I.

[124] Liszt wandte sich dem Rhein zu, wo er den Rest des Sommers und die angehende Herbstzeit verbrachte.

Er hatte sich die Insel Nonnenwerth, deren stille Poesie ihn wohlthuend berührte, zu seinem Wohnplatz gewählt. Wer diese liebliche Insel, umflossen von dem sagenreichen Rhein, kennt und sie vielleicht in der Spätsommerzeit liegen sah, wenn die Nachmittagssonne sie aus den stillen Fluthen des Rheines heraushebt wie einen seligen Frieden ausstrahlenden Smaragd, oder wer sie vielleicht betreten, in einem Moment, wenn frommer Nonnensang aus ihrer kleinen Kirche tönt oder wenn des Abends die Betglocke das »Ave« kündet und der letzte Goldsaum der scheidenden Sonne die umliegenden Hügel des Siebengebirges umzieht, und das Flüstern der Wellen sich mit dem Glöcklein mischt, dessen Klang allmälig erstirbt und sich mit Gebet und Inseln und Hügeln in poetischen Traum der Nacht auflöst, bei dem nur der sanfte regelmäßige Wellenschlag des königlichen Stromes noch an das Leben gemahnt, – wer die Insel Nonnenwerth in solchen Momenten mit ihren poetischen Zaubern kennen gelernt, wird begreifen, daß der Künstler sich hier wohl fühlte und sie ihm zu einer Art Asyl wurde, das er mehrere Sommer hintereinander aufgesucht hat. Damals war die Insel Nonnenwerth aufgehobenes Kirchengut[124] und diente sammt Kapelle und Klostergebäuden profanen Zwecken; aber die kleine Kapelle mit ihrem blinkenden Kreuz und die dichten Bosquets, aus denen die Statuen von heiligen Männern so ernst hervorsahen, ließen einen nur weltlichen Charakter kaum aufkommen; alles trieb hier zur Stimmung der Ruhe, des Friedens – heiteren Friedens. Und gerade sie heimelte Liszt an – so sehr, daß er den Plan gefaßt hatte, sie als Eigenthum zu erwerben und zum ständigen Sommersitz für sich, seine Kinder und die Gräfin d'Agoult zu machen. Allein die großen Kosten, die ihm durch die Erhaltung der Insel, welche neue stützende Pfeiler brauchte, erwachsen wären, ließen ihn, nachdem er die Berechnungen der Baumeister vernommen, denselben wieder aufgeben.

Die größere Zurückgezogenheit, in der er hier lebte, und die Ruhe, die ihm hier gesicherter war als in den an der Heerstraße liegenden Städten, ließen ihn mehr der Komposition sich hingeben. Dazwischen frequentirte er auf- und absegelnd den Rhein, den Städten seiner Ufer einen musikalischen Besuch abstattend. Er spielte in Köln, Bonn, Coblenz und andern benachbarten Städten, auch in Frankfurt a/Main, wo er sich um die noch im Werden begriffene Mozartstiftung der Gesellschaft »Liederkranz« durch Übersendung einer Koncerteinnahme von über 900 Gulden noch besonders verdient gemacht hatte1 und die Gesellschaft ihm hierauf ein Bankett gab, bei welchem ihm das Diplom als Ehrenmitglied des Vereins überreicht wurde.2

In dieser Stadt trat Liszt dem Bunde der Freimaurer bei. Nachdem er in die »Loge der Einigkeit« vom Komponisten Wilhelm Speier eingeführt worden war, fand daselbst am 18. Sept. 1841 der feierliche Akt seiner Aufnahme durch Dr. G. Kloß, den Vorsitzenden der Loge und Verfasser einer »Geschichte der Freimaurer«, statt, wobei auch sein Freund Fürst Felix Lichnowsky anwesend war. Dieser Beitritt zur Loge war kein Zufall. Je mehr sich das Leben dieses Meisters überschauen läßt, um so mehr erscheint es als ein Festhalten und eine äußere Beglaubigung seiner saint-simonistischen[125] Principien, die in der christlichen socialen Brüderlichkeit ihr wesentliches Fundament gefunden und der humanen und uneigennützigen Charakterrichtung des Künstlers zu einer Zeit, als dieser noch unter dem Problem seiner eigenen Natur stand, gleichsam eine Devise gegeben hatten. Verfolgt man diese Charaktereigenschaft Liszt's, so stellt sich sein inneres Bekennen zum St.-Simonismus (1831), sein Beitritt zum Freimaurerbund (1841) und alsdann (1856) seine Aufnahme als Tertiarier3 in den von Franz v. Assisi gestifteten Franziskanerorden, von der Alexander v. Humboldt äußerte: »der ungarische Ehrenmönch bliebe ihm räthselhaft«4, als eine konsequent fortlaufende Linie der auch symbolischen Bethätigung der Idee christlicher Liebe dar, die in ihm schon als Knabe lebendig gewesen. –

Wie um Frankfurt, erwarb sich Liszt um Köln besondere Verdienste. Durch den König von Preußen Friedrich Wilhelm IV., dem die Vollendung des Kölner Domes eine Lieblingsidee war, wurde dieser Gedanke von neuem der deutschen Nation ans Herz gelegt. Jedoch die Gelder hiezu flossen sparsam und die Befürchtung lag nahe, daß in Folge dessen die Vollendung dieses hehren Baues abermals einer günstigeren Zukunft überlassen und die Arbeit zurückgestellt werden müsse. Auch hier ging Liszt mit großherzigem Beispiel voran.

Er äußerte sich hierüber:


»Ich weiß nicht warum, kommt es daher, daß »die Musik eine Architektur der Töne« oder daß »die Architektur gefrorene Musik« ist – wobei ich von einem Bestehen besonderer Verwandtschaft zwischen diesen beiden Künsten absehe –: der Anblick einer alten Kathedrale hat mich stets eigenthümlich bewegt. Ich liebe die dunklen Tiefen dieser endlosen Kirchenschiffe, welche von so vielen Generationen gebeugten Hauptes durchschritten worden sind, – ich liebe diese kräftigen Säulen, die eine der anderen von dem sie umhallenden Elend des Menschen, von seinen ungestillten Klagen, von dem Bangen seiner Wünsche erzählt. Innerlich erbebend betrachte ich diese emporstrebenden, bis in die Wolken dringenden Thurmspitzen! Sie erscheinen wie das erhabene Ringen des menschlichen Geistes, das dem Himmel sich nähert, um von Gott einen Blick, eine Hoffnung herunter zu holen.

Und als sie von Köln kamen und mir sagten, daß sie ihren Dom vollenden möchten, konnte ich mich nicht zurückhalten auszurufen: »Auch[126] ich werde mein Sandkorn herbeitragen. Wohl handelt es sich hier darum, Millionen zu finden – aber nehmt auch, und sogleich, meinen armseligen Künstlerpfennig! Nehmt ihn vor dem Golde der Andern; denn die Kunst veredelt alles. Gerade das ist unser Privilegium, unser Künstlerprivilegium, immer und überall zu geben, auch wenn wir nicht besitzen.««


In Köln herrschte über des Künstlers Vorgehen ein großer Jubel. »Eine cordiale Sympathie vereinte uns alle in einem Gedanken der Kunst und vielleicht vagen Glaubens« ... schloß er seinen Brief an Kreutzer. – In Köln ließ man es sich nicht nehmen den Hochherzigen zu feiern, so, wie man am Rhein seine Lieblinge und seine Könige feiert: mit Rebensaft, mit Sang und Klang und festlichem Kanonendonner.

Liszts Koncert für den Dombau war für den 23. August festgesetzt. Der Tag vorher galt seiner Feier, deren einen Theil die philharmonische Gesellschaft ausführte. Mit Blumen und Flaggen festlich geschmückt fuhr der Dampfer, 340 Philharmoniker am Bord, nach Nonnenwerth, um ihm von da das Ehrengeleit nach Köln zu geben. Gegen Mittag näherten sie sich der Insel und begrüßten schon aus der Ferne den am Ufer Stehenden mit Gesang, Kanonendonner und Hurrahruf. Mit Blasinstrumenten an der Spitze zogen sie in die Kapelle des Klosters, wo der kräftige, gut geschulte Männerchor ihn nochmals musikalisch begrüßte. In Rolandseck war das Festmahl vorbereitet. Es verfloß mit einer Heiterkeit und einem Enthusiasmus, wie vielleicht nur der weinbekränzte Rhein ihn kennt. Die Begeisterung aber erreichte ihre Höhe bei einem von Liszt auf die Philharmoniker ausgebrachten Toast, der, den Männergesang im Allgemeinen berührend, hervorhob, daß »kein Land etwas Ähnliches besäße wie die Liedertafeln Deutschlands und insbesondere die Liedertafeln am Rhein.«

Nach dem Mahle ging es zurück nach Nonnenwerth. Hier waren inzwischen, gelockt von dem Festklang, unzählige Schiffchen mit Rheinbewohnern aller Art gelandet und auf der kleinen Insel wimmelte es von Menschen, wie nur immer zur Blüthezeit ihrer kirchlichen Festtage. Auch hier scholl ein Hurrah dem Künstler entgegen. Man bedauerte aber, daß kein Instrument und kein Saal da sei, um ihn hören zu können. Als Liszt das vernahm, ließ er seinen Flügel in die Kapelle bringen, und bei offenen Thüren, für Jedermann, ertönte sein begeistertes und Begeisterung[127] weckendes Spiel durch die sonst so einsamen öden Hallen. »Schwerlich, bemerkte ein Augenzeuge dieser Scene5 – schwerlich haben die Nonnen, die ehemals von hier aus ihre Gebete zum Himmel sandten, mit größerer Wahrheit das Göttliche empfunden als diese etwas weltliche Versammlung durch Liszt's elektrisirendes Spiel, das eine wahre Offenbarung des Überirdischen ist«.

Um 7 Uhr setzte sich die philharmonische Gesellschaft, Liszt in ihrer Mitte, in Bewegung und bestieg unter Kanonendonner den mit bunten Lampions geschmückten Dampfer. Während der Fahrt sangen die Philharmoniker die besten deutschen Lieder, sowie eine speciell zu diesem Zweck gedichtete Kantate nach Melodien von Liszt. Als es dunkel geworden und man sich gegen 9 Uhr dem Ziele näherte, flogen Raketen und bunte Schwärmer in die Höhe und bengalische Flammen umflossen zauberisch das Schiff. Vom Ufer aber erklang Musik und Hurrahruf der Menge. Ganz Köln hatte sich versammelt, um ihm das ehrende Willkommen, das sonst nur Königen wird, zuzurufen. Gegen fünfzehntausend Menschen schlossen sich dem nur langsam durch illuminirte Straßen sich bewegenden Zug der Philharmoniker an und gaben ihm das Geleit bis zu seinem Hôtel, wo ein glänzendes Bankett, an dem die Behörden der Stadt sich betheiligten, die Feier beschloß.6

Quelle:
Ramann, Lina: Franz Liszt. Als Künstler und Mensch, Band 2.1, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1887, S. 124-128.
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