Von gůter nachbaurschafft, zům leser.

[121] Es habend sich unsere vorälteren, früntlicher lieber leser, vil und fast beflissen, das sie sich inn den nachbaurschafften fein früntlich zůsamengehalten unnd etlich tag im ar sunderlich darzů bestimpt, an offenen strassen tisch und bänck auffgericht, ire speisen zůsamengetragen und also tugentlich miteinander gessen, in zucht und ehren bei einander gesessen. Wo dann etwo gemeine brunnen gewesen, so sie erschöpfft, ists dero geleichen auch zůgangen. Es haben auch zů zeiten die nächsten nachbauren, so mit ihren heuseren an einander gestossen, solche freuntschafft und liebe zůsamen gehabt, als wann sie blůtverwante freund gewesen. Inn aller widerwertigkeit, kranckheitten und trübsal sind sie nimer von einander gewichen, nit solche můsfründ, wie man der leider vil wider und für findet, gewesen. Dieselbigen sind nimer liebere freund, dann wann man schwein unnd kälber metzget, da man nit vil krancken warten unnd tröstens darff. Derselbigen bauchfreund sind yetzunder sehr viel auff erdt; welches dann ist ein sundere ursach diss meines gedichts, darinn ich dann die beyden gattungen, so viel mir ye müglichen sein mag, abmalen will.

Zům anderen ursachet mich auch der gros unfleiss der teutschen lehrmeister und guldinschreiber. Dann ob sie gleich die kinder auff schreiben, rechnen und lesen wol abrichten, werdend sie doch gar keiner mores, zucht noch geberdiger[121] sitten von inen underwisen. Und so sie dann zü handtwercken kumen, wissen sie weder har noch dar, wie sie ein meister, frawen oder gesellen halten sollen, künnend oder wissend auch nit, wie sie eim biderman zůsprechen, antworten oder fragen sollen. Alsdann sind ihre meister gleich als hinlessig als die anderen; wann sie nur waidlich hudlen und sudlen bey inen, mögendt sie sunst leicht zucht unnd hofligkeit künden. Wann sie dann ausgelert haben lauffen sie dahin wie das liebe vieh, meinen, sie habend ihre jar der lehr schon überkummen, so müssend sie erst von newem anheben. Bey keinem rechtgeschaffnen meyster mögen sie bleyheben, ziehen also von einem fretter unnd sudler zů dem anderen unnd kummend also umb die zerung, so ihn ire älteren, vögt oder vormünder geben haben. Darnach greiffen sie die büntel an, yetzund ein hembd, darnach ein par strümpff. Unnd wann wir dann nichs mehr haben, nemmen wir den ausgesognen lären büntelsack in rockermel, so wir anderst nit umb den rock auch kumen sind, in das vatterland eylend, ander provision zů holen. Etwan bleiben wir gar daheymen, wissend mehr und haben mehr erfaren dann alte und gewanderte gesellen, so wol alters halben unsere vätter weren.

Desshalben, lieber leser oder zůhörer, euwer baider ungunst zů vermeiden, hab ich mich zůforderst entschuldigen wöllen, wo dir villeicht allemal dises büchlin an das mäntelin würde greiffen oder sagen, das dir vor wissend wer, wie es dir vor jaren in disem oder jenem land wer gangen, da dann brotheischen dein best handtwerck war, sunst hettest du dich bettlens nit erweren mögen. Hey so gedenck doch, das dir dises büchlin zů keinem trutz noch nachtheil gemacht! Dann wie dirs gangen ist, so mags iren noch mehr gangen sein. Hiemit, lieber leser, bewar dich gott.

Quelle:
Georg Wickram: Werke. Band 2, Tübingen 1903, S. 121-122.
Lizenz:
Kategorien: