Die Reise nach Norddeutschland

[515] Mozarts letzte größere Reise, die er im Frühjahr 1789 angetreten hat, trägt nach Absicht und Ausführung einen ganz anderen Charakter als die früheren. Jene waren wohlvorbereitete Kunstreisen gewesen, die bis ins Kleinste hinein einem bestimmten Programm folgten. Die neue Reise dagegen erfolgte sozusagen aus dem Stegreif. Der Anlaß dazu ging von dem FürstenCarl Lichnowsky aus, dem Schwiegersohn der Gräfin Thun1, einem eifrigen Musikfreund und Schüler Mozarts, dem er herzlich zugetan war. Seine Besitzungen in Schlesien sowie seine Stellung in der preußischen Armee legten ihm die Verpflichtung auf, sich von Zeit zu Zeit in Berlin aufzuhalten; als er im Frühjahr 1789 eine Reise dahin unternahm, bot er Mozart an, ihn in seinem Wagen mitzunehmen. Mit Freuden ging Mozart darauf ein. Die Musikliebe König Friedrich Wilhelms II. und die Gönnerschaft des Fürsten erweckten in ihm allerlei Hoffnungen, aus seiner gerade damals besonders bedrängten Lage in Wien herauszukommen. Das Darlehensgesuch an Hofdemel vom 2. April 1789 steht offenbar mit dieser Reise im Zusammenhang2. Die zurückbleibende Konstanze wurde nach gewohnter Art durch drastischen Humor beruhigt; sie erhielt das komische Quartett »Caro mio Schluck und Druck3« und außerdem die folgenden Verse »auf die vorhabende Reise«, zu denen sie ihm offenbar die Reime angegeben hatte:


Wenn ich werde nach Berlin ver-Reisen

Hoff' ich mir fürwahr viel Ehr undRuhm

Doch acht' ich geringe alles –Preisen

bist du, Weib, bey meinem Lobe –stumm;

Wenn wir uns dann wieder sehen,küssen,

drücken, o der wonnevollen –lust!

aber Thränen – Trauerthränen –fließen

noch ehvor – und spalten Herz undBrust.


Am 8. April 1789 erfolgte die Abreise von Wien, und noch am selben Tage schrieb er aus Budweis, »unterdessen der Fürst im Pferd-Handel begriffen ist«, einen Brief voll zärtlicher Sorge an seine Frau4. Am Karfreitag den 10. mittags kamen sie nach Prag, wo sie im Gasthof zum Einhorn einkehrten.[516] Von seinen alten Gönnern traf Mozart keinen zu Hause an; auch von den Duscheks konnte er nur Franz begrüßen, Josepha war am Tage zuvor nach Dresden abgereist. Dagegen machte er mit Guardasoni den Kontrakt wegen einer neuen Oper für Prag mit 200 Dukaten Honorar und 50 Dukaten Reisegeld »fast richtig5«. Trotzdem ist dieser Vertrag niemals zur Ausführung gekommen6. Von seinem alten Freunde Ramm erfuhr er, daß König Friedrich Wilhelm sich angelegentlich nach seiner Ankunft in Berlin erkundigt hätte.

Am 12. April kamen sie in Dresden an, und Mozarts erster Gang war zu Josepha Duschek, die bei der Familie des Sekretärs beim geheimen Kriegsratskollegium Joh. Leopold Neumann wohnte. Neumann spielte damals im literarischen und musikalischen Leben Dresdens eine große Rolle, vor allem dank seinen freundschaftlichen Beziehungen zu dem kurfürstlichen Oberkapellmeister Joh. Gottlieb Naumann (1741–1801), für den er die Opern »Cora« und »Amphion« übersetzte. 1777 gründete Neumann eine musikalische Akademie7; seine Frau nennt Goethe8 einmal eine besonders gute Klavierspielerin. Durch Neumanns wurde Mozart, der von ihnen ganz entzückt war, in den Dresdner musikalischen Kreisen eingeführt. Dazu gehörte vor allem der Oberappellationsrat Körner, der bekannte Freund Schillers, mit dem Mozart mehrfach zusammentraf; bei einer Einladung in Körners Hause vergaß Mozart über dem Phantasieren vollständig das Mittagessen9. Körners Schwägerin Dora Stock aber hat damals ihre gelungene Silberstiftzeichnung von ihm angefertigt10. Das erste musikalische Ereignis war eine vom Komponisten selbst dirigierte Messe von Naumann, die Mozart allerdings »sehr mittelmäßig« fand; bei dieser Gelegenheit stellte ihn Neumann dem kurfürstlichen »Directeur des plaisirs«, Herrn von König, vor, der ihn in der artigsten Weise fragte, ob er bei Hofe zu spielen geneigt sei11. Dieses Hofkonzert fand am 14. April gegen Abend statt; Mozart spielte dabei sein neues D-Dur-Konzert (K.-V. 537) und erhielt tags darauf 100 Dukaten in einer schönen Dose12. Auch in Privatzirkeln ließ er sich hören, so am[517] 13. April im Hotel de Pologne, seinem Absteigequartier, wo ein Quartettabend unter Mitwirkung des Dresdner Organisten Anton Teyber und des Cellisten Kraft stattfand; es kamen dabei sein Streichtrio in Es-Dur und Stücke aus »Figaro« und »Don Giovanni« (durch Frau Duschek) zum Vortrag. Tags darauf hatte er nach dem Mittagessen beim russischen Gesandten einen Wettstreit auf der Orgel mit dem Erfurter Organisten Joh. Wilhelm Häßler (1747–1822) zu bestehen, der aus der Schule J. Chr. Kittels, eines Schülers von J.S. Bach, hervorgegangen war13. Häßler genoß als Klavier- und Orgelspieler das größte Ansehen, nicht allein seiner virtuosen Technik, sondern auch seines geschmack- und ausdrucksvollen Vortrags wegen14. In Dresden, wo er gleichfalls durch sein »unaussprechlich gefühlvolles Spiel« schon 1788 großen Erfolg gehabt hatte, wollte man sicher wissen, daß er nach Wien zu reisen beabsichtige, um in einem Wettstreit »dem großen Mozart zu zeigen, daß letzterer, so stark er auf dem Fortepiano ist, doch nicht Klavier spielen könne15«. Mozart berichtet über das Dresdner Zusammentreffen16:


Nach Tisch wurde ausgemacht auf eine Orgel zu gehen; um 4 Uhr fuhren wir hin; Naumann war auch da. – Nun mußt Du wissen daß hier ein gewisser Häßler (Organist von Erfurt) ist; dieser war auch da; – er ist ein Schüler von einem Schüler von Bach; – seine Force ist die Orgel und das Clavier (Clavichord). Nun glauben die Leute hier, weil ich von Wien komme, daß ich diesen Geschmack und diese Art zu spielen gar nicht kenne. – Ich setzte mich also zur Orgel und spielte. – Der Fürst Lichnowsky (weil er Häßler gut kennt) beredet ihn mit vieler Mühe auch zu spielen, – die Force von diesem Häßler besteht auf der Orgel in den Füßen, welches, weil hier die Pedale stuffenweise gehen, aber keine so große Kunst ist; übrigens hat er nur Harmonie und Modulationen vom alten Sebastian Bach auswendig gelernt, und ist nicht im Stande eine Fuge ordentlich auszuführen, und hat kein solides Spiel – ist folglich noch lange kein Albrechtsberger17. – Nach diesem wurde beschlossen noch einmal zum Russischen Gesandten zu gehen, damit mich Häßler auf dem Fortepiano hört. – Häßler spielte auch. – Auf dem Fortepiano finde ich nun die Aurnhammer18 ebenso stark, Du kannst Dir nun vorstellen, daß seine Schale ziemlich sank.


Die Oper fand Mozart in Dresden »wahrhaft elend«, wobei ungewiß ist, ob er die Leistungen des Ensembles oder die Kunst Naumanns meinte; immer hin freute es ihn, Rosa Manservisi, seine alte Münchner Bekannte19, hier wiederzutreffen.[518]

Am 18. April verließen die beiden Reisenden Dresden und kamen am 20. in Leipzig an, wo Mozart alsbald den damaligen Thomaskantor Joh. Friedrich Doles (1715–1797), einen Schüler Seb. Bachs, aufsuchte. Fr. Rochlitz, der als früherer Thomasschüler noch viel bei Doles verkehrte, hat aus dieser Zeit jene uns bereits bekannte Schilderung von Mozarts Person und Künstlertum entworfen, allerdings nach seiner bekannten, ausschmückenden Weise20. Jedenfalls hat Mozart in jenen wenigen Tagen mit seiner Kunst als Pianist und Kammermusikspieler nicht gegeizt, und der Violinist Berger pflegte noch als Greis, wenn ein solches Stück gespielt wurde, gerührt einem Freunde zuzuflüstern: »Ach, das habe ich ehemals dem großen Mozart selbst zu akkompagnieren die Ehre gehabt21.« Wichtiger ist folgender Bericht eines Ohrenzeugen22:


Am 22. April ließ er sich ohne vorausgehende Ankündigung und unentgeltlich auf der Orgel in der Thomaskirche hören. Er spielte da eine Stunde lang schön und kunstreich vor vielen Zuhörern. Der damalige OrganistGörner und der verstorbene Kantor Doles waren neben ihm und zogen die Register. Ich sah ihn selbst, einen jungen modisch gekleideten Mann von Mittelgröße. Doles war ganz entzückt über des Künstlers Spiel und glaubte den alten Seb. Bach, seinen Lehrer, wieder auferstanden. Mozart hatte mit sehr gutem Anstande und mit der größten Leichtigkeit alle harmonischen Künste angebracht und die Themate, unter andern den ChoralJesu meine Zuversicht, aufs herrlichste aus dem Stegreife durchgeführt.


Doles selbst ehrte Mozart auf alle Weise; er widmete Naumann und ihm seine Kantate »Ich komme vor Dein Angesicht« (1790) und ließ ihm zum Dank für seinen Orgelvortrag von seinen Thomanern Seb. Bachs Motette Singet dem Herrn ein neues Lied vorsingen. Mozart hörte nach Rochlitz' Bericht23 mit der gespanntesten Aufmerksamkeit zu und rief dann voll Freude aus: »Das ist doch einmal etwas, woraus sich was lernen läßt!« Auch von den übrigen Motetten Bachs ließ er sich die Stimmen geben, legte sie rings um sich her, arbeitete alle durch und erbat sich auch noch Kopien davon. So trat ihm, wie kurz zuvor Händel, jetzt Bach aufs neue nahe, und wir werden die Spuren dieser Studien bald auch in seinen eigenen Werken wahrnehmen.

Kurz darauf, am 22. oder 23. April24, fand die Abreise nach Potsdam statt, wo der königliche Hof damals residierte.

Friedrich Wilhelm II. teilte die Begabung und Neigung seines großen Oheims für die Musik, war aber in seinem Geschmack weit weniger einseitig als dieser. In der Schule des älteren Duport (1741–1818) hatte er sich zu einem tüchtigen Violoncellspieler herangebildet und wirkte als Solist,[519] als Kammermusiker, ja sogar bei den Proben im Orchester gelegentlich mit25. Schon als Kronprinz hielt er eine vollständig besetzte, treffliche Kapelle unter Duports Leitung und berief zu diesen Konzerten auch fremde Virtuosen26. Als König aber verschaffte er sämtlichen Richtungen in der damaligen Tonkunst in Berlin Zutritt, besonders auch denen, die sein Vorgänger ausgeschlossen hatte27. Auf seinen Antrieb hatte Reichardt nach dem Pariser Vorbild seine »Concerts spirituels« begründet, in denen hauptsächlich die älteren Italiener zu Gehör kamen, er schätzte Händel und Gluck, mit dem sich Friedrich d. Gr. niemals hatte befreunden können, und ließ in Theater und Konzert gleichmäßig die italienische, französische und deutsche Musik zu Worte kommen. Vor allem fand Haydns Kunst in ihm einen warmen Gönner. Aber auch der in Madrid lebende Boccherini wurde von ihm zum Hofkomponisten ernannt und bezog von 1787–1797 ein Jahresgehalt. Nach seinem Regierungsantritt (1786) wurde seine Privatkapelle mit der königlichen vereinigt und beide J. Fr. Reichardt als Kapellmeister unterstellt. Im Karneval wurden nach wie vor italienische große Opern gegeben, deren Komposition den beiden Kapellmeistern Reichardt und Alessandri, aber mitunter auch Auswärtigen wie Naumann übertragen wurde. Das deutsche Schauspiel wurde zum Nationaltheater erhoben und finanziell regelmäßig unterstützt, was auch dem deutschen Singspiel zugute kam, aber auch die komische Oper der Italiener und Franzosen gepflegt; so kamen bei einem Hoffest im Sommer 1789Cimarosas »Falegname«, Dalayracs »Nina« undReichardts »Claudine von Villabella« an einem Abend zur Aufführung. Daneben gingen die Konzerte des Königs unter Duports Leitung in der alten Weise weiter. Da der König bedeutende Künstler, fremde wie einheimische, aufs freundlichste behandelte und freigebig belohnte, so hielten ihn diese in hohen Ehren und setzten auf den Berliner Hof die größten Hoffnungen28.

Von Mozarts Opern waren »Figaro« und »Don Giovanni« noch nicht nach Berlin gedrungen. Dagegen kannte der König die dort mit großem Beifalle gegebene »Entführung« und schätzte auch seine Instrumentalmusik, besonders die Quartette, sehr hoch. So eröffneten sich Mozart die besten Aussichten, und er teilt Konstanze befriedigt mit, daß er beim König »in Gnaden stehe29«. Das ist freilich auch der einzige Bericht über die königliche Huld, den wir von ihm selbst haben. Um so zahlreicher sind die mehr oder minder anekdotenhaften Erzählungen, die in späterer Zeit an diesen Aufenthalt in Berlin geknüpft wurden. Eins scheint jedenfalls daraus hervorzugehen, daß Mozart bei den Musikern am Hofe auf allerhand Widerstände stieß. Vor allem scheint er von Anfang an das Mißtrauen des notorisch herrsch- und ränkesüchtigen Duport erregt zu haben30. Es wird, allerdings[520] aus weit späterer Zeit, berichtet31, daß er bei seinem ersten Besuch auf Duports Ansinnen, französisch zu sprechen, geäußert habe: »so ein welscher Fratz, der jahrelang in deutschen Landen wäre und deutsches Brot fräße, müßte auch deutsch reden oder radebrechen, so gut oder schlecht als ihm das französische Maul dazu gewachsen wäre«. Bei seiner temperamentvollen Art und seiner deutschen Gesinnung32 ist das nicht ausgeschlossen. Jedenfalls blieb das Verhältnis zu Duport trotz den Variationen über ein Menuett von ihm, die Mozart am 29. April komponierte (K.-V. 573, S. XXI. 14), sehr kühl, und die Briefe erwähnen ihn mit keinem Worte. Trotzdem wurde Mozart vom König zu seinen Konzerten zugezogen und zum Spielen aufgefordert. Auf die Frage, was er von der Kapelle halte, soll er dem König geantwortet haben, sie vereinige die größten Virtuosen der Welt, aber wenn die Herren zusammen wären, könnten sie es besser machen33. Der tonangebende Musiker Berlins, Reichardt, war allerdings während Mozarts Anwesenheit nicht zugegen34. Die deutliche Mißstimmung, die sich in den Urteilen Reichardts und seines Anhangs gegen Mozart ausspricht, hatte also sicher keinen persönlichen Grund, sondern wurzelte in der aus Goethes und Schillers Urteilen sattsam bekannten, höchst zweifelhaften Art dieses Mannes, der als Künstler wie als Mensch mit einem hochbedeutenden Talent eine seltsame Unruhe des Geistes und ein mehr als weites Gewissen verband.

Daß der Antrag des Königs, Mozart als Kapellmeister in seine Dienste zu ziehen, und dessen Ablehnung in das Gebiet der Legende gehört, ist schon früher bemerkt worden35.

Mozart wohnte in Potsdam bei dem ihm noch von seinem Pariser Aufenthalt her bekannten, ausgezeichneten Hornisten Türrschmidt36 und verkehrte besonders viel mit Sartory, einem Künstler architektonischer Ornamente, der in Italien gewesen war und die Musik außerordentlich liebte. Er lernte da eine große Anzahl von Musikfreunden kennen, bei denen er sich durch sein Spiel und seine gute Laune viele Sympathien erwarb37. Auch war er viel im Hause der Sängerin Sophie Niclas, der Schwester des Kammermusikus Semler, die schon 1784 als Konstanze in der »Entführung« großen Beifall gefunden hatte38.


Einstmals wurde er dort aufgefordert zu phantasieren. Wie er immer bereitwillig war, so auch hier. Er setzte sich ans Klavier; von den anwesenden Musikverständigen hatte er sich zwei Themata geben lassen. Die Sängerin trat neben[521] seinen Stuhl, um ihn auch spielen zu sehen. Mozart, der gern mit ihr scherzte, sah zu ihr hinauf und sagte: Nun? habens auch a Themerl aufm Gewissen? Sie sang ihm eins. Er begann nun das reizendste Spiel, bald mit diesem, bald mit jenem Thema und zum Schluß brachte er sie alle drei zusammen, zum höchsten Genuß und Erstaunen der Anwesenden39.


Anfang Mai reiste Fürst Lichnowsky wieder nach Wien zurück, und Mozart ließ sich nur zu willig von ihm bereden, ihn wieder nach Leipzig zu den dortigen Freunden zu begleiten. Am 8. Mai kam er daselbst an und gab auf deren Drängen am 12. eine Akademie40. Rochlitz weiß zu berichten, wie er bei der Probe das erste Allegro einer seiner Sinfonien41 ganz auffallend rasch genommen, und als das Orchester ihm dabei nicht sofort gefolgt sei, den Anfang zweimal wiederholt habe; dabei habe er den Takt so heftig mit dem Fuße aufgestampft, daß seine stählerne Schuhschnalle absprang42. Erst als die Musiker im hellen Unwillen drauflos gespielt hätten, sei er zufrieden gewesen. Einigen Kennern sagte er nachher, er sei zwar ein abgesagter Feind aller überhasteten Tempi, in diesem Falle aber habe er im Hinblick auf das vorgerückte Alter der meisten Musiker ein allzugroßes Schleppen befürchtet und die Leute deshalb »erst ins Feuer getrieben; vor lauter Ärger taten sie nun ihr Möglichstes«. Alles übrige nahm er in gemäßigterem Tempo, und nachdem die (von Frau Duschek gesungene) Arie43 probiert war, lobte er die Begleitung des Orchesters und meinte, es sei unnötig, auch noch seine Konzerte (in C-Dur K.-V. 503 und B-Dur K.-V. 456) zu probieren: »die Stimmen sind richtig geschrieben, Sie spielen richtig und ich auch« – und der Erfolg entsprach seiner Erwartung44.

Das Konzert war übrigens nur schwach besucht, so daß Mozart die Reise fast umsonst gemacht hatte45. Die Hälfte aller Besucher war auf Freikarten gekommen, und als sich die in dem Konzert nicht beschäftigten Chorsänger beim Kartenverkäufer nach solchen erkundigten, ließ sie Mozart ohne weiteres herein: »wer wird es mit so etwas genau nehmen?« Auch dieses Konzert beschloß er übrigens mit einer freien Phantasie, die in c-Moll begann und dann in die später gedruckten Variationen in Es-Dur überging46. Nach dem Konzert nahm er den ihm lieb gewordenen Geiger Berger noch mit auf sein Zimmer und spielte ihm bis tief in die Nacht hinein vor47. Ein anderer Leipziger Musiker, der Hoforganist Engel an der Schloßkapelle, erhielt von ihm am 17. Mai die kleine; Gigue in G-Dur (K.-V. 574, S. XXII. 17) für Klavier zum Geschenk.

Infolge großen Andrangs bei der Post verzögerte sich Mozarts Abreise von Leipzig bis zum 17. Mai48, so daß er erst am 19. wieder in Berlin eintraf.[522] Er nahm bei Moser auf dem Gensdarmenmarkt Wohnung49 und hat seinem Wirt später eine zierliche Abschrift seiner sechs Quartette (K.-V. 421 ff.) geschenkt. Noch am selben Abend wurde »auf lautes Begehren« die »Entführung« im Nationaltheater gegeben50, und an seinen Besuch dieser Vorstellung knüpft sich eine weitere Anekdote, der wohl ein wirkliches Begebnis zugrundeliegt. Mozart stellte sich nahe ans Orchester und erregte durch allerhand halblaute Bemerkungen die Aufmerksamkeit seiner Umgebung. Als in der Arie des Pedrillo (13) die zweite Violine dis' statt d' spielte, rief er laut: »Verflucht, wollt Ihr d greifen!«51 Jetzt wurde er erkannt und beim Aktschluß auf die Bühne gerufen. Die SängerinHenriette Baranius, die Darstellerin Blondchens, nahm ihm dabei das Versprechen ab, ihr die Rolle selbst einzustudieren52. Die begabte Künstlerin, eine gefeierte Schönheit, die sich ihrer Reize wohl bewußt war53, soll nach Rochlitz auch Mozart in ihre Netze gezogen haben, aus denen ihn seine Freunde nur mit Mühe befreit hätten54.

Harmloser war eine andere Begegnung im Theater mit dem damals 16jährigen Ludwig Tieck55. Der soll nach einem anekdotenhaften Bericht bei einer der Berliner Aufführungen der »Entführung« lange vor Beginn ins Theater gekommen sein und dabei im Orchester einen Unbekannten getroffen haben, der sich an den Pulten und Musikalien zu schaffen machte, einen kleinen, beweglichen Mann in grauem Überrock. Das mit ihm angeknüpfte Gespräch habe sich um Theater und Oper gedreht, wobei sich Tieck schließlich voll Bewunderung über Mozarts Kunst geäußert habe. »Sie hören also Mozarts Opern oft und lieben Sie?« fragte der Fremde, »das ist ja recht schön von Ihnen, junger Mann«. Über dieser Unterhaltung füllte sich das Theater allmählich, und endlich wurde der Fremde auf die Bühne gerufen. Tieck aber, der von seinen Reden bereits ganz eigentümlich berührt worden war, erfuhr nachher, daß es kein anderer als Mozart selbst gewesen war.

Hummel, der sich am 10. März in Dresden als Mozarts Schüler hatte hören lassen56, gab am 23. Mai in Berlin ein Konzert57, ohne von Mozarts Anwesenheit etwas zu wissen. Als der Knabe ihn unter den Zuhörern gewahrte, konnte er kaum an sich halten, stürzte nach beendigtem Spiel durch das versammelte Publikum auf ihn zu und umarmte ihn unter den zärtlichsten Begrüßungen58.

Am 26. Mai spielte Mozart vor der Königin. »Da ist aber nicht viel zu machen«, schreibt er seiner Frau59, »ich ließ mich nur melden, weil es hier[523] gebräuchlich ist, und sie es sonst übel nehmen würde«. Zu einem öffentlichen Konzert in Berlin kam es nicht, da der König es nicht gerne sah, auch mochten die Leipziger Erfahrungen zur Vorsicht mahnen. Doch er hielt er vom König ein Geschenk von 100 Friedrichsdor (etwa 900 Gulden) sowie den Auftrag, für den König sechs Quartette und für seine älteste Tochter, die Prinzessin Friederike, ebensoviel leichte Klaviersonaten zu schreiben. Es war neben den 100 Dresdner Dukaten der einzige Gewinn, den Mozart von dieser Reise nach Hause brachte. Davon ging noch ein Darlehen von 100 Gulden ab, das er einem unbekannt gebliebenen Freunde in gewohnter Gutmütigkeit nicht abschlagen konnte. Es hatte darum seinen guten Grund, wenn er Konstanze am 23. Mai schrieb: »Mein liebstes Weibchen, Du mußt Dich bey meiner Rückkunft schon mehr auf mich freuen als auf das Gelde.«

Am 28. Mai trat er die Rückreise über Dresden und Prag an, wo er sich vom 31. Mai bis zum 3. Juni aufhielt. Am 4. Juni traf er wieder in Wien ein.

Dürftig wie in materieller Hinsicht war der Ertrag dieser Reise auch in künstlerischer. Die Duport-Variationen (K.-V. 573) sind zwar ein gut gearbeitetes und pianistisch dankbares Stück, das zugleich deutlich die Hand seines Schöpfers verrät, erreichen aber an Gehalt doch nicht die Mehrzahl ihrer großen Vorgänger und enthalten auch formell nichts, was sich nicht schon bei diesen fände60. Dagegen ist dieGigue (K.-V. 574) ein kleines Meisterstück. Offenbar unter den Leipziger Bacheindrücken entstanden, gibt sie sich am Anfang streng kontrapunktisch und läßt im zweiten Teil, wie die Bachschen, neben dem Thema auch dessen Umkehrung aufmarschieren, aber im übrigen herrscht in dieser Kontrapunktik ein ziemlich freier Geist, der sich in allerhand launigen Einfällen gefällt. Schon das Thema setzt an, als wollte es mit seiner chromatischen Höhenlinie einen Beitrag zu den alten Fugenthemen über das chromatisch absteigende Quartenintervall geben. Aber schon bei e'' reißt die Linie ab, und das Thema eilt zum Schluß. Erst im zweiten Teil wird das chromatische Intervall vollständig durchmessen und am Schlusse sogar noch verlängert. Aber auch sonst wird mit dem Thema ein loses Spiel getrieben, es wird bald verkürzt, bald verlängert und muß auch das Material für die Kontrapunkte liefern. Nur einer davon, der halsstarrig auf der Quinte in der Oberstimme liegenbleibende Orgelpunkt, wahrt sich seine Selbständigkeit; er erscheint dann zum Schlusse auch noch im Basse. In der Subjektivität des Ausdrucks mit all seinen kontrapunktischen, rhythmischen und harmonischen Überraschungen nimmt dieses Stückchen bereits den Geist so mancher Schumannscher Phantasiestücke ähnlichen Schlages vorweg.

Fußnoten

1 S.o.S. 67.


2 I 841.


3 S.o.S. 52.


4 B II 290.


5 B II 290 f.


6 Guardasoni, der seit 1788 das Nationaltheater leitete, reiste 1789 nach Warschau, wo der polnische Landtag versammelt war, und kehrte erst 1791 wieder nach Prag zurück. Teuber II 260, 264.


7 Meißner, Biogr. Naumanns, II 267 f.


8 Briefe an Frau v. Stein (Wahle) I 465.


9 G. Parthey in seinen als Manuskript gedruckten Jugenderinnerungen, MBM 1903, Heft 16, S. 222 f. Daß Mozart fast täglicher Tischgast bei Körners gewesen sei, wie Dora Stock berichtet (s. Peschel, 4. Beil. zum Dresdner Anzeiger 1855, Nr. 149), beruht auf einem Gedächtnisfehler, s. Schurig II 189.


10 Sie ist dem ersten Bande dieses Werkes als Titelbild beigegeben.


11 B II 293 f.


12 Vgl. Musik. Real-Zeitg. 1789, S. 191: »Am 14. April hat sich der berühmte Tonsetzer W.A. Mozart von Wien bei Sr. Kurfürstl. Durchlaucht auf dem Fortepiano hören lassen – außerdem hat er auch noch hier in Dresden in vielen herrschaftlichen und Privathäusern mit dem grenzenlosesten Beifall gespielt, seine Fertigkeit auf dem Klavier und dem Fortepiano ist ganz unaussprechlich – hierzu kommt nun noch seine außerordentliche Fertigkeit vom Blatt zu lesen, die wahrlich bis zum Unglaublichen geht – denn er selbst ist beinahe nicht im Stande durch Übung eine Sache besser zu spielen als er sie gleich das erstemal spielt. Auch auf der Orgel hat er seine große Geschicklichkeit in der gebundenen Schreibart bewiesen. Er geht von hier nach Berlin.« B II 294 erwähnt nur die Dose


13 Seine Autobiographie im 2. Heft seiner Sechs leichten Sonaten, Erfurt 1786. Vgl. AMZ II 635. Cäcilia II 229. L. Meinardus, AMZ 1865, 505 f.


14 Cramer, Magazin II 404. Schiller schreibt am 18. August 1787 an Körner, Briefwechsel (Cotta) I 122: »Er spielt meisterhaft. Er komponiert selbst sehr gut. Der Mensch hat viel Originelles und überaus viel Feuer.« Vgl. Meyer, L. Schröder II 1, 360.


15 Mus. Realzeitung 1788, S. 56.


16 B II 294 f.


17 J.G. Albrechtsberger (1736–1809), der spätere Lehrer Beethovens, war damals Hoforganist in Wien.


18 I 732, 802 f.


19 Die erste Darstellerin der Sandrina in der »Finta giardiniera«, I 303.


20 Für Freunde der Tonkunst III3 136. Daß damals »jeden Abend« in irgend einem Leipziger Hause Mozart zu Ehren eine Kammermusik stattfand, ist einigermaßen übertrieben, da es sich überhaupt höchstens um drei Abende handeln kann.


21 Rochlitz a.a.O.


22 Reichardt, Mus. Ztg. I 132.


23 AMZ I 117.


24 Nach B II 297 war Mozart 17 Tage in Potsdam. Da er am 8. Mai nach Leipzig zurückkehrte (B II 300), so muß er schon am 22. April von da abgereist sein, falls kein Gedächtnisfehler vorliegt.


25 Naumanns Leben S. 183, Meißner, Biogr. Naumanns II 199.


26 Wolf, Auch eine Reise, Weimar 1784, S. 10 f.


27 Reichardt, Mus. Monatsschr. S. 70 f. Mus. Ztg. I 2 f.


28 Vgl. Naumann in Meißners Biogr. II 189 f. Naumanns Leben S. 267 und Dittersdorf, Selbstbiogr. S. 186 ff.


29 B II 301.


30 Mus. Monatsschr. S. 20. Schletterer, Reichardt I 457 f. Schneider, Gesch. d. Oper in Berlin, Beil. XXXVI 15, 16.


31 Neue Berl. Mus. Ztg. 1856, S. 35.


32 S.o.S. 11.


33 Rochlitz, AMZ I 22.


34 W. Pauli, J.F. Reichardt, S. 86.


35 Vgl. I 824 f. Alles aktenmäßige Material über den Berliner Aufenthalt bei E. Friedländer, MBM, April 1897, S. 115 ff. Darnach wurde Mozarts Ankunft dem König am 26. April angezeigt.


36 Er gab 1782 mit Palsa zusammen ein Konzert in Wien. Pohl, Haydn II 143.


37 Neue Berl. Mus. Ztg. a.a.O. Die Tradition von der Potsdamer Entstehung des »Ave verum« ist gegenüber Mozarts eigener Datierung vom 18. Juni 1791 hinfällig.


38 Berl. Litt.- u. Theat.-Ztg. 1784, II 160. Dittersdorf, S. 204.


39 Nach Semlers Erzählung. Voss. Ztg. 1857, 11. März, Beil. S. 7.


40 Angezeigt in der Leipz. Ztg. 1789, Nr. 91 f. Der Eintritt kostete 1 Gulden.


41 Nach Rochlitz waren es zwei Sinfonien, Genaueres ist nicht bekannt.


42 Ein Bratschist merkte die Stelle in seiner Stimme genau an; der Orchesterdiener Griel aber bewahrte die Schnalle zum Andenken auf.


43 »Non temer amato bene«, K.-V. 505.


44 AMZ I 85 f., 179.


45 B II 297.


46 »Je suis Lindor« (K.-V. 354). Den c-Moll-Beginn braucht man nicht mit Schurig, II 192 auf K.-V. 475 zu beziehen.


47 S.o.S. 69.


48 B II 297.


49 Es ist das Haus, wo später die Stehelysche Konditorei war. Rellstab, L. Berger, S. 97.


50 E. Friedländer a.a.O., S. 117. Am 28. wurde sie »auf Allerhöchsten Befehl« wiederholt.


51 Die Szene wurde später, offenbar nach Rochlitz' Erzählung (AMZ I 20 f.), in einem Kupferstich verewigt, vgl. MBM I, Heft 3, S. 105 und B V 45.


52 Rochlitz a.a.O.


53 Rahel Varnhagen I 62. Meyer, L. Schröder II 1, 93.


54 Neue Berl. Mus. Ztg. 1856.


55 Köpke, L. Tieck I 86 f.


56 Mus. Realzeitg. 1789, S. 156.


57 Friedländer a.a.O. S. 116.


58 Mitteilung der Witwe Hummels 1855 an Jahn II4 492.


59 B II 300.


60 Der Anfang dieses Menuetts bringt den bekannten Paisielloschen Gedanken, der im »Figaro« eine so große Rolle spielt. Vgl. S. 248.


Quelle:
Abert, Hermann: W. A. Mozart. Leipzig 31955/1956, S. 524.
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