Das Requiem.

[168] Durch das Dunkel, welches über die Bestellung dieses Requiem verbreitet war, und durch die übrigen Umstände bey seiner damaligen Gemüthsstimmung ward Mozart gleich innig ergriffen. Er versank vom Neuen in tiefes Nachdenken, hörte auf keine Zuredungen und forderte zu seiner Arbeit bald Papier und Dinte, und arbeitete sogleich anhaltend. Mit jedem Tacte schien sein Interesse daran zuzunehmen, denn er schrieb Tag und Nacht. Da sein Körper dieser Anstrengung nicht gewachsen war, so sank er bey der Arbeit wiederholt ohnmächtig hin. Als nach mehren Tagen es seiner Frau gelang, mit ihm in den Prater zu fahren, so fiel ihr auf, dass er immer still und in sich gekehrt saass. Endlich leugnete er nicht mehr, dass er gewiss glaube, er arbeite jetzt zu seiner eigenen Todesfeyer9.[168] Von dieser Idee war er nun nicht mehr abzubringen, und er arbeitete also wie Raphael Sanzio seine Verklärung, stets im Gefühle seines nahen Todes, und lieferte, wie dieser, die Verklärung seiner selbst. Ja, Mozart äusserte über die sonderbare Erscheinung und Bestellung des Unbekannten10 selbst andere,[169] sehr seltsame Gedanken, und wenn man sie ihm auszureden versuchte, so schwieg er, aber unüberzeugt.

Es ist bekannt, dass auch Mich. Haydn, gleich Mozart, an einem Requiem in der dunkeln Ahnung und dem Vorgefühle, er schreibe zu seiner eigenen Todesfeyer, arbeitete und noch vor der Beendigung starb. Haydn ergriff schon bey der Stelle: »Liber scriptus proferetur« die starre Hand des Todes, während die Parze Mozart's Lebensfaden erst beym Sanctus gänzlich abgesponnen hatte.

In solcher Gemüthsstimmung schuf Mozart also seinem eigenen Namen ein Denkmal. Die vielen Zerstreuungen kurz vor seinem Tode hatten seinen Muth noch einmal belebt und seinen Sinn noch einmal aufgeheitert bis zur leichten Fröhlichkeit – das Lämpchen flammte vor dem gänzlichen Erlöschen noch ein Mal hell auf und dann – nicht wieder. Er, nach allerley Anstrengungen entkräftet und des Gebrausses der Pracht überdrüssig, arbeitete selbst als schon halbverklärter, und schuf sein im Tode Ruhe verkündendes Requiem, dessen Geisterklänge die Seele ergreifen.[170]

In diesem sogenannten Schwanengesange herrscht die Sprache weiser, nicht thränender, auch nicht trostloser, vielmehr von manchem himmlischen Hoffnungsstrahle durchleuchteter Sehnsucht. – Sein erhabenes, tiefes Werk: Misericordias Domini, so wie sein Davidde penitente, scheinen wichtige Vorarbeiten und tiefe Studien des Requiem für diesen – den erhabensten und reinsten Styl zu seyn. – Ob wohl Händel, der das Utrechter Te Deum laudamus schrieb, und Astorga der Aeltere, der uns das Stabat mater hinterliess – wären diese zu Einem Manne zusammengeschmolzen und dieser hätte jetzt gelebt – uns das Requiem so geschrieben hätte, als es Mozart that? –

Dieses tiefe, überschwänglich herrliche Requiem Mozart's ist das Meisterwerk, das die Kraft, die heilige Würde der alten Musik mit dem reichen Schmucke der neuern verbindet, und das in dieser Hinsicht, vorzüglich auch in der so weise angeordneten Instrumentirung, als Muster gelten kann. Das Tuba mirum mag vielleicht der einzige Satz seyn, der in das Oratorienartige fällt: sonst bleibt aber die Musik reiner Cultus, und nur als solcher ertönen die wunderbaren Accorde, die von dem Jenseits sprechen, ja, die das Jenseits selber sind, in ihrer eigenthümlichen Würde und Kraft. Dieses Requiem aber im Concertsaale ist nie dieselbe Musik, da ist sie die Erscheinung eines Heiligen auf dem Balle – eine Predigt im Theater. Denn die für den Cultus bestimmte Musik ist selbst Cultus.

Es ist in diesem Werke eine Fülle der Kunst, gepaart mit dem seelenergreifendsten Ausdrucke, dessen[171] Musik nur fähig ist. In ihm malte der grosse Meister wirklich mit hohem Sinne und mit erhabener Freyheit. Das ganze Wunderwerk bietet überall die schönsten Stellen dar, die für diese Hauptgattung sprechen, und welche bisher noch kein blasphemischer Tadler zu betasten wagte. Der Styl desselben ist der strengste Kirchenstyl; düsterer Ernst und finstere Melancholie sind seine Hauptcharaktere. Die Melodieen sind antik und tragen das Gepräge hoher Erhabenheit. Die Stücke sind durchgängig fugirte Sätze. Die Declamation ist so sprechend und der Gesang so ausdrucksvoll, dass alle Forderungen der strengsten Kirchen-Composition in diesem schönsten Producte seiner Gattung weit überstiegen sind. Jede Note dieses unerreichbaren Werkes trägt ihren bestimmten Gehalt! Jede Fuge ist Charakter, alles erhaben, gross und prächtig! Dieses Requiem ist die höchste Tendenz des erhabensten Kirchenstyls.

Schauerlich schön, furchtbar gross ist das Gemälde des jüngsten Gerichts: Dies irae, dies illa etc.

Das Posaunen-Solo: Tuba mirum spargens sonum macht einen grausenvollen Effect. – Man wird wohl ziemlich überall nicht leicht Jemanden finden, der das, was für die Posaune gesetzt ist, auf diesem unbehülflichen Instrumente gut genug heraus bringt: eine Erfahrung, die Mozart, der die Posaunen selbst zu seiner Zauberflöte in der Folge nicht dulden mochte, wenn er sein Requiem aufgeführt hätte, gleichfalls würde gemacht haben.

Die Stelle: Rex tremendae majestatis ist einzig in ihrer Art.

Ein Gleiches gilt vom Recordare.[172]

Sehr meisterhaft ist das: Confutatis maledictis, und wie einzig schön ist die Malerey im Accompagnement der Violinen im darauf folgenden: Oro supplex! – Dieses Confutatis maledictis schildert die Ausbrüche der Verzweiflung der Verdammten im Gegensatze mit den Jubelsängen der Gerechten: dieser Contrast, der höchste musikalische Glanzpunct schafft der Musik grandiose Effecte. Man findet in diesem Stücke den Uebergang, welcher den Gesang Susannens in Crudel! perchè finora so angenehm herbeyführt. Das Werk ist von allen Fugen frey, deren Ausführung zu schwer seyn würde, und deren Verkettung das Publicum nicht folgen kann.

Das trauernde Chor: Lacrymosa dies illa etc. giebt die täuschendste Nachahmung einer ängstlichen Stille, von Schluchzen und Stöhnen unterbrochen. Die wernende Tonart Gb trägt nicht wenig zur Vollendung dieses schönen Gemäldes bey.

Aber das höchste Gefühl der Andacht beseelt das:Domine Jesu Christe! Rex gloriae! Wie ist es doch so hingebend und so betend! In seiner Tonart Gb! die dann in Es# im: Hostias et preces etc. übergeht.

Und welche Zuversicht herrscht in der Fuge: Quam olim Abrahae promisisti, et semini ejus in saecula!

Das Sanctus! – So viel deren auch componirt worden sind, so kömmt doch diesem keines an Erhabenheit bey. Die immer absetzenden Chöre, der Donner der Pauke, der ihre Zwischenräume füllt, die mit den Vocalstimmen singenden Posaunen, Alles füllt die Seele mit Ehrfurcht vor dem, der da heilig[173] ist! – Es ist ein feyerliches, wahrhaft heiliges Sanctus! Sehr zweckmässig wird es mit der kurzen Fuge: Osanna geschlossen und mit dem herrlichen gemüthvollen Benedictus, als ächtes Quartett behandelt. – In dem:Pleni sunt coeli et terra gloria tua ist der äesthetische Lichtpunkt der Messe, wie es Mozart vortrefflich beobachtete, welcher uns hier die Herrlichkeit und Grösse des Schöpfers und der erhebenden Bestimmung alles Geschaffenen in dem majestätischen sich gegen alle übrigen gedämpften Tonarten so imposant hervorhebenden D# verkündigt.

Das Benedictus ist ein wahres Benedictus aus B#, und das: Osanna darin ist ohnstreitig eine der schwersten und kritischsten Fugen.

Im Agnus Dei ergreift Mozart durch die kindliche Frömmigkeit das Gemüth; – durch das Lux aeterna luceat eis hebt er den Geist höher – und in dem: Cum sanctis entrückt er ihn dem Irdischen.

Wie genial es übrigens gedacht sey, die Fuge desKyrie nun als Schlussfuge zu behandeln und auch so dem Werke Einheit und innern Zusammenhang zu verschaffen, wie beruhigend endlich der kurze, höchst einfache Schluss: Quia pius es sey, darf wohl kaum angedeutet werden.


Mozart's Requiem wird immer als einzig da stehen, bis ein Künstler erscheint, der mit Mozart's hoher Genialität und kindlich frommen Sinne sein richtiges, schönes und tiefes Gefühl verbindet und über die Kunst so unumschränkt herrscht, dass jede mehr im Innersten des Gemüths als im Geist empfangene Idee in jeder gewählten oder sich von selbst[174] darbietenden, wenn auch noch so kunstreichen Form einfach, klar und natürlich sich ausspreche. Das Mozart'sche Requiem nimmt den ganzen Menschen, mit Leben und Tod, mit dieser und mit jener Welt, mit physischer Vernichtung und mit geistiger Unsterblichkeit in Anspruch. Man möchte bey dessen Anhörung gleichsam wünschen, schon in die ewige Ruhe übergegangen zu seyn, um das: Ruhe will ich dir geben mit Mozart'schen Tönen nachrufen zu lassen. Alles diess und noch eine ganze Welt anderer Gefühle fühlt man bey diesem Requiem.


Wäre Cherubini mit seinem trüben Genius im frohen Italien geblieben, er wäre der italienische Mozart geworden: seine Kraft hätte sich mit der nationalen Anmuth verschmolzen und jene glückliche Mischung des Geschmackes bezweckt, die Mozart bey seinen Landsleuten so glänzend realisirte. – Mozart's frühere Compositionen athmen ebenfalls Düsteres, Ernstes, Festes, Kirchliches, und unter anderen Verhältnissen wäre ein Bach aus ihm geworden. Nur seine Umgebungen im gefälligen Wien machten seine Compositionen heiterer und gaben ihnen den Ton des Leichten, Naiven, Gefälligen, ohne die innere Würde des Künstlercharakters mit sich fortzunehmen. Eben dieses würde der Fall bey Cherubini gewesen seyn. Die Anmuth seines Vaterlandes hätte die düsteren Falten des Ernstes geebnet, ohne der Kraft Abbruch zu thun, die aus den tiefsten Tiefen seiner Seele quoll.

Mozart (in seinem Requiem) mit seinem weichen, von Liebe überfliessenden Herzen betend, zagend,[175] hoffend, kindlich schmeichelnd, umringt von engelschönen Knaben und Jungfrauen in einem offenen griechischen Tempel, der vom sanften Abhange eines Hügels in reiche Frühlingsthäler herabschaut. – Cherubini's Priester (in seinem Requiem) mit bleichem Gesichte, strenger, vererzter Miene, mit Augen, in denen Fanatismus und der harte Kampf der Selbstüberwindung verzehrend glühen, mit abgezehrter Gestalt und doch stolzer Haltung in unabsehlich langen dunkeln Fichtengängen wandelnd, mit vernichtendem Feuereifer die Gemeinde ängstigend, erschütternd, das Herz zerknirschend.

Quelle:
Nissen, Georg Nikolaus von: Anhang zu Wolfgang Amadeus Mozart's Biographie. Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1828 [Nachdruck Hildesheim, Zürich, New York: Georg Olms, 1991], S. 168-176.
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