folgen. Damals begleiteten wir ihn bis in das Leihhaus von Pampeluna; heute folgen wir ihm bis zu den Füßen des Heiligen Vaters.

Wir haben nämlich nichts mehr und nichts weniger zu erzählen als die Römerfahrt unsres Ritters.

Alle großen Sünder verrauschter Jahrhunderte hielten es für ihre Pflicht, wenigstens einmal im Leben, wenn auch nicht nach dem Heiligen Grabe, so doch nach Rom zu wallfahrten, um dort, von allen Skrupeln erlöst, desto ruhiger in einen neuen Sündenabschnitt ihres Lebens hineinzusteuern.

Jede Zeit hatte ihre Sitte; so auch die damalige. Die Griechen brachten den Göttern Hekatomben; das Mittelalter pilgerte nach Rom; wir sündigen Menschen der Jetztzeit pilgern höchstens nach Paris.

Nach Paris, dem welschen Babylon! Nach der heiligen Stadt der schönen Babylonierinnen! Auf den Boulevards zu spazieren, zu tanzen in den Champs-Élysées und zu Mittag speisen bei Véry für 48 Francs. – O welches Vergnügen! Wie ein Araber in Mekka, wenn er, die Arme kreuzend und blumenreiche Gebete murmelnd, in die heilige Kaaba tritt, so trat ich, Mabille, in deinen Garten und neigte mich, o Babylon, vor deinen Frauen!

Die Rosen dufteten, die Seide rauschte.


»Hörner, Pauken und Trompeten

Tönten jubelnd die Fanfare,[441]

Und wir riefen alle: Heil!

Heil der Königin Pomare!«


Herr von Schnapphahnski hielt aber fest an den Sitten der Väter; Se. Hochgeboren waren ein guter Katholik – niemand wird ihm dies verdenken.

Die protestantische Religion ist eine Religion für Kaufleute und Fabrikanten – – Herr von Schnapphahnski war weder Kaufmann noch Fabrikant, sondern, wie gesagt, ein guter Katholik. Nichtsdestoweniger machte er aber von Zeit zu Zeit seine Bilanz, d.h. seine geistige oder Seelenbilanz, indem er sich dann jedesmal den Saldo seiner Sünden von der guten Mutter Kirche quittieren ließ. Eine materielle Bilanz brauchte der Ritter um so weniger zu machen, da ja die Herzogin von S. seine sämtlichen Schulden bezahlt hatte.

Mit der geistigen oder Seelenbilanz unseres Helden sah es diesmal schlimm aus. Der edle Ritter hatte viel auf dem Herzen. Seit mehreren Jahren hatte er die Sündenconti seines Gewissens nicht abgeschlossen, und wenn er die Folioseiten seines Gedächtnisses durchblätterte, so fand er nur gar zu viele dittos in seinem Debet – höchst wenige im Kredit.b

Unser Ritter ging daher eines Tages sehr ernstlich mit sich zu Rate; er zerbrach fünf Federmesser und zerschnitt zehn Bleistifte. Nachdem er aber die fünf Federmesser zerbrochen und die zehn Bleistifte zerschnitten hatte, schnitt er mit dem sechsten Federmesser den elften Bleistift und entwarf die folgende:
[442]

Geistige oder Seelen-Bilanz des berühmten Ritters Schnapphanski
Geistige oder Seelen-Bilanz des berühmten Ritters Schnapphanski

[443] Unsere Leser werden gestehen, daß diese Abrechnung eben nicht sehr günstig für unsern Ritter ausfiel. Wenn nicht der Papst ebenso großmütig war wie die Herzogin von S., so ließen sich die geistigen Angelegenheiten unseres Helden bei weitem nicht so leicht ordnen, als es eben erst mit seinen materiellen Verhältnissen geschah. Herr von Schnapphahnski wollte aber nichts unversucht lassen, und so trat er denn eines Morgens in das Zimmer der Herzogin und sprach in der Weise Ritter Tannhäusers die folgenden berühmten Worte:


»Mein Leben das ist worden krank,

ich mag nit lenger pleiben;

nun gebt mir urlob, frewlin zart,

von eurem stolzen leibe!«


Die Herzogin erschrak natürlich im höchsten Grade und begriff nicht gleich, was die Geschichte zu bedeuten hatte. Sie war erst eben so gefällig gewesen, die Schulden ihres Freundes mit baren 200000 Talern zu bezahlen, die Ablösung vieler kleinen Hypotheken ungerechnet; und nun wollte der Ritter schon wieder fortziehn: das war nicht recht! Es fiel ihr im Traume nicht ein, daß der Ritter zur Buße seiner Sünden nach Rom pilgern wollte – – Ohne sich daher an der altdeutschen Sprachweise ihres Freundes zu stören, fuhr die Herzogin in der Manier der Frau Venus fort zu reden und erwiderte:


»Danhäuser, nit reden also!

ir tund euch nit wol besinnen;

so gen wir in ain kemerlein

und spilen der edlen minne!«
[444]

Die Herzogin lispelte diese Worte geradeso verführerisch, wie sie einst Frau Venus gesprochen haben mag. Der Ritter schien aber wenig davon erbaut zu sein; er schüttelte mit dem schönen schwarzlockigen Kopfe, und ohne von den Tränen Notiz zu nehmen, die aus den Augen der hohen Dame in den roten Kaschmirschal rieselten, öffnete er zum zweiten Male den holdseligen Mund und antwortete, indem er die Hände in die Hosentaschen steckte, mit sehr akzentuiertem Tone:


»Eur minne ist mir worden laid,

ich hab in meinem Sinne:

fraw Venus, edle fraw so zart!

ir seind ain teufelinne.«


Hierüber entsetzte sich die Herzogin nur um so mehr, so daß sie unwillkürlich ein Kreuz schlug, was sie seit dem Einzug der Alliierten in Paris nicht mehr getan hatte. Tödlich wäre es der Herzogin gewesen, ihren Schnapphahnski zu verlieren; hätte sie nicht ihren kahlen Kopf gefürchtet, sie würde die Perücke vor Verzweiflung unter die Decke geschleudert haben. Mit den Zähnen konnte sie ebenfalls nicht knirschen, denn, wie unsern Lesern bekannt ist, waren sie mehr ein Produkt des Zahnarztes als der Mutter Natur. Das Rollen der gewaltigen Augen durfte daher einzig und allein den Zorn ihres Innern zu erkennen geben, und dies Augengeroll war entsetzlich: zwei Roulettescheiben glaubte man in wilder Bewegung zu sehn.

Vergebens waren aber alle Anstrengungen: der Ritter beharrte auf seinem Vorhaben, und die Herzogin würde sich gewiß mit einer Haarnadel den Tod gegeben haben, wenn der muntere Schnapphahnski nicht plötzlich den[445] Schluß des berühmten Tannhäuser-Liedes gesprochen und ihr erklärt hätte:


»Ich will gen Rom wol in die statt

gott well mein immer walten!

zu einem bapst der haist Urban

ob er mich möcht behalten – –«


Als nämlich der Ritter diesen Vers zitiert hatte, trocknete die Herzogin ihre Tränen aus beiden Roulettescheiben und sprang empor mit dem Schrei des Entzückens.

»Ja, zum Papst! Zum Papst Urban!« rief sie. »Wenn er dich auch nicht behalten soll, so soll er dich wenigstens erlösen. Ja, nach Rom, zum Papst! Ich werde dich begleiten – –« Mit beiden Armen umschlang die Herzogin ihren geliebten Ritter.

Am nächsten Morgen waren sie auf dem Wege nach Italien.

Meine Leser können unmöglich verlangen, daß ich ihnen die Abenteuer dieser italienischen Reise haarklein erzähle. Ich dachte damals noch nicht an den Ritter Schnapphahnski und bestach daher weder einen Kutscher noch eine Kammerfrau, um mir alle die süßen Geheimnisse mitzuteilen, die zwischen der kalten Jungfrau und dem feurigen Vesuv vorgefallen sein mögen. Genug, unser glückliches Paar reiste von der Jungfrau bis fast an den Vesuv, d.h. bis nach Rom. – Es versteht sich von selbst, daß unsere Pilger nicht wie die Pilger von ehedem zu Fuß in härenem Gewände ihre Straße zogen. Nein, sowohl Frau Venus als Ritter Tannhäuser stimmten in der Ansicht überein, daß der religiöse Fanatismus mit einer bequemen Karosse wohl zu vereinbaren sei. Indem sie nicht nur bequem, sondern höchst elegant reisten,[446] befolgten sie sogar recht eigentlich das Prinzip des Katholizismus, denn die katholische Religion ist die Religion des Glanzes und der Pracht.

Gerade das macht den Katholizismus liebenswürdig, daß er ein Auge für das Schöne, für das Sinnliche hat. Alles, was sinnlich ist, ist aber ewig, und so glaube ich auch an die Ewigkeit des Katholizismus. Man lache mich ja nicht aus! In keinem Falle muß man mir aber mit den Griechen kommen. Man könnte mir nämlich vorwerfen, die Griechen seien auch im höchsten Grade sinnlich gewesen, und trotzdem wären ihre Götter verschwunden, und niemand denke und niemand glaube mehr an sie – – dummes Zeug! Die Griechengötter leben bis auf den heutigen Tag.

Oh, ich habe das einem meiner alten Lehrer an der Nase angesehen. Am Morgen gab er uns nämlich den nüchternen protestantischen Religionsunterricht, und dann war er ledern, zum Verzweifeln. Steif wie ein Stockdegen stand er vor uns, seine Ohren waren länger als gewöhnlich, seine Gesichtsfarbe war bleiern fahl, und die Worte haspelten sich aus seinem Munde los wie ein dünner langweiliger Zwirnsfaden von einer unbeholfenen Spule – oh, es war entsetzlich, wie man uns peinigte! Da kam der Abend; und derselbe Mann, der uns morgens den Katechismus einpaukte, er schlug den Homer auf und las uns einen Gesang der Odyssee vor. Anfangs holprig und poltrig. Man merkte, daß der arme Mann erst das Christentum vergessen mußte, um ganz wieder Heide zu werden. Aber allmählich ging es besser, mit jeder Strophe gewann seine Stimme an Wohlklang. Es war, als wenn der ganze Mensch von Minute zu Minute anders geworden wäre. Der Rücken hörte auf, steif zu sein,[447] die Ohren wurden kleiner, sein Gesicht belebte sich, seine Augen funkelten; der Schulmeister war ein Mensch geworden, ja, der arme Teufel war plötzlich ein schöner Mann, und er riß uns fort, und atemlos horchten wir, und war er zu Ende und blitzten Freudentränen in seinen Wimpern, da stürzten wir auf ihn los, und warm drückte er uns die Hände, und heiter eilten wir in die Nacht hinaus, wo die Sterne am dunkeln Himmel heraufzogen, feierlich, prächtig – ach, und wir glaubten an die alten Götter.

Der Mann, der uns zu Christen machen sollte, er machte uns zu Heiden. Ich werde ihm das nie vergessen. Dankbar will ich seiner gedenken.

Herrn von Schnapphahnski erwartete in Rom der beste Empfang. Frau Venus protegierte ihn herrlich, und zum Lohn für seine Sünden schmückte man seine Brust mit einem der höchsten Orden der Christenheit.

Quelle:
Georg Weerth: Sämtliche Werke in fünf Bänden. Band 4, Berlin 1956/57, S. 440-448.
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