Zweites Capitel
Anfang der Entwicklung

[357] Wenn Verliebte einander ausweichen, so geschieht es gemeiniglich um eifriger gesucht und bälder gefunden zu werden. Donna Felicia hatte, so bald sie unsern Helden erblickte, einen entgegen gesetzten Weg genommen, aber doch nicht ohne sich mehr als einmal umzusehen, und so bald sie sah, daß er sie suchte, so lenkte sie unvermerkt in einen Gang ein, wo er sie finden mußte. Beide schienen sich zu verwundern, einander so früh im Garten anzutreffen, aber Donna Felicia war nicht so aufrichtig die wahre Ursache davon zu gestehen als Don Sylvio. Sie schützte die Annehmlichkeit des Morgens vor, da hingegen dieser ganz offenherzig bekannte, daß er sich um keiner andern Ursache willen so früh in den Garten begeben habe, als seinen Gedanken desto freier nachzuhängen. Ein viel bedeutender Blick, den er bei diesen Worten auf sie heftete, und ein übel verhaltener Seufzer ergänzten und bestimmten, was darin undeutlich war; aber Donna Felicia, die es nichts desto besser verstund, oder doch nicht der gleichen tun wollte, lenkte die Unterredung auf die Feen, indem sie ihn fragte, ob ihm die Geschichte des gestrigen Abends nicht im Traum vorgekommen sei. Ich für meine Person, gestehe ihnen, sagte sie, daß ich die ganze Nacht durch in des Walfisches Bauch herum gewandert bin, und wenn sie neugierig sind mehr davon zu wissen, so kann ich ihnen vielleicht[357] Nachrichten geben, die ihnen nicht gleichgültig sein werden. Don Sylvio antwortete ihr hierauf mit dem ganzen Ernst eines Liebhabers von siebenzehen Jahren, daß, da er seit dem er sie gesehen habe, wachend nichts anders sehe als sie, seine Seele sich im Traum noch weniger mit einem andern Gegenstande beschäftigen könne. Er gestund auch, daß dasjenige, was in ihm vorgehe, seitdem er sie kenne, ihn beinahe gänzlich überzeuge, daß es keine andere Bezauberung gehe als die Liebe. O! warum kann ich keine Worte finden, rief er, ihnen eine Beschreibung davon zu machen! Sie haben mir ein neues Wesen gegeben. Ihre Gegenwart verbreitet einen Glanz um mich her, der die ganze Natur in meinen Augen schöner und rührender macht; ich glaube in einer andern Welt zu sein, alles was ich sehe, scheint mir einen Widerschein ihrer Reizungen entgegen zu werfen, die leblosesten Dinge scheinen beseelt und atmen den Geist der Liebe aus; Selbst abwesend bleibt eine Spur an jedem Ort, wo ich sie gesehen habe, ein zauberischer Reiz zurück, und ich glaube es zu fühlen, daß sie auch unsichtbar noch immer gegenwärtig sind – Don Sylvio, unterbrach ihn Felicia mit einem zärtlichen Blick, den sie sich bemühte unter einem scherzhaften Lächeln zu verbergen. Versuchen sie mich nicht ihnen zu sagen, daß sie in den Poeten wenigstens so belesen sind als der Prinz – Nennen sie ihn nicht, Donna Felicia, sagte unser Held, den diese Worte, so wenig sie böse gemeint waren, so sehr bewegten, daß ihm die Tränen in die Augen traten; beleidigen sie die Aufrichtigkeit meiner Seele nicht durch eine Vergleichung, die ich so wenig verdiene; ich sage ihnen was ich erfahre, und ich wünschte es ihnen in einer Sprache sagen zu können, die nicht so weit unter der Wahrheit meiner Empfindungen wäre. Was ich empfinde, seit dem ich sie sehe, ist unendlich weit von den Würkungen einer erhitzten Phantasie unterschieden; Ihr erster Anblick hat das ganze Feuer meiner Einbildungs-Kraft ausgelöscht, ich erinnere mich meines vorhergehenden Lebens nur wie eines eiteln Traums; von dem glücklichen Augenblick, da ich sie zum erstenmal sah, fängt sich mein wahres Dasein an, und o! möchte es – Hier hielt der allzuschüchterne Jüngling inne, und ließ einen Blick, der bis in die Seele der schönen Felicia drang, vollenden, was er nicht kühn genug gewesen war[358] auszusprechen. Vielleicht könnte ich, erwiderte Donna Felicia, sie mit gutem Grunde beschuldigen, daß sie nicht so ganz aufrichtig gegen mich sind, als sie mich bereden wollen; aber ich will ihnen keinen Vorwurf machen, und ich bin auch nicht dazu berechtiget. Sie haben mir die Ehre angetan, Don Sylvio, mich für eine Fee zu halten; erlauben sie mir, ihnen eine Probe zu geben, daß ich ihrer Radiante wenigstens in einem Stücke gleiche; sehen sie hier das Bildnis ihrer Geliebten, das sie verloren, ich stelle es ihnen wieder zu, wie sie es aus ihren Händen empfangen haben. Mit diesen Worten gab sie ihm die Perlenschnur mit dem Bildnis, und ergötzte sich nicht wenig an der Bestürzung worein sie ihn durch ein so unerwartetes Geschenk setzte. Er nahm es mit zitternder Hand, er sah es an, dann betrachtete er Donna Felicia, sahe das Bildnis wieder an, und rief endlich aus: Woher auch dieses Bildnis seie, oder wen es vorstellen mag, so sagt mir mein Gesicht, daß es das ihrige ist, und mein Herz, daß es alle die Gewalt, die es über mich hatte, allein von dieser wunderbaren Ähnlichkeit mit ihnen empfangen hat. Ich erhielt es nicht aus den Händen einer Fee, wie sie sagten; ich fand es in dem Walde, der an den Park von Rosalva grenzt; dieser Umstand, und daß es, nachdem es mir geraubt worden, wieder in ihre Hände gekommen ist, scheint ein Geheimnis zu verbergen. Erklären sie mirs, schönste Felicia; es ist ganz gewiß ihr eigen Bildnis; so bald ich es sah, bemeisterte es sich meiner ganzen Seele; ich fühlte es an der unaussprechlichen Liebe, die es mir einflößte, daß es diejenige vorstellte, die mich allein glücklich machen kann, mein Herz erkannte den Gegenstand aller seiner Wünsche darin – Aber o! wie unendlich lebhafter war diese Empfindung, da ich das Urbild erblickte! – Nehmen sie sich in Acht, sagte Donna Felicia lächelnd, ihr Herz könnte ihnen einen kleinen Streich gespielt haben; ich versichere sie, daß dieses Bildnis, ungeachtet der Ähnlichkeit, die sie zu sehen glauben, nicht das meinige ist.

Sie waren unter diesen Gesprächen immer fort gegangen, und befanden sich, indem Felicia dieses sagte, bei dem Pavillion. Sie bemerkte die Verlegenheit, worein ihre Versicherung den guten Don Sylvio setzte, ob er gleich immer fort behauptete, daß er in diesem Bildnis, es möchte nun auch vorstellen sollen wen es[359] wollte, niemand als sie selbst geliebt habe. Er schrieb es der Würkung einer geheimen Vorempfindung zu, ob er gleich gestund, daß ihm die Umstände, worin er es bekommen habe, noch immer ein Rätsel seien. Donna Felicia konnte nicht so grausam sein ihn länger in einer Verwirrung zu lassen, die zu nichts hätte dienen können, als ihre Eitelkeit zu vergnügen; sie führte ihn also durch den Saal des Pavillions in ein Cabinet, bei dessen Öffnung ihm so gleich zwei große Bildnisse in Lebens-Größe in die Augen fielen, welche neben einander hingen, und einander so vollkommen ähnlich waren, daß man sie durch nichts anders unterscheiden konnte, als eine kleine Verschiedenheit des Colorits, die nur dem schärfsten Kenner merklich sein konnte. Eines von diesen Bildnissen ist das meinige, sagte sie; raten sie, Don Sylvio, welches von beiden. Beide sinds, rief Don Sylvio, denn es deucht mich augenscheinlich, daß dieses hier eine Copei von jenem ist. Sie irren sich, Don Sylvio, erwiderte Felicia; dieses hier, welches sie für das meinige ansehen, ist wenigstens sechzig Jahre älter. Es stellt meine Großmutter Donna Dorothea von Jutella vor, so wie sie in einem Alter von sechzehen Jahren war; hier, fuhr sie fort, indem sie ihm ein kleines Mignatur-Gemälde wies, das unter dem großen Portrait hing, sehen sie ein anders, das ungefähr um die nämliche Zeit von ihr gemacht wurde; es ist dem größern vollkommen ähnlich, und nach diesem wurde das kleine Bildnis gemalt, das die Gelegenheit zu einer so seltsamen Intrigue gegeben hat. Die außerordentliche Ähnlichkeit, die mein Vater zwischen mir und Donna Dorothea fand, bewog ihn, mich, da ich sechszehen Jahre hatte, in der nämlichen Kleidung und Stellung abmalen zu lassen; und jedermann sagt, daß mein Bild mir selbst eben so vollkommen gleiche als meiner Großmutter. Mein Großvater, der seine Gemahlin außerordentlich liebte, ließ das kleine Gemälde machen, das in ihre Hände gekommen ist, und pflegte es, nach der Mode seiner Zeit an einer goldnen Kette zu tragen. Er hinterließ es meiner Mutter, und da es von dieser auf mich kam, so hing ich es an diese Perlen-Schnur, und trug es so lange als ein Halsgeschmeide, bis ich es vor etlichen Tagen in dem nämlichen Walde verlor, wo sie es bald darauf gefunden haben müssen. Dieses ist die Entwicklung des ganzen Knotens, und[360] nun, setzte sie lächelnd hinzu, überlasse ich ihnen, da die Großmutter und die Enkelin gleich viel Recht an ihre Neigung hat, für welche von beiden sie sich erklären wollen.

Don Sylvio war vor Freude über eine Entwicklung, die seinem Herzen so gemäß war, außer sich; er warf sich zu ihren Füßen, und sagte ihr, in der rührenden Unordnung, welche die wahre Beredsamkeit der Liebe ist – Sachen, die unsern werten Lesern eben so töricht vorkommen würden, als sie der gerührten Donna Felicia angenehm sein mußten. In der Verfassung, worin ihr eigenes Herz war, hört man einem Liebhaber, wie Don Sylvio, so gerne zu, daß es eine ziemliche Weile währte, bis sie sich besann, daß sie seiner Entzückung ein wenig Einhalt tun müßte. Sie bat ihn also aufzustehen, und ihr in den Saal zu folgen, wo sie ihre Unterredung bequemer fortsetzen könnten. Don Sylvio erzählte ihr jetzt sein ganzes Feen-Märchen, die Geschichte des Sommer-Vogels, und die Erscheinung der Fee Radiante; und er gestund desto williger, daß seine mit Feen-Wundern angefüllte Einbildungs-Kraft einen großen Anteil an diesem vermeinten Gesichte gehabt habe, da ihn Donna Felicia auf der andern Seite nicht ohne Vergnügen erlaubte die andere Hälfte dieses sonderbaren Phänomeni auf die Rechnung einer geheimen Divination oder Vorwissenschaft seiner Seele zu schreiben, der es ahnete, daß er in kurzem das Urbild dieses geliebten Schattenbildes finden würde. Wenn die Feen auch nur Geschöpfe unserer Einbildungskraft sind, sagte er; so werde ich sie doch immer als meine größte Wohltäterinnen ansehen, da ich ohne sie noch immer in der Einsamkeit von Rosalva schmachtete, und vielleicht auf ewig der Glückseligkeit entbehrt hätte, diejenige zu finden, die mein verlangendes Herz, seit dem es sich selbst fühlt, zu suchen schien. Er fuhr nunmehr fort, mit der völligen Begeisterung eines wahrhaftig eingenommenen Liebhabers, der aufmerksamen Felicia seine Empfindungen abzuschildern, und diese junge Dame fand sich unvermerkt so sehr davon gerührt, daß sie, ihres anfangs gefaßten Vorsatzes uneingedenk sich nicht enthalten konnte, ihm zu erzählen, wie sie ihn in der Rosenlaube schlafend gefunden, und von diesem Augenblick an sich nicht erwehren können, einen Anteil an diesem Unbekannten zu nehmen, der ihr die Gesinnungen, die[361] ihr Bildnis und sie selbst ihm eingeflößt, desto angenehmer mache. Dieses Geständnis setzte unsern Helden in eine Entzückung, die er eine geraume Zeit durch nichts anders ausdrücken konnte, als daß er sich zu ihren Füßen warf, und ihre schönen Hände, eine nach der andern mit Küssen überhäufte, in denen er seine Seele hätte ausatmen mögen. Für eine zärtliche Schöne von Feliciens Alter ist vielleicht nichts gefährlicher als der Anblick der Glückseligkeit, womit ihre erste Gutsbezeugungen ihren Liebhaber berauschen; und man muß gestehen, daß die Gefahr nichts desto kleiner ist, wenn dieser Liebhaber so jung, so schön und so feurig ist als es Don Sylvio war.

In dieser Betrachtung, hoffen wir, werde man es der liebenswürdigen Felicia zu gut halten, daß sie vielleicht zu viel Nachsicht gegen ihren ecstatischen Anbeter hatte. In dieser süßen Trunkenheit der Seele, da sie ganz in Liebe und Wonne aufgelöst, die lebhaftesten Ausdrücke ihrer Empfindung noch zu schwach findet, kann man ohne Unbilligkeit nicht fordern, daß sie geschickt sein soll, sich in diesem Gleichgewicht zu erhalten, welches uns die Weisheit der Moralisten vorschreibt. Diese erhabene Leute fordern freilich mit Recht, daß man nie zu viel tun solle; aber die Frage ist, was in dem Falle, wovon wir reden, zu viel sei, und durch was für, bisher noch unbekannte Mittel möglich sei, Weisheit und Liebe in so genauen Parallel-Linien fortlaufen zu machen, daß sich diese niemals von jener entfernen könne.

Für ein paar junge Leute, wie Don Sylvio und die schöne Felicia in der vorbemeldten Verfassung ihres Herzens waren, ist die Zeit keine Folge von Augenblicken, sondern ein einziger unbeweglicher Augenblick, welcher ganze Jahre unbemerkt verschlingen würde, wenn sie nicht von äußerlichen Ursachen, oder der Erschöpfung ihrer eigenen Lebensgeister, aus einer so zauberischen Entzückung aufgeweckt würden. Sie befanden sich noch so wenig in dem letztern Falle, daß sie sehr erstaunt waren, von der Dame Laura zu vernehmen, daß es schon Zeit zum Frühstücken sei. Dieser Anzeige zufolge wurde beliebt, daß sich Don Sylvio auf eine kleine Weile beurlauben sollte, und so wenig hatte ihn das Anschauen seiner geliebten Felicia in vier ganzen Stunden sättigen können, daß es ihm fast unmöglich[362] schien, sich nur auf etliche Augenblicke davon los zu reißen.

Eine Weile darauf fand sich die ganze kleine Gesellschaft beim Tee-Tische der Donna Felicia zusammen. Don Eugenio und Don Gabriel bewunderten die sichtbare Verwandlung nicht wenig, die mit unserm Helden vorgegangen war; der erste hatte sich schon mit einer ganzen Rüstung von Gründen gewaffnet, um die Feen aus ihren letzten Verschanzungen in seinem Gehirn heraus zu treiben; allein er fand zu nicht geringer Beschämung seiner Philosophie gar bald, daß alle Arbeit schon verrichtet war, und mußte sich selbst gestehen, daß ein paar schöne Augen in etlichen Minuten stärker überzeugen und schneller bekehren, als die Academie, das Lyceum und die Stoa mit vereinigten Kräften kaum in eben so viel Jahren zu tun vermöchten.

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Christoph Martin Wieland: Werke. Band 1, München 1964 ff., S. 357-363.
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