10. Als er von der Reise wiederkam, und sein voriges Mädgen nicht mehr lieben konte

[68] 1.

Ich hätt es nicht vermeint, daß bey den Junggesellen,

Wann sie sich freundlich stellen,

Die angemaste Treu[68]

So wanckelmüthig sey:

Weil aber mein Gewissen

Mir selbst entgegen scheint,

Hab ich offt sagen müssen:

Ich hätt es nicht vermeint.


2.

Ich hatt es nicht vermeint. Es sind gar wenig Wochen

Indessen angebrochen,

Als ich ein schönes Bild

Noch vor mein Labsal hielt;

Nun seh ich, daß mein Hertze

Den Handel gantz verneint,

Und spricht noch wohl im Schertze

Das hätt ich nicht vermeint.


3.

Doch hätt ichs nicht vermeint: Denn meine Seele brannte,

Daß ich mich selbst nicht kannte,

Ich redt ich sang von ihr,

Stets war ich ausser mir:

Nun bin ich zwar geblieben,

Ein blosser guter Freund,

Doch kan ich sie nicht lieben:

Das hätt ich nicht vermeint.


4.

Ich hätt es nicht vermeint: als wir zusammen kamen,

Und endlich Abschied nahmen,

Da bildt ich mir wohl ein

Ich müste traurig seyn.

Doch weil mir nun bey andern

Das Glücke günstig scheint,

So bin ich auch von Flandern.

Das hätt ich nicht vermeint.


5.

Das hätt ich nicht vermeint, als ich die Bangigkeiten

In meiner Seele streiten,

Und Schmertzen und Verdrieß

Mich stäts bestürmen ließ.

Nun leg ich alles nieder,

Und bin ihr zwar nicht feind,

Doch komm ich ihr nicht wieder

Und hätt ichs nie vermeint.

Quelle:
Christian Weise: Der grünenden Jugend überflüssige Gedanken, Halle a.d.S. 1914, S. 68-69.
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