VII.

Riga.

[283] Erste Eindrücke – Dorn, Franz Löbmann, Karl von Holtei. – Bemühungen um gute Aufführungen. – Amalie Planer. – Volkshymne ›Nikolai‹. – Bellinis Norma und daran geknüpfte Gedanken. – Umzug zur Vorstadt. – Konzert im Schwarzhäupterhause. – ›Komödiantenwirtschaft‹. – Sehnsüchtiger Drang aus beengenden Verhältnissen.


Ein Irrtum wird nicht eher gelöst, als bis alle Wege, innerhalb seines Bestehens zur Befriedigung des notwendigen Bedürfnisses zu gelangen, versucht und ausgemessen worden sind.

Richard Wagner.


Um die Mitte August 1837 segelte Richard Wagner nach mehrtägiger Seefahrt in den breiten Dünastrom ein und sah in wachsender Nähe die Türme der längs dem Ufer gelagerten alten Hansastadt Riga vor sich aufsteigen, deren regem bürgerlichen Gemeingeist einst Herder die Erweckung und Nährung seiner eigentümlichen Ansichten über bürgerliche und Staatsverhältnisse verdankte.1 Noch vierzig Jahre später war ihm die Physiognomie der Stadt, wie er sie da mals erblickte, lebendig gegenwärtig, insbesondere auch der eigenartige Anblick der auf den Wellen schwimmenden alten Floßbrücke über die Düna. Auf der einen Seite der Brücke die hochragenden englischen Handelsschiffe, der buntbewimpelte Mastenwald, zu welchem sich die Schiffe aller Ostseehäfen vereinigten; auf der andern die russischen sog. ›Strusen‹, flache uranfängliche Flöße aus rohen Balken, mit primitiven Zelten darauf, beladen mit Flachs, Korn und Holz, das von Litauen, Polen und Rußland auf diesen Markt des Ostseehandels geführt wird: zwischen beiden der ›Makler‹! Nirgends sei ihm das Wesen des Handels so anschaulich entgegengetreten, als in diesem dichten Aneinandergrenzen der Gegensätze von Ost und West. Das [284] Erste, was ihm bei dem Eintritt in die neue Umgebung sich aufdrängen mußte, war die sonderbare Nötigung, sein Dasein um ganze zwölf Tage zurückzudatieren, – ein zweifelhaftes Geschenk an Lebenszeit, welches dem dadurch Beglückten beim Verlassen der russischen Grenze unfehlbar wieder in Abzug zu bringen war!2 Man befand sich hier, zufolge der (noch heute in Rußland gültigen) julianischen Zeitrechnung, erst im Anfang des Monats August, und bis zur Eröffnung der Bühne am 1. September waren noch volle vier Wochen.

Ein Teil des Rigaer Theaterpersonals hatte die Reise mit ihm zugleich gemacht, einen Teil fand er bereits vor; noch andere Bühnenangehörige trafen in den folgenden Tagen und Wochen ein. Er trat zunächst zu seinem Direktor Holtei, sowie zu dem alten Bekannten Dorn in erneute Beziehungen; auch gehört zu seinen ersten Rigaer Begegnungen diejenige mit dem wackeren zweiten Musikdirektor Franz Löbmann, der ihm mit freundschaftlicher Ergebenheit entgegenkam und dem Meister diese Freundschaft bis an sein Lebensende (1878) treulich bewahrt hat.3 Auf das Engagement dieses zweiten Musikdirektors hatte Holtei ihn sogleich in Berlin beim Kontraktabschluß aufmerksam gemacht: ihm würde das Einstudieren und Dirigieren der kleineren Opern und Vaudevilles obliegen, welche bis dahin von dem Vorspieler des Orchesters geleitet worden waren. Die dem neukreierten Musikdirektor bewilligte höhere Gage hatte ihm Holtei als die Ursache angegeben, weshalb er ihm selber nicht den hergebrachten, für die Stelle eines Rigaer Kapellmeisters ausgesetzten vollen Gehalt von eintausend Rubeln, sondern nur eine Gage von achthundert Rubeln gewähren könne. Dies geschah nun im ›höheren Kunstinteresse‹; und die nicht eben blühende finanzielle Lage des jungen Meisters mußte sich die Herabsetzung seines Etats aus solchen ›höheren‹ Rücksichten gefallen lassen. Es war so recht im Sinne seiner bisherigen Musikerlaufbahn, daß eben dasselbe ›Kunstinteresse‹, welches für andere Bühnenangestellte in Gestalt eines behaglichen Einkommens zugleich eine Quelle des bürgerlichen Wohlbefindens zu werden pflegt, gerade nur an ihn immer wieder in der bleichen, [285] hohläugig resignierten Erscheinung von Gagenabzügen oder ähnlichen, eigens für ihn erfundenen, Abdikationen herantrat!

Genug, das von Holtei abgeschlossene Doppelengagement verschaffte Wagner für die Dauer seines Rigaer Aufenthaltes nicht bloß einen zuverlässigen Gehilfen in der Orchesterleitung, sondern zugleich einen wirklich ergebenen, dabei liebenswürdigen und bescheidenen Freund. Seine stets bereite Gefälligkeit war dem Neuangekommenen sogleich zur Auffindung eines geeigneten Unterkommens behilflich und in der Folge zu jeder Art praktischer Dienstleistungen erbötig. Das alte Rigaer Theater, von der Gesellschaft der ›Musse‹ soeben im Inneren durchaus neu aufgebaut und ohne Rücksicht auf die Kosten würdig ausgeschmückt, lag in der Königstraße im ehemals Vietinghoffschen Hause, wo es bis zum Jahre 1863 verblieb; das Theaterbureau mit dem Billetverkauf in der engen städtischen Schmiedestraße Nr. 139 im Apotheker Kirchhoffschen Hause. Zwischen beiden, vom Theaterlokal nur wenige Minuten entfernt, befand sich, ebenfalls in der Schmiedestraße, Wagners erste Rigaer Wohnung, in dem – seither umgebauten – damals Thauschen Hause, gegenüber der Mündung der Johanniskirchengasse: düster und unfreundlich, nach dem Hofe zu gelegen, dem Meister durch die darin herrschende widerliche Ausdünstung von Schnaps und Spiritus noch lange in unvergessener Erinnerung!

Die künstlerische Persönlichkeit seines neuen Direktors ist von Wagner späterhin als typischer Gegensatz zu Ed. Devrients völlig entgegengesetzter Erscheinung erschöpfend charakterisiert. ›Karl von Holtei suchte das mimische Genie auf den wilden Wegen seiner dunklen Abkunft auf und zeigte sich darin genial. Er erklärte unumwunden, mit einer sogenannten soliden Schauspielergesellschaft nichts anzufangen zu wissen. Seitdem das Theater in die gewissen Bahnen der bürgerlichen Wohlanständigkeit geleitet sei, habe es seine wahre Tendenz verloren, welche er am ehesten noch mit einer herumziehenden Komödiantenbande durchzuführen sich getraue. Für diese seine Meinung stand der gewiß nicht geistlose Mann ein‹. Eine größere Kunstanstalt hat er nie dirigiert, einen entscheidenden Einfluß auf die deutsche dramatische Kunst als Theaterleiter nicht ausgeübt; ein unstetes Wanderleben trieb ihn auch nachmals wieder, meist als Vorleser, von Stadt zu Stadt, von Ort zu Ort. Seine kurze Rigaer Tätigkeit repräsentiert zugleich die bemerkenswerteste seiner Direktionsführungen. Ihr war, als seine produktivste Periode, seine Wirksamkeit als Sekretär, Theaterdichter und Regisseur am Berliner Königstädtischen Theater vorausgegangen; während ihrer Dauer verfaßte er die populärsten seiner Liederspiele: ›die Wiener in Berlin‹, ›der alte Feldherr‹, ›Lenore‹, ›Lorbeerbaum und Bettelstab‹, in denen er seine eigenen Gestalten, die er späterhin überhaupt einzig noch gespielt hat, mit unzweifelhafter Originalität verkörperte. In Berlin trug er sich soeben mit der Absicht der Begründung einer eigenen[286] Bühne für das vorzugsweise von ihm gepflegte Genre, als er die Berufung nach Riga erhielt, um dort das durch opferwilligen Bürgersinn neu erstehende Theater zu organisieren. Er hatte den Vertrag mit dem Theaterkomitee zu Ostern 1837 persönlich an Ort und Stelle abgeschlossen: eine von der Einwohnerschaft freiwillig zusammengebrachte Summe von fünfzehntausend Rubeln sicherte das Unternehmen nach der materiellen Seite hin. Während der folgenden Monate besorgte er von Berlin aus mit Eifer die nötigen Engagements, und als er in der zweiten Hälfte des Juli wieder eintraf, gewann er sich bereits vor Eröffnung der neuen Bühne in der vermögenden Kaufmannswelt Rigas eine ungeteilte persönliche Beliebtheit, und bildete im Wöhrmannschen Park, dem damals besuchtesten öffentlichen Garten außerhalb der Festungswälle und -gräben, an schönen Sommerabenden den Mittelpunkt eines sehr belebten Gesellschaftskreises. ›Damen habe ich mitgebracht, polizeiwidrig hübsch‹, sagte er mit Beziehung auf die beiden Schwestern Reithmeyer; das war ein gemeinverständlicher Gesichtspunkt für die bevorstehende Rigaer Kunstblüte, der an das Publikum keine zu hohen Anforderungen stellte, und man fand den neuen Direktor nur um so liebenswürdiger. Schon während der Vorbereitungen hatte er außerdem ein anerkennenswertes organisatorisches Talent an den Tag gelegt, und alles versprach einen guten Anfang und Fortgang.

Was nach den traurigen Erfahrungen in Magdeburg und Königsberg den jungen Meister zunächst wirklich erfreuen und sein Interesse an der neuen Tätigkeit beleben konnte, war das Ausgehen der Direktion auf mindestens gute Vorstellungen. Namentlich galt dies vom rezitierenden Schauspiel, das gleich am dritten Tage mit einer Aufführung des ›König Lear‹ hervortrat, die ›bei Einheimischen und Fremden geradezu Aufsehen erregte‹.4 Ähnliches würde unter Wagners Leitung sogleich zu Beginn in der Oper der Fall gewesen sein, hätte nicht ein Kontraktbruch der ersten Sängerin hier für längere Zeit eine fühlbare Lücke erzeugt. ›Unser Opernpersonal ist vollzählig‹, ließ sich Holtei in öffentlicher Erklärung vernehmen, ›und durch Individuen besetzt, die sich mit Ehren auf jeder großen Bühne zeigen dürfen; Orchester und Chor sind, unter bester Leitung, den schwierigsten Aufgaben gewachsen. Unsere fünfte Vorstellung sollte eine große Oper sein; alles war sorgfältig vorbereitet, und nur die unverzeihliche Zögerung der Mme. Ernst, die mich von Woche zu Woche mit brieflichen Versprechungen hinhält und vertröstet, ist Ursache, daß wir jetzt in Eil und Hast, was vorbereitet war, bei Seite werfen und an [287] andere Studien gehen mußten.‹ Unter diesen Umständen fand die Eröffnung des neubegründeten Theaterinstitutes am Mittwoch den 1. (13.) September, 6 Uhr abends, mit dem, ausnahmsweise von Wagner dirigierten, einaktigen Singspiel von K. Blum ›Mary, Max und Michel‹ statt. ›Früh schon füllte eine neugierige Menge das Theater‹, wird über diese Eröffnungsvorstellung berichtet. ›Die schlanken Säulen aus Gußeisen gaben dem Ganzen etwas Leichtes und Lustiges, und die hellgemalten Wände und Brüstungen, die reichen Goldverzierungen, die gute Erleuchtung, mit einem Worte, die Harmonie des Ganzen setzten den Zuschauer sogleich beim Eintritt in eine behagliche Stimmung, welche selbst die bengalische Hitze nicht zu stören vermochte...‹ Für den Darsteller des ›Sergeanten Max‹, den Bassisten Günther, hatte Wagner eigens eine Einlage auf einen von Holtei gedichteten Text komponiert, eine Romanze in G dur: ›Sanfte Wehmut will sich regen in des Mannes fester Brust‹; sie wurde sowohl bei dieser Vorstellung, als bei ihrer Wiederholung am Sonntag den 5. September mit großem Beifall aufgenommen.5

In Wahrheit war der hier mit so verführerischen Farben geschilderte Saal des alten Rigaschen Stadttheaters in der Königstraße nach unseren heutigen Begriffen ein ziemlich düsterer Raum, mit nur einem einzigen Rang versehen, über welchem sich sofort die Galerie erhob, von bürgerlichen Familien häufig benutzt, indem sich jüngere und ältere Damen, mit ihrem Strickstrumpf und den nötigen Erfrischungen versehen, frühzeitig daselbst einfanden, um auf den unnummerierten Sitzen möglichst an der Brüstung behaglich Platz nehmen zu können und der kommenden Dinge zu harren.6 Mit Bezug auf diesen Raum interpellierte der aus Riga, gebürtige Violoncellist Arved Poorten7 den Meister, indem er es einen Stall, eine Scheune nannte: ›wie haben Sie denn, Meister, darin dirigieren können?‹ Da habe ihm Wagner ernsthaft erwidert: drei Dinge seien ihm aus dieser ›Scheune‹ als merkwürdig in der Erinnerung geblieben: erstlich das stark aufsteigende, nach Art eines Amphitheaters sich erhebende Parkett, zweitens die Dunkelheit des Zuschauerraumes und drittens das ziemlich tief liegende Orchester. ›Wenn er je einmal dazu käme, sich ein Theater nach seinen Wünschen zu errichten, so werde er diese [288] drei Dinge dabei in Betracht ziehen, das habe er sich schon damals gedacht.‹ Die Idee des Bayreuther Festspielhauses war für sei nen zukünftigen Erbauer in diesen drei Elementen bereits im Keime enthalten.

Vom 17. September (russischer Zeitrechnung, wie der Poststempel ausweist) datiert ist ein briefliches Lebenszeichen des jungen Meisters an Schindelmeißer in Berlin, mit welchem er diesem ein freundschaftliches Darlehen zurückerstattet, das aber zugleich in seinem übrigen Inhalt ein ziemlich heiter gefärbtes Bild der ersten Rigaer Eindrücke und Erlebnisse bietet, von dem Zustande der Oper bis zu einer, Tags zuvor im Dornschen Hause stattgehabten Familienvermehrung. Wir schalten es daher an dieser Stelle in seinen Hauptzügen mit ein, in Ergänzung und Bestätigung mehrerer von uns schon berührten Punkte. ›Was sollte ich Dir eher über unsere Oper schreiben? (vor)-gestern8 haben wir erst eine gehabt Norma hatten wir vorbereitet, und Mme. Norma-Ernst blieb aus, – wo nun anfangen? Alles mußte umgestürzt werden, – jede Repertoireoper bot Schwierigkeit: da fehlten die Partien, dort waren ein paar nicht einstudiert Endlich eröffneten wir (vor)gestern9 die Oper mit der »weißen Dame«. Na, es ging gut, – die Leute sollen sogar entzückt gewesen sein; es wurden Alle gerufen. In der Tat war auch keines schlecht, ausgenommen – Dem. Reithmeier, – das ist ein unglückliches L....!! – Der Tenorist Köhler, schöne Stimme und sonstige recht glückliche Naturanlagen; Günther, Gaveston, ausgezeichnet, das ist ein fertiger Künstler und Sänger. Im übrigen alles passabel; – die Herren Choristen etwas verdorben, weil sie zu viel im Schauspiel spielen; sonst gute Stimmen Orchester wird sich machen, die Neuen sind meist sehr gut, weniger die Alten; Hornisten prächtig, – Lotz10 ebenfalls. Ensemble fehlt noch, wird sich hoffentlich finden. Ich stehe mit Holtei auf dem besten Fuße, – weniger Wohlbrück,11 und ihm zulieb auch Dein Bruder. Dorn ist ein liebenswürdiger braver Mensch, der mich jederzeit als braver Freund aufnimmt; er ist mein einziger Umgang. Er komponiert jetzt leichter Gestern wurde er zum fünften [289] Male Vater; die Frau glücklich entbunden mit einem Jungen, – große Freude in Jerusalem. – Unsere Sänger und Schauspieler sind alle nette Leute. Wrede tritt zunächst im »Zampa« auf, – er hat eine göttliche Stimme, Günther und er ein paar prächtige Bässe Dem. Ludwig12 liegt schwer krank, – Du – an der ist nicht viel!‹ –

Bei fortdauerndem Fehlen einer ersten Sängerin schleppte sich die Oper nur mühsam hin. Um einen vorläufigen Ersatz zu finden, wandte sich Wagner an seine Schwägerin Amalie Planer, die uns schon von Magdeburg her bekannte jüngere Schwester Minnas. Dies gab Gelegenheit zu einer Versöhnung der Gatten: die beiden Schwestern trafen gemeinschaftlich in Riga ein, der Reuigen, Verzweifelten ward Verzeihung gewährt. Kurz vor ihrer Ankunft nahm er noch am 17. Oktober an der Tauffeierlichkeit im Dornschen Hause Teil, zu welcher dieser die ganze Stadt, oder doch immerhin fast die Hälfte der gesamten, für Theater und Musik interessierten Honoratioren Rigas, 24 Paten und 12 Patinnen, zusammengeladen hatte. Dieser Rigaschen Gesellschaft ist Wagner während seines ganzen dortigen Aufenthaltes in keiner Weise näher getreten, wie sie sich auch ihrerseits nicht um die Gründe und Ursachen des verspäteten Eintreffens seiner Frau gekümmert hat. Erschütternd wirkte auf ihn um die gleiche Zeit die völlig unvorbereitet an ihn gelangende Nachricht von dem Tode Rosaliens. ›Der Engel Rosalie‹, heißt es in einem nach Riga gerichteten Briefe der Mutter ›war zu rein, als daß sie nicht versöhnt mit Dir in eine bessere Welt gehen sollte; vor meiner Reise13 sprach sie auf einem Spaziergang lange über Dich mit mir; sie sagte, daß die Luise zu wenig gute Hoffnung für Dich und Dein Talent habe, sie aber hoffte viel von der Zukunft, wenn – Deine Umgebung genug Verstand, Geist und edlen Fond in sich habe‹. Der letztere Passus bezieht sich ersichtlich auf die allzu früh geschlossene Heirat und die inzwischen eingetretene, die Angehörigen tief beunruhigende Katastrophe seiner jungen Ehe. Wagners Antwort auf diesen Brief ist unseres Wissens nicht erhalten; dagegen kommt er noch in späteren brieflichen Äußerungen an die Mutter auf diesen, nicht zu verschmerzenden Verlust zurück. ›Großer Gott, wer hätte sich das gedacht! Ich werde Euch Alle wieder treffen, – nur die gute Rosalie soll ich vermissen!! Ach, es war mir immer so ein schöner Gedanke, gerade sie, die den Kämpfen meiner eigenen Entwickelung so nahe, und oft unter so empfindlichen Berührungen, zugesehen hatte, auch zum Zeugen der glücklichen Wendungen meiner leidenschaftlichen Bestrebungen zu machen, – – nun muß ich ihr Grab besuchen!‹14

Von diesen tiefgehenden inneren Erregungen seines Gemütes kehren wir [290] zur Betrachtung seiner ferneren äußeren Betätigung in einer Umgebung zurück, die nur so viel Gutes an sich hatte, als er selber ihr verlieh. In Liddy Amalie Planer, zuletzt in Hannover tätig, war für die ausgebliebene ›Koloratur- und Bravoursängerin‹ wenigstens einstweilen ein Ersatz gefunden. Durch schöne Stimmbegabung, zierliche Bühnenerscheinung und mannigfache Verwendbarkeit gewann sie sich bald eine große Beliebtheit und gehörte dem Rigaer Bühnenpersonale durch zwei volle Jahre an, bis zu ihrer Verheiratung mit dem Gardeleutnant und Adjutanten Karl Johann Gustav von Meck.15 Sie übernahm stellvertretend die Partien der ersten Sängerin und führte sich zuerst am 25. Oktober 1837 als ›Romeo‹ in Bellinis ›Montechi und Capuleti‹ recht vorteilhaft ein. Bis zu ihrem Eintreffen hatte das Repertoire der Oper ausschließlich aus den, auch mit lückenhaftem Personale darstellbaren, drei Opern: der ›weißen Dame‹, ›Freischütz‹ und ›Zampa‹ bestanden. Nun kam die Tätigkeit des Musikdirektors erst in Fluß, wiewohl immer noch durch mancherlei Mängel, besonders im Orchesterbestande, behindert. Die Tempi soll er, gegen die vorgefundenen Gewohnheiten, ungemein feurig und lebhaft genommen haben. ›Immer frisch! immer munter! immer ein bischen frisch!‹ sollen seine Lieblingszurufe an die Musiker gewesen sein und nie ihre Wirkung verfehlt haben. Das damalige Rigaer Orchester bestand aus 22–24 Mann: 2 ersten und 2 zweiten Violinen, denen sich der zweite Musikdirektor (zugleich Konzertmeister) Löbmann, wenn es Wagner darauf ankam, stets bereitwillig zugesellte, und die unter günstigen Umständen bis auf die Gesamtzahl von 6 gebracht wurden, 2 Violen, 1 Violoncell (v. Lutzau), 1 Kontrabaß; je 2 Flöten, Oboen, Klarinetten und Fagotten; 2 Hörnern, 2 Trompeten und einer Posaune, deren Bläser aber auch zugleich Fagottist war. Bei größeren Opern, wie der ›Stummen von Portici‹, wurde das Siegertsche Militärmusikkorps hinzugezogen; doch war dies erst in jedem einzelnen Fall gegen Holteis Widerstand durchzusetzen, und dann fehlte es in dem engen Orchesterraum an Platz für die Verstärkung. Mit Holtei, dessen Gesichtskreis sich im gemütlichen Vaudeville und rezitirenden Schauspiel erschöpfte, und der gegen die Interessen der eigentlichen ›großen Oper‹ fast eifersüchtig gesinnt war, gab es in solchen Fällen [291] Konflikte, von denen das Publikum, sich am Fertigen erfreuend, nichts ahnte, die aber dem, für die Leistungen der Oper sich verantwortlich fühlenden Dirigenten sein Rigasches Wirken oft recht verbitterten. Es klingt dies aus Holteis eigenen Äußerungen über sein Zusammenwirken mit Wagner nach: ›Er quälte mein Personale mit stundenlangen endlosen Proben; nichts war ihm recht, nichts gut genug, nichts sein nüanciert genug. Da gab's dann Klagen über Klagen; Musiker und Sänger kamen zu mir, um sich über ihn zu beschweren. Ich mußte im Innern Wagner Recht geben, war aber doch nicht imstande, ihn ganz nach Belieben schalten und walten zu lassen, – er hätte mir die Sänger tot gemacht.‹16 Ganz abgesehen von der letzteren grundlosen Übertreibung, sind doch diese sehr viel späteren Äußerungen des damaligen Rigaer Direktors (a. d. Jahre 1858), noch auf eine sehr andere Grundauffassung abgestimmt, als womit Holtei seiner Zeit den berechtigten Forderungen seines Kapellmeisters gegenübertrat, und durch deren Geltendmachung er nicht selten die Widersetzlichkeit störrischer und ungebildeter Kulissenhelden gegen die Autorität ihres nächsten Vorgesetzten aufreizte, da sie an ihm eines Rückhalts gewiß waren. Mit einem solchen, dem Tenoristen Köhler, einem ehemaligen Schmiedegesellen, der das rohe Betragen seines früheren Standes in die neue Laufbahn mitgebracht, hatte der junge Meister die Partie des Tybalt zum so und so vielten Male am Klavier und im Theater durchgenommen, als dieser bei der Aufführung der Bellinischen Oper am 29. Oktober abermals durch falschen und schreienden Gesang das Ensemble störte Sogleich nach dem Fallen des Vorhanges begab sich Wagner auf die Bühne, um den fahrlässigen Sänger zur Rede zu stellen, wurde aber von diesem nur mit gröblichen Beleidigungen überhäuft. Da legte er den Taktstock für diesen Abend in die Hände seines Kollegen Löbmann nieder und dirigierte die Oper nicht weiter. Dem Direktor Holtei wäre auch ein solcher Vorfall gleichgültig gewesen; diesmal aber stand das ganze Personal wie ein Mann zu seinem Kapellmeister, und selbst die öffentliche Kritik nahm bei der nächsten Aufführung der Oper (3. Nov.) Anlaß, dem Sänger des Tybalt eine bessere Beachtung der Anleitungen seines, ebenso kunstverständigen als duldsamen und freundlichen Ratgebers ›des Musikdirektors Wagner‹ anzuempfehlen.17

Aus seiner Berufstätigkeit im Herbst und Winter 1837 heben wir hier noch eine besonders sorgfältig einstudierte Aufführung des ›Don Juan‹ (5. Nov.) hervor, zugleich die fünfzigjährige Jubelfeier der ersten (Prager) Aufführung des Mozartschen Werkes und als solche durch einen Prolog Holteis ausgezeichnet. Den Don Juan sang darin der Baritonist Albert Wrede, ein Sänger von schöner Gestalt und jugendkräftiger Stimme, aber [292] geringer musikalischer Bildung und Befähigung; den Leporello Karl Günther, durch seinen klangvollen Baß ein Liebling des Publikums und besonders belobt in seinen Buffoleistungen als Leporello und Figaro;18 die Partie der Donna Anna war der Dem. Julie Reithmeier, die der Donna Elvira Amalie Planer anvertraut. Zu dem am 21. November feierlich begangenen Thronbesteigungsfest des Kaisers Nikolaus hatte Wagner ein von Harald v. Brackel gedichtetes ›Volkslied‹ komponiert, welches auch bei späteren festlichen Gelegenheiten, wie dem kaiserlichen Namens- oder Geburtstage, mit Beifall wiederholt worden, aber nach Wagners Abgang von Riga spurlos verschwunden ist; – alle Nachforschungen nach der Partitur oder den Stimmen dieses ›Volksliedes‹ sind vergeblich geblieben.19 Auf den 30. November entfiel eine Aufführung der ›Stummen von Portici‹ zum Benefiz des Ehepaars Köhler; am Sonnabend den 11. Dezember fand die eigene Benefizvorstellung des ›Herrn Kapellmeister Wagner‹ statt, zu der er sich Bellinis, damals in Riga erstmalig gegebene, ›Norma‹ erwählt hatte.

Bei solchen Gelegenheiten war eine den Theaterzetteln beigefügte Ankündigung an das Publikum üblich, um dessen Teilnahme für das Interesse des Benefizianten anzuregen, und es versteht sich, daß dabei weniger die Schwächen als die Vorzüge des aufzuführenden Werkes hervorgehoben wurden. In der von Wagner unterzeichneten ›Theateranzeige‹ heißt es: ›Norma ist von allen Schöpfungen Bellinis diejenige, welche neben der reichsten Melodienfülle die innerste Glut mit tiefer Wahrheit vereint, und selbst die entschiedensten Gegner neuitalienischer Musik haben dieser Komposition die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß sie, zum Herzen sprechend, ein inneres Streben zeige‹. Eingehender ließ sich der junge Meister darüber in einem ausführlichen, nicht mit seinem Namen unterzeichneten, Aufsatz des Rigaer ›Zuschauers‹ vom 7. (19.) Dezember aus unter der Aufschrift: ›Bellini. Ein Wort zu seiner Zeit.‹20 [293] Mit der ihm eigenen Lebhaftigkeit tritt er hier, wie in allen seinen Aufzeichnungen aus dieser Periode, für die innere Berechtigung des breit melodischen Gesanges der italienischen Oper ein: ›Gesang, Gesang und abermals Gesang, ihr Deutschen! Gesang ist nun einmal die Sprache, in der sich der Mensch musikalisch mitteilt, und wenn diese nicht ebenso selbständig gebildet und gehalten wird, wie jede andere kultivierte Sprache es sein soll, so wird man euch nicht verstehen. Das übrige, was an diesem Bellini schlecht ist, kann ja jeder eurer Dorfschulmeister besser machen, das ist bekannt: es liegt demnach ganz außer der eigentlichen Sache, sich über diese Mängel lustig zu machen. Wäre Bellini bei einem deutschen Dorfschulmeister in die Lehre gegangen, er hätte es wahrscheinlich besser machen lernen, ob er aber dabei nicht vielleicht seinen Gesang verlernt hätte, steht allerdings sehr zu befürchten. Lassen wir also diesem glücklichen Bellini den allen Italienern einmal gebräuchlichen Zuschnitt seiner Musikstücke, seine regelmäßig dem Thema folgenden Crescendos, Tutti, Kadenzen u. dgl. stehende Manieren, über die wir uns so grimmig ärgern; es sind die stabilen Formen, die der Italiener einmal nicht anders kennt. Betrachten wir die grenzenlose Unordnung, den Wirrwarr der Formen, des Periodenbaues und der Modulationen so mancher neuer deutscher Opernkomponisten, so möchten wir wohl oft wünschen, durch jene stabile italienische Form diesen krausen Knäuel in Ordnung gebracht zu sehen‹. In diesem Sinne stellt er der allverbreiteten Phrase vom ›Ohrenkitzel‹ der Bellinischen Musik das ›Augenjucken‹ gegenüber, welches uns die Lektüre so mancher Partitur von neueren deutschen Opern verursache. ›Die augenblickliche klare Erfassung einer ganzen Leidenschaft auf der Bühne wird bei weitem erleichtert werden, wenn sie eben ganz, mit allen Nebengefühlen und Nebenempfindungen, mit einem festen Strich in eine klare, faßliche Melodie gebracht wird, als wenn sie durch hundert kleine Kommentationen, durch diese und jene harmonische Nüance, durch das Hineinreden dieses und jenes Instrumentes verbaut und endlich ganz hinweggeklügelt wird‹.21 Wie wunderbar berührt es, in dem Kopfe des Rigaer Kapellmeisters, bei Gelegenheit der öffentlichen Anzeige einer Bellinischen Oper, jene Probleme im voraus arbeiten zu sehen, die ihn später in den tiefen Ergründungen von ›Oper und Drama‹ beschäftigen: der Verdichtung der dramatischen Motive, der Melodie als Erlösung des ›unendlich bedingten dichterischen Gedankens aus weitester äußerer Verzweigung zur bestimmtesten Gefühlsäußerung‹. Wir vernehmen dabei im voraus eine jener mächtigen, alle ›Nebengefühle und Nebenempfindungen‹ in sich verdichtenden und zusammenfassenden Melodien der späteren Werke, wie sie uns darin aus dem Innersten des gesamten dramatischen [294] Vorganges entgegenquellen, und nur die Einsicht fehlt dem vier und zwanzigjährigen Meister noch zur vollen Erkenntnis des Sachverhaltes, daß der Gegenstand seines Postulates, die von ihm erstrebte wahre, der Menschenstimme angemessene Gesangsmelodie, überhaupt erst noch zu finden, durch ihn selber zu finden, die einstweilen mißbräuchlich an ihre Stelle gesetzte hingegen ihrer Natur nach vor allem Instrumental- und Orchestermelodie sei; sowie ferner, daß auch jene erlösende und befreiende, alle Nebengefühle und -empfindungen in sich schließende Melodie uns erst im Organismus des Kunstwerkes als werdende und entstehende vorgeführt werden müsse, ehe sie ›klar und faßlich‹ als fertige uns entzücken könne.22 Diese Einsichten hatte er erst noch erlebend sich zu gewinnen und schaffend zu erleben.23

Unter allen Umständen, und wenn sie auch nicht zugleich seine Benefizvorstellung gewesen wäre, hätte Wagner an die erstmalige Aufführung eines Werkes, an dem er nur des mindeste Gute fand, seine ganze Sorgfalt gesetzt, um dieses zur Geltung zu bringen. ›Man muß bloß einmal solch eine Orchesterstimme, z. B. von »Norma«, sich genau ansehen‹, sagt er noch nach mehr als dreißig Jahren von dem entgegengesetzten Verfahren ›um zu ermessen, was aus einem so harmlos beschriebenen Notenpapierhefte für ein seltsamer musikalischer Wechselbalg werden kann: nur die Folge von Transpositionen, wo das Adagio einer Arie aus Fis-, das Allegro aus F-dur, dazwischen (der Militärmusik wegen) ein Übergang in Es-dur gespielt wird, bietet ein wahrhaft entsetzliches Bild von der Musik, zu welcher so ein hochgeachteter Kapellmeister den Takt schlägt. Selbst einer so unschuldigen Partitur gerecht zu werden, verdrießt unsere Dirigenten der Mühe‹. Ohne Transpositionen ging es zwar auch bei dieser Aufführung nicht ab, weil, in Ermangelung der immer noch fehlenden ersten Sängerin, Amalie Planer die Heldin des Stückes zu singen hatte und ihrer Mezzosopranstimme wegen alles viel tiefer genommen werden mußte. Auch äußerte das eingetretene rauhe und kalte Wetter seinen [295] feindlichen Einfluß und sie war gezwungen, wegen Heiserkeit an die Nachsicht des Publikums zu appellieren Nichtsdestoweniger war am Abend des 11. (23.) Dezember die Gesamtleistung eine sehr befriedigende, nicht bloß durch die Präzision des Ensembles, sondern auch in der Wiedergabe der Hauptrolle; dank der eingehenden Sorgfalt, mit welcher die Partie, Zug für Zug nach dem Vorbild der großen Schröder-Devrient, mit der Darstellerin durchgegangen worden war. Der folgende Abend war nach deutscher Zeitrechnung der 24. Dezember und wir dürfen uns ausmalen, daß er in des jungen Meisters Hause als Weihnachtsfest zu Dreien begangen wurde und die im Laufe des Tages durch den Theaterkassier ihm übermittelte gestrige Benefizeinnahme das Weihnachtsgeschenk dazu vorgestellt habe.

Leider war der Haushalt des Rigaer Kapellmeisters solcher materieller Fundationen sehr bedürftig, und dies zwar in begreiflicher Nachwirkung der wahrhaft schmählichen äußeren Bedingungen, unter denen er seine letzten Lebensjahre hatte verbringen müssen Magdeburger und Königsberger Gläubiger hatten seinen neuen Aufenthaltsort im hohen Norden sehr wohl erkundet, und die achthundert Rubel Gage, die im ›Kunstinteresse‹ Rigas den Ertrag seiner pflichttreuen Bemühungen um das Rigasche Kunstinstitut bildeten, reichten allenfalls wohl zur Bestreitung der laufenden Bedürfnisse, in sehr bescheidenem Maße aber zur Abtragung älterer Verpflichtungen hin. Recht häßlich und gegen die arme Minna geradezu verleumderisch nimmt sich jedoch die, hier nicht mit Stillschweigen zu übergehende, hämische Behauptung Dorns in dessen Erinnerungen aus, wonach sich ›Wagners Schuldenlast in Riga(!) lawinenartig vergrößert habe, zum Teil auch durch die lebenslustige Gattin‹. Vielmehr war ihre Begabung für wirtschaftliche Ökonomie, ihre Kunst, zur Gestaltung einer behaglichen und repräsentablen Umgebung aus Nichts Etwas zu machen und das geringste in solchem Sinne zu verwerten, eine ihrer unbestrittensten, übereinstimmend ihr nachgerühmten häuslichen Tugenden.24 Im übrigen berichtet Dorn über seinen damaligen Verkehr mit Wagner. ›Unser beiderseitiges Verhältnis gestaltete sich sehr bald zu einem intimen Umgang. Der zwischen uns in Leipzig bestandene (sic!) Unterschied – ich ein verheirateter Mann in Amt und Würden, er ein um neun Jahre jüngerer Studiosus25 – fiel jetzt natürlich fort, nachdem er selbst in den Ehestand getreten war und an der Bühne eine gleichberechtigte Stellung, wie ich im Konzertsaal, [296] in Kirche und Schule eingenommen hatte; auch ist unter Männern die Differenz zwischen 18 und 27 Jahren wesentlich verschieden von der zwischen 25 und 34 Jahren. Dazu kam, daß unsere Frauen sehr gut miteinander harmonierten und so wurde aus einer alten Bekanntschaft eine neue Freundschaft‹. Im näheren Verkehr mit Wagner, der ihn schon in Leipzig ›in das Haus seiner Mutter eingeführt‹, habe er ihn von neuem als munteren, frohgelaunten, zu allerlei Scherzen und Schnurren aufgelegten Gesellschafter kennen gelernt, der es vortrefflich verstanden habe, ›komische Geschichten zu erzählen und allerlei Persönlichkeiten zu kopieren‹. Auch Wagner war der Verkehr mit Dorn, sowohl in ihren beiderseitigen Häuslichkeiten, als in dem beliebten Gesellschaftshaus der ›Ressource‹ am Schwarzhäupterplatze – nicht in der ›Musse‹, die sei bloß für die reichen Leute gewesen – gut in Erinnerung geblieben: sie hätten dort zusammen ›Whist gespielt und Dünalächs gegessen‹. Sowohl in Dorns, der ›Ressource‹ gegenüber belegener Wohnung (im Sodoffskyschen Hause), als bei Holtei selbst, gestalteten sich die amtlichen und kollegialischen Beziehungen auch zu dem Letzteren zugleich zu ungezwungenem privaten und persönlichen Umgange, wobei sich der Rigaer Theaterdirektor gern in ausführlichen Motivierungen seiner Vorliebe für ›dissolute Komödiantenbanden‹ erging Schon damals, sagt Holtei zwanzig Jahre später, habe er Wagner für einen bedeutenden Kopf und namentlich für einen bedeutenden Dichter gehalten; wenn er ihm (Holtei behauptet: stundenlang) seine dramatischen Entwürfe mitgeteilt habe, so habe er (Holtei) ihm geraten, ›Trauerspiele zu schreiben und das Komponieren ganz aufzugeben‹. Charakteristisch ist seine bei anderer Gelegenheit getane Äußerung: ›Wagner hat, wie ich glaube, den Generalbaß einzig und allein zu dem Zwecke gelernt, seine eigenen Dichtungen in Musik zu setzen‹.26 Es zeigt sich in dem Nebeneinander beider Äußerungen, dem aus tief eigenen Impulsen dichterisch und musikalisch Schaffenden gegenüber, jene tiefwurzelnde Eifersucht der Dichter und Literaten von Metier, die es ihm nie vergessen konnte, daß er in keiner Weise von ihnen abhängig war. ›Trauerspiele schreiben und das Komponieren aufgeben‹ oder – fremde Dichtungen komponieren, das blieb in wechselnder Gestalt die wunderliche Alternative, mit welcher die Mitwelt an die außerordentliche Erscheinung des Beherrschers zweier Welten herantrat, deren scheinbare Zweiheit er uns in seinen Werken aufs Unwiderleglichste als unzertrennliche Einheit offenbart hat. Auf dem einen oder dem anderen Gebiete wollte diese Mitwelt ihm die Ehre ihrer ordnungsmäßigen Anerkennung zuteil werden lassen; andernfalls – galt er für unrubrizierbar und ward von Musikern und Dichtern gleichermaßen in die Acht erklärt. Dies hatte Wagner schon in Riga zwischen dem Musiker Dorn und dem Dichter Holtei zu empfinden. Mit Holtei als Textdichter wäre ihm ein Lokalerfolg [297] nicht minder gewiß gewesen, wie einst in Leipzig mit Laubes ›Kosziusko‹, – was in aller Welt aber hätte er mit einem solchen Rigaer Lokalerfolge als Vaudevillekomponist anfangen sollen?

Anfang Februar 1838 veranstaltete der Violinspieler Ole Bull im Theater vier Konzerte und besuchte dabei Wagner in dessen Wohnung;27 gegen Ende dieses Monats vervollständigte sich auch das weibliche Opernpersonal durch Ausfüllung der mehrerwähnten empfindlichen Lücke. Die endlich gewonnene brauchbare Kraft war niemand anderes als seine Magdeburger ›Isabella‹, Frau Karoline Pollert. Sie trat am 25. Februar als ›erste Sängerin vom k. k. Hoftheater am Kärntnertor zu Wien‹ vor das Rigaer Publikum und gewann sich mit ihren sehr tüchtigen Mitteln im Laufe weniger Wochen als Agathe, Pamina, Emmeline in der ›Schweizerfamilie‹, Norma und Julia dessen ausgesprochenen Beifall. Zu den Eindrücken seines ersten in Riga verbrachten Frühjahrs gehört die Erinnerung an eine Schlittenfahrt nach Bolderaa, die er allein mit seiner Frau unternahm. Man hatte ihm von der imponierenden Schön heit des Anblickes erzählt, den daselbst, am breiten Ausfluß des Dünastroms in die Ostsee, der Eisgang gewähre, und er mußte sich nach solchen Schilderungen die Vorstellung von etwas ganz Großartigem machen. Statt dessen war der Blick auf den öden, weithin mit grauem schmutzigen Eise bedeckten Meerbusen, auf dem sich die zerborstenen Schollen übereinander erhoben und lagerten, von vollendeter Trostlosigkeit. Dazu eine furchtbare Kälte vom Flusse ausströmend, – frierend und mißvergnügt über die Enttäuschung traten sie den endlosen Rückweg an. Zur inneren Erwärmung hätten sie in dem einzigen unterwegs befindlichen Gasthause starken Kognak zu sich genommen und unter dessen betäubender Einwirkung von der im hereinbrechenden Dunkel verlaufenden Rückfahrt kein rechtes Bewußtsein mehr gehabt, bis sie am späten Abend der Schlitten wieder vor ihrer Wohnung absetzte. Die Erinnerung an diese Fahrt blieb dem Meister für seine gesamten Rigaer Erlebnisse charakteristisch und wir haben ihn zweimal in verschiedenen Jahren davon erzählen hören.

Seit Neujahr hatte Holtei die Leitung der Rigaschen Bühne auf eigene Gefahr und Rechnung unternommen; das bisher verantwortliche Komitee hatte abgedankt. Während aber hiermit das Theater als stehende Anstalt auf gutem Wege zu einer festeren und dauerhaften Begründung war, wurden die vielversprechenden Beziehungen seines Kapellmeisters zu ihm diesem bald mehr und [298] mehr verleidet Gerade um die Zeit seines Rigaer Aufenthaltes begann sich in ihm die innere Wendung zu vollziehen, die ihn endlich mit Notwendigkeit von den modernen Theaterverhältnissen ablösen mußte. So geneigt er noch im Beginn seiner Musikdirektorlaufbahn gewesen war, sich mit dem eigenartigen Leben mancher französischen und italienischen Partitur selbst auf Kosten mangelnder Tiefe auszusöhnen, so sehr erfüllte ihn deren innere Leere und Nichtigkeit allmählich mit wachsendem Überdruß. ›Das tägliche Einstudieren Auberscher, Adamscher und Bellinischer Musik tat das seinige, das leichtsinnige Gefallen daran mir gründlich zu zerstören‹. Zu gleicher Zeit tat sich, in seinen Beziehungen zum Theater, das was wir unter ›Komödiantenwirtschaft‹ verstehen, in immer nackterer Gestalt und voller Breite vor ihm auf, mit Kulissenklatsch, Applaus und Hervorruf, Beliebtheit beim Publikum als Haupttriebfedern und dem äußerst dürftigen Bildungsgrad dieser, meist bloß auf die Ausbildung einer vereinzelten Fähigkeit abgerichteten, Menschengattung als Grundlage Allein der Ton, in welchem nur allzuhäufig mit dieser Art Leuten zu verkehren war, um Ausschreitungen und Übergriffe energisch in Zaum zu halten! Witz und Humor, die Fähigkeit hinzureißen und zu begeistern, reichten in diesem Verkehr nicht aus, ein tüchtiges Maß schneidiger Bestimmtheit war dazu unerläßlich. Der wohlgelaunten Stimmung, in welcher er anfangs an die Verwendung der vorgefundenen Kräfte gegangen war, hatte bald die Absicht entsprochen, für die ihm eben zu Gebote stehenden Mittel ein leichteres Werk zu schreiben. Er führte sich für diesen Zweck den Text zu einer zweiaktigen komischen Oper: ›Die glückliche Bärenfamilie‹ aus, wozu er den Stoff einer drolligen Erzählung aus ›Tausend und eine Nacht‹ entnahm, – jedoch mit gänzlicher Modernisierung desselben Schon hatte er zwei Nummern daraus komponiert, als es ihn plötzlich heftig anekelte, seine Arbeit für jene ›Wirtschaft‹ herzurichten. Sein tieferes Gefühl fand sich trostlos verletzt durch die Entdeckung, daß er selbst auf dem besten Wege sei, Musik à la Adam zu machen und er ließ die angefangene Komposition mit Abscheu liegen. Dem Theater gegenüber beschränkte er sich nun immer mehr auf die bloße Ausübung seiner Dirigentenpflicht und sah vom Umgang mit dem Personale immer vollständiger ab, um sich ›nach innen in die Gegend seines Wesens zurückzuziehen, wo der sehnsüchtige Drang, den gewohnten Verhältnissen sich zu entreißen, seine stachelnde Nahrung fand‹.

Dem entsprach es, daß er mit eintretendem Frühjahr seine enge und düstere städtische Wohnung aufgab und sich seine neue Niederlassung außerhalb des doppelten Gürtels der inneren Stadt – von Festungswällen und -gräben – in der St. Petersburger Vorstadt wählte. Das Rigaer ›Rienzi‹-Haus, wie wir es wohl nach der in ihm entstandenen glutvollen Jugendschöpfung benennen dürfen, war dem russischen Kaufmann Michael Iwan Bodrow (nachmals dessen Erben) gehörig, das Eckhaus der Mühlen- und Alexanderstraße. [299] Es hat sich seitdem im äußeren nicht wesentlich verändert; nur enthielt es damals noch keine Verkaufsläden, sondern das Parterre wurde von der Familie des Besitzers, der obere Stock von Wagner bewohnt. Der Eingang führte von der Mühlenstraße aus eine Treppe hinauf in den oberen Hausflur und durch das Vorzimmer sogleich in den Empfangs- und Arbeitsraum des jungen Meisters, worin außer dem Divan ein gemieteter Bergmannscher Flügel (aus der damals vorzüglichsten Rigaer Pianofortefabrik) seinen Platz hatte, – geradeaus zwischen beiden Fenstern der Arbeitstisch, an welchem die beiden ersten Akte des ›Rienzi‹ komponiert wurden. Aus diesem Raum gelangte man nach links in die beiden Stuben Amaliens, nach rechts in das mit roten geblümten Gardinen geschmückte Besuchzimmer, ein Eckzimmer mit je zwei Fenstern nach den beiden genannten Straßen und durch dieses rückwärts in die angrenzende Schlafstube, welche letztere gerade wie das gegenüberliegende Schlafzimmer Amaliens durch eine Tür mit dem Vorzimmer in Verbindung stand, so daß man (bei dieser Anlage der Wohnräume) nach beiden Seiten hin in die Wohnung gelangen konnte, ohne den im mittleren Raume befindlichen Hausherrn zu stören. Aus der gleichen Rücksicht hatte Amalie das für ihre Studien unentbehrliche Klavier in ihre Schlafkammer placiert, so daß es nach beiden Richtungen hin durch zwei geschlossene Türen vom Mittelzimmer getrennt war. Eine auf völliger Unkenntnis der Rigaer Ortsverhältnisse beruhende dreiste Erfindung behauptete seinerzeit, diese Niederlassung Wagners sei ›im Villenviertel der Vorstadt gelegen und über seine Verhältnisse hinaus gewählt gewesen‹, da es ihm doch vielmehr bei ihrer Wahl im Gegenteil bloß auf Entlegenheit und Zurückgezogenheit aus dem Mittelpunkte des städtischen Treibens ankam; und: ›ein eigens dazu gemieteter eleganter Wagen‹ habe ihn täglich ins Theater und wieder zurück gebracht.28 Die noch heute unverändert erhaltene Wohnung war so wenig luxuriös, daß sie, nach der getroffenen Einteilung, nicht einmal einen eigenen Speiseraum besaß, zu welchem Zweck vielmehr, je nach den Umständen, entweder das Besuchzimmer oder das Arbeits- und Musikzimmer zugleich mit dienen mußte. Allein sie war hell und freundlich und im Winter durch zwei solide russische Ofen gut zu erheizen, und die vorhandenen Räumlichkeiten auf das vollkommenste ausgenutzt. Der kaum viertelstündige Gang über die beiden Holzbrücken und durch die Festungstore in die Stadt war für einen rüstigen Fußgänger, wie Wagner, nur eine willkommene Motion, und es ist ihm, nach seiner eigenen Aussage gegen den Verfasser, nie eingefallen, den Weg fahrend zurückzulegen. Dieses Haus (gegenwärtig Alexanderstraße 9) ist das eigentliche Wohnhaus Wagners in Riga, in welchem er die längste [300] Zeit seines dortigen Aufenthaltes verbracht hat: die älteren Einwohner der Petersburger Vorstadt, welche täglich an diesem Hause vorübergingen, erinnern sich wohl, ihn bei guter Jahreszeit im Schlafrock, die Pfeife im Munde, einen türkischen Fez auf dem Kopfe, aus dem offenen Fenster blickend gesehen zu haben; und es ist dem Erzähler schon in früher Jugend eindrucksvoll gewesen, wenn dabei hinzugefügt wurde, seine seinen, energischen Gesichtszüge hätten meist etwas Blasses und Leidendes gehabt.

Am 19. März 1838 veranstaltete Wagner in dem nicht allzugroßen, aber schönen Konzertsaale des altertümlichen Schwarzhäupterhauses ein ›Vokal- und Instrumentalkonzert‹ mit bedeutend verstärktem Orchester, an welchem sich außer der Sängerin Frau Pollert und Holtei auch Minna deklamatorisch beteiligte. Der erste Teil eröffnete das Ganze mit der ›Columbus‹-Ouvertüre; der zweite begann mit der in Königsberg komponierten Ouvertüre ›Rule Britannia‹ und fand einen besonders patriotischen Abschluß mit der vom gesamten Gesangpersonale der Oper vorgetragenen Brackelschen Volkshymne ›Nikolai‹ in Wagners Komposition Holtei rezitierte das ›Lied von der Glocke‹, Minna den Monolog aus dem vierten Akte der ›Jungfrau von Orleans‹; Frau Pollert sang eine Arie aus ›Jessonda‹, und mit Amalie Planer und dem Gesangpersonale der Oper das erste Finale aus Webers ›Oberon‹; an instrumentalen Solonummern war das mögliche geboten. Der Beifall war lebhaft, doch deckte der Ertrag eben nur die Kosten Eine Besprechung dieses musikalischen Ereignisses durch Dorn (in Schumanns Musikzeitung) gibt sich durch ihren witzelnden Ton den Anschein würdevoller Überlegenheit Wagner wird darin, mit Beziehung auf die ›Spektakel- und Reizmittel‹ der Columbusouvertüre ein ›Hegelianer im Heineschen Stil‹ genannt: ›während er mit den Füßen in Beethovens Werken wurzele und (in seiner Theaterpraxis) mit den Armen in Allerweltspartituren herumfege, schlage ihm das noch zu jugendliche Herz in ungestümer Wallung bald hier-, bald dorthin und der Kopf perpendikele zwischen den Doppel-Been, Bach und Bellini‹. ›Aber‹, fährt die kritische Auseinandersetzung fort, ›man kann nicht Gott und dem Teufel zusammen dienen, und wer nicht für mich ist, der ist wider mich. Aus Herzensgrunde verachte ich jene langweiligen Menschen, die, weil sie einmal dieses oder jenes für das beste erkannt haben, nun auch alles andere mit fanatischem Eifer verfolgen; wird ein solcher obenein Kapellmeister, so ist er zugleich der Ruin des Theaters usw. Aber in seinen eigenen Kompositionen alle möglichen Stile und Manieren vereinigen zu wollen, um alle Parteien für sich zu gewinnen (!), ist der sicherste Weg, um es mit allen zu verderben‹. Ein ungefärbtes Bild der damaligen künstlerischen Entwickelungsstufe Wagners, hätten wir es nicht bereits auf anderem Wege erlangt, wäre aus dieser absprechenden Reflexion nicht zu gewinnen, Die von dem Kritiker selbst hervorgehobenen Grundeigentümlichkeiten der Tondichtung, an welche diese Betrachtungen knüpfen: ›Beethovensche Durchführung – große [301] schöne Gedanken – hochmodernes Außenwerk‹ (d. h. also doch: Ausdrucksmittel) enthalten in sich nichts weniger als eine Vereinigung unversöhnlicher Gegensätze. Klingen sie nicht vielmehr wie das ausgesprochene Programm der jugendkräftig sich regenden Erscheinung eines großen Neuerers und Bewegers auf dem Felde seiner Kunst?

Ein zufällig erhaltenes Briefchen aus jenen Tagen nach dem Schwarzhäupterkonzert, datiert vom 30. März, läßt uns in die Trivialitäten, mit denen sich der junge Meister im täglichen Verkehr mit den Rigaer Komödianten zu plagen hatte, einen charakteristischen Einblick tun. Er ist an eine junge Chorsängerin, Dem. Luise Pogrell gerichtet, die auch zuweilen in kleineren Rollen Beschäftigung fand; ihr erklärter Liebhaber, der Sänger Wrede (S. 292/93), hatte sich oder seine Schöne von Wagner an ihrer Ehre gekränkt geglaubt und dies in einem ungezogenen Brief an seinen Kapellmeister kundgegeben, Ich entsinne mich ›Demoiselle Pogrell‹, schreibt ihr Wagner darauf, ›ich entsinne mich, als mir hinterbracht wurde, Herr W. habe Ihnen untersagt, in meinem Konzerte mitzusingen, geäußert zu haben, daß es mich wundere, welchen Einfluß Herr W. auf Sie übe, und ich nur zu Ihrem Besten wünschte, derselbe möge ihn nie aufgeben. Es kommt mir wirklich recht komisch vor, mich und meine Äußerung da verteidigen zu müssen, wo es mit meinem einfachen Worte, daß ich Sie nicht beleidigt habe, wohl abgemacht wäre; ich tue es indeß, weil es sich um eine Unwahrheit handelt, die berichtigt werden muß. Ich schreibe an Sie, weil in der Sache denn doch etwas geschehen muß, und ich Herrn W. selbst nicht antworten – – will; denn auf seinen Brief gehört nur eine Antwort, d. h. eine ganz eigentümliche, die ich ihm auch ganz gewiß erteilen lassen könnte, die ich ihm aber schenken will, vielleicht zu unserm gegenseitigen Besten. Wenn Sie ihn sehen, so sagen Sie ihm nur, er möge sein gemeines M... doch nur um Gottes Willen von den Verhältnissen anderer weglassen, sondern seine schwachen Geisteskräfte hübsch dazu benutzen, daß er seine Partien ordentlich lerne, womöglich im Takt singe, und nicht gar zu sehr auf die immerwährende Nachsicht des Kapellmeisters trotze, die ihn vielleicht einmal aus ihrer besonderen Acht lassen könnte; dabei wird er jedenfalls besser stehen, und Sie werden dann vielleicht, hoffentlich und wie ich es wünsche, einen Mann an ihm haben, der sich und Ihnen ein gutes Stück Brot verdienen kann. Sagen Sie ihm dies so ganz gelegentlich; es hat keine Eile. Sie selbst übrigens können meinem Worte glauben, wenn ich Ihnen sage, daß Ihnen meine Äußerung jedenfalls falsch hinterbracht worden ist Richard Wagner »Kapellmeister«. So weit das Rigaer Briefchen, das an »Schneidigkeit« gewiß nichts zu wünschen übrig läßt.29 Kraftäußerungen am rechten Platz, wie die darin vorkommenden, [302] sind uns von Beethoven, Mozart, Weber genug erhalten, – doch ist es im Grunde in allen ähnlichen Fällen weder Mozart, noch Weber, noch Wagner, der daraus zu uns spricht, sondern einzig der wunderlich seltsame Boden, auf welchen die Entwickelung deutscher Kunst ihre größten Meister gestellt hat! Andererseits weht dem Leser des Blättchens, selbst mitten in dieser bloßen Abwehr komödiantischer Zudringlichkeiten, aus der prächtigen Steigerung des, vielleicht, hoffentlich und wie ich es wünsche‹ doch wieder der Geist eines unbezwinglichen Wohlwollens entgegen. Hier bricht doch, nach Entladung des kurzen Gewitters der Indignation über das schlechte Betragen eines ungebildeten Menschen, der reine Sonnenstrahl einer unbedingt menschenfreundlichen Gesinnung unaufhaltsam durch das noch grollende Gewölk!

Möge das Angeführte uns als ein Beispiel, ein einzelner Zug aus dieser ›Komödiantenwirtschaft‹ dienen, in welcher sich ein Holtei wohlfühlen konnte, aus der es den jungen Künstler aber hinausdrängte, wenn auch zunächst nur in die schaffende Zurückgezogenheit seiner Wohnung in der Petersburger Vorstadt. Um diese Zeit des sehnsüchtigen Dranges aus beengenden Verhältnissen lernte er zuerst den Stoff des ›Fliegenden Holländers‹ kennen. Er begegnete ihm beim Durchblättern von Heines ›Salon‹ mitten in dem cynisch-frivolen Zusammenhang der ›Memoiren des Herrn von S.‹ Wohl war ihm die uralte Seemannssage schon vorher bekannt gewesen; aber das in dieser Erzählung angetroffene, dem eigenen innersten Kern der Volkssage entstammende Motiv der Erlösung des zu ewiger Irrfahrt Verdammten durch die standhafte Treue eines Weibes30 machte auf ihn einen tiefen Eindruck. ›Dieser Gegenstand reizte mich und prägte sich mir unauslöschlich ein: noch aber gewann er nicht die Kraft zu seiner notwendigen Wiedergeburt in mir‹. Für jetzt trieb es ihn zu einer gänzlich anderen Arbeit.

Längst hatte er die Unmündigkeit des Theaterpublikums deutscher Provinzstädte bitter empfunden: ›nur gewohnt, bereits auswärts beurteilte und akkreditierte Werke sich vorgeführt zu sehen, fehlt ihm jede Möglichkeit, über eine neue Kunsterscheinung ein Urteil zu fällen‹. Das Innewerden dieses Verhältnisses hatte ihn zu dem Entschluß gebracht, um keinen Preis eine größere Arbeit an kleineren Theatern zur ersten Aufführung zu bringen. ›Als ich [303] daher von neuem das Bedürfnis fühlte, zu einer solchen mich zu sammeln, verzichtete ich gänzlich auf eine schnelle und in der Nähe zu bewerkstelligende Aufführung: ich dachte mir irgend ein bedeutendes Theater, das mein Werk einst aufführen sollte, und kümmerte mich wenig darum, wo und wann sich das Theater finden werde‹. Daß um eben die Zeit, wo er mit vollem Eifer den schon früher gehegten Plan zu einer Oper ›Rienzi, der letzte der Tribunen‹ aufnahm, in Dresden der Grundstein zu einem neuen prachtvollen Opernhause gelegt ward, konnte ihm noch kein günstiges Omen sein. Er verfaßte den Entwurf zu einer großen tragischen Oper in fünf Akten und legte ihn ›von vornherein so bedeutend an, daß eine erstmalige Aufführung an einem kleinen Theater zu den Unmöglichkeiten ge hörte‹. Es war ein durchaus entsprechendes Verhältnis, wie fünfzehn Jahre später bei dem überkühnen Entwurf seines ›Nibelungen‹-Werkes. Hier wie dort nahm er sogleich bei der ersten Konzeption das Opfer einer freiwilligen Entsagung auf sich; hier wie dort blieb ihm von ihrer vollen Bitterkeit nichts erlassen. Bei der Dichtung dachte er noch an nichts anderes als an ein wirkungsvolles Opernbuch. Ein solches konnte er sich doch aber nur zugleich als ein ›tüchtiges Theaterstück‹ vorstellen. ›Die große Oper, mit all ihrer szenischen und musikalischen Pracht, ihrer effektreichen, musikalisch-massenhaften Leidenschaftlichkeit, stand vor mir; und sie nicht etwa bloß nachzuahmen, sondern, mit rückhaltloser Verschwendung, nach allen ihren bisherigen Erscheinungen sie zu überbieten, das wollte mein künstlerischer Ehrgeiz‹. Er erblickte seinen Stoff gleichsam, nach seinen eigenen Worten, durch die Brille der ›großen Oper‹: mit fünf großen Finales, mit Hymnen, Aufzügen und musikalischem Waffengeräusch; – dennoch ist und bleibt es bezeichnend, daß ihn bei dessen Aufführung in allen seinen Teilen der dramatische Stoff begeisterte, dem sich seine Musik ohne ›musikalische Schönrednerei‹ zu voller szenischer Wirkung anschließen sollte!31

Der Mai 1838, in welchem Wagner sein fünfundzwanzigstes Lebensjahr abschloß, war für den Kapellmeister noch ein recht anstrengender Monat mit zehn Opernvorstellungen; an seinem Geburtstagsabend (in Rußland 10. Mai) hatte er den ›Barbier von Sevilla‹ zu dirigieren. Ende des Monats begab sich die ganze Gesellschaft, Schauspiel und Oper, nach der kleinen kurländischen [304] Hauptstadt Mitau, wo sie vom 3. bis 23. Juni eine Reihe von 21 Vorstellungen gab, um nach Ablauf derselben wieder nach Riga zurückzukehren Eigentliche Theaterferien gab es während des Sommers nicht; doch förderte der Monat Juli, bei sehr verminderter Teilnahme des Publikums, durchschnittlich nur zwei wöchentliche Vorstellungen zutage. Während dieser Zeit wurde das Sujet des ›Rienzi‹ ausgeführt, wie es bereits mit voller Klarheit in der Seele seines jugendlichen Schöpfers lebte.

Dies der Abschluß seines ersten in Riga verbrachten Jahres. Fassen wir dessen Ergebnisse in Kürze zusammen, so sehen wir, daß die dortigen Verhältnisse, die in den ersten Wochen nach seiner Ankunft noch etwas Anziehendes, Erfrischendes für ihn haben konnten, nach näherer Befassung damit in ihrer unerfreulichen Öde nackt vor ihm lagen, daß jede Illusion darüber aus seiner Seele gewichen war und nur die vollste Zurückgezogenheit ihn noch beglücken konnte. ›Ein Irrtum wird nicht eher gelöst, als bis alle Wege, innerhalb seines Bestehens zur Befriedigung zu Gelangen, versucht und ausgemessen worden sind.‹ Dieser Irrtum war für ihn – der Wahn der Unerfahrenheit: mit der ganzen in ihm lebenden, verzehrenden Glut des Künstlers inmitten des umgebenden Komödiantentums eine Befriedigung finden zu können. Hier im entlegenen Riga begann er sich zu lösen, doch war seine völlige Lösung nur durch ein verwegenes Unternehmen möglich, das ihn schließlich – in nicht mehr zu ferner Zeit – an den glänzenden Mittelpunkt des modernen Theaterwesens reißen sollte. Die Konzeption seines ›Rienzi‹ war die erste Etappe auf diesem Wege.

Fußnoten

1 So hatte Paul Fleming auf seiner Durchreise nach Moskau (1631) in einem ›Herrn Dr. Hövel in Riga‹ gewidmeten Sonett den deutschen Musen sein Unrecht eingestanden, indem er ihr Reich bisher durch Rhein, Donau und Elbe für begrenzt gehalten habe. Nein! ›der ungelehrte Belt hat euch auch lernen ehren; das Kind der Barbarei, die Düna, läßt sich lehren, und fleußt mit zahmer Flut die schöne Stadt vorbei‹.


2 ›Als im noch in Rußland lebte, machte mich der alte Kalenderstil kaum so verwirrt, als‹ usw. – mit dieser Anspielung gedenkt Wagner noch in einem seiner Pariser Aufsätze dieser obstinaten Abweichung von der gemein-europäischen Chronologie (›Pariser Amüsements‹, in Lewalds Europa 1841, II S. 577 ff., neuer Abdruck im ›Bayreuther Taschenbuch‹ 1893, S. 52 ff.)


3 Franz Löbmann, geboren 1809 in einem kleinen Orte der Niederlausitz, erhielt seinen ersten musikalischen Untericht von seinem Vater Ignatius L. (Organist und Musikdirektor in Muskau) und in der Harmonielehre durch den als Dichter bekannten Leopold Schefer. In Riga war er von 1834–1878 in wechselnden Funktionen als Chordirigent, Konzertmeister, Musikdirektor und Organist (Nachfolger H. Dorns an der Domkirche) unter allseitiger Anerkennung seiner mannigfachen künstlerischen Verdienste tätig; als Mensch besaß er die liebenswürdigsten Eigenschaften, unter denen sein selbstloses Wohlwollen und seine unverbrüchliche Ehrenhaftigkeit obenan stehen.


4 Die Titelrolle gab dabei der sehr befähigte Schauspieler und Regisseur Alois Bosard, dem es seine Darstellungsmittel gestatteten, gelegentlich einer am 18. November 1837 stattfindenden Aufführung der ›Räuber‹, da der richtige Darsteller des Karl Moor erkrankt war, schnell entschlossen für diesen Abend die Partien beider Brüder, Karl und Franz Moor auf sich zu nehmen und mit Anerkennung durchzuführen.


5 Die Romanze (drei enggeschriebene Folioseiten umfassend) trägt in der Handschrift das Datum: ›Riga, 19. August‹ (es ist der 31. August 1837 nach deutscher Zeitrechnung gemeint) und ist demnach vierzehn Tage vor der Aufführung komponiert. Sie verblieb zunächst im Besitz des Meisters, und wird noch in dem Brief an W. Fischer vom 2. März 1855 erwähnt (Briefe Wagners an Uhlig, Fischer, Leine S. 323), wo sie Wagner mit anderen Dresdener Papieren nach London geschickt werden soll, – ist aber späterhin ebenfalls in den ›Autographen‹-Handel gelangt und unseres Wissens zur Zeit im Privatbesitze verschollen.


6 Dies Alles ist dem Verfasser noch aus seinen eigenen in die fünfziger Jahre fallenden Kinderzeiten erinnerlich; man gab da seltsamerweise noch dieselben Stücke, die schon in des Meisters frühen Knabenjahren auf ihn von Eindruck gewesen waren, wie ›Die beiden Galeerensklaven‹ oder den ›Goldschmied von Paris‹ (S. 106 dieses Bandes).


7 Vgl. Bd. III dieses Buches S. 421.


8 Im Original heißt es ›gestern‹, was aber nicht zutrifft; die erwähnte Aufführung fällt auf den 15. SeptemberA1.


9 Im Original heißt es ›gestern‹, was aber nicht zutrifft; die erwähnte Aufführung fällt auf den 15. September.


10 Es kann nur der ganz junge, kaum einundzwanzigjährige, aus Berlin gebürtige Konzertmeister Karl Lotze gemeint sein, der gleichzeitig mit Wagner nach Riga gekommen und ein Jahr vorher in Berlin zum ersten Male als Violinist im königl. Schauspielhause aufgetreten, demnach dem Adressaten – Schindelmeißer – jedenfalls soweit bekannt war, daß dieser ein Interesse für ihn hatte.


11 W. A. Wohlbrück, der Schwager Marschners, für den er die Texte zu den Opern ›Der Vampyr‹ und ›Der Templer und die Jüdin‹ verfaßt hatte. Unter Holteis Direktion war er nicht bloß als begabter Darsteller, sondern auch als Schauspiel- und Opernregisseur tätig und dichtete für Dorn den Text zu dessen weiterhin (S. 311/12) zu erwähnender komischen Oper ›Der Schöffe von Paris‹.


12 Ein Chormitglied, auch für Nebenrollen verwendet; dem Zusammenhang nach vielleicht durch Schindelmeißer empfohlen?


13 Zu dem Bruder Albert, bei dem sie sich damals eine Zeit lang aufhielt.


14 Brieflich an die Mutter aus Paris, 12. September 1841.


15 Vgl. M. Rudolph, Rigaer Theater- und Tonkünstlerlexikon s. v. ›Amalie Planer‹. Über ihr erstes Auftreten vgl. das ›Dramaturg‹ Beiblatt zum Rigaer ›Zuschauer‹ Nov. 1837: ›Dem. Planer‹, heißt es daselbst, ›erfreute uns gar innig durch ihren trefflichen Gesang, der nicht bloß gewandt und schulgerecht, sondern auch seelenvoll, und deshalb, wo es gilt, tief ergreifend ist. Es darf gewiß als ein Beweis von Geschmacksbildung angesehen werden, wenn ein Künstler seine Mittel genau kennt und niemals über dieselben hinausgeht. Diese Stufe der künstlerischen Ausbildung bemerken wir bei Dem. Planer, und wenn nun dazu ihr ein Reichtum an Mitteln zu Gebote steht, wie er eben nicht häufig zu sein pflegt, so darf sie schon Kühneres wagen, ohne ein Mißlingen besorgen zu müssen, und wird in eben dem Grade ihre Zuhörer fortreißen, als das Gelingen der Aufgabe entspricht, die sie sich selbst stellte. Wir wünschen unserer Bühne zu dieser Akquisition von ganzem Herzen Glück‹.


16 Überliefert durch J. Lang, aus persönlichem Verkehr mit Holtei.


17 Vgl. die ›Dramaturgischen Blätter‹ von H. v. Brackel, Beilage zum Rigaer ›Zuschauer‹ November 1837.


18 Wegen seiner darstellerischen Befähigung hatte ihn Immermann in Düsseldorf bereden wollen, ganz zum Schauspiel überzugehen. Er war bis 1844 in Riga engagiert, wo er auch zum ersten Male den ›fliegenden Holländer‹ sang, dann in Köln, begegnete dem Meister 1844 bei einem Dresdener Gastspiel, 1854 in Zürich wieder, starb aber schon fünf Jahre später in Leipzig.


19 Der Text besteht aus vier Strophen; der vollständige musikalische Entwurf dazu, kenntlich an dem Textanfange (›Singt ein Lied dem edlen Kaiser, singt aus frohbewegter Brust‹), findet sich, wie wir seinerzeit einer öffentlichen Anzeige entnahmen, auf der vierten Folioseite der Handschrift jener oben erwähnten Einlage zu dem Blumschen Singspiel ›Mary, Max und Michel‹, über deren Verbleib uns, seit jenem vorübergehenden Auftauchen im Jahre 1886, nichts Näheres bekannt geworden ist, – besonders aber auch nicht, daß sie etwa in das Hausarchiv von Wahnfried zurückgelangt wäre!


20 Abgedruckt in den ›Bayreuther Blättern‹, Dezember-Stück 1885, S. 363, zugleich als Erinnerungsblatt zur fünfzigjährigen Wiederkehr des Todestages des früh verschiedenen, sanften Sizilianers Bellini (1802–1835) der ja erst ganz kurz vor seinem Ende in Paris zum ersten Male – Beethovens Musik kennen lernte, von der er zuvor nie etwas vernommen! (Ges. Schr. IX, 343.)


21 Vgl. hierzu die verwandten Ausführungen in ›Oper und Drama‹ (III, 359/60 und IV, 212 der Ges. Schr.), sowie die auf S. 176 dieses Bandes zitierten Laubeschen Reflexionen.


22 Ges. Schr. IV, 124, 211/12.


23 Die gute Meinung, welche Wagner besonders auch hinsichtlich ihrer dramatischen Handlung (einer Modifikation des antiken Sujets der ›Medea‹) über die Bellinische Oper hegte, bekundet sich in einem Passus seines Aufsatzes im ›Zuschauer‹: ›die Dichtung schwinge sich zur tragischen Höhe der Griechen auf‹. Bekanntlich hatte auch Schopenhauer über Musik und Dichtung der ›Norma‹ eine sehr vorteilhafte Ansicht: ›selten‹, so sagt er, ›trete die echt tragische Wirkung der Katastrophe, also die durch sie herbeigeführte Resignation und Geisteserhebung der Helden, so rein motiviert und deutlich ausgesprochen hervor, als in dem Duett: Qual cor tradisti, qual cor perdesti, in welchem die Umwendung des Willens durch die plötzlich eintretende Ruhe der Musik deutlich bezeichnet werde, überhaupt sei dieses Stück, ganz abgesehen von seiner Musik, und allein seinen Motiven und seiner inneren Ökonomie nach betrachtet, ein höchst vollkommenes Trauerspiel, ein wahres Muster tragischer Anlage der Motive, tragischer Fortschreitung der Handlung und tragischer Entwickelung, zusamt der über die Welt erhebenden Wirkung dieser auf die Gesinnung der Helden, welche dann auch auf den Zuschauer übergeht‹. (Welt als Wille u. Vorstellung II, 496).


24 Wir werden in der Folge sehen, welches Interesse Dorn daran hat, Wagners Position in Riga als von Laufe aus unhaltbar hinzustellen und hierbei selbst Minnas nicht zu schonen. Unrichtig ist auch seine, in demselben Zusammenhang gemachte Angabe, Wagner habe in Riga eine Gage von 1000 Rbln. bezogen (vgl. S. 285), wie sie allerdings – alsbald nach Wagners Entfernung von Riga – Dorn selbst für sich ohne jede amtliche Mehrbelastung sofort wieder zu erwirken gewußt hat.


25 Die Reihenfolge von ›ich‹ und ›er‹ ist genau nach dem Original.


26 Überliefert durch J. Lang, aus persönlichem Verkehr mit Holtei.


27 Wir erwähnen die uns durch den mitanwesenden Löbmann berichtete, übrigens belanglose Tatsache; der wegen seiner Virtuosität in fast ganz Europa und Nordamerika angestaunte und gefeierte ›nordische Paganini‹ konnte Wagner mit seiner, auch in Riga, auf vielfältiges Verlangen wiederholten Polacca guerriera keine tieferen Sympathien einflößen (vgl. seine Erwähnung in Wagners Pariser Korrespondenzbericht vom 6. April 1841, im Gegensatz zu Henri Vieuxtemps!).


28 Beide völlig aus der Luft gegriffene Behauptungen finden sich in einem ›Aus Richard Wagners Sturm-und Drangzeit‹ betitelten, kenntnislosen aber desto leichtfertigeren, Aufsatz in dem von J. Prölß redigierten Feuilleton der ›Frankfurter Zeitung‹ (Januar 1888).


29 Das Original befindet sich, soweit uns bekannt, noch heute in dem Nachlaß seines letzten Besitzers, des unvergeßlichen Alfred Bovet (Valentigney), eines der liebenswürdigsten französischen ›Wagnerianer‹.


30 Der Teufel, dumm wie er ist, glaubt nicht an Weibertreue, und erlaubte daher dem verwünschten Kapitän, alle sieben Jahr einmal ans Land zu steigen und zu heiraten, heißt es bei Heine. ›Armer Holländer! Er ist froh genug, von der Ehe selbst wieder erlöst und seine Erlöserin los zu werden, und begibt sich dann wieder an Bord.‹ ›Die Moral des Stückes ist für die Frauen, daß sie sich in Acht nehmen müssen, keinen fliegenden Holländer zu heiraten; und wir Männer ersehen daraus, wie wir durch die Weiber im günstigsten Falle zugrunde gehen‹.


31 Über das Verhältnis der dramatischen Neuschöpfung des Rienzi durch Wagner zu der ausführlich epischen Behandlung des gleichen Gegenstandes im Bulwerschen Roman ist viel gehandelt worden; unerwähnt ist dabei meistens die charakteristische Tatsache geblieben, daß Bulwer selbst, nach seiner eigenen Angabe in der Vorrede seines Romans, die Anregung zur poetischen Verherrlichung der Gestalt des ›letzten Tribunen‹ bereits einer vorhandenen dramati schen Bearbeitung, der beautiful tragedy einer Miß Mary Russel Mitford (1828 in London aufgeführt) entnommen und derselben einzelne glücklich erfundene Motive, insbesondere das tragische Liebesverhältnis zwischen Irene und Adriano, entlehnt habe.


A1 Man könnte an einen Irrtum hinsichtlich der Datierung des Briefes denken: das würde aber nicht mit der am Schlusse mitgeteilten Dornschen Familienangelegenheit stimmen, welche laut Ausweis wirklich am 16. September abends 8 Uhr sich zutrug. Also ist der Brief tatsächlich am 17./29. morgens, vor der Probe geschrieben, wenn nicht etwa der Anfang vom 16., die zweite Hälfte (mit der Datierung) vom 17. herrühren sollte.

Quelle:
Glasenapp, Carl Friedrich: Das Leben Richard Wagners in 6 Büchern. Band 1, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1905, S. 283-305.
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