4. Auff die alten Junggesellen

[115] 1.

Wem das Glücke widerfähret,

Daß er in der jungen Zeit

Auch ein junges Mädgen freyt,

Dem ist doch ein Schatz bescheret,

Welchem alles Gold und Geld

Lange nicht die Wage hält.


2.

Er gebraucht sich seiner Jugend,

Und vexiert mit höchster Lust

Auß der allerliebsten Brust

Die verborgne Liebes Tugend,

Und vertauscht zum Uberfluß

Lieb umb Liebe, Kuß umb Kuß.


3.

Er verjungt sich alle Morgen,

Und wie unsre Lebens-Frist

Niemahls ohne Sorgen ist,

Als schenckt er seine Sorgen,

Zwischen Liebe, Lust und Pein,

In der Liebsten Mund hinein.


4.

Ach, die armen Junggesellen

Wissen von der Freude nicht,

Wann sie gleich ihr Angesicht

Unterweilen frölich stellen,

Ach so kömmt es ungefähr

Von der blossen Hoffnung her.


5.

Sie belecken nur die Schalen

Mit vergebner Angst und Müh,

Denn der Kern ist nicht vor sie,

Und wenn sie mit Liebsten praalen,

Ist der angemaste Glantz

Warlich weder halb noch gantz.


6.

Auff den Abend in dem Bette

Liegen sie als wie ein Bild,

Halb erfroren eingehüllt,

Auff den Morgen ist es Wette,

Denn da brennt das Bette-Stroh

Vor der Liebe Liechter-Loh.


7.

Wann sie sich am klügsten düncken,[116]

Wissen sie wohl selber nicht

Was sie in der Seite sticht,

Biß sie einst das Leid vertrincken,

Da vergessen sie der Zeit

Und der trüben Einsamkeit.


8.

Ach wohl dem der sich versorget,

Welcher hier ein bißgen isst,

Dort ein Weilgen wieder küst,

Und an allen Ecken borget,

Ist fürwahr ein armer Mann,

Der offt will, und selten kan.

Quelle:
Christian Weise: Der grünenden Jugend überflüssige Gedanken, Halle a.d.S. 1914, S. 115-117.
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