Achzehente Begebenheit.

Ein Christlicher General ringt mit gröster Lebens-Gefahr mit einem ungeheuer grossen Bären, den er aber zuletzt mit einem bey sich habenden Stilet glücklich erlegt hat.

[552] Als die Europäische Christen unter Anführung Gottfrids, Hertzogs von Bullion, Anno 1096. einen Feldzug in das Heil. Land gethan, und die Stadt Antiochia eingenommen, haben sie sich eines Tags in denen lustigen Felderen der Landschaft Pisidia gelagert, um alldort von dem langwirigen und beschwerlichen marschiren auszurasten: allwo sich dann einige mit Jagen, andere auf ein andere Weis erlustiget haben. Nun war dort herum ein der wilden Thieren halber so verschreytes Wäldlein, daß sich niemand von denen Benachbarten hinein wagen därfte. Aus diesem Wäldlein hörte man im Lager auf einen Abend ein förchtliches Geschrey, so von dem herum ligenden Gebürg mit einem Wiederhall zuruck geschlagen wurde. Man verwunderte sich darüber, und fragte ein jeder, was doch dieses Geschrey bedeuten müsse. Indem nun jedermann mit Erstaunung erfüllet war kommt aus dem Wäldlein herfür ein [552] Soldat, so zu der Christlichen Armee gehörte, im Angesicht gantz erbleicht, und der wegen einer Wunden, so er in die Schenckel bekommen, kaum gehen könte. Dieser zeigte immerdar mit der Hand auf das Wäldlein zuruck, und sagte endlich zu denen, so auf das Geschrey herzu geloffen: O ihr meine Cameraden! was für ein traurige Zeitung muß ich euch bringen; wisset, daß unser Hertzog in gröster Gefahr ist von einem wilden Thier, das ihn angepackt, in Stucken zerrissen zu werden. Die erschrockene Soldaten, als sie dieses gehört, lauften gleich in das Lager zuruck, machten Lärmen, und erfüllten alles mit Forcht und Schrecken. Da hätte man sollen sehen, wie alles dem Wäldlein zugeeilet, sowohl den Officieren als gemeinen Soldaten, als welche den Hertzog inniglich, und wie ihren Vatter liebten. Allein sie wußten nicht, wo sie ihn suchen mußten; nachdem sie dann eine Weil in dem Wäldlein herum geloffen, kamen sie endlich zu einer Höhle, vor welcher sie alles voller Blut, und abgeschälter Beiner sowohl von Menschen als wilden Thieren gefunden, wie auch das Pferd, auf welchem der Hertzog auf die Jagd geritten, so aber wegen vielen empfangenem Bissen und Wunden verschmachtet dahin fallen wolte. Nicht weit davon lage auf der Erden ausgestreckt ein todter Bär von ungeheurer Grösse, dessen blosses Anschauen vielen einen Schröcken einjagte. Neben dem Bären lage der Hertzog sowohl in seinem eigenen als des Bären Blut schwimmend: das Angesicht war gantz er blassen, der Mund offen, die Augen zugeschlossen, und wußte man nicht, ob er noch beym Leben, oder schon todt ware. Alle, die ihn ansahen, fiengen an bitterlich zu weinen, und fielen zu ihm auf die Erden durch Berührung der Puls-Ader zuerkundigen, ob noch ein Leben vorhanden oder nicht? und da sie dessen noch ein Zeichen gefunden, zogen sie ihm die Kleyder aus, damit sie ihm die Wunden verbinden möchten. Hernach machten sie ein Trag-Beth von abgehauenen Stauden, und trugen ihn darauf in das Lager zuruck: was allda für ein Schröcken, Trauren, Weinen, Jammern bey allen entstanden, wer wird es mit Worten können aussprechen? Ach! klagten sie, so ist dann unser General tödtlich verwundet? so werden wir dann unsers liebsten Vatters beraubt werden? und zwar da er sich mitten in dem Lauf seiner Victorien befande? O des traurigen Verhängnuß! hat er dann nicht in einer Schlacht wider den Feind streitend, und manchen, wie er gewohnt, mit seiner tapferen Hand erlegend, ein Ruhm-würdigen Tod nehmen können, sondern von einem wilden Thier müssen erlegt werden? Ach Unglück! wie grausam bist du? also lautete das Wehe-Klagen unter der Christlichen Armee. Nachdem ihme nun die Wunden verbunden worden, hat man wahrgenommen, daß diejenige, so er von dem Bären empfangen, eben [553] so gefährlich nicht seye; wohl aber die, so ihm von einem Stilet beygebracht worden. Man fragte also den Soldaten, so diese traurige Zeitung angedeutet, was sich dann mit dem Hertzog zugetragen hätte? die Antwort ware diese: höret! als der Hertzog diesen Abend zu Pferd in das Wäldlein geritten, hat er mich ungefähr, da ich ein Bürdelein Holtz gesammlet, und aber eben jetzt die Flucht zum Wäldlein hinaus nehmen wolte, weil nemlich ein ungeheur grosser Bär, welcher schon viel, die sich in dieses Wäldlein gewagt, zerrissen, mich verfolgte; da sag ich, hat der Hertzog mich erblickt. Und weil mir das Thier schon auf dem Rucken ware, schrye ich überlaut GOtt und alle Heilige um Hilf anruffend. Damit ich aber das Thier aufhalten, und dessen Zähn entgehen möchte, lauffete ich um einen dicken Baum herum: indem ich nun also selbigem zu entgehen flohe, ersahe ich zu allem Glück den Hertzog zu Pferd sitzend, und schrye: O Ihr Durchläucht! kommen sie mir doch zu Hilf, sonst bin ich verlohren. Da ich nun also schrye, wurde ich von dem Thier ergriffen, und zu Boden geworffen; als der Hertzog dieses gesehen, wird er zum Mitleyden bewegt, und entschließt sich, auch mit Gefahr seines eigenen Lebens den Bären von mir abzutreiben. Er hatte bey sich kein anderes Gewehr als ein Stilet: als er dieses aus der Scheyd gezogen, gibt er dem Pferd den Sporren, und schreyt das Thier an, in Hofnung selbiges zu erschröcken. Allein dieses kehrte sich nichts daran, sondern gabe mir einen tieffen Biß in den Schenckel. Der Hertzog dieses sehend, führte zwar mit dem Stilet einen gewaltigen Streich auf das Thier, aber umsonst, weil selbiges mit dem Kopf auswiche. Also dann angereitzt, und erwildet verlaßt es mich, und macht sich hingegen mit brummender Stimm an dem Hertzog, richtet sich auf die hintere Füß, blitzt mit feurigen Augen, und sperret den Rachen auf, daß auch das blosse Ansehen des ungeheuer grossen Leibs einen mit tödtlichem Schröcken hätte überfallen sollen. So groß aber das Thier ware, so listig und boßhaft ware es zugleich. Jetzt thate es ein Sprung wider den Hertzog, bald sprange es zuruck; jetzt wiche es dem auf sich geführten Stilet aus, jetzt fiele es mit seinen Zähnen und Bratzen des Hertzogs Pferd an. Der Hertzog zörnte über die Boßheit, und bemühete sich dem Thier das Stilet in die Brust zu stossen. Allein solches verhinderte sowohl die Geschwindigkeit des zuruck lauffenden Thiers, als auch die Schwachheit des verwundeten Pferds. Als derohalben der Hertzog von dem Pferd absteigen wolte, ergriffe ihn das Thier bey denen Kleyderen, reißt ihn vom Pferd herunter, umfaßt ihn mit beyden Bratzen, und wirft ihn zu Boden; legt sich so dann mit dem gantzen Last des Leibs auf ihn, und will ihm mit aufgesperrtem Rachen die Gurgel abbeissen. Als ich dieses gesehen, und [554] zu helffen bey mir keine Waffen hatte (will nicht sagen, daß ich am Schenckel schwerlich verwundet, und deswegen unkräftig ware) nahme ich die Flucht zum Wälblein hinaus, in dem Lager die äusserste Gefahr anzuzeigen, und schleunige Hülf zu begehren.


Bishieher des Soldatens Erzählung, mehrers wußte er nicht zu sagen: was wolte man nun thun? oder was Raths? man fande nichts bessers als daß man den Himmel für des Hertzogs Heyl anflehen solte; welches dann auch von dem gantzen Christlichen Heer geschehen, und das mit so glücklichen Erfolg, daß der Hertzog nach und nach wiederum zu sich selbsten kommen, die Augen eröfnet, und die um sich Herumstehende zu erkennen angefangen. Denen er den völligen Verlauf der Sachen mit folgenden Worten entdeckt hat: wisset: daß, nachdem ich GOtt um Hülf angeruffen, ich mich von dem Bären so weit los gemacht hab, daß ich ihm das bey mir habende Stilet in die Brust gestossen, und ihn auf solche Weis erlegt hab. Allein, da ich mich aufzurichten bearbeitet, ist mir das Stilet zwischen die Schenckel kommen, welches mir dann die so gefährliche Wunden beygebracht. Waha labores Hercul. Christiani lib. 4.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 552-555.
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