CAP. XI.

[64] Die andern stimmeten mit ein, und wofern die alten Aberglauben noch kräfftig sind, so ist kein Zweifel, die Ohren müssen dem ehrlichen Stümper wol geklungen haben. In dem sie nun in dem Gespräche begriffen waren, kam ein Kerl, und fragte ob ein Herr unter dem Hauffen einen Schreiber bedürffte. Gelanor, dem es an solcher Auffwartung schon offt gemangelt hatte, nahm ihn mit auf seine Stube, und sagte, er solte ihm zur Probe einen Brieff schreiben (denn er war mehr als ein Copiste) darinn[64] er einen guten Freund complimentirte, der unlängst hätte Hochzeit gehalten; Mit Bitte sein aussenbleiben zuentschuldigen, und mit einem wenigen Hochzeit-Geschencke vorlieb zunehmen. Nun war der Schreiber geschwind über das Dintenfaß her, und setzte folgenden wunderschönen Brieff innerhalb sechs Viertelstunden auf.


Hoochgeneugter und Follkommen

liebender Freund.


Daß seine sich-so plötzlich fergnügenwollende Jugend, in das lüstrende und augenreizzende Lachchen der holdreuchesten Fenus angefässelt worden, haabe ich wohl fernommen, lasse auch den Preißwürdigsten Einladungs-Brieff deswegen in dem Tageleuchter liegen, dahmit ich das Ahndänkken der fohrstehenden Lustbarkeit nicht auß den Lichtern meines Haubtes ferlihren möhge. Die Fakkel des Himmels wird nicht fihlmahl umm den Tihrkreuß lustwandeln fahren, so wird die gänzzlich-herfor gekwollen seynde Süssigkeit der freundlichsten Libinne, sein gantzes Läben erkwikkend beseligen. Und da müste Zizero sälbst ferstummen, ja dem Firgilius und Horazius ingleichen dem Ofidius würde es an gleichmässigen Glückwünschungs-Wohrten fermangelbahren. Bei so angelaassenen Sachchen, solte ich schweugen, umb meine in der Helden sprachmässiger Wohlsäzzenheit gahr wänig außgekünstelt habende, und nicht allzu woortsälig erscheunende Schreibrichtigkeit, oder daß ich bässer vernünfftele, umb meine sich unwissend erkännende Gemüths Gebrächchen nicht zu ferblössen. Entzwischen ist die Ohngedult meiner begirig auffsteugenden Härzzens-Neugungen so groß, daß ich den Mangel der an den Himmel der Ewigkeit zu schreiben würdig seinden Worte, mit gegenwärtiger Geringfügigkeit zu er säzzen beschlossen habende, mein Ohnvermögen entschuldigt zu haben bittend, und in forliebnähmender Gunst-gesinnenschafft aufgenommen zu werden hoffend, mich in stäter und unwandelbahr blühender Dienstfärtigkeit wünsche zu nännen


Meines Härzzengebieters

dienstsamen und auffwartsbahren

Knächts

N.N.

Gegäben mit flüchtiger

Fäder den 10. deß

Rosenmonds

im 1656. H. Jahre.[65]


Gantz unten war angeschrieben, Kristoff Ziriacks Fogelbauer Erz-Königlicher bestätigter und Freyheitsferbrieffter offener Schreiber.

Gelanor laß den Brieff durch, und wuste nicht, was er darauß machen solte. Er fragte den ehrlichen Ziriäkel, was er mit den verwirrten Possen meynete, und warumb er die gantze Schreib-Art so liederlich verderbet hätte. Nun war dieser mit der Antwort nicht langsam: Es ist zu beklagen, sagte er, daß die Kunst so viel Verächter hat. Man solte dem Himmel mit gefaltenen Händen dancken, daß nunmehr etliche vornehme Männer mit unbeschreiblich grosser Müh, der Teutschen Helden-Sprache zu der alten Reinligkeit geholffen: So müssen die stattlichen Leute vor die saure Arbeit nichts als Spott und Verachtung einnehmen. Doch stellt man den endlichen Außschlag der grauen Ewigkeit anheim. Meynt mein Herr, also redte er weiter, daß ich verwirrt schreibe? Ach nein, er sehe nur die neuen Bücher an, und bedencke, was vor ein Unterscheid zwischen schlecht Teutsch und Hochteutsch ist. Er schlage nur die Schrifften vieler Weltberühmten Poeten auf, und erwege, was sie vor Fleiß gethan, die unreinen Wörter auß der Helden-Sprache außzumustern, und hingegen schöne, reine und natürliche an die Stelle zu schaffen. Was soll ich den Lateinern die Ehre gönnen, daß ich ihnen zugefallen sagen soll Fenster: Ich mache lieber ein Teutsch Wort Tageleuchter. Und fragt iemand, was ein Fenster in der Nacht heist, so sag ich, ebensowohl Tageleuchter, wie ein Nachtkleid in dem Tage auch ein Nachtkleid, und die Sonntagshosen in der Woche auch Sontagshosen heissen. So ist es mit den andern Wörtern auch beschaffen. Wundert sich ferner iemand über die neue Schreibrichtigkeit: So muß ich sagen, daß derselbe noch nicht Teutsch versteht. C. ist kein Teutscher Buchstabe, V. auch nicht, Y. auch nicht, ja auch das Q. Warumb solt ich nun falsch schreiben, da ich es besser wüste? Gesetzt auch, daß die Gewohnheit nun im Gegentheil eingerissen wäre: So folgt es nicht, daß die Menge der Irrenden die Sache deswegen gut machen müste. Gelanor hörete mit grosser Gedult zu, wie der gute[66] Stümper in seiner Thorheit ersoffen war. Letzlich fieng er also an: Ihr lieber Mensch, seyd ihrs, der dem Vaterlande wieder auf die Beine helffen will. Ach besinnet euch besser, und lasset euch die Schwachheiten nicht so sehr einnehmen, denn was wollet ihr vors erste sagen, es wäre Hoch-Teutsch geschrieben, ja wohl, dencket ihr, euere Sachen sind noch so hoch, daß sie keine Ziege weglecken soll. Aber es hat die Gefahr nicht. Das Hochteutsche muß auch verständlich seyn, und muß nicht wieder die Natur der Sprache selbst lauffen. Uber dis könte auch eine Eitelkeit grösser seyn, als daß man sich einbildet, es sey ein Wort besser als das ander? Ein Wort ist ein Wort, das ist, ein blosser Schall, der vor sich nichts heist, und nur zu einer Bedeutung gezogen wird, nach dem der Gebrauch und die Gewonheit solches bestätigen. Und also muß man den Gebrauch am meisten herrschen lassen. Ein Tisch heist darum ein Tisch, weil es von den alten Teutschen so beliebet und gebraucht worden. So heist auch ein Fenster, ein Pistol, eine Orgel, etc. das jenige, wozu es von den ietzigen Teutschen ist geleget worden. Ich frage auch, ist diß nicht der eintzige Zweck von allen Sprachen, daß man einander verstehen will? Nun wird es niemand leugnen, daß dieselben Wörter, die ihr außmustert, von iederman besser verstanden werden, als euere neue Gauckel-Possen. Nehmet ein Exempel. Wann ein Soldat seinen Lieutenant wolte einen Hr. Platzhalter, den Quartiermeister Hr. Wohnungs- oder Herbergenmeister nennen: Oder wenn einer die Pistolen haben wolte, und forderte die Reit-Puffer: Oder wann er einen in die Corps de Garde schicken wolte, und sagte, er solte in die Wacht-Versamlung gehen, wer würde ihn mit den neugebackenen Wörtern verstehen? Und fürwahr, eben so thumm kömmt es mit euren Erfindungen heraus. Es ist nicht so bald geschehen, daß andere Leute errathen können, was ihr haben wollet. Und wo habt ihr eure Authorität stabilirt, daß die Sprache, welche von Fürsten und Herren gebraucht wird, nach eurem Gefallen soll umgeschmeltzet werden? Mit den elenden Buchstaben ist es noch erbärmlicher, die werden ohn Ursach relegirt, und[67] auß dem ABC gestossen, welches künfftig ABD heissen muß. Gesetzt sie wären bey den Alten nicht gebraucht worden: Mein was sollen die alten Pritschmeister, welche die Teutsche Schreiberey durch viel Secula fortgepflantzt haben, uns vor Gesetze geben, und warumb soll man nicht dabey bleiben, nachdem etliche Secula geruhig und einstimmig so geschrieben haben? Darzu, was stecket dann vor Klugheit dahinder, ob ich die neue oder die alte Mode brauchen will? Lesebengel und Papierverderber seid ihr. Wäre es euer Ernst der Welt nütze zu seyn, so würdet ihr nicht an den blossen Schalen kleben, und den Kern gantz dahinden lassen. Wann ihr auch die Antiquität so gar lieb habt, warumb wärmet ihr nicht alle altväterische Redens-Arten wieder auf? Ich habe ein Alt Complimentir-Buch, welches Petrus Dresdensis, der das Lied In dulci jubilo gemacht, ungefehr A. 1400 bey seiner Liebsten gebraucht, meynet ihr, daß alles darauß wieder mag gebraucht werden, so will ich endlich gern sehen, was Hochteutsch heissen wird. Hr. Ziriacks machte eine ungnädige Mine, darauß Gelanor abnahm, er würde nunmehr schlechte Lust zu dienen haben. Derhalben gab er ihm einen halben Thaler vor die Schreibgebühr, und gedachte, es wäre doch alles Zureden vergebens, wann sich ein Mensch allbereit in die süsse Thorheit so tieff eingelassen hätte.

Quelle:
Christian Weise: Die drei ärgsten Erznarren in der ganzen Welt. Halle an der Saale 1878, S. 64-68.
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