Drittes Kapitel.

Das Jahr 1826 bis zum Dezember.

Die Quartette in B-Dur, Cis-Moll, F-Dur. Andere Pläne. Die Schicksale des Neffen; sein Übergang zum Militärstand. Gneixendorf.

[282] Der Eintritt in das neue Jahr, welches für Beethoven so verhängnisvoll werden sollte, schien anfangs Gutes zu versprechen. Wiederholt ist in den ersten Zeiten von Aufführungen Beethovenscher Werke die Rede, so in den Abenden Schuppanzighs,1 in den Spirituelkonzerten;2 seine Schätzung in der Öffentlichkeit war, wenn das noch möglich und nötig war, noch immer im Steigen. Von einer Akademie, welche Beethoven geben sollte, wird gesprochen; doch ist es zu einer solchen nicht gekommen. Das neue B-Dur-Quartett ist in Vorbereitung; man bespricht die Zeit der Proben. – Daß man sich auch in Privatkreisen an diesem Kultus beteiligte, wird man von selbst erwarten. Da war in Wien ein Hofkriegsagent Dembscher, ein reicher Mann und großer Musikfreund; in seinem Hause wurde öfter Quartett gespielt mit Mayseder als erstem Violinspieler. Bei ihm wurde in den ersten Monaten des Jahres das A-Moll-Quartett gespielt. Aus einem scherzhaften Anlaß wird er uns wieder begegnen.

Auch von Plänen zu neuen Kompositionen ist gelegentlich die Rede. Das Oratorium Bernards stand noch immer auf der Tagesordnung, wenn auch in einer Umarbeitung; er wird aus Beethovens Umgebung darnach gefragt; doch kennen wir seine Abneigung gegen Bernards Text, an dessen Komposition er nach Holz' Zeugnis nie ernstlich gearbeitet hat. Auch ein Oratorium nach einem Text von Kuffner wird erwähnt, auf welches wir noch zurückkommen. Grillparzer hoffte noch auf seine Melusine, auch dieser Plan war noch nicht verlassen; der Bruder Johann fragt danach, der Theaterunternehmer Duport bittet darum. Der Gedanke an ein Requiem, an eine neue Symphonie taucht auf. Wir wundern uns nicht, [282] daß aus alledem nichts wurde. Wir kennen die persönlichen Sorgen und körperlichen Beschwerden, welche seine Stimmung und mit ihr die lebendige Schaffenslust zeitweilig beeinträchtigten, wir hörten von seinem Worte, daß ihm graue vor dem Anfangen großer Werke; wir können uns denken, wie der Verkehr mit Chor und Orchester ihm durch sein Leiden erschwert und durch Erfahrungen verleidet war, und daß ihn keine Neigung trieb, für größere Chormassen zu schreiben, die ihm ja auch nicht ohne Schwierigkeit zu Gebote standen. In den letzten Jahren hatte er hauptsächlich für Quartett geschrieben; er hatte der ihm bekannten Sprache der vier Instrumente alles anvertrauen können, was ihn in Freude und Schmerz bewegte; auch stand ihm diese Form in dem Quartett Schuppanzighs und seiner Genossen immer zur Verfügung. Bei der gewohnten, ihm lieben und vertrauten Gattung blieb er, und dadurch wurden andere Pläne und Gedanken in den Hintergrund gedrängt. Der Auftrag des Fürsten Galitzin war durch die drei Quartette in Es-Dur, A-Moll und B-Dur erledigt; sogleich nahm er wieder, ohne daß wir eine besondere Veranlassung kennen, ein neues Quartett in Angriff. Wir erfuhren, daß die Anfänge des Cis-Moll-Quartetts noch in das Jahr 1825 zurückreichen; dieses Quartett, welches im Sommer 1826 fertig wurde, bildet die Hauptarbeit der ersten Hälfte des neuen Jahres. Es erregte die Bewunderung der Freunde, daß er sich beim Schreiben über alle störenden Verhältnisse hinwegzusetzen wußte.

In seiner Umgebung war es, wenn wir an die auswärtigen Besucher des Vorjahres denken, jetzt stiller geworden. Seine Genossen Holz und Schuppanzigh sind vielfach um ihn und berichten ihm treulich, was Musikalisches und Sonstiges in Wien vorgeht; insbesondere scheint ihm Holz jetzt alles in allem zu sein, er unterhält und berät ihn nach jeder Richtung, immer anregend und erheiternd; auch in Geldangelegenheiten3 und wirtschaftlichen Dingen steht er ihm ratend zur Seite; er nimmt den größten Raum in den Konversationsheften ein. Neben ihm erscheint dann und wann auch der Bruder Johann, der mitunter vom Lande in die Stadt kam. Neben Holz erscheint der Neffe Karl besonders viel in den Unterhaltungsbüchern; der machte ja seine Studien fortgesetzt im polytechnischen Institut, und Beethoven konnte nach den letzten Mitteilungen einigermaßen über ihn beruhigt sein, wenn auch sein Mißtrauen nicht völlig geschwunden war. Er berichtet dem Onkel manches über sein Leben und [283] sein Studium, seine Bedürfnisse, seine Hoffnungen; wir haben aber den Eindruck, daß er auswählt, was er dem Oheim erzählt und daß er ihm nicht alles sagt. Aus manchen Andeutungen und den schließlichen Ergebnissen dürfen wir schließen, daß der Neffe fortfuhr, seinen eigenen Weg zu gehen, daß die Neigung zum Vergnügen, zum Versäumen seiner Pflichten, zum Verkehr mit ungeeigneten Genossen nicht abnahm. Grund genug zum Mißtrauen blieb daher für den Oheim; was ihm Freunde zutrugen – auch der Bruder Johann, der sich wie es scheint ebenfalls des Neffen annahm – war nicht geeignet, ihn zu beschwichtigen. Die schlimmste Erfahrung stand dem Meister noch bevor.

Die Mutter Karls war damals durch Schulden in Bedrängnis. Beethoven war nicht abgeneigt, sie zu unterstützen, und mußte durch seine Freunde zurück gehalten werden.

Nicht eben häufig erscheint Breuning unter den Unterredenden. Er war vielbeschäftigter Beamter; so mag er nicht so oft zu Beethoven gekommen sein. Von dem fortgesetzten freundlichen Verkehr Beethovens mit ihm erzählt uns sein Sohn Gerhard. Zuweilen tritt auch Schindler auf; man merkt ihm die Verdrossenheit über die vielen andern Ratgeber an, die Beethoven jetzt hat. Es erklärt sich das vollständig aus der für ihn peinlichen Wahrnehmung, daß sein Einfluß gegenüber dem von Holz ganz beseitigt war; im übrigen bleiben seine Äußerungen der hohen Verehrung und Hilfsbereitschaft dieselben, wie früher. Ein völliger Bruch mit Schindler war also nicht eingetreten. Andere alte Freunde sind fast verschollen. »Von Zmeskall hört und sieht man nichts mehr,« erzählt ihm einmal Holz zu Anfang Januar; bei dem war ja Krankheit die uns bekannte Ursache. Manche mochten sich wegen der Schwierigkeit, mit Beethoven zu verkehren, zurückhalten. Mit andern kam er aus besondern Anlässen oder auf Grund von Plänen zusammen, so mit Kuffner, Grillparzer, Abbé Stadler, Matth. Artaria (in dessen Lokal). Sein Hauswesen war nicht immer geordnet, es mußten Anschaffungen gemacht werden; die Klagen über die Dienstboten nehmen auch jetzt kein Ende. Das können wir hier im einzelnen nicht verfolgen; wir haben es hier mit dem Meister zu tun, der es versteht, in seinem Schaffen sich über diese Miseren hinwegzusetzen.

Das Jahr ist noch nicht weit vorgerückt, als ihm seine Gesundheit wieder zu schaffen macht; die Leiden des Vorjahres, vorzugsweise Unterleibsleiden, scheinen sich wieder anzukündigen. Gegen Ende Januar fühlt [284] er sich nicht wohl,4 er klagt über Gichtschmerzen, das Gehen wird ihm schwer. Die Freunde raten zur Schonung. Auch die Augen waren noch leidend; der Bruder Johann will ihm Augenwasser besorgen. Die Zuziehung eines Arztes erscheint erwünscht, Beethoven entscheidet sich wieder für Braunhofer und bittet ihn zu sich. Dies geschah vielleicht durch den von Nohl5 mitgeteilten Zettel:


»Euer Wohlgeboren!


Ich bitte nur um einen Besuch, schon eine Weile mit einem rheumatisch. oder gichtisch. Zustande behaftet, zwar bin ich noch ihr Schuldner, aber ich werde es nicht lange mehr bleiben. – ich bin immer zu Hause, das Wetter versperrt einem wohl die Thüren.

Ich hoffe Sie gewiß zu sehen, wann Sie immer können wenigstens morgen –


Hochachtungsvoll

Ihr Freund

Beethoven.«

»Meine Wohnung Schwarzspanier

2ter Stock No 20 links

An Professor Braunhofer Brandstätte.«


Braunhofer besuchte ihn und befragte ihn eingehend nach den Krankheitserscheinungen – das Konversationsbuch enthält seine Aufzeichnungen6 – und gab ihm Anweisungen.


»Wollen Sie schnell gesund werden, so müssen Sie die voriges Jahr vorgeschriebene Diät halten sonst kann ich nicht gut stehen, wie lange es währet. – Kein Wein, kein Kaffeh, und das Essen nach meiner Anweisung, übrigens so viel Sie wollen. – Durch einige Tage wenigstens das beste Wasser, was zu bekommen ist, auch Mandlmilch.« (Chocolade auf Braunhofers Namen, Suppen ohne Gewürz u.s.w.) »Ihr Abführen ist mit der gichtischen Affektion in Verbindung. Kein Reißen in Händen und Füßen. Kein Schwindel. Bitterer Geschmack, Herzklopfen. Sausen in Ohren. – Sie sollen zwey bis 3mal des Tags mit lauer Milch sich ausspritzen. – Reisschleim, Gerstenschleim wird Ihnen gut thun. Ein kleines Fläschchen, welches früh 2 Stunden vor dem Frühstück zu nehmen ist. Auf dem Rückweg gebe ich dem Mädchen indeß einen Zelter [Zettel] Chokolade, und wenn Sie wollen, geben Sie mir 2 f. W. W. mit so kaufe ich Ihnen morgen 1 3. Kapitel. Das Jahr 1826 bis zum Dezember und die[285] Magd holt es bey mir ab. – Nur bitte ich einige Tage nur sich vom Wein zu enthalten und mir Uebermorgen, wo ich hoffe daß die Besserung eintreten wird, früh Bericht zu geben. Um 9 Uhr. Wo möglich auf dem nackten Rücken suchen Sie ein Stück Flanell zu bringen. – Ich stehe Ihnen gut, daß Sie nur auf diese Art am schnellsten zur Gesundheit gelangen, und den schädlichen Medicamenten-Gebrauch ausweichen. – Das Fläschchen enthält bloß Wasser mit 1 Tropfen. Sie müssen es auf einmal austrinken, und Geduld haben, wenn Morgen die Sache noch nicht ganz gut wird.« –


Beethoven schickte den erbetenen Bericht in einem Briefe, den Braunhofer am 23. Febr. erhielt:7


»Verehrter Freund


Wie sehr bin ich Ihnen verbunden für Ihre Sorge für mich, so viel mir immer möglich habe ich mich an ihre Verordnungen gehalten; Wein, Kasse, alles nach Ihrer Anordnung. Es ist schwer sogleich zu beurtheilen in wie weit die Wirkung hiervon in diesen paar Tagen zu verspüren; der Schmerz im Rücken zwar nicht stark zeigt aber, daß das Uebel noch da ist; ich glaube also mit Recht von den mir von Ihnen heute geschickten Medikamenten (von denen ich aber nicht weiß, was sie kosten) Gebrauch machen zu können – vergessen Sie Ihr eigenes Bestes nicht wegen andern; ich bedauere recht sehr Ihnen gegenseitig nichts verschreiben zu können und muß sie ihrer eigenen Kraft überlassen – so bald als möglich hoffe ich sie zu sehen. Hochachtungsvoll


Ihr dankbarer

Beethoven m. p


Die Adresse von Beethovens Hand lautet:


»Sr. Wolgeborn

Hrn. H. Professor und

Doktor Braunhofer«


Darunter von fremder Hand (wahrscheinlich des Empfängers):


»den 23. Februar 1826.«


Um dieselbe Zeit (vielleicht etwas später) begegnet Dr. Braunhofer noch einmal im Konversationsheft.8 Er fragt, ob Beethoven in diesem Sommer wieder aufs Land gehe. Die beste Gegend der Stadt sei hinter der Karlskirche.9


[286] »Kaffeh wirkt auf jeden Fall schlecht auf ihren Unterleib und auf Ihren übrigen Organismus. – Kaffeh erhöht die Nerventhätigkeit übermäßig, was gerade bei Ihnen der Fehler ist. Suppen. Ich werde Ihnen heute noch ein Mittel aufschreiben.« –


Er gibt ihm den Gebrauch eines Mittels an (nicht alles ist hier zu entziffern).


»Wie viel Pulver haben Sie noch. In zwey Tagen lassen Sie mir sagen, wie es geht, dann schicke ich Ihnen wieder ein Mittel. – Stärkende Sachen helfen für einen Augenblick, machen aber die Sache später ärger. – Ich will Ihnen etwas stärkendes, und zwar China geben, aber nur in einer sehr kleinen Dosis, diese hilft gewiß wenn die Diät gehörig befolgt wird. – Mein Bedienter hat 2 f. W. W. dafür bezahlt. Wenn es trocken ist. Wollen Sie mir die 2 fl. für ihn mitgeben, ich verrechne nicht mit ihm.«


Der mehrfache Besuch des Arztes und die Sorgsamkeit desselben in der Behandlung des Patienten, auch die Mahnungen der Freunde zur Vorsicht zeigen, daß das Leiden tiefer begründet war. Eine bestimmte Krankheit wird nicht angegeben, und es wird schwer sein, aus den Vorschriften und Andeutungen eine solche sicher zu bestimmen; aber wir gehen wohl nicht fehl, wenn wir annehmen, daß jene böse Lebererkrankung, die sich schon Jahre vorher gezeigt hatte, und die am Ende zu der lebensgefährlichen Krankheit führte, von Zeit zu Zeit ihre schlimmen Symptome zeigte. In diesem Monat Februar bis in den März hinein stand er unter der Einwirkung dieses Leidens, welches gewiß auch auf seine Stimmung wirkte; zu Entschlüssen, mochten die Anregungen sich auf Unternehmen von Konzerten oder von Reisen beziehen, war er nicht zu bringen, und die Langsamkeit des Komponierens – außer dem begonnenen Cis-Moll-Quartett blieb alles andere liegen – stand sicher unter dem Einflusse körperlichen Unbehagens. Wie lange der Zustand dauerte, können wir nicht wissen. Im Laufe des März scheint er sich zu erholen; er nimmt, wie wir aus den Erzählungen seiner Umgebung in den Konversationsheften erfahren, Anteil an musikalischen Ereignissen und anderem, was in der Welt vorgeht.10 Ein wichtiges, ihn persönlich betreffendes Ereignis stand bevor, die erste Aufführung seines B-Dur-Quartetts. Dasselbe war schon seit längerer Zeit, vielleicht seit Anfang des Jahres von seinem »Leibquartett« (so wird es einmal im Konversationsbuche genannt) eingeübt worden. Sie waren mit gutem Vertrauen daran gegangen; der Schwierigkeit der Schlußfuge wurden sie bald gewahr. Aber die Kavatine [287] tat es ihnen bald an. Daran dürfe nichts mehr geändert werden, meinte Schuppanzigh. Als Tag der Aufführung wurde Dienstag der 21. März festgesetzt. »Alles, was Wien an Quartett-Musik-Freunden besessen, hatte sich versammelt, um Zeuge der ersten Aufführung dieser neuesten Schöpfung zu sein, über die bereits Wunderliches ausgesagt worden.«11 Der zweite und vierte Satz mußten wiederholt werden, der letzte (die Fuge) wurde nicht verstanden. Der Bruder Johann erzählte ihm, von dem letzten Quartett sei die ganze Stadt voll und alles sei entzückt darüber; nur das letzte Stück, meinten die billigen unter den Beurteilern, müsse man öfter hören, um es zu verstehen, während andere dessen Wegbleiben wünschten, weil es zu schwer zu verstehen sei.

Wir haben des Quartetts schon mehrfach Erwähnung getan und dürfen ihm an dieser Stelle noch einige Worte widmen.


Das B-Dur-Quartett.


Das B-Dur-Quartett, das dritte und letzte für Fürst Galitzin geschriebene Quartett, gehört ganz dem Jahre 1825 an; schon im März hatte Beethoven neben dem in A-Moll daran gearbeitet, hoffte es im August in 10 bis 12 Tagen zu beenden und gab es im November zur Abschrift. Artaria erhielt den Verlag und ließ es bald veröffentlichen; es erschien noch vor dem in A-Moll und erhielt daher, wie erwähnt, die unrichtige Opuszahl 130. Neben dem Cis-Moll-Quartett ist es an Umfang das größte; es hat wie dieses 6 Sätze.12 Ob aber darum Schindler das Werk mit Grund »dasmonstrum aller Quartettmusik« nennt, bleibt doch fraglich.

In der Anlage des ersten Satzes haben die drei Galitzin-Quartette insofern etwas Analoges, als Einleitung und Hauptsatz nicht streng geschieden sind. In Op. 127 kehrt das kräftige Einleitungsstück nach den Abschlüssen des Allegro mehrmals wieder; im A-Moll-Quartett vermischt sich das chromatische Anfangsmotiv später organisch mit der Durchführung; ähnlich ist es im B-Dur-Quartett. Ein langsam getragener Satz (Adagio ma non troppo), mit dem Ausdrucke ernster, doch von trüber Beimischung [288] freier Ruhe, nimmt uns gefangen; in seiner fortleitenden Bewegung, welche in ihren Figuren imitierend durch die Instrumente geht und von welcher ein kleines Motiv später wieder verwendet wird, blicken wir in das erwartend sinnende, ganz in sich versunkene Gemüt des Meisters. Aus diesem Sinnen muß er heraus und muß sich aufraffen; das innere Leben beginnt sich tätig zu erweisen. Zu gleicher Zeit erklingen zwei Motive; eins in rascher Sechzehntelbewegung, abwärts und aufwärts steigend, und ein wie eine kurze Fanfare rufendes;13 beide eng verbunden, wie zur Tätigkeit rufend; sie bilden den Grundstock des ersten Satzes. Zu bemerken ist, daß die letztgenannte Figur hier und später forte beginnt und piano schließt, also nicht stürmisch und unaufhaltsam, sondern in besonnener Herrschaft der Bewegung gebietend auftritt. Nach einem kurzen Ruhepunkte hören wir noch einmal die Figur der Einleitung, aus welcher sich, harmonisch begleitet, die eilende Bewegung wieder herausarbeitet, das rufende Motiv diesmal in der ersten Violine. Jene eilende Figur bricht dann mit allem Glanze der Instrumente herein, während der Baß die hinüberweisende Fanfare übernimmt. Von hier an nimmt der Satz, mit der in diesen letzten Quartetten obwaltenden Freiheit, die Form des Sonatensatzes an. Das lebhafte Thema geht, nachdem sein Hauptzug ausgeklungen, in eine lebhaft spielende Bewegung über, deren Motiv schon in der Einleitung angedeutet war; diese führt zu einem sehr kräftigen Abschlusse mit Unisonogängen, durch das wiederholte f scharf markiert, zur Dominante F. Da bleiben wir aber nicht; es ertönt eine sanftere Weise, die dann durch einen aufsteigenden chromatischen Gang nach Des als Dominante von Ges leitet. Wir hören ein sanftes, sehnendes, reizend harmonisiertes Motiv, eingeleitet durch einen noch aus dem Thema entnommenen Gang des Cello; wir dürfen die Stelle, wollen wir der alten Regel folgen, als zweites Thema bezeichnen. Der Friede, der hier versprochen wird, reizt ihn; die Sechzehntel, in kurzer abgebrochener Gestalt, drücken ein, wir möchten sagen, neugieriges Verlangen nach einem beruhigten Abschluß aus, der nun freilich in einer andern Tonart winkt, als der nach der Regel erwarteten. In gebundenen, nicht mehr abgestoßenen Wendungen ergeht sich die Sechzehntelbewegung weiter, es wird kunstvoll durch die verwandten Tonarten moduliert, bis endlich das Ges-Dur mit Nachdruck ergriffen und festgehalten wird; mit ausdrucksvollem Unisono [289] wird geschlossen und dann mit kurzer Rückung zuerst die Reprise gemacht (von der Einleitung ab, die unmittelbar an die Schlußnote anschließt), dann mit geringer Veränderung des Schlusses weiter geleitet. Auch hier hören wir zuerst, in nur 2 Takten, das Motiv der Einleitung; es beginnt damit, wenn wir so sagen dürfen, einer der wunderbarsten Durchführungssätze, die Beethoven geschaffen. Nach dem Einleitungsmotiv lassen die Violinen, wie zagend, die beiden Motive des Allegrosatzes pianissimo hören, brechen aber unsicher und zaghaft wieder ab, der Ruf bleibt vergebens. So wird dreimal kurz zwischen Adagio und Allegro gewechselt; es ist, als habe er sich ganz in träumendes Sinnen verloren und könne sich gar nicht wieder aufraffen. Das geschieht aber doch. Als Ausgang nimmt er die Schlußnoten des Einleitungssatzes (in der Bratsche hier


3. Kapitel. Das Jahr 1826 bis zum Dezember

wiederholt sie in dem neu belebten 4/4-Takt, dazu finden sich die beiden Motive des Allegrosatzes, und ganz überraschend läßt das Violoncell eine getragene Kantilene (vgl. das zweite Thema! H. R.) erklingen, welche auszudrücken scheint, daß die völlige Stille doch nicht ohne Sehnsucht ist. Die Violine nimmt die Kantilene in C-Moll imitierend auf, der fanfarenartige Ruf wird allmählich lebhafter, die vorher zitierte Schlußwendung des Adagio gewinnt in ihrer steten Wiederholung einen treibenden Charakter; die Kantilene wendet sich nach B – der Meister hat sich wieder gefunden – die beiden Motive des Allegro treten wie der auf, die Sechzehntel im Cello und den Mittelinstrumenten in glänzender Fülle, die Fanfaren anfangs in der ersten Violine; Erweiterungen treten ein, alles ist reicher und voller, aber auch unruhiger. Der weitere Verlauf entspricht, mit den erforderlichen Modifikationen, dem Gange des ersten Teiles und bleibt im Rahmen der Sonatenform. Der erste Abschluß erfolgt auf As, das zweite Thema in Des, aus welcher Tonart er mit einem reizendem Gange des Violoncells nach F als Dominante von B führt; in der Grundtonart wird dann der Satz siegreich zu Ende geführt. Eigenartig und reizvoll ist die Koda gestaltet. Der Schluß geht auch hier wieder in das Adagio der Einleitung über, wieder folgt dreimal der Wechsel mit dem Hauptthema (die Sechzehntel, der Ruf nur angedeutet), hier energischer und dringlicher, nicht so versunken; dann wird in hoch gelegenen Figuren, die aus dem Fanfarenmotiv entwickelt sind, der Schluß vorbereitet, in welchem die beiden Hauptthemen in schöner Abklärung ausklingen. Kräftige Akkorde schließen den Satz.

Dieser Satz ist, bei aller Freiheit der Formbehandlung, in seinen [290] Bestandteilen und in der Behandlung der Instrumente so klar und übersichtlich gestaltet, daß man heutzutage nicht begreift, wie hier von Unverständlichkeit gesprochen werden konnte. Das ist gewiß kein »Monstrum« der Quartettmusik.

Das gilt ebenso und noch mehr von den folgenden vier Sätzen, in denen ein ungemeiner Reichtum der Erfindung und Empfindung niedergelegt ist. Man meint, er wolle die verschiedensten Stimmungen und Eindrücke, die ihn damals bewegten, zum Ausdruck bringen und dem Hörer vorführen; wir beziehen sie alle auf sein Inneres und brauchen nicht nach äußeren Veranlassungen zu fragen. Da ist zuerst der zweite Satz, presto B-Moll 3. Kapitel. Das Jahr 1826 bis zum Dezember, der überall, wo er erklingt, die Hörer fortreißt. Aus demselben spricht nach unserer Empfindung Unmut und Trotz des Insichgekehrten, der alles Widerstrebende von sich abweisen möchte. Das Trio in dem noch bewegteren 6/4 Takte, mit dem in die Höhe ziehenden Thema der ersten Violine mit den Nachschlägen der unteren Stimmen, will ihn aus sich heraus in die muntere Welt ziehen; doch vergebens; er geht der rufenden Stimme nach, bleibt aber gleichsam fragend und unsicher stehen, und die in chromatischem Laufe zurückkehrenden Stimmen begegnen einer heftigen Abweisung, was sich zweimal (jedesmal in höherer Lage) wiederholt, bis der unmutige Hauptsatz wieder beginnt, in der Fortsetzung etwas variiert. Die Musik wird hier beinahe sprechend, Beethoven geht bis hart an die Grenze des Zulässigen und Schönen. Wir bemerken nur noch und empfehlen es der Beachtung, daß dieses Stück ein bewunderungswürdiges Muster des Quartettsatzes ist; man sehe auf die schöne selbständige Führung der Stimmen.

Der folgende Satz14 – Des-Dur 4/4, Andante con moto ma non troppo, mit besonderer Beischrift Poco scherzoso – knüpft eigentlich [291] unmittelbar an das vorige Stück an. Diese Stimmung des Trotzes ist doch nicht das ausschließlich Herrschende im Gemüt des Meisters; es empfangen uns freundliche Eindrücke oder wenigstens Erinnerungen. Der Grundton B beginnt, senkt sich abwärts und leitet in weichem Übergange nach Des-Dur, dessen Quinte As kurze Zeit, wie abwartend und aufmerkend, in der Höhe gehalten wird. Dazu stimmt die Bratsche eine schlichte ruhige Melodie an, welche dann die Violine aufnimmt; der Ausdruck wird belebt durch die abgestoßenen Sechzehntelfiguren des Violoncells, welche sich zum Teil auch den übrigen mitteilen (diese abgestoßene Bewegung herrscht in dem Stücke vor). Nach kurzem Abschlusse setzt in As eine etwas muntere zweite Melodie ein, in ihrer Fortsetzung durch murmelnde Zweiunddreißigstel-Sextolen belebt; sie führt zu ganz lebhaftem Spiele, welches aber plötzlich abbricht und zweifelnd auf Des verharrt; überraschend erscheint das Thema in C, hübsch durch die Begleitungsfiguren gehoben, dann im Cello in F, wozu in der Oberstimme eine punktierte Figur erklingt; dann wird in zarten abgestoßenen Figuren der Schluß in As vorbereitet; und hier läßt der Komponist, dem das Herz ob des wieder erlangten Friedens hoch schwillt, in gebundenen Noten eine Weise ertönen, die so volles Glück, so warme Liebe zu allem was ihn umgibt atmet, daß auch das Herz des Hörers aufs tiefste ergriffen werden muß. Das ist gewiß eine der schönsten Stellen in diesem an Schönheiten so reichen Quartette. Von dem Motiv kann er sich kaum trennen, zur Wiederholung desselben steigert sich die Bewegung in den Stimmen zu aufwärts strebenden Figuren in Zweiunddreißigsteln, bis nach der eingetretenen Beruhigung in einer sanfteren Bewegung, der des Eingangs nachgebildet, das Anfangsthema wieder angekündigt wird. Über dem Ganzen ruht ein wunderbarer Ausdruck des Friedens, der stillen Einkehr, der innigen Freude über die wieder erlangte Ruhe und Befriedigung. Das wiederkehrende Anfangsmotiv wird in seiner Begleitung [292] und in der Lage der Melodie noch reicher gestaltet, im übrigen ist der Verlauf wie im ersten Teile; es folgt das zweite Thema und die Abschlußmelodie in Des; dann wendet sich die Melodie nach Ges, und hier tritt mit einer Fermate ein plötzlicher Stillstand ein (mit einem Triller), bis ein weiterer, nicht zu schneller Lauf der Violine die Bewegung wieder einsetzen läßt. Die weiter leitenden Figuren mit ihren Modulationen enthalten so viele Schönheiten, daß wir dieselben einzeln gar nicht beschreiben können. Nachdem die Tonart Des wieder erreicht ist, überrascht uns noch einmal ein Abschluß (pp), nach welchem nur die zweite Violine mit einer punktierten Figur zurückbleibt; an sie knüpfen alsbald die übrigen an und halten die Haupttonart fest, in welcher das wunderbare Schlußmotiv den gänzlichen Schluß des Stückes vorbereitet. Ein gewisses Zögern liegt über diesem Schlusse – der Koda – als könne er sich den wiedererlangten Frieden nicht ganz aneignen, worüber der Meister uns aber durch die schnellen Läufe zu dem wieder erklingenden sanften Friedensmotiv hinwegheben will; dem letzten Dominantakkord folgt noch eine Pause mit einer Fermate, dann bricht mit Kraft der Schlußakkord herein und macht allem Zweifel ein Ende.

Die ruhig-heitere Erhebung, welche aus diesem Stücke spricht, erfährt noch eine Steigerung, ihre Krönung in der nun folgenden Danza tedesca (G-Dur- 3/8). Mancher mag sich gefragt haben, wie dieser muntere Tanz in das vorwiegend ernste B-Dur-Quartett komme. In der Tat war er anfangs nicht für dasselbe bestimmt; Beethoven hatte ihn ursprünglich, mit noch etwas mehr spielendem Ausdrucke, in A gesetzt und mutmaßlich für das A-Moll-Quartett bestimmt.15 Diese Disposition hat er vielleicht geändert, als ihm die Idee des »heiligen Dankgesanges« aufgegangen war. Als Höhepunkt der Entwicklung der Sätze paßt er ganz gut in das B-Dur-Quartett. Der Meister gibt hier vielleicht Eindrücke wieder, wie sie ihm an öffentlichen Orten bei Volksbelustigungen entgegengetreten waren.16 Den elegant sich wiegenden »Deutschen« (man beachte das kokett abbrechende dritte Achtel), das muntere Gegenthema mit der bewegten polyphonen Begleitung, die Verlegung dieses Themas, die Fortführung durch E-Moll nach H-Moll, die unvermutete Wiederaufnahme der Tanzmelodie, in weitausgreifenden Bewegungen variiert und harmonisch mit [293] herrlicher Klangwirkung – alles das versetzt uns in die behaglichste, wohltuendste Stimmung. Wenn dann der Meister in einer kurzen Koda, wie aus Erinnerung an das Gesehene, die kleinen Bestandteile der Melodie durch die Instrumente gehen läßt, und nach einer Fermate die Melodie noch einmal bringt und schließt, fühlen wir mit ihm den inneren Humor, mit dem er das reizende Stück niederschrieb.

Über diesen Grad des Humors an dieser Stelle noch hinauszugehen würde, wohl seiner Stimmung und dem Plane des Quartetts nicht entsprochen haben; er kehrt in das tiefste Innere zurück. Da empfindet er wieder alles Weh, welches ihn drückt, seine ganze Hülfsbedürftigkeit, alles Verlangen und Sehnen nach einem Glückszustande, der ihm gemäß ist. Der Ausdruck dieser in sich gesammelten, hoffnungsvoll aufblickenden und doch tief ergriffenen Stimmung ist die nun folgende Kavatine (Adagio molto espressivo, Es-Dur 3/4), gewiß eins der schönsten und rührendsten Stücke, die je aus seiner Seele geflossen sind. Nachdem die tieferen Instrumente kurz die Tonart festgestellt haben, erhebt die erste Violine einen getragenen Gesang, der uns berührt wie ein aus tiefster Seele aufsteigendes Gebet um Frieden und Erfüllung; ein Gegensatz atmet innige Ergebung in alles, was ihm höhere Hand bringen möge. Die Schönheit dieser Melodie läßt sich gar nicht beschreiben, es ist eins der Stücke, bei denen das Wort verstummt. Das Hoffen ist nicht ohne Unruhe, das kommt in einem kurzen Mittelstücke zum Ausdruck; zu etwas lebhafterer Bewegung (Triolen) will die erste Violine eine Melodie bringen, die nach etwas Gewünschtem, Erhofftem ausschaut, aber sie wagt es nicht, sie fest zu ergreifen und darzustellen, sondern nur gebrochen, zitternd bringt sie die Töne der hier aufgelösten Kantilene – »beklemmt« schreibt der Meister darüber – mutlos sinkt sie zurück, die innige Hauptmelodie kehrt wieder, erfährt noch eine Erweiterung, mit ihrem innigen Hoffen und Bitten klingt das Stück aus. Beethoven gestand Holz, daß noch nie seine eigene Musik einen solchen Eindruck auf ihn hervorgebracht habe, und das selbst das Zurückempfinden dieses Stückes ihn immer eine Träne koste.17

[294] Worin findet er nun die Befriedigung seiner Sehnsucht, das gesuchte Glück seines Daseins, nachdem ihm sein Geschick so vieles versagt? Er findet es in seinem musikalisch-künstlerischen Schaffen. »Aus der zärtlich überschwänglichen fast hoffnungslos hingegebenen und zerflossenen Stimmung, von welcher die Cavatine Zeugniß gibt, wollte er sich und seine Manneskraft – wie so oft! – wiederfinden in rüstigster, technisch musikalischer Arbeit«, so hat Helm unseres Erachtens ganz richtig die Stellung der Schlußfuge bezeichnet.18

So hat der Meister sein ganzes musikalisches Streben und Können an dieses großartige Gebilde gelegt. Eine Analyse dieses Wunderwerkes im einzelnen kann hier nicht gegeben werden. Das Hauptthema mit seinem chromatisch anhebenden, dann durch die verminderte Septime aufwärts schreitenden Gang zeigt schon auf den ersten Blick eine Ähnlichkeit mit dem Anfangsmotiv des A-Moll-Quartetts.19 Die Fuge beginnt mit einem kurzem Vorspiel, von Beethoven »Overtura« überschrieben.20 Darin wird zunächstunisono das Thema nachdrücklich angegeben (mit g beginnend) und schließt mit einem Triller, dann noch zweimal in kürzeren Werten (wie im Schlußteil der Fuge), und endlich in langsamerem Tempo, harmonisch gestaltet und dann kontrapunktisch von einer Sechzehntelfigur begleitet; – so werden die beiden Schlußteile des Satzes schon hier angedeutet. Dann folgt im Allegrotempo das Thema selbst, leise, mit den schwebenden Achteln


3. Kapitel. Das Jahr 1826 bis zum Dezember

wobei, wie es bei Beethoven in späterer Zeit öfters zu finden, der Ton zweimal nacheinander, ohne selbständig angesetzt zu werden, hörbar gemacht werden soll, was auf Saiteninstrumenten leichter auszuführen ist, als auf unseren heutigen Klavieren.21 Dann erst folgt mit dem Eintritt des [295] kräftigen Gegensubjektes


3. Kapitel. Das Jahr 1826 bis zum Dezember

die Aufschrift Fuga, dem Overtura im Eingang entsprechend, und damit die gewaltige Doppelfuge; »tantôt libre, tantôt recherchée« nennt er sie selbst und wahrt sich dadurch die Freiheit, die Einsätze der Themen und ihre gelegentliche Veränderung nach seiner Eingebung zu gestalten.22 Im übrigen ist sie übersichtlich und in ihrem ersten Teile durchaus regelrecht und in klar begrenzten Abschnitten gebaut. Die beiden Themen bilden einen Gegensatz; das Gegenthema markig und in seinen weiten sprungweisen Figuren sehr energisch; das Hauptthema eher zögernd und neben dem andern und dessen lebhafter Bewegung etwas zurücktretend, besonders wo später noch andere rauschende Figuren hinzutreten, von diesen etwas verdeckt und nicht überall gleich klar aufzufassen. Einer raschen Zugänglichkeit und Auffassung bietet das Stück in seinem Reichtum ungewöhnliche Schwierigkeiten. Man wird es aussprechen dürfen: es ist mehr subjektive, geniale Gedankenarbeit, als aus der Tiefe des Herzens gekommen, und so wird es auch schwerlich je auf die Herzen wirken. Daher halten sich auch die Spieler bis auf den heutigen Tag von dem Stücke zurück. Nur einmal läßt er uns auch hier tief in seine Seele blicken; es ist das Zwischenstück in Ces-Dur (Meno mosso e moderato), in welchem, nachdem die erste Abteilung des Fugensatzes ausgeklungen, die zarten geheimnisvollen Sechzehntelgänge, meist in hoher Lage begleitet, zu denen sich das langsam einsetzende Hauptthema (schon vorher angedeutet) ahnungsvoll gesellt, ganz [296] jener hochverklärten Stimmung entfließen, die wir bei dem späteren Beethoven kennen; wie in einer Vision schaut er auf ein ersehntes Glück. Das letzte Stück (Allegro molto e con brio 6/8) läßt den eigentlichen Charakter der Fuge ganz fallen,23 obwohl es nur mit den Motiven derselben arbeitet; in mancherlei Wandlungen, Verkürzungen, Umkehrungen, Anhängen (wobei der schon im Eingange angedeutete Triller eine große Rolle spielt) erscheinen sie, und das Stück treibt in ruheloser Eile. Da kommt auch das Gegenthema (6/8) wieder zu Wort, hier und da auch scheinbar Neues, doch aus den Hauptmotiven hervorgegangen; dasMeno mosso zieht noch einmal an der Einnerung vorüber; ungemein ist der Reichtum, der sich aus der Bewegung der Themen entwickelt; wer sich [297] ganz in die Entwicklung des Stückes versenkt, namentlich als Spieler, wird sich schwer davon losreißen und sich an vielen überraschenden Zügen nicht bloß der Kontrapunktik, sondern geradezu der Klangwirkung erfreuen. Witzig ist die kurze Zurückdeutung auf den Anfang der Fuge und das Meno mosso; großartig die Wiederholung und Erweiterung des Themas vor dem Schlusse; wie ein versöhnender Abschluß erklingen noch einmal in voller Klarheit beide Themen (zu den harmonischen Figuren der Bratsche), worauf dann der kräftige Abschluß folgt. –

Wie wir bereits erfuhren, machte dieser letzte Satz schon den Spielern Schwierigkeiten; bei der Aufführung wurde er nicht verstanden; ein Teil der Zuhörer hatte wenigstens die Hoffnung, daß bei öfterem Hören das Verständnis folgen werde. Diesen Standpunkt nahm auch die Kritik ein.24 Matthias Artaria, der den Verlag übernommen hatte, machte sich zum Wortführer dieser Bedenken bei Beethoven und schlug ihm vor, einen andern letzten Satz zu schreiben, und die Fuge als selbständiges Werk herauszugeben, welche er in diesem Falle auch besonders honorieren wolle.25 Beethoven ging auf die Bitte ein (fand also diesmal die Bedenken nicht ungerechtfertigt),26 und ersuchte den Klavierspieler Anton Halm, der am 21. März in Schuppanzighs Konzert das B-Dur-Trio gespielt hatte und den er schätzte, ein vierhändiges Arrangement der Fuge zu veranstalten. Halm machte sich bald an die Arbeit und schrieb am 24. April an Beethoven:27


»Hochgeehrtester Herr v. Beethoven,


Ich habe Ihre Fuge, welche zu übersenden die Ehre habe, mit möglichstem Fleiße, und aller Sorgfalt beendigt. Ich staunte dei jedem Takte, über Ihre Macht der Harmonie und dessen Fluß sowohl, als auch über die bis zur Erschöpfung angewendeten Kunstfiguren und deren Bearbeitung! Was meine Umarbeitung betrifft, war es leider nicht möglich, daß die Suges (!Sujets) immer in ihrer Gestalt geblieben, sondern öfters zerrissen werden mußten.

[298] übrigens ist sie so brilant, gut spielbar, und wie ich hoffe noch verständlich genug, daß Ihr höchstes Meisterwerk für das anerkannt werde, was es ist. Ich werde bis längstens 1/4 auf 4 Morgen Nachmittag mit Ueberbringung Ihres Manuscripts so frei seyn, über meine Bearbeitung Ihre gütige Meinung einzuhohlen. Unterdessen bin ich mit der höchsten Achtung


Ihr

Ergbster

Anton Halm.

Wien den 24ten April 1826.«


Aus der Unterhaltung mit Halm hat Thayer Folgendes aufgezeichnet:


»Während dieser Zwischenzeit ersuchte mich B. eine Fuge, die als letztes Stück von diesem Quartett componiert war und einmal öffentlich gespielt wurde und später wegblieb, zu 4 Händen fürs P. F. zu arrangiren. – Nachdem dieses Arrangement fertig war, brachte ich dasselbe zum B... – Er sah es durch und äußerte sich: ›Sie haben nur diese Stimmen zu viel zertheilt inprim u. Second‹. Nähmlich ich hatte das Spiel zu erleichtern gesucht, indem ich das überspringen der Hände vermeiden wollte, und deswegen mehreres in die rechte Hand gegeben, was die linke spielen sollte. Freylich war der Effect ganz derselbe, aber nicht für das Auge. Beethoven hat die Fuge deshalb selbst arrangirt und so wurde sie herausgegeben.«


Artaria zahlte nach seinem noch vorhandenen Spesenbuche28 am 12. Mai an Halm »fürs Arrangement der Beethovenschen Fuge 40 Gulden«, Beethoven aber schickte ihm einige Zeit später den von ihm neu gefertigten Auszug, für den er eventuell auch Honorar verlangte. Damit war aber Artaria nicht zufrieden, da er Halm schon bezahlt hatte.29 Er ließ durch einen Vertrauensmann (vielleicht den Kompagnon des Geschäfts) um den Auszug von Halm bitten. – Darauf antwortete ihm Beethoven Folgendes:30


»werther Freund!


Ich gelange endlich zu meinem Wunsche, übermorgen e. ausflucht auf mehrere Tage zu machen, in dieser Rücksicht ersuche ich sie Hr. Mathias A31 zu sagen, daß ich ihn durchaus nicht zwingen will meinen Klavierauszug zu [299] nehmen, ich sende ihnen deshalb den Halmischen K. a. mit, damit sie, sobald sie meinen K. ausz. zurück empfangen haben, den Halm M. A. gleich einhändigen, will aber H. A. meinen Klavierauszug behalten für das aus 12 ⌗ in Gold bestehendeHonorar, so verlange ich nichts, als daß dieses schriftlich von ihm gegeben wird, oder auch ihnen das Honorar eingehändigt wird,+ zu welchem Behufe ich ihnen die Quittung hier beifüge +32 – der Klavierauszug kann mir als schuldigkeit auf keine Weise aufgebürdet werden –


wie i ier der

Ihrige

Beethoven

sie wissen

meine Lage!«


Artaria, der so vor die Wahl gestellt war, nahm den Klavierauszug Beethovens an und zahlte ihm dafür, nach dem oben zitierten Spesenbuche, am 5. September 12 Dukaten in Gold. Damit ist auch der Irrtum Schindlers (II S. 118) beseitigt, als rühre der jetzt vorhandene Klavierauszug von Halm her.33 Am 10. März 1827 zeigte Artaria die Fuge als Op. 133 und Beethovens eigenes vierhändiges Arrangement alsOp. 134 als erschienen an.

Beethoven schrieb dann den neuen letzten Satz und vollendete ihn im Spätherbst, wo wir darauf zurückkommen. –

Es war von einer weiteren Vorführung des Quartetts die Rede. Schuppanzigh, wie es scheint, wollte nicht heran; Böhm aber und Mayseder wollten es geben. Da sprach der schon früher genannte Hofkriegsagent Dembscher, der bei der ersten Aufführung nicht gewesen war, den Wunsch aus, es bei sich aufführen zu lassen. Darüber erzählt Holz im K.B. vom April Folgendes:


[300] »Dembscher hat gestern gewünscht, das neue Quartett bei sich zu hören. Das war die beste Gelegenheit, daß ich ihm sagte, er wird nie wieder eines bekommen. – Er war in größter Verlegenheit, und stammelte im ersten Augenblick heraus, ja – ich wußte nicht – wenn es Beethoven gegeben hätte – ich dachte nicht –. Er hat [sich] vor der Gesellschaft geschämt, weil ich ganz laut sprach, als wenn es mir einerley wäre. – Als ich fortging, bat er mich, ich möchte ihn nach Möglichkeit wieder zu Gnade bringen; ich sagte der erste Schritt dazu ist, daß er dem Mylord 50 fl. schickt, als wenn er im Quartett gewesen wäre. – Ich muß morgen wieder gehen, heute war [er] eben fortgegangen, als ich kam. – – Dem Mayseder selbst war es ganz recht, daß Sie es dem Dembscher nicht geben. – Er sagt, das sey ganz billig; er bittet aber, wenn Sie es seinen Händen anvertrauen wollten, so würde er es bey Merk34 spielen, er sagt, ohne Probe ging es gar nicht, und die Fuge interessiere ihn zu sehr, als daß er sie nicht selbst spielen möchte. – In der Wohnung des Merk, die sehr geräumig ist. – Es soll nochmals korrigiert werden.«


Ob das Quartett bei Dembscher gespielt worden ist, erfahren wir nicht. Die Erzählung Holz' im K.B. wird bestätigt und erläutert durch eine Mitteilung in Gaßners »Zeitschrift für Deutschlands Musikvereine und Dilettanten«,35 die ersichtlich auch von Holz herrührt; wir lassen auch sie hier folgen.


»Beethoven hatte eben das Quartett in B (dem Fürsten Gallizin gewidmet) vollendet und überließ das Manuscript seinem Freunde Schuppanzigh zur ersten Aufführung, womit sich dieser eine reichliche Einnahme versprach. Um so mehr ärgerte sich Beethoven, als er nach der Production erfuhr, daß sich ein in Wien bekannter wohlhabender Musikliebhaber D*** dabei nicht einfand, indem er behauptete, er könne dieses Quartett in der Folge im eigenen Cirkel und von tüchtigen Künstlern aufführen lassen; das Manuscript von B. zu erhalten falle ihm nicht schwer. Dieser Herr wandte sich nun wirklich in kurzer Zeit durch die Fürsprache eines Freundes an Beethoven, und ließ ihn um die Stimmen zu dem neuesten Quartett ersuchen. Beethoven erklärte ihm hierauf schriftlich, er wolle die Stimmen schicken, wenn Schuppanzigh für die erste Aufführung mit 50 fl. entschädigt würde. Ganz unangenehm überrascht sagte nun D*** dem Ueberbringer des Billets: ›Wenn es sein muß –!‹36 Diese Antwort wurde Beethoven [301] hinterbracht, worüber er herzlich lachte, und augenblicklich den Canon niederschrieb:


›Es muß seyn! Es muß seyn! –‹


Aus diesem Canon entstand im Spätherbste des Jahres 1826 das Finale seines letzten Quartetts in F dur, welches er überschrieb: ›Der schwer gefaßte Entschluß‹.«


Den musikalischen Scherz teilen wir hier nach dem Faksimile bei Holz mit.


Schnell. im Eifer.


3. Kapitel. Das Jahr 1826 bis zum Dezember

Z. 1 Takt 3: Das c ist zwar deutlich aber die Note ist tiefer geschrieben als in Takt 1, der größte Teil des Bogens ist im Zwischenraum; Beethoven wollte doch wohl b schreiben.

Z. 2 Takt 1. 2: Die kleinen Noten sind, wie oft in Beethovenschen Handschriften, ganz undeutlich.

[302] Ebenso in

Z. 3 Takt 1, wo nicht klar ist, ob die dritte Note c oder b sein soll. Ich glaube b, überlasse es aber dem Leser zu entscheiden.


Holz wendet sich in einer Anmerkung gegen die Erzählung Schindlers,37 der die Sache auf eine Szene mit der Haushälterin zurückführt, die ihr Wochengeld verlangte; Holz bezeichnete seine Erzählung als »reine Erfindung«. Allerdings ist uns hier Holz glaubwürdiger, da er die Sache wissen konnte, was damals bei Schindler nicht der Fall war. Das »heraus mit dem Beutel« wird er wohl nicht der Haushälterin in den Mund gelegt haben.38

Mit der Beendigung des B-Dur-Quartetts hatte Beethoven seine Verpflichtung gegen den Fürsten Galitzin erfüllt; es kam noch die Pflicht des Fürsten, die Zahlung des Honorars, in Frage. Darüber hat sich ein längerer Streit entsponnen, da dem Fürsten namentlich von Seiten Schindlers bittere Vorwürfe wegen Unterlassung der nötigen Zahlung gemacht worden sind, gegen welche der Fürst in gleich bitterer Weise sich wehrte. Wir mögen den Text mit dieser jetzt längst erledigten Angelegenheit nicht belasten, und stellen das Wichtigste aus den hierauf bezüglichen Tatsachen, soweit sie uns bekannt sind, im Anhange II zusammen. Es wird sich dort ergeben, daß Beethovens Erben durch den Fürsten befriedigt worden sind; nach welcher Zeit und mit welchen Voraussetzungen, wird man dort finden. Aus der Lebenserzählung Beethovens darf die Erörterung dieser unerquicklichen Frage daher jetzt ausscheiden.

In die Zeit der Vorbereitungen und der Aufführung des B-Dur-Quartetts fällt ein mutwilliger Scherz, den man sich mit einer Haarlocke Beethovens erlaubte. Wir haben darüber die eigene Erzählung des Nächstbeteiligten, [303] des Klavierspielers und Komponisten Anton Halm an Thayer, der sie in seinen Notizen aufgezeichnet hat. Durch dieselbe wird Schindlers Erzählung39 einigermaßen berichtigt und ergänzt. In der Probe zu Schuppanzighs Konzert (B-Dur-Trio, B-Dur-Quartett) war auch Halms Frau, »eine geborene Sebastiani aus Trier, welche Beethoven immer seine Landsmännin nannte« gegenwärtig. Diese hatte eine Locke von Beethovens Haar zu besitzen gewünscht, eine Gunst, deren sich wenige rühmen konnten; Beethoven antwortete gewöhnlich: »Laßt mich gehen!« »Bei dieser guten Gelegenheit ersuchte mich meine Frau, den Beethoven um eine Haarlocke zu bitten. Allein da Beethoven nicht hörte und mehrere Menschen zugegen waren, nahm ich Anstand mit Beethoven persönlich darüber durch sein Notizbuch zu unterhandeln. Ich ersuchte daher Carl Holz den Wunsch meiner Frau Beethoven vorzutragen. In einigen Tagen erhält meine Frau durch einen Dritten eine Locke, die Beethovens Haar sein soll.« Während dieser Zwischenzeit ersuchte Beethoven Halm, die Quartettfuge zu vier Händen für das Pianoforte zu arrangieren. »Mittlerweile hatte Carl Groß, ein geschickter Dilettant auf dem Violoncell, mir gesagt, mit Achselschupfen: ›Wer weiß ob das Haar ächt ist?‹, und doch hatte ich keinen Verdacht. Nachdem dieses Arrangement fertig war brachte ich dasselbe zu B.–« und es knüpfte sich daran die früher40 mitgeteilte Unterhaltung. »Wie ich weg gehen wollte, trat er mit einem furchtbaren Ernst im Gesicht mir entgegen mit den Worten: ›Sie sind mit der Haarlocke betrogen! Sehen Sie, mit solchen furchtbaren Creaturen bin ich umgeben, daß sie alle Achtung, die sie respectablen Menschen schuldig sind, auf die Seite setzen. Sie haben Haare von einer Geiß.‹ Und so sprechend gab er mir in einem weißen Bogen Papier eine bedeutende Quantität seiner Haare, welche er sich selbst ganz rückwärts ausschnitt, mit den Worten: ›Das sind meine Haare!‹ – Wahrscheinlich hat er die Haare von hinten abgeschnitten weil es dort noch schwarz war, während vorne alles schon schneeweiß war. – So ging ich im Triumph mit diesem erhaltenen seltenen Geschenk nach Hause. – Nicht so meine Frau. Sie war über Carl Holz seine Niederträchtigkeit entrüstet, schrieb sogleich einen den Umständen angemessenen Brief. Ein oder zwei Jahr später stand meine [304] Frau bei dem offenen Grabe Beethovens, 29. März 1827 – und sah auf der anderen Seite Holz weinend stehen, der sie nicht aus Scham ansehen konnte. Dadurch gerührt reichte sie ihm übers Grab die Hand zur Versöhnung. –«

Wir gehen wohl nicht fehl, wenn wir, zumal bei dem Zusammentreffen der Zeit, den nachstehenden Brief an Holz vom 26. April hierher beziehen.41


»26. April 1826.


Werther Freund!


Sie können versichert sein, daß ich an den neulichen Vorfall gar nicht mehr denke, und daß dieß meine dankbaren Gesinnungen gegen Sie nie ändern wird; ich bitte Sie also in Ihrem Benehmen nichts dergleichen zu äußern, Sie werden mir immer willkommen sein.

Künftigen Sonntag werden Sie, hoffe ich, meinen Tisch nicht verschmähen. Ich habe diese Woche zu viel zu thun und habe auch keine Ruh, bis alles vollendet ist, dann ist aber in solchen Fällen die Stunde des Essens bei mir gar nicht zu bestimmen, wie ich denn überhaupt schon seit meinem 13ten Jahr immerge wohnt bin, sehr spät zu Mittag zu essen. Hierin wurde ich noch bestärkt durch angesehene Geschäftsmänner hier, u. es ist jetzt schwer diese Gewohnheit gänzlich aufzugeben. Nehmen Sie dieses durchaus nicht ironisch, bedenken Sie, daß ich von den Musen abhänge und Sie werden mir dann gewiß nicht Unrecht geben. Schon längst habe ich auf ein Mittel gedacht, Ihnen meine Dankbarkeit zu bezeugen, welches ich sobald als möglich ins Werk setzen werde.

Haben Sie diese Woche Zeit mich zu besuchen, so wird es mir ein Vergnügen sein, wenn Sie mich besuchen wollen. Sie werden mich unverändert finden wie sonst. Sonntag erwarte ich Sie ganz gewiß.


Wie immer Ihr Freund

Beethoven.«


Aus diesem Briefe spricht doch durchaus freundschaftliche Gesinnung; eine Entfremdung gegenüber Holz war nicht eingetreten. –

Der ersten Aufführung des B-Dur-Quartetts folgten manche Musikaufführungen, deren Erwähnung es nicht bedarf, da sie Beethoven nicht besuchte. Zu einer neuen Akademie, die namentlich Schuppanzigh betrieben hatte, kam es nicht. Dagegen gab Schuppanzigh am 11. Mai (anfangs für den 1. Mai beabsichtigt) ein Morgenkonzert im Augarten, worin Verschiedenes von Beethoven gespielt wurde: eine Ouvertüre, [305] Marsch mit Chor aus den Ruinen, eine der Violinromanzen, vielleicht die Adelaide.42 Der Marsch mit Chor mußte von Haslinger erbeten werden, was bei den damaligen Verhältnissen nicht ohne Schwierigkeit war. Holz erzählte darüber im K. H. folgendes:


»Mylord [Schuppanzigh] wünscht im Augarten- Conzert den Marsch mit Chor zu machen; er bat Haslinger darum; dieser sagte aber, er getraue sich nicht, ihn ohne Ihr Vorwissen herzugeben, denn mit Ihnen sei nicht auszukommen. Sie müßten also, wenn Sie es erlauben, daß es aufgeführt wird, eine schriftliche Erlaubnis dem Mylord geben, die er dem Haslinger vorweisen kann. Jetzt fürchtet er sich wie noch nie.«


Beethoven gab die Erlaubnis, worauf ihm Schuppanzigh folgende Zeilen schrieb:43


»Mächtigster Beethoven


Ich danke für den gestrigen Bescheid das Pater noster Gäschen betreffend. Der kleine Tobias hat diesen Marsch mit Chor nur einmal, wenn ich von Euch edelster Herr Dupplierungen sowohl von diesem Chor, als von der Overture, nemlich aus C dur, haben kann, so bittet Euch inständig darum


Euer

Primo Violino

Schuppanzigh mp.

Wien 26. April 1826.«


Das Konzert ging gut von statten; Ouvertüre und Marsch gefielen besonders und Schuppanzigh spielte außer der Romanze noch ein Stück (Bolero?) von Kreutzer.

Außerdem fanden in der folgenden Zeit mehrere wichtige Opernaufführungen statt, u.a. wurde Fidelio vorbereitet, worin Nanette Schechner, die damals gleich einem Phänomen in Wien erschienen war, die Titelrolle singen sollte. Ihr Debut hatte sie am 22. Mai 1826 im Kärthnerthortheater in der »Schweizerfamilie«. Holz, der sie hörte, lobt sie sehr und zieht sie der Milder vor.


»Heute singt die Schechner zum ersten Male in der Schweizerfamilie. Beinahe so wie die Milder, aber mehr Biegsamkeit der Kehle. Fidelio ist eine ihrer Hauptrollen.«


Dann ferner:


»Die Schechner hörte ich. – Beinahe wie die Milder so stark, aber das Spiel noch besser. – – Reine Intonation, durchaus richtige und deutliche Declamation.«


[306] Schindler spricht im K. H. in den höchsten Ausdrücken von ihr und bittet Beethoven, sie zu ihm führen zu dürfen. Im Juni schreibt er:


»Ich komme, mein großer Meister, Sie um die Erlaubniß zu bitten, Ihnen die Dlle Schechner aufführen zu dürfen, die sich sehnt Sie persönlich kennen zu lernen. – Ein wahres Portentum naturae! – Das hat Wien noch nicht gehört, und hätte das gute Mädchen einen italienischen Namen, so wäre sie noch größer als alle Sängerinnen der Welt. – In München. – Orlando und noch eine andere. – Die Natur hat an ihr höchst verschwenderisch gehandelt, sie hätte wohl mit ihrem Theil 3 andere tüchtig ausstatten können. – Die Milder bleibt ihrer [?] sehr weit zurück. – – – Wenn die Schechner Morgen wegen der Proben sich Zeit nehmen kann, so werden wir so frey sein nachmittags gegen 5 Uhr zu kommen, vielleicht noch in Gesellschaft ihrer Mutter, die eine ganz vortreffliche Frau ist. – Sie werden an ihr keine Schönheit, wohl aber ein recht hübsches brünettes und gesetztes Mädchen kennen lernen, die nebst der Kunst sich ganz mit der häuslichen Wirthschaft abgibt – – –. Jetzt wollen wir Ihnen so die Visite machen; dann können Sie sie einmal zu Tische laden; sie ist ein sehr einfaches Mädchen und ohne die mindeste Prätension. – – –«


Etwa im Juli schreibt er nochmals:


»Wie ich gestern hörte, wird sich die Schechner den Fidelio zu ihrem Benefice aufheben, welches wahrscheinlich erst im Sept. oder Octob. statthaben wird, daher vortheilhaft für die Oper. Wir werden sie auf einmahl überraschen, da ich jetzt wieder gesund bin, und dann läßt sich das übrige verabreden. – Dessen können Sie die Schechner und keine andere, die Sie verehrt, überzeugen, das es alles eins ist, ob sie zu Beethoven oder zu Wenzel Müller geht.«


Die Schechner hat ihren Wunsch aber erst viel später ausgeführt. Noch im Dezember 1826 schreibt Schindler im K.B.:


»Es verliert sich auch alles was gut ist von hier. So geht Dlle Schechner nach Ostern nach Berlin, engagirt mit 25000 Franken, dann stehen wir wieder mit lauter Anfängern da. – Wenn Sie nur bald gesund werden, sonst kommt Ihnen das Mädchen in der Krankheit zu besuchen, denn sie ist kaum mehr zu halten.«


Erst im Februar 1827, während Beethovens Krankheit, finden wir sie wirklich bei ihm44 und mit ihr Schindler. Schindler meldet sie an mit [307] den Worten: »Mlle Schechner bittet Sie sehr um Verzeihung, wenn sie nicht mehr umhin kann Ihnen ihre Aufwartung zu machen. Vielleicht kommt sie heute oder Morgen mit ihrer Mutter auf einen Augenblick.« Dann zwischen ein paar Haushaltungsnotizen: »Jetzt lassen Sie die Köchin nur einen Augenblick ihre Sachen ordnen, dann kommt sie sogleich.« Sie ist also, wie es scheint, gleich nach Schindler selbst gekommen. Da sagt sie:


»Es freut mich unendlich das Glück zu haben, unsern größten Komponisten persönlich kennen zu ler nen. – Ich werde mir alle mögliche Mühe [geben] ein gutes Buch zu finden, um so glücklich zu sein vielleicht eine Partie darin zu finden, da ich schon den Fidelio mit so viel Glück in München gab.«


Weiter:


»Ihre wundervolle Komposition der Adelaide bestimmte mein Glück, und bewog mich die theatralische Laufbahn zu betreten. – Ich sang sie in einem Concerte, wo mich Duport hörte und mich gleich engagirte. – Ich bleibe nur mehr zwei Monathe hier, und dann gehe ich nach Berlin und auch vielleicht nach Paris.«


Und endlich:


»Als ich noch in München war und das Duett mit Clavier und Violoncell einstudirte, so hätte ich immer gerne gewunschen den Meister dieses Meisterwerkes kennen zu lernen.«


Schindler nennt sie auch einmal, ohne daß wir den Zusammenhang erraten, im September. Ebenso Holz, etwa Ende August oder etwas später:


»Es war musikalische Akademie; die Schechner sang auch. – Nichts als Rossini und Nachahmer. – Langweilig. –«


Die Schechner ist auch noch später im Jahre 1826 in Wien aufgetreten. Der Neffe schreibt während des Gneixendorfer Aufenthaltes auf:


»Die Frau war in Wien im Kärthnerthortheater, und hat die Schechner singen gehört. Man spricht jetzt stark davon, daß sie nächstens in Fidelio auftreten wird.«


Ob dies geschehen ist, darüber ist Bestimmtes nicht bekannt.

[308] Und nun können wir weiter nach Beethovens Erlebnissen, seinem Verkehr und im weiteren Verlaufe nach seinem Schaffen in diesem Jahre, zunächst der ersten Hälfte desselben, fragen. Sowohl die schon vollendeten neuen Werke als auch die beabsichtigten und in der Arbeit begriffenen brachten ihn in mancherlei Verhältnisse zu den Verlegern. Freundliche Beziehungen waren zu Mathias Artaria eingetreten, der das B-Dur-Quartett und die Fuge in Verlag genommen hatte und mit der Herausgabe nicht wie andere zögerte. Er besuchte Beethoven, traf im Wirtshause mit ihm zusammen und lud ihn zu sich auf sein Besitztum ein – wir erfahren nicht, ob Beethoven folgte. Im Laufe der Monate trat eine kleine Trübung ein, vermutlich veranlaßt durch Beethovens Vorgehen in der Angelegenheit der Fuge; das »neue« Quartett (Cis-Moll) wünschte Artaria ebenfalls zu erhalten, Beethoven aber gab es an Schott. Ernstere Mißverhältnisse bestanden schon etwas länger mit der Firma Steiner und Haslinger. Vielleicht war bei Beethoven durch Steiners Haltung bei dem früheren Schuldverhältnis, welches jetzt ausgeglichen war, eine Verstimmung zurückgeblieben; dieselbe war auch bei Steiner erklärlicher Weise dadurch vorhanden, daß Beethoven seine neueren Sachen nicht mehr bei ihm, sondern bei andern, zum Teil auswärtigen Verlegern herausgab. Das B-Dur-Quartett hätte Steiner gern genommen, würde freilich nicht soviel gegeben haben. Der Scherz, den sich Beethoven in der Cäcilia mit Tobias Haslinger erlaubt hatte, wird auch nachgewirkt haben. Kleineres kam hinzu; Beethoven bedurfte häufig Musik aus Steiners Verlag, und gab nun Anlaß zu der Klage, daß er sie nicht zeitig zurückgab. Von der anderen Seite bedienten sich auswärtige Korrespondenten wohl der Vermittlung der Steinerschen Kunsthandlung, um ihre Briefe an Beethoven gelangen zu lassen, und es kam vor, daß sie dort Wochen lang liegen blieben; schon Ende Januar bittet er Schott, Sendungen an ihn durch Artaria, nicht durch Steiner zu übermitteln, damit Verzögerung vermieden werde. Vielleicht übte in diesem Verhältnisse auch Holz einen ungünstigen Einfluß; er liebte Steiner nicht und unterließ es nicht, ihn bei Beethoven anzuschwärzen; seine Anspielungen sind uns nicht verständlich. Auch Steiner sucht er von Beethoven wegzubringen und spricht ein Urteil aus über Beethovens Art, die Menschen zu benutzen. Ein neuer Gegenstand des Streites erwuchs jetzt daraus, daß das Terzett »Tremate, empi«, welches längst in Steiner-Haslingers Besitz war (1814 aufgeführt), nun endlich herausgegeben werden sollte. So viel wir den Konversationsheften entnehmen, wollte man das Werk im [309] Klavierauszug mit einem besonderen Titel herausgeben, womit Beethoven nicht einverstanden war.45 Er wollte sich an die Zensurbehörde wenden, wobei ihm Holz behilflich war. Darauf beziehen sich mutmaßlich folgende Äußerungen von Holz im K. H. (April):


»Er [d.i. der Zensurbeamte] weiß sich nicht zu erinnern, ob Haslinger schon früher die Erlaubniß der Censur hatte, dieß drucken zu dürfen. – Wenn dies schon geschehen wäre, so wäre nicht leicht abzuhelfen, im Gegentheil wird er ihn schon fassen. – Ist es schon geschehen, so haben wir noch die ausländischen Zeitungen, um ihn ins gehörige Licht zu stellen. – – Er hat mich auf morgen zu sich bestellt; heute wird wahrscheinlich der Secundus bei ihm gewesen sein.«


Und weiter:


»Bei Sartori war ich; Haslinger ließ sich dort auch nicht sehen.«


Endlich:


»Sartory sagte, daß er sich nicht zu erinnern weiß, ob Haslinger die Censur-Bewilligung für den Druck dieser Werke schon früher erhalten habe; wäre dies nicht der Fall, so durfte er sich nicht unterstehen, nur eine Note herauszugeben ohne Ihre Einstimmung.«


Auch der Neffe nimmt hier das Wort:


»Die Steiner werden einen tüchtigen Putzer kriegen, wenn sie etwa die Titel so lassen. – Auf jeden Fall wird es ihnen untersagt.«


[310] Die Sache wurde nach Beethovens Sinne entschieden, indem auf eine schon bestehende Verordnung verwiesen wurde; die Firma mußte sich beugen. Das Terzett erschien im Juli in Partitur mit dem entsprechenden Titel (Notiz Nottebohms zu Thayers chron. Verz.).

Die Verstimmung der Inhaber der Firma gegen Beethoven tritt in einem Gespräche hervor, welches Holz ihm im K.B. mitteilt. Linke, der Violoncellist und warme Verehrer Beethovens, kam im April in das Geschäft und es entspann sich folgende Unterhaltung.


Haslinger: Warum lassen Sie sich jetzt so selten sehen? Linke: Weil H. Steiner ein ›grober socius ist‹. H.: Wir werden auch künftig uns verbitten, die Ehre solcher Besuche zu haben, die bloß zum Schwätzen hierher kommen. L.: Ich werde Sie nie mehr belästigen, und dem Beethoven habe ich auch schon geklagt, was man hier für Lebensart hat. H.: Was geht uns der Beethoven an? Was hat sich der darein zu mischen? Wir wollen gar nichts von ihm wissen; wir brauchen ihn nicht. L.: Das kann sein, aber Beethoven lebt doch leichter ohne Sie, als Sie ohne ihn; übrigens sind wir beide viel zu klein gegen ihn, als daß wir sagen dürften wir brauchen ihn nicht. H.: Er ist einmal ein sehr grober Mensch.


Holz sucht Beethoven noch mehr aufzustacheln, und wünscht namentlich, daß die Sache in die Zeitungen komme, wodurch Haslinger kompromittiert würde.


»Wir werden ja sehen was zu thun ist, wenn wir nur erst erfahren was geschehen ist. – Ich sehe doch noch den Tobias zum Kreuz kriechen, und den bitten, den er nicht mehr braucht.«


Beethoven scheint sich gegen weitere Rachegedanken auszusprechen.


»Das weiß ich, sonst wären Sie nicht der große Beethoven. – Es würde vielleicht auch gut sein, wenn sie diese Verordnung durch die Zeitung bekannt werden lassen.«


Holz rät ihm weiter auch wegen Verjährung von Werken mit Haslinger zu sprechen; so sei z.B. der »heilige Augenblick«, seit Jahren an Haslinger verkauft aber noch nicht herausgegeben, eigentlich durch Verjährung wieder sein Eigentum und könne an einen anderen Verleger abgegeben werden. Darauf ging aber Beethoven nicht ein, der »Glorreiche Augenblick« erschien 1836 bei Haslinger. Doch scheint der Gedanke bei Beethoven nicht ganz verloren gewesen zu sein; er dachte wenigstens an den Rückkauf früher verkaufter Werke. Das entnehmen wir einem Briefe an Haslinger aus dem September 1826, in dem er wieder ganz den alten scherzhaften Ton anschlägt:46


[311] »Gemäß meinem ausschließenden Privilegium hat der Hr. Ueberbringer dieses euch erstlich beim rechten Ohr p... cresc..., dann beim linken Ohr ffmo zu zupfen – zu rütteln [rupfen], etc., nach dieser ersprießlichen Operation hat derselbe euch zu erklären, das ich alle jene Werke, welche ihr noch nicht gestochen und herausgegeben, wünsche für dasselbe Honorar, welches ihr schandvoll [schuldvoll] gegeben zurück für mich für dasselbe Schand Honorar zu nehmen. – Frage? Antwort!

Aus dem, den euch einige Zeit zugedachten Posten eines Hausmeisters, seid ihr nun wieder zu einem Wechsel Noten Fabrikanten erhoben worden – ehemaliger Tobias juvenis und secundus – nunmehriger primus caput Tobias primus.


L. v. Beethoven


Holz will dann noch einmal zu Sartori47 gehen:


»die Hauptsache ist dann doch schon geschehen. – Er hat ihnen einen tüchtigen Verweis geschickt; er sagte bei einem Mann wie Beethoven müßte man solche Lappalien nicht berühren, und es zeuge nur von Nichtachtung, wenn sie künftig ähnliche Streiche machen.« und später: »Von Sartori habe ich erfahren, daß Tobias noch keine Bewilligung für die Herausgabe Ihrer Werke mit den ersten schlechten Überschriften erhalten habe. – Ich bat ihn um eine Abschrift der Sie betreffenden Verordnung; er sagte, ich müsse mich deshalb an die Polizei-Hofstelle verwenden. – So beginnt eine neue Laufbahn Tobiassens.«


Alle Äußerungen Holzs', von denen einzelne etwas bedenkliche Ansichten (über Herausgabe bereits verkaufter Werke) enthalten, können wir hier nicht wiedergeben. Haslinger beginnt sich zu fürchten, bleibt aber unzufrieden, wie auch folgende Erzählung Holzs' zeigt:


»Neulich wie man mir erzählt, kam jemand um das eben erschienene Quartett in Es zu kaufen. Mein Gott, sagte Tobias, das kann ja kein Mensch spielen! und der Fremde kaufte es nicht. – Die Schott können sich für solche Commissionäre bedanken.48 – – Ich mußte lachen, als er von Ihnen sagte, Beethoven ist nur da, um mir das Leben zu verbittern! Ich sagte, wegen Ihnen ist er gar nicht da und nie da gewesen.« – Wegen der Verzögerung der Briefe wird ihm vorgeschlagen, eine Bekanntmachung an seine Korrespondenten drucken zu lassen, daß sie in ihren Angelegenheiten sich nicht der Vermittlung von Steiner u. C. bedienen, sondern sich direkt an ihn wenden möchten. Ein Formular einer solchen Bekanntmachung (von Holz) findet sich im K.B. Eine Bekanntmachung ist aber unseres Wissens nicht erlassen worden.


Jedenfalls haben in diesem Jahre die langjährigen Beziehungen zum Paternostergässel einen ernsten Stoß erlitten. Vielleicht liegt das der [312] Äußerung Schindlers zugrunde, daß Beethoven dem neuen Freunde in die von ihm protegierten Musikhandlungen folgte – eine ziemlich willkürliche Behauptung; war doch, wie wir sahen, schon im September mit Tobias Haslinger eine Art Versöhnung eingetreten.

Größeres Vertrauen bestand zu der Firma Sch ott in Mainz, welche die längst übernommenen Werke jetzt herauszugeben begann. Das Es-Dur-Quartett erschien im März 1826 und so allmählich auch die anderen Werke. Einen auf die Messe und die 9. Symphonie bezüglichen Brief teilten wir oben S. 173 ff. mit, worin Beethoven zugleich das Eigentum an dem Es-Dur-Quartett für Schott bezeugt.

Diese Bitten und Anweisungen setzt er fort in einem Briefe, auf dem von anderer Hand (wahrscheinlich der des Empfängers) das Datum des 28. Januar steht.49


»E. Wohlgeborn!


Auf Ihr letztes Schreiben melde ich Ihnen, daß Sie alles bald metronomisirt erhalten werden: Ich bitte Sie nicht zu vergessen, daß das erste Quartett dem Fürsten Galitzin dedicirt ist – von der Ouverture hat, soviel ich weiß, Math. Artaria bereits zwey Exemplare von Ihnen erhalten, es würde mir lieb sein, auch hiervon, sowie auch von dem Quartett, mehrere Exemplare zu erhalten. Sollte es geschehen seyn, daß ich Ihnen für die vorigen Exemplare noch nicht gedankt habe, so ist es wirklich aus Vergeßlichkeit geschehen; übrigens sollen Sie überzeugt seyn, daß ich weder ein Exemplar verkaufe noch damit handle; es erhalten deren nur einige von mir werthgeschätzte Künstler, wodurch Ihnen kein Abbruch geschieht, da diese sich dieselben Werke doch nicht anschaffen könnten.

Noch muß ich mich erkundigen, ob Fürst Galitzin, als er Ihnen die Titulatur zur Dedication bekannt machte, zugleich von Ihnen die nöthigen Exemplare des Quartetts und der Ouvertüre verlangte, widrigenfalls ich dieselbe von hier aus ihm senden müßte.

Uebrigens ersuche ich Sie, Ihre Sendungen an mich künftig durch Math. Artaria und nicht mehr durch Steiner zu bestellen, weil ich durch ersteren alles schneller zu erhalten gedenke.

Bey der Messe dürfte die Pränumerantenlisten vorangedruckt werden, und dieser erst die Dedication an den Erzherzog, wie ich sie Ihnen schon geschickt habe, folgen.

Wegen der Dedication der Synfonie werde ich Ihnen in kurzer Zeit Bescheid geben; sie war bestimmt dem Kaiser Alexander gewidmet zu werden;50 die vorgefallenen Ereignisse veranlassen aber diesen Verzug.

Sie verlangen neuerdings Werke von mir?


[313] Beste!!


Ihr habt mich gröblich beleidigt! Ihr habt mehrere falsa begangen! Ihr habt euch daher erst zu reinigen vor meinem Richterstuhl allhier; sobald das Eis aufthauen wird, hat sich Maynz hieher zu begeben, auch der recensirende Ober-Appellations-Rath51 hat hier zu erscheinen um Rechenschaft zu geben, und [so]52 gehabt euch wohl!

Wir sind euch gar nicht besonders zugethan! Gegeben ohne was zu geben auf den Höhen von Schwarzspanien den 28. Jänner 1826.


Beethoven


Unter dem Briefe steht noch:


3. Kapitel. Das Jahr 1826 bis zum Dezember

Der humoristische Ausfall gegen den Schluß des Briefes geht wohl auf den Abdruck des Artikels über Tobias Haslinger, vielleicht auf die Beschuldigung, das Quartett nochmals verkauft zu haben; der Humor deutet jedoch auf freundliche Beziehungen. Auch erhielt Schott ja das nächste Werk, das Cis-Moll-Quartett; die Korrespondenz mit Schott ging noch während des ganzen Jahres weiter, bis ins folgende, ohne eine Spur von Verstimmung. Wir geben noch den folgenden Brief:53


»Wien am 20. May 1826.


Herrn B. Schott Söhne in Mainz.


Mit Geschäften überhäuft und stets mit meiner Gesundheit leidend, konnte ich Ihnen Ihr geehrtes vom 6. April nicht früher beantworten, auch war damals dasQuartett noch nicht vollendet, welches jetzt beendigt ist. Sie können wohl denken, daß ich von dem Honorar von 80 ⌗, welches mir für beyde früheren Quartetten, die gleich auf das Ihrige folgten, angebothen und be zahlt wurde, nicht gern abgehe. Da Sie aber dieses Honorar mir bereits zugestanden haben, so gehe ich mit Vergnügen Ihren Vorschlag ein, dasselbe in 2 Fristen mir verabfolgen zu lassen. Belieben Sie daher mir zwey Wechsel, den einen von vierzig Ducaten a vista, den andern mit eben so viel nach zwei Monathen zahlbar zuzusenden. Da Sie von dem Unglück, welches das [314] Friessche Haus betroffen hat,54 ohne Zweifel wissen, so wäre es mir am liebsten, wenn Sie die Wechsel an Arnstein und Eskeles anweisen wollten.

Die Metronomisirung erhalten sie von heut in 8 Tagen mit der Post. Es geht langsam, da meine Gesundheit Schonung erfordert. Von dem Quartett inEs von Ihnen habe ich noch nichts erhalten; ebenso wenig die Minerva. – Nochmahls muß ich Sie bitten, daß Sie ja nicht denken möchten, ich wolleirgend ein Werk 2 Mahl verkaufen. Wie es mit der Overtüre war, wissen Sie selbst. – Unmöglich hätte ich Ihnen über die Beschuldigung, Ihr Quartett Schlesingern nochmahl verkauft zu haben, antworten können, denn so etwas wäre wirklich zu schlecht, als daß ich mich darüber vertheidigen möchte. So etwas kann auch nicht durch den besten Rheinwein abgewaschen werden. Hiezu müssen noch Liguorianische Büßungen, wie wir sie hier haben, kommen.


Ihr ergebenster

L. v. Beethoven


N.B. Ich ersuche Sie um schleunige Beantwortung dieses Schreibens.


Nicht lange nachher bot Beethoven auch dem Leipziger Musikhändler Probst ein neues Quartett für 80 Dukaten an in einem Briefe vom 3. Juni 1826, den wir hier nicht besonders abdrucken.55 Er bittet um schnelle Antwort, da er auch von anderer Seite schon Anträge habe, und bietet noch ein paar kleinere Sachen an. Das Cis-Moll-Quartett war im Juli 1826 fertig, wie wir aus folgendem Briefe an Schott ersehen:56


»Wien am 12. July 1826.


In Beziehung auf Ihr geehrtes Letztes, worin Sie mir anzeigen, daß Sie mir die erste sogleich zu erhebende Hälfte des Honorars für mein neuestes Quartett bey Herrn Frank hier bereits angewiesen haben, melde ich Ihnen, daß das erwähnte Werk vollendet ist und zur Ablieferung bereit liegt.57 Es erübriget also nunmehr nichts als daß sie so gütig sind mir eine Anweisung auf die zweyte in 2 Monathen zu erhebende Hälfte (vierzig Ducaten) zu übermachen, sobald ich selbe erhalten werde, werde ich nicht säumen das Werk an Herrn Frank zu überliefern.

Ich würde aus diesem Umstande, den ich bloß einer kleinen Vergeßlichkeit von Ihrer Seite zuschreibe, gar nichts machen, wenn ich nicht meiner Ersundheit wegen gesonnen wäre, in Kurzem eine kleine Reise anzutreten,58 [315] wozu ich noch eine Summe Geldes benöthige, welche ich gegen eine solche Anweisung leicht erhalten werde.

Ich schließe mit der Bitte mir mit umgehender Post diese Anweisung zu übersenden, da mein Aufenthalt hier nur noch von sehr kurzer Dauer sey wird; und bin mit Hochachtung


Ihr ergebenster

L. v. Beethoven.«


Kurze Zeit nachher schrieb er wieder an Schott:59


»Wien am 26. July 1826.


Aus dem Postscript Ihres Geehrten vom 8ten dieses erfahre ich, daß Sie dem König von Preußen zwei Exemplare der Symphonie zusenden wollen. Ich bitte dies vor der Hand noch aufzuschieben, da ich dem König von hier aus durch einen Kourier ein geschriebenes Exemplar dieses Werkes zu schicken gesonnen bin, welches auf diesem Wege ohne alle Gefahr bewerkstelligt werden kann. Nur ersuche ich Sie mit der Herausgabe so lange zu verziehen, bis ich Ihnen melde, daß der König im Besitz der Copie ist; Sie sehen ein, daß mit der Publizirung eines Werkes der Werth der Copie aufhört. Für die dem König bestimmten Exemplare bitte ich ausgesucht schönes Papier zu besorgen.

In meinem letzten vom 12ten dieses, welches Sie ohne Zweifel – erhalten haben, schrieb ich Ihnen, daß ich meiner wankenden Gesundheit wegen eine kleine Reise zu unternehmen entschlossen bin; ich erwarte hiezu noch Ihre Anweisung auf die Herrn Frank hier um nach derrn Empfang meinen Vorsatz unverzüglich auszuführen.

Ich bitte um gefällige Beschleunigung Ihrer Rückschrift.


Mit Hochachtung Ihr ergebenster

Beethoven.«


(Von eigner Hand:)


»Nachschrift. Der nunmehrige Tobias primus, gewesener secundus, beschwert sich, daß viele Nachfragen um das Quartett aus Es geschehen und er schon vor 2 Monathen um einen Nachtrag deswegen geschrieben, aber ohnerachtet dessen nicht erhalten – dieses gehört zu den Heften von Schwarz-Spanien, welche nun bald erscheinen werden.«


Die Firma hatte inzwischen den Wunsch Beethovens erfüllt, wie wir aus seiner kurz darauf erfolgten Zuschrift entnehmen:60


»Wien am 29ten July 1826.


Ich beeile mich Sie von dem richtigen Empfang Ihres Geehrten vom 19ten dieses in Kenntniß zu setzen.

Zugleich melde ich Ihnen, daß ich in einigen Tagen das Quartett, wie auch Ihr Schreiben an Herrn Frank abliefern werde; dies würde schon geschehen seyn, wenn nicht mein Bestreben, Ihnen das Werk ganz correct zum Stiche zu übersenden, mich bestimmte, es noch einmal auf das Genaueste durchzusehen.

[316] Für die Uebermachung Ihres Wechsels danke ich Ihnen herzlich und ersuche Sie wiederhohlt, diese Bitte von meiner Seite nicht als einen Beweis von Mißtrauen gegen Ihr geehrtes Haus zu betrachten.

Die Metronomisirung werden Sie in Kurzem erhalten.

So sehr ich nun wünsche über einen für Sie und mich gleich wichtigen Punct zu schreiben,61 so bin ich doch so sehr von Geschäften überhäuft, daß es mir für heute unmöglich ist. Ich verschiebe daher die ausdrückliche Erklärung auf den nächsten Posttag und bin


Ihr ergebenster

Beethoven.«


Die Anzeige von der Ablieferung erfolgte nicht lange nachher,62 sie lautet:


»Sonnabend, den 19t August 1826.


An Schott u. Söhne

Maintz


Euer Wohlgebohren


Ich melde nur daß das quartett bei Franke abgegeben sey vor 7 Tägen, sie schrieben, daß es ja ein Original quartett seyn sollte, es war mir empfindlich, aus Scherz schrieb ich daher bey der Aufschrift, daß es zusammen..., es ist unterdessen funkel nagelneu. Die Metronomisirungen (hohl der Teufel allen Mechanis mus) folgen – folgen – – Mich hat ein großer Unglücksfall betroffen, aber durch Gottes Hülfe wird es sich noch vielleicht günstig wenden. –


Freundschaftlich ihr Ergebenster

Beethoven.


Derjenige, welcher schon mehrmals

die Briefe an Sie geschrieben, mein

lieber angenommener Sohn kam

beynahe durch sich selbst ums

Leben, noch ist Rettung möglich.«


Zur Erläuterung der ersten Äußerung dient der Umstand, daß Beethoven aus Scherz auf eine revidierte Abschrift für Schott geschrieben hatte: »N.b. Zusammengestohlen aus Verschiedenem diesem und jenem.«63 – Bezüglich des Metronomen erzählte Mickley Thayer, daß Mälzl, den er wohl gekannt habe, sehr unwillig über Beethovens Wort gewesen sei: »es ist dummes Zeug, man muß die Tempos fühlen.« Schott hatte ihn wohl wiederholt um Metronomisierung der Werke gebeten. – Die Mitteilung über den Neffen findet weiter unten ihre Erläuterung (S. 354 ff.).

[317] Auf das Cis-Moll-Quartett, welches also nun abgeschickt war, kommt er später noch einmal zurück; gerade vor der Abreise nach Gneixendorf (s. S. 382 f.), am 29. September, schreibt er an Schott unter anderm folgendes: »Das Quartett aus Cis-Moll werden Sie hoffentlich schon haben, erschrecken Sie nicht über die 4 Kreuze. Das Werk wird hier in kurzem zum vortheil eines Künstlers gegeben werden.«64 Das Cis-Moll-Quartett ist nun von uns schon oft erwähnt; wir widmen ihm noch eine kurze Betrachtung, ehe wir mit den Verhandlungen wegen anderer Werke fortfahren.


Das Cis-Moll-Quartett.


Wir haben keinerlei Nachricht darüber, welche besondere Veranlassung den Gedanken an dieses Werk eingegeben hat; wir müssen es in höherem Grade als andere seiner größeren Werke, namentlich dieser letzten Zeit, als nur dem inneren Impulse, dem unbesieglichen Schaffensbedürfnisse entsprungen ansehen. Die Verpflichtung gegen den Fürsten Galitzin war erledigt; eine andere Aufforderung war, soweit unsere Kenntnis reicht, nicht an ihn gelangt. Größern Stoffen gegenüber, besonders solchen, die ihm von außen gebracht wurden, ward er immer kritischer und schwieriger; er lebte sein reiches Innenleben, und dies gab ihm reichen Stoff. Das Oratorium, die Oper, denen er vielleicht in jüngeren frischeren Jahren sich mit Eifer zugewendet hätte, konnte er sich zu ergreifen nicht entschließen; seine Bedenken überwogen jede Neigung, sich hineinzuleben und frisch zu beginnen. Die Sprache seiner vier Instrumente war ihm immer vertrauter geworden, hier konnte er alles, was ihn in Freude und Schmerz bewegte, ungehindert aussprechen. Seine ganze Produktion stand unter dem Einflusse dieser Richtung; Quartettideen entströmten seiner reichen Phantasie in unerschöpflicher Fülle. Das bezeugt uns Holz,65 dem er auf dem Spaziergange scherzend sagte: »Bester, mir ist schon wieder was eingefallen,« wobei er etwas ins Skizzenbuch eintrug; hierbei kamen, wie der Fortgang zeigt, Motive zum Cis-Moll-Quartett in Frage. Als Holz das B-Dur-Quartett für das größte von den dreien (op. 127, 130, 132) erklärt hatte, antwortete Beethoven: »jedes in seiner Art! Die Kunst will es von uns, daß wir nicht stehen bleiben. Sie werden eine neue Art der Stimmführung [318] [das deutete Holz auf die Instrumentation, die Verteilung der Rollen] bemerken, und an Phantasie fehlts, Gottlob, weniger als je zuvor.« Später habe er doch das Cis-Moll-Quartett für sein größtes erklärt.

Dieser Abkehr von allem Äußeren, dieser völligen Verinnerlichung seiner Kunst ist auch dieses Werk entsprungen, welches auch wir, Beethoven folgend, an die Spitze seiner Quartettmusik stellen. Subjektives Gefallen könnte ihm nur noch das A-Moll-Quartett an die Seite setzen.

Über die Entstehungszeit des Cis-Moll-Quartetts sagen uns die Skizzen so viel, daß es im Entwurfe begonnen wurde, als der Entwurf des B-Dur-Quartetts beendet war;66 dieses aber wurde zwischen September und November 1825 in Partitur geschrieben. Der früher erwähnte Kanon für Molt, der am 16. Dezember niedergeschrieben wurde, bildet in den Skizzen gewissermaßen die Grenzscheide zwischen den beiden Quartetten. Dadurch werden die Anfänge des Cis-Moll-Quartetts noch in die letzte Zeit von 1825 gewiesen; dazu stimmt auch, daß die erste Notierung des Fugenthemas, welche wir zum Schlusse des vorigen Kapitels (S. 281) anführten und welche von der gedruckten Gestalt noch abweicht, uns auch auf die Grenzscheide der beiden Jahre führt; es steht in folgender Gestalt


3. Kapitel. Das Jahr 1826 bis zum Dezember

zwischen Bemerkungen des Neffen und Holz' über bevorstehende Neujahrswünsche.

Das Quartett blieb dann die Hauptarbeit der nächsten Monate, überhaupt des ersten Halbjahrs 1826, unterbrochen nur durch seine Krankheit, die doch zweifellos auf seine Stimmung wirkte, dann weiter durch die Vorbereitung der Aufführung des B-Dur-Quartetts und endlich durch das vierhändige Arrangement der Fuge. Alle anderen Pläne, deren ja noch vorhanden waren, und die sich, wie wir sehen werden, noch vermehrten, blieben einstweilen verschoben; er war ganz in sein neues Quartett versenkt. Mit Eifer arbeitete er daran; »wieder ein Quartett« schreibt Holz noch im Januar auf, und noch vor Ende Januar finden wir im Konversationsbuche das Thema der Variationen von Beethovens Hand so aufgezeichnet:


3. Kapitel. Das Jahr 1826 bis zum Dezember

[319] (ähnlich aber mit umgekehrtem Wechsel der Lagen in der Skizze bei Nottebohm S. 8); er beabsichtigte also gleich für den Anfang die Verteilung der Melodie in die verschiedenen Oktaven, welche er später der Wiederholung der ersten acht Takte vorbehielt. Wenn Holz kurz vorher schreibt, »vielleicht können wir dann zugleich etwas vom Cis-Moll-Quartett probiren«, so waren die ersten Stücke vielleicht schon sehr zeitig zur Abschrift fertig. Im März schreibt der Bruder Johann: »Holz sagte mir gestern, es würden sich wohl einige finden die 100 ⌗ für das kommende Quartett zahlen würden, daher es die Schott leicht um 80 ⌗ nehmen.« Gewiß waren manche, z.B. Artaria, bereit, das Quartett zu nehmen; Beethoven bot es am 3. Juni Probst in Leipzig an (s.o. S. 315; Nohl, Br. B. Nr. 375); schließlich wurde es, wie wir bereits wissen, an Schott gegeben, mit dem schon verhandelt worden war. Einen Endpunkt gibt der Brief an Schott vom 20. Mai, Antwort auf einen Brief vom 6. April; da heißt es: »auch war damals das Quartett noch nicht vollendet, welches jetzt beendigt ist.« Das war aber nach Beethovens Ausdrucksweise noch nicht der völlige Abschluß, er feilte und revidierte noch fortwährend; er schickte es erst über zwei Monate später. Erst am 28. September schreibt er: »Das Quartett aus Cis-Moll werden sie hoffentlich schon haben. –«

Wir können es auch hier nicht unternehmen, in eine ausführliche Analyse dieses herrlichen, ganz einzigen Werkes einzutreten, und dürfen Bezug nehmen auf die Besprechung Helms und die geistvollen, begeisterten Worte Richard Wagners.67 Wir stellen uns beim Hören dieses Werkes den von der Welt abgekehrten, ganz innerlich lebenden Meister vor, mit dem Drucke, den Krankheit und seelische Leiden auf ihn gelegt, der sich durch Erinnerungen, Wünsche, Hoffnungen demselben zu entziehen sucht und dabei auch den Vorstellungen von munterem Lebenstreiben, der tief in ihm verborgenen Neigung zum Humor entsprechend, sich nicht verschließt, bis er in kräftigem Entschlusse sich wiederfindet und mit Trotz und Energie den Kampf mit dem Schicksal wieder aufnimmt. So beginnt das Werk mit jenem ganz einzigen Fugensatze, in welchem das Thema, langsam getragen, mit einem scharf schmerzlichen Akzente, uns [320] ein trübes grüblerisches Sinnen vorführt, eine ernste Betrachtung des eigenen Selbst einleitet, eine Stimmung, welche in dem Beharren bei der polyphonen Form so recht das ihr gemäße Organ findet. Mit der größten Kunst und doch mit aller Freiheit ist dieser Fugensatz gestaltet; in dem zarten Stimmengewebe jeder Eintritt, jede Tonfolge, jede Ausweichung beseelt; bald blickt er verklärt vor sich hin, bald versinkt er trübe in sich; dabei weiß er alle Kunst in Teilung des Themas, Fortleitung der Motive, Verdoppelung und Verkürzung der Notenwerte anzuwenden; dem Tonstrome willenlos hingegeben denkt man kaum der bewunderungswürdigen Technik. In der Vergeistigung dieser überlieferten polyphonen Form ist gewiß nie Höheres geleistet. Wir weisen nur auf eine Stelle hin. Die Viertelbewegung wird schon früh zu einer Achtelbewegung, der Ausdruck wird dadurch unruhiger, gleichsam bittender, flehender; mit dieser Bewegung verbindet sich das Anfangsthema in seiner ursprünglichen Form, und dazu gesellt sich als dritte Veränderung (S. 121 der Partitur) das Thema im Baß in verdoppelten Notenwerten, das unruhig gewordene Gemüt gleichsam zur Ergebung zwingend. Dann erfolgt in scharf einschneidendem Schmerzensrufe (der verminderte Septimenakkord mit verminderter Terz ?d3 in der er sten Violine, Contra-His im Cello) der Schluß, und das Ganze löst sich still in lange Cis-Moll-Harmonie auf, wo dann der Oktavenaufstieg noch eine leise erwartende Hoffnung ausdrückt. – Diese Hoffnung soll sich denn schön erfüllen. Mit einer kleinen Halbton-Erhöhung erklingt der Oktavenaufstieg in D-Dur, und mit dem Eintritte dieser Tonart wird es vor dem verschleierten Auge auf einmal hell; wir hören eine jener Melodien, wie wir sie nur bei Beethoven in seiner letzten Lebensepoche kennen, so voll von Innigkeit, Dankbarkeit, hoffender Hingabe, daß jedes Wort für die Wiedergabe des Eindrucks ihres Reizes zu gering scheint. Der Gegensatz nachdenklichen Versinkens und frischen kräftigen Verlangens zeigt die melodische Bewegung in neuer Beleuchtung, wir fühlen mit, wenn sie in einer zweiten, in kurzen Abschnitten verlaufenden Periode, zuerst A-Dur, dann D-Dur in dringlicherer Gestalt auftritt,68 bis in dem kräftigenunisono das Gemüt die Empfindung festhalten möchte. Das Stück schließt dann nicht ohne gerührtes Zurückblicken, etwas zagend, wie als wolle das Gemüt sich auf Neues gefaßt halten. Der Form nach ist das Stück ein [321] in schneller Entwicklung verlaufender Sonatensatz; man möchte es den ersten Satz des Quartetts nennen, wenn nicht die ausgeführte Behandlung des vorhergehenden Fugensatzes uns nötigte, die beiden Sätze als gleichberechtigte Teile des Eröffnungsstückes des Quartettes zu betrachten. Der am Schlusse des D-Dur-Satzes angedeuteten Erwartung gilt ein kurzes heftiges Zwischenstück (H-Moll), in welchem die einzelnen Instrumente in der Weise des Rezitativs (dem man aber nicht Worte unterlegen soll, es ist ganz instrumental gedacht) nach etwas Neuem suchen; die Bewegung beruhigt sich mit der Dominantharmonie von E-Dur, eine lebhafte 32stel-Figur der Geige führt zum Schlusse und leitet nach A-Dur. Da begrüßt uns denn ein Thema (2/4) von sanftester Ruhe und Anmut, belebt durch die Verteilung auf die verschiedenen Instrumente, in seiner inneren Befriedigung ganz kontrastierend mit dem vorigen Satze. Der Meister übt hier, wie Richard Wagner schön und treffend sagt, »die wiederbelebte Kraft dieses ihm eigenen Zaubers an dem Festbannen einer anmutsvollen Gestalt, um an ihr, dem seligen Zeugnisse innigster Unschuld, in stets neuer, unerhörter Veränderung durch die Strahlenbrechungen des ewigen Lichts, welches er darauf fallen läßt, sich rastlos zu entzücken.« – Es sind in der Tat Klänge wie aus früher unschuldsvoller Jugend, die uns hier umfangen. Den Glanz und Reichtum der Erfindung, die tiefe gemütvolle Befriedigung im Ausdruck, die Kunst der Gestaltung, welche die Variationen hinzubringen, alles das wagen wir nicht mit Worten zu beschreiben, das muß der Hörer empfinden. Hier wie auch in den übrigen Sätzen, mag der Leser der Partitur sich auch die neue Art der Stimmführung klar zu machen suchen, von welcher Beethoven Holz gegenüber sprach (S. 318). In viel höherem Grade als sonst sind die einzelnen Stimmen selbständig, jede hat in der Gestaltung des musikalischen Gedankens etwas eigenes zu sagen und dabei müssen sie alle genau ineinander greifen. Um so bewunderungswürdiger die Kunst des Meisters, aus den selbständigen Elementen die innere Harmonie, den schönen Zusammenklang herzustellen. Besonders hinweisen möchten wir noch auf die 6. Variation im 9/4-Takt, welche in ihrer ganz in sich versunkenen stillen Bewegung, die nur im Verlaufe durch die markierte Sechzehntelfigur des Violoncells einen kleinen Anstoß erhält, und in ihrer inbrünstigen verklärten Ergebung das Gemüt wie wenig anderes ergreift. Auch die ausgeführte Koda der Variationen, in welcher das Thema noch wiederholt in mannigfacher Beleuchtung erscheint, bis es zögernd (wie der vorige Satz, am Schlusse sogar mit der [322] trüben Beimischung des Moll) verklingt,69 hat nicht seinesgleichen. Nur mit Schmerz nimmt er von dem holden Bilde Abschied.

Doch sofort erscheint ein neues. Dem Meister schwebt das muntere Leben der Welt, wie er es äußerlich gewahrt, vor der Seele und er läßt es, wie er es in sich aufgenommen, an unserem Gemüte vorüberziehen. In der Tiefe hören wir in neuer Tonart (E-Dur) und neuer Bewegung (Presto) ein kurzes Motiv, den Anfangstakt des folgenden Themas (3. Kapitel. Das Jahr 1826 bis zum Dezember), und nach diesem Signal entwickelt sich dann in dem folgenden Prestosatze eine Luft und Munterkeit, wie sie auch bei Beethoven nicht häufig ist. Die eigentümliche Unterbrechung durch kleine thematische Figuren, von den Instrumenten im Wechsel aufgenommen und beim Schluß verlangsamt, teils humoristisch wirkend, teils nachdenklich, scheinen fühlen zu lassen, daß der Meister solche lustige Sprünge sich kaum anzueignen wagt. Im Trio vernehmen wir eine jener weitausholenden Weisen aus Beethovens letzter Zeit, die uns empfinden lassen, mit welch liebevollem Behagen er diesem bunten Treiben folgt; auch verläßt ihn der Humor nicht, und das kleine neckende Motiv, welches sich daran schließt, scheint früheste Kindheit hervorzuzaubern. Auch in der weiteren Entwicklung fehlt es nicht an humoristisch-scherzenden Zügen; dahin gehört z.B. das tastende Wiederaufsuchen des Themas mit den einzelnen Pizzicato-Tönen der verschiedenen Instrumente, wo dann das Violoncell forte mit der vollen Figur kräftig dazwischen fährt, dann das jähe Abbrechen des melodischen Zuges (S. 147 der Partitur), endlich das pp Spiel »sul ponticello« bis zum mächtigen Aufsteigen und dem triumphierenden Abschluß auf E. Diesen Schluß mit seinen weiten Oktavensprüngen wiederholt er dann eine kleine Terz tiefer auf Gis, und nun ist der kecken Schar der Kobolde mit kräftigem Schlage der Abschied gegeben. Damit ist er zu sich selbst zurückgekehrt; ein leiser trüber Klagegesang (Adagio quasi un poco Andante,, 3/4 Gis-Moll), öffnet sein Herz wieder und läßt ihn mit Sehnsucht nach verlorenem Glück schauen. Er blickt wieder in sein trübes, finsteres Dasein, rafft sich dann aber zu männlichem, energischem Widerstande auf (Allegro C, Cis-Moll). Aus der kurz abgebrochenen Eingangsfigur, welche ungebeugten Trotz atmet,70 entwickelt sich das kräftig [323] dahinschreitende Hauptthema, es will die feindlichen Gewalten davonjagen; wie es ohnmächtig verklingt, da taucht das Motiv des fugierten Einleitungssatzes wieder auf, zuerst in der Umkehrung, dann mit dieser zusammen in der ursprünglichen Form, durch das raschere Tempo natürlich mit verändertem Ausdruck. Dieser Anklang ist doch wohl beabsichtigt; doch bleibt er nicht lange darin befangen, sondern findet das zürnend dagegen kämpfende Motiv bald wieder, dieses besänftigt sich, das Feindliche scheint für den Augenblick gebannt; da erhebt sich aus dem Gemüte des Meisters eine Melodie, wieder so echt aus diesem spätbeethovenschen Empfinden geboren, von unbeschreiblich rührendem, voll Verlangen sehnsüchtig ausblickendem Charakter; sie geht durch alle Instrumente, und mit ihren drei gehaltenen Endtönen nach den abwärts gehenden Achtelgängen möchte sie uns festhalten in der Ausschau nach glücklicher Ruhe. Besonders schön kehrt die Melodie (das zweite Thema dieses Satzes) gegen den Schluß in Cis-Dur wieder. Aber diese glückliche Ruhe ist uns nicht beschieden, die streitenden und trotzigen Elemente müssen sich wieder geltend machen. Mit dem stürmisch angreifenden Eingangsmotiv verbindet sich ein in kurzen Schritten aufsteigendes Motiv in ganzen Tönen, durch alle Instrumente gehend (deren Selbständigkeit auch hier zu beobachten ist), welches dann einer Achtelbewegung, ebenfalls mit aufsteigender Tendenz und vielleicht aus dem Motive in ganzen Noten hervorgewachsen, Platz macht; aus diesen Gängen entwickelt sich dann (S. 152 der Partitur) in dreitaktigem Rhythmus eine grollende, drohende Periode, nach welcher die Bewegung wie von Anfang wieder anhebt und ihren Verlauf nimmt, auch hier unter Hinzunahme eines neuen Motivs:


3. Kapitel. Das Jahr 1826 bis zum Dezember

wir erblicken überall die feste ordnende Hand des Künstlers, auch bei der größten Leidenschaft haben wir immer den klaren durchsichtigen Bau vor uns; wir bewundern die kontrapunktische Kunst, wir sehen, wie er die von ihm gerufenen Geister im Zaum zu halten weiß. Man muß lesen, hören und nachfühlen, wie die Elemente des Satzes allmählich in leiser Zurückhaltung verstummen wollen, der Kampf sich beruhigt, aber am Schluß noch einmal in dem von unten aufsteigenden Streitmotiv sich gewaltsam aufrafft und siegreich mit den Cis-Dur-Akkorden schließt. Gewiß einer der großartigsten Finalsätze, die je gedacht worden sind. –

Das Quartett sollte anfangs seinem Freunde und Verehrer Johann [324] Wolfmayer gewidmet werden und war demselben vielleicht schon früh zugedacht; das wurde auch schon Schott mitgeteilt. Noch kurz vor seinem Tode änderte er das und setzte an dessen Stelle den Feldmarschallleutenant von Stutterheim. Über Wolfmayer haben wir noch zu sprechen. Daß es zu Beethovens Lebzeiten gespielt worden wäre, darüber fehlt jede bestimmte Nachricht. Beethoven hatte an Schott geschrieben, es solle zum Vorteile eines Künstlers aufgeführt werden; darunter vermutete Nohl Böhm; wir wissen davon aber nichts, die Freunde (auch der Neffe) sprechen dagegen, daß es anderswo (in Berlin) früher gehört werden sollte, als in Wien; davon war also die Rede. Bruder Johann sagt einmal, etwa im September, im Konversationsbuch: »Das 4tet hat den größten Enthusiasmus hervorgebracht, nur die erste (ernste?) Fuge minderte am Ende etwas den Beifall.« Das läßt sich vielleicht auf das Cis-Moll-Quartett beziehen, nur das »am Ende« macht stutzig. Jedenfalls hätten wir hier die einzige Andeutung, daß es einmal in diesem September gespielt worden wäre. Daß es durch Schuppanzigh niemals aufgeführt worden ist, sagt Schindler ausdrücklich. Erschienen ist es erst nach Beethovens Tode; im April 1827 zeigt es Schott an, und zwar mit der unrichtigen Opuszahl 129.

Dieses Werk war es also, hinter welchem alle andern Pläne einstweilen zurückstehen mußten. Welches waren diese Pläne? Da stand zunächst das Oratorium Bernards »Der Sieg des Kreuzes« noch aus, welches er für die Gesellschaft der Musikfreunde zu schreiben fest zugesagt hatte. Beethoven muß auch gegenüber andern von dieser Absicht gesprochen haben. Gegen Ende 1825 schreibt Holz auf:


»Sie haben dem Mylord gesagt, daß Sie an dem Oratorium schreiben, er hat es gestern schon geschwatzt; Halm weiß auch schon davon. Der Verein wird aufmerksam und unruhig.«


Der Text war, wie wir wissen, Beethoven unsympathisch, er sollte umgearbeitet werden; dazu wurde Kanne in Anspruch genommen. Hauschka war mit der Bearbeitung nach Kannes Rat einverstanden. Besonders entschieden sprach sich Kuffner gegen den Bernardschen Text aus, wovon ihm Holz erzählt. Kuffner selbst schreibt (etwa im April) Beethoven folgendes auf, was hier zur Ergänzung unserer früheren Erörterungen stehen mag:


»Bernard hat die Gradation der Handlung und der Stellung des culminirenden Hauptmoments verfolgt [verfehlt?]. Der alten religiösen Floskeln und der Wiederholungen sind zu viel. Die Chöre gleichen sich, die allegorischen [325] Personen lassen kalt und sind als personificirte Ideen nur Wachsfiguren in Kleidern. Auch dreht sich alles immer und ewig um den einen Punkt, daß die Christen und Heiden Proselyten machen wollen, und so fällt alles rein menschliche Interesse weg.«


Diese Vorstellungen konnten Beethovens Abneigung gegen den Text nur bestärken. Jedenfalls darf dieser Plan jetzt als definitiv beseitigt gelten. »An dem Sieg des Kreuzes hat er nie ernstlich gearbeitet« bezeugt uns Holz gerade aus dieser Zeit, erwähnt aber doch auch seine Absicht, nicht mehr Opern und Klaviersachen, sondern Oratorien zu schreiben.71

Dazu erhält er auch anderweitige Aufforderung, wobei Kuffner wesentlich der Treibende war. Derselbe faßte den Plan zu einem Oratorium »Die Elemente« in vier Abteilungen. »Es sollte,« wie Holz berichtet, »keine musikalische Malerei werden, sondern ein reges Lebensgemälde des Menschen, das Kind und Sklave und Herr der Elemente ist.« Es sollte für Chöre und drei Solostimmen geschrieben sein. »Den Anfang möchte er mit einer Hymne machen. Er findet den Stoff so reichhaltig, daß es schwerer ist auszuscheiden als hinzuzufügen. In der Ansicht über den Text ist er ganz Ihrer Meinung. Es müßte alles an einen Faden gereiht sein, der durch das Ganze blicken muß, indem er ihm beständig den Glanz der Erhabenheit und religiöser Würde mittheilt.« Durch Holz wünscht Kuffner Beethovens Ansicht zu erfahren, über die Idee, dieses Oratorium zu schreiben. Wir hören darüber, außer daß es Kuffner noch einmal erwähnt, nichts weiter; bekanntlich kam es nicht zu einem solchem Oratorium.

Dagegen sollte nun Saul Gegenstand eines Oratoriums werden. Holz erzählt:72


»Beethoven hatte Händels Saul sehr studirt und viel gelesen über die Musik der alten Juden; er wollte Chöre in den alten Tonarten schreiben.«


Mit dem Text sei Beethoven sehr zufrieden gewesen.73 Den Text für Beethoven sollte wieder Kuffner schreiben, mit dem zuerst Holz verhandelte. [326] Er hatte eine andere Tendenz, als in dem Händelschen Werke herrschte; seine Absicht war,


»den Sieg der edleren Kräfte über wilde Begierden darzustellen. Er glaubt es in 6 Wochen ganz beendigt zu haben. Doch könnten Sie nach Erhaltung eines Programms dasselbe auch früher theilweise bekommen. Er hat einige Partien ganz ausgearbeitet.«


Die Unterhandlung war einige Zeit (im April) sehr lebhaft; Kuffner denkt schon an den Ort der Aufführung, er hat Einfluß auf Kiesewetter, er hofft durchzusetzen, daß es nicht im Redoutensaale, sondern in der Reitschule aufgeführt werde (Holz).


»Stoff und Anlage könnte nicht besser sein. – – Das Sylbenmaß zu dem Siegeschor ist originell.« (Es sind Anapäste und Daktylen, untermischt mit Trochäen und Jamben.) – Holz brachte Beethoven ein paar Stücke. »Das eine, von Kuffners Handschrift, muß ich übermorgen zurücktragen. Ich werde Ihnen Abschrift besorgen. – Das habe ich geschwind bei Kuffner abgeschrieben. – Hier wäre sehr ein Chor in lydischer Tonart wie Sie es wünschten anzubringen.« Holz redet ihm zu, es sei Schade, daß man diese Tonart nur in einem Quartett hören könne. – Kiesewetter werde Aufschluß geben können. Nach Werken über hebräische Musik wolle er (Holz) sich umsehen. Es kommt noch einmal zu einer Zusammenkunft mit Kuffner; da spricht sich letzterer über die Stimme der Hauptpersonen aus. »Auf jeden Fall muß Jonathan eine höhere und weichere Stimme haben als David.


3. Kapitel. Das Jahr 1826 bis zum Dezember

Ich gedenke viel leidenschaftliche Ausbrüche rezitativisch zu behandeln, da der Stoff reich an Handlung ist. Auch gedenke ich von dem herkömmlichen Schlendrian der Sylbenmaße abzuweichen.« Er gibt dann das Schema eines Metrums (aus Anapästen usw. bestehend) an. – Noch im Mai bringt Holz Grüße von Kuffner, der jetzt mit Leib und Seele bei der Arbeit sei. Doch bald regen sich bei ihm Zweifel. Im Juni schreibt Holz: »Kuffner schickt Ihnen dies Oratorium, er arbeitet schon fleißig an dem Text, doch ist er sehr besorgt, ob er nicht vergebene Mühe darauf verwendet, wenn Sie sich durch andere Zweifel vielleicht abhalten ließen diesen Stoff zu behalten. Er bittet Sie daher, ihm noch einmal bestimmte Erklärung zu geben, daß Sie unverändert dabei bleiben wollen; dann wird er alle Kräfte aufbieten um das Ganze Ihrer würdig zu machen. Wenn sie dem Kuffner darüber schreiben wollten, würde es wie ich glaube sehr gut sein. Es wird ihn aufmuntern.« Er will abändern, wo es Beethoven wünscht, und möchte seine Einwürfe hören, ehe [327] er an den zweiten Theil geht.74 Kuffner will bei diesem Oratorium, wie Holz erzählt, über die gewöhnliche Form hinausgehen; »damit Sie um desto zwangloser es behandeln können, darum hat er die bisher übliche Manier, Arien, Duetten und Terzetten vorzuschreiben und gleichsam hineinzumausern, ganz verworfen und er überläßt es Ihrem Gutbefinden, wo Sie eine passende Stelle zu einer Arie, Duett etc. verwenden wollen. – Darum soll der erste Theil jetzt die Probe sein, ob er so fortfahren kann. – Den Chor hat er als einen beständigen Theilnehmer der ganzen Handlung betrachtet wie in der griechischen Tragödie, daher er immer in zwei Theile zerfällt. Die Hauptchöre (wie hier im ersten Theil der Anfang und der Schluß) und dann die kurzen dazwischen eintretenden Chöre.«


Die Komposition dieses Stoffes wäre gewiß eine Beethovens sehr würdige Aufgabe gewesen; sicher würde er sich jeder möglichen Freiheit bedient haben, und die Erinnerung an den von ihm unter allen am höchsten verehrten Meister Händel, würde ihn nicht verlassen haben. Zu seinem eigenen Zögern traten bald nachher, nach dem über ihn verhängten Geschick, Ereignisse hinzu, welche die Unternehmung eines so großen Werkes in die Ferne rückten. Das Oratorium Saul, zu welchem Kuffner, wie er selbst sagt, »auf dringendes Verlangen Beethovens« den Text gedichtet hatte, wurde nicht geschrieben.75

Zu seinen Plänen gehörte auch ein Requiem, zu welchem ihn sein Freund Wolfmayer aufgefordert hatte.76 Über diesen Mann, den wir schon bei Gelegenheit des Cis-Moll-Quartetts zu nennen hatten, seien uns noch einige Worte gestattet. Johann Nepomuk Wolfmayer war ein reicher und angesehener Tuchhändler in Wien und auch von Beethoven geschäftlich vielfach in Anspruch genommen, sehr musikalisch und seit Jahren Beethovens glühendster Verehrer; wie A. Fuchs (bei O. Jahn) erzählte, versäumte er nie Beethovensche Musik zu hören und »brachte die Schuppanzighschen Quartette oft mit großen Opfern zu Stande. – Er unterstützte B. auf die freieste Weise. Mitunter ließ er einen neuen Rock für ihn machen, brachte ihn bei einem Besuch mit, legte ihn auf den Stuhl und ließ den alten verschwinden; oft kostete es dann Zureden bis B. ihn nahm.« In den letzten schweren Tagen von Beethovens [328] Leben finden wir ihn unter seinen treusten Anhängern. Nach einer auf Wolfmayers mündliche Mitteilung zurückgehenden Notiz77 wünschte dieser, daß Beethoven ihm ein Requiem schreibe, und gab ihm dafür »als Darangabe« die Summe von 1000 Gulden; das soll im Anfange der 20er Jahre geschehen sein. Beethoven sei trotz mehrmaligen Versprechens nicht dazu gekommen und sei Wolfmayers Schuldner geblieben. Der Plan blieb jedoch bestehen; in O. Jahns Notizen nach Holz' Mitteilungen heißt es:


»Auch ein Requiem hatte er sich vorgesetzt, war mit der Auffassung von Cherubinis erstem Requiem mehr zufrieden als mit Mozarts. Ein Requiem solle eine wehmüthige Erinnerung an den Toten sein, mit dem Weltgericht müsse man nichts zulieb [?] machen.«78


Bekannt ist auch sonst seine Äußerung: sollte er einmal ein Requiem schreiben, so werde er sich das von Cherubini zum Muster nehmen. Im Februar 1826 schreibt Holz mit Emphase ins Konversationsbuch: Requiem von Beethoven!!! Holz bezeugt, daß in der Zeit seines Verkehrs mit Beethoven der Plan noch bestand (s.o.). Aber auch dieser Plan blieb unausgeführt.

Von einer Absicht, ein Te deum zu komponieren, weiß uns die Neue Freie Presse vom 18. Nov. 1870 zu erzählen.79


»Der Kirchenmusik-Verein bei St. Karl feiert künftigen Sonntag sein 45. Vereinsdenksest und bringt zugleich zur Feier des Andenkens an L. v. Beethoven dessen schöne C-Messe zur Aufführung. An einem Sonntag d.J. 1826 kam der gefeierte Compositeur in Gesellschaft des Claviermachers Graf während des Hochamts auf das Chor der Karlskirche. Regens chori war damals schon der gegenwärtige Chordirector Hr. J. Rupprecht. Als dieser den Meister erblickte, verneigte er sich vor ihm und es wurde ihm bedeutet, daß Beethoven mit ihm etwas zu besprechen hätte. Nach beendigtem Hochamt gingen Beethoven, Graf und Rupprecht längs des Technikergebäudes hinab und Beethoven verlangte von Rupprecht, er möchte ihm den lateinischen Text des Tedeums geben und ihm die Stellen bezeichnen, wo die Tempi gewechselt werden, z.B. Salvum fac etc. Beethoven wollte, wie er [329] sich aussprach, ein großes Tedeum componiren; es sollte in der Augustiner Kirche aufgeführt und jedesmal an der bezeichneten Stelle eine Kanone abgefeuert werden. Rupprecht hat noch im Lauf des Tages dem Wunsche Beethovens entsprochen, zur Aufführung ist es jedoch nicht gekommen, denn Beethoven starb 1827. Es ist auch nicht bekannt, ob er jemals an die Arbeit gegangen ist.«


Wir geben diese Mitteilung wie wir sie finden. EinTe deum mit Kanonen von Beethoven! Was hätte das unseren modernen Ästhetikern zu raten aufgegeben!

Dann war aber auch das Projekt der Oper noch nicht beseitigt. In der verschiedensten Weise wird er von seiner Umgebung immer wieder dazu aufgefordert; Bruder Johann führt das äußere Moment, den zu erwartenden Geldgewinn, ins Feld; aber auch der ernste Breuning rät ihm eine Oper zu schreiben, und zwar bald. Der uns bekannte Theaterunternehmer Duport läßt ihn durch Mittelspersonen in seiner Umgebung (Holz, Bruder Johann) erinnern, jetzt die Oper zu schreiben, da die Verhältnisse günstig seien; die Melusine sei ihm angenehm. Beethoven scheint Schlesinger gegenüber die Absicht oder den Wunsch ausgesprochen zu haben, die Oper für Berlin zu schreiben. Daraufhin erhielt er von dem Generalintendanten Grafen Brühl unterm 6. April 1826 einen Brief, worin dieser auf den Gedanken, daß Beethoven für Berlin eine Oper schreiben wolle, gern eingeht, gegen die Melusine aber das Bedenken hat, daß sie der dort bereits aufgeführten Fouquéschen Undine zu ähnlich sei.80 Hier der Anfang des Briefes:


»Der Musikhändler Schlesinger hat mir eröffnet, daß Euer Hochwohlgeboren nicht abgeneigt wären, eine deutsche Oper für das Berliner Theater zu schreiben, und mit größter Bereitwilligkeit nehme ich dieses Anerbieten an, da es der von mir geleiteten Bühne nur zu wahrhafter Ehre gereichen kann, von einem Mann, welcher in der Kunstwelt so hoch steht, als Euer Hochwohlgeboren, ein eigends für dieselbe komponirtes Werk auf die Scene zu bringen.« – –


Es folgt dann die Bemerkung über den Text der Melusine, welche ihm gleichfalls von Schlesinger [doch wohl in Beethovens Auftrag] mitgeteilt war; Brühl hätte gewünscht, daß Beethoven noch ein anderes Sujet in Vorschlag bringen »und Herr Grillparzer es hätte bearbeiten [330] können«; er bittet ihn, seine Ansichten hierüber mitteilen zu wollen. Beethoven hat diesen Brief, wie ich der mir vorliegenden Notiz entnehme, nicht beantwortet.

Man schlug ihm allerdings auch andere Stoffe vor. So verfiel man z.B. auf Goethes Claudine, welche Kanne für ihn bearbeiten wollte; schließlich hatte dieser aber doch Bedenken, sich an Goethe zu wagen (vgl. Bd. IV S. 5). Die Gedanken blieben, soweit es auf eine Oper ankam, auf Melusine gerichtet. Daß Beethoven noch weiter an die Oper dachte, freute Grillparzer, wie Holz schon Ende 1825 Beethoven erzählte. Es kam noch einmal zu einer Aussprache mit ihm, von der wir im Konversationsbuche lesen.81 Grillparzer spricht hier von sich und dem Schicksal seiner Stücke und gibt seiner hypochondrischen Gemütsstimmung Ausdruck. Beethoven spricht ihm Mut zu. Seine Äußerungen, welche durch die Erzählung von Holz ergänzt werden, müssen wir übergehen, so interessant sie für den Biographen Grillparzers sein würden.

Wenn Beethoven zu Grillparzer, wie dieser erzählt,82 gesagt hat: »Ihre Oper ist fertig,83 dann muß er doch im Kopfe sich schon viel damit beschäftigt haben; Skizzen zur Melusine haben sich bisher nirgendwo gefunden« (vgl. Bd. IV S. 413). In der Tat scheint es, daß er sich nicht recht entschließen konnte, ernstlich daran zu gehen; äußere Umstände (der bevorstehende Abgang einer Sängerin, wenn ich das Konversationsbuch recht verstehe), dann wieder seine Bedenken über den Text bestärkten ihn in seinen Zweifeln. Das machte auch Grillparzer wieder unmutig. Holz erzählt ihm:


»Mit Grillparzer sprach ich gestern. – Ich sagte ihm davon. – Er war sehr unzufrieden, er sagte, er wolle gerade keinen großen Ruhm darin setzen, doch wisse er nicht leicht einen Operntext, der in musikalischer und scenischer Rücksicht so passend wäre.«


Auch die weiteren trüben Erlebnisse werden darauf eingewirkt haben, daß der Gedanke zurücktrat. Genug, die Oper wurde nicht geschrieben, [331] und wir werden bei all unserem Bedauern, daß wir nicht eine zweite Oper von Beethoven besitzen, doch sagen dürfen, daß ihn sein Gefühl richtig leitete. Das wenn auch tragisch endende Zaubermärchen war kein geeigneter Stoff für den Komponisten des Fidelio und der Messe. –

Nur mit einem Worte sei des Gedankens Erwähnung getan, eine Musik zu Goethes Faust zu komponieren. Wie wir wissen,84 war der Gedanke von Rochlitz in ihm angeregt; »das soll was geben« lesen wir noch in den letzten Unterhaltungen mit Schindler. Dazu ist nun, soweit unsere Kenntnis reicht, niemals ein Anlauf genommen worden, und wir können uns Betrachtungen darüber sparen, in welcher Weise er diesen Gegenstand behandelt haben würde, an welchen sich nach ihm andere von größerem oder geringerem Berufe versucht haben. –

Da wir hier von nicht ausgeführten Plänen gesprochen haben, dürfen wir kurz die Frage aufwerfen, ob sich unter denselben auch solche zu orchestralen Werken befunden haben. Dabei taucht der mehrfach von den Schriftstellern über Beethoven besprochene Gedanke einer zehnten Symphonie auf, den wir an dieser Stelle glauben besprechen zu dürfen, da dieser Plan, wenn er auch schon früher entstanden sein mag, doch, wie wir aus Holz' Zeugnis entnehmen, auch in dieser letzten Zeit Beethovens noch verfolgt wurde.

Zur Zeit der Skizzen zu den letzten Sätzen des B-Dur-Quartetts und der Fuge, also gegen Ende 1825, finden sich in einem Berliner Skizzenhefte u.a. Notierungen zu einem Presto (3/4) in C-Moll und ein ganz kurzer Satz in As, welchen Schindler beigeschrieben hat: »Scherzo zur 10. Symphonie« und »Andante zur 10. Symphonie (in As85; daneben längere Skizzen zu einer Ouvertüre über dem Namen Bach, zu welchen Beethoven die Worte schreibt: »Diese Overture mit der neuen Sinfonie so haben wir eine Akademie im Kärnthnerthor« (vgl. Bd. IV S. 415 f.). Das berechtigt doch von einem Plane Beethovens zu sprechen. Schindler teilte die Skizzen in Hirschbachs Musikalischem Repertorium (1844) mit; man findet sie auch bei Marx (Beethoven 4. Aufl. II S. 401) und in beschränkter Auswahl bei Nottebohm a.a.O. Es beruhte also zunächst auf einer Mitteilung Schindlers, daß man überhaupt von einer zehnten Symphonie etwas wußte, daß man, wie es Marx ausdrückt, sich zu der Annahme berechtigt glaubte, Beethoven habe sich mit einer 10. Symphonie [332] getragen. Dem widerspricht nun mit aller Entschiedenheit Nottebohm (S. 12), welcher die Skizzen auf gleiche Linie stellt mit der großen Zahl augenblicklicher Einfälle in den Skizzenbüchern, welche länger liegen zu bleiben bestimmt waren. Da die Skizzen nicht fortgesetzt wurden, so könne von einem »Tragen« mit der Symphonie, von einer anhaltenden Beschäftigung mit derselben nicht gesprochen werden. »Hätte Beethoven so viel Symphonien geschrieben, als er angefangen hat, so besäßen wir ihrer wenigstens fünfzig.« Hier hat nun Nottebohm nicht das Richtige gesehen, und bei aller Verehrung für seinen Forscherfleiß müssen wir ihm entschieden widersprechen. Die Zeugnisse reden zu bestimmt; der Plan der Symphonie bestand und war weiter gediehen, als Nottebohm wußte. Das Zeugnis Schindlers können wir nicht einfach beseitigen, da man dergleichen doch nicht einfach erfindet. Es wird überdies ergänzt durch die Mitteilungen von Holz, der über Beethovens Pläne und Arbeiten in diesem letzten Jahre wohl unterrichtet sein konnte. In O. Jahns Aufzeichnungen nach Holz' Mitteilung heißt es: »Zur 10ten Symphonie war die Einleitung in Es-Dur, ein sanfter Satz, und ein gewaltiges Allegro in C-Moll im Kopfe fertig und auf dem Klavier Holz schon vorgespielt.« Dasselbe schrieb Holz an Lenz,86 welcher nach dieser brieflichen Mitteilung folgendes erzählt: »Beethoven spielte die 10. Symphonie vollständig am Klavier, sie lag auch in allen Teilen in Skizzen vor, aber von Niemandem außer ihm zu entziffern.«87 Dazu kommen Briefstellen der allerletzten Zeit. Für einen Brief an Moscheles diktiert Beethoven noch am 18. März 1827 längere Dankesworte für die Philharmonische Gesellschaft, die später durchstrichen wurden,88 und worin er sagt: »Eine ganze skizzierte Symphonie liegt in meinem Pulte, ebenso eine neue Ouvertüre oder auch etwas Anderes,« und einige Tage nachher schreibt Schindler an Moscheles (Nohl S. 282 ff.): »Drei Tage nach Erhalt Ihres Briefes war er äußerst aufgeregt und wollte wieder die Skizzen der zehnten Symphonie haben, über deren Plan er mir viel sagte. Er bestimmt sie nun fest für die philh. Gesellschaft.« Diesen sehr bestimmten Zeugnissen würde auch wohl Nottebohm, wenn er sie gekannt hätte, nicht widersprochen haben. Wir haben es als feststehend anzusehen, daß die zehnte Symphonie geplant und skizziert war, und wir [333] werden daher auch Schindler Glauben schenken darin, daß die von ihm bezeichneten Skizzen zu dieser Symphonie gehörten. Dann würde der Plan in die Jahre 1825 (Ende) und 1826 fallen;89 dazu stimmt es auch, daß sich Holz mit der Sache bekannt zeigt. Nohl hatte 1879 in der Vossischen Zeitung90 einen längeren Artikel über Beethovens Zehnte veröffentlicht, worin er nach Angabe der tatsächlichen Verhältnisse, soweit sie ihm bekannt geworden, auf eine von ihm angenommene Gewohnheit Beethovens zurückgreift, immer zwei Symphonien gleichzeitig oder kurz nacheinander herauszugeben, und so an jene Symphonie erinnert, die Beethoven neben der 9. schreiben wollte. In der Tat stehen die C-Moll-Symphonie und die Pastorale, und anderseits wieder die 7. und 8. ziemlich nahe beieinander, sind auch jedesmal bei denselben Verlegern erschienen; aber daraus können wir noch nicht auf eine anfängliche Absicht, geschweige auf einen bestehenden Grundsatz schließen, zumal uns andere Nachrichten darüber fehlen. Über jene zweite Symphonie haben wir oben (S. 19 ff.) nach Nottebohm das Nähere angeführt. Nohl knüpft hier an Beethovens Worte in der Skizze an, die bei Nottebohm zu lesen sind,91 und in denen Hinweisungen auf die Behandlung dieser zweiten Symphonie gegeben werden. Diese damals projektierte 2. Symphonie sei denn jetzt, meint Nohl, in der 10. wieder aufgenommen, er glaubt in den vorhandenen Skizzen die Andeutungen jenes Planes wieder zu finden. Der Gedanke an jene zweite Symphonie neben der neunten war aber, als diese ausgearbeitet wurde und vollendet war, längst aufgegeben; wir hören nichts mehr davon in allen den Jahren. Die jetzt besprochenen Skizzen sind neu und stammen aus viel späterer Zeit. Wir haben es hier nicht mit Phantasien, sondern mit Feststellung der wenn auch spärlichen Tatsachen zu tun. Diese ergeben, daß die zehnte Symphonie geplant war und ihre Entwicklung bei ihm so ziemlich im Kopfe feststand, daß er aber, soweit wir Beethovensche Skizzen kennen, nur einige Gedanken davon zu Papier gebracht hat.

[334] Zwei der Skizzen bezeichnet Schindler (ich folge Nottebohm) als zur 10. Symphonie gehörig. Eine derselben zu einem 3/4-Satze (Presto), in sich abgeschlossen, gibt sich als ein zu weiterer Ausarbeitung geejuguetes echt Beethovensches Motiv von energischem Ausdrucke zu erkennen. Die Skizzen mögen auch hier stehen.92


(»Scherzo zur 10ten Symph.«, Beischrift von Schindlers Hand.)


3. Kapitel. Das Jahr 1826 bis zum Dezember

Darauf folgen auf derselben Zeile und auf den übrigen 3 Zeilen der Seite weitere Skizzen, zum Teil unsicher zu lesen.


Andante zur 10t Symph.«, Schindler.)


3. Kapitel. Das Jahr 1826 bis zum Dezember

93


Auf den folgenden Zeilen weitere Skizzen (Es 6/8).


Wir bemerken noch, daß in den Skizzen und den Bemerkungen über diese Symphonie, soweit sie uns bekannt sind, nirgends eine Andeutung darüber vorhanden ist, daß in derselben Singstimmen hätten verwendet werden sollen; das würden Holz und Schindler gewiß nicht verschwiegen haben. Diese Bemerkung dient in gewisser Weise zur Ergänzung dessen, was wir oben über die neunte Symphonie zu sagen hatten. –

[335] Neben dieser Symphonie bestand auch noch, wie die Skizzen und Beethovens Bemerkung zeigen, der Plan der Ouvertüre über den Namen Bach. Derselbe bestand schon länger. Wir haben schon früher von demselben gesprochen und kommen hier nicht noch einmal auf denselben zurück. Beethoven hat wiederholt (schon seit 1823) Gedanken zu denselben niedergeschrieben. Hätte Beethoven sie alle ausgeführt, so hätten wir, meint Nottebohm, drei verschiedene Bach-Ouvertüren. Dieser Plan bestand also noch in den Jahren 1825–26. –

Von kleineren Plänen, wenn man es so nennen will, würde man vielleicht aus Skizzenbüchern und Konversationsheften noch einzelnes entdecken können, doch würde das meist ziemlich unsicher bleiben. Da steht z.B. nach der obigen Skizze (also vielleicht aus dem Anfang 1826), der Anfang eines Marsches für Duport,94 durch den er sich, wie Schindler sagt, dem Theaterunternehmer wegen eines etwaigen späteren Konzertes empfehlen wollte; wir erfahren aber nichts von einer Fortsetzung oder Ausführung. Im Konversationsbuche schreibt im Januar 1826 Mathias Artaria: »Ich höre von 6 Fugen! Wir wollen ihnen zu Ehren eine Bouteille Champagner leeren.« – Bei Beethovens damaliger Vorliebe für fugierte Schreibart wäre das nicht unmöglich; wir wissen aber davon nichts weiter. Und bald nachher fragte ihn Holz: »Ist es wahr, daß Sie an Dominik Artaria ein Rondo verkauften, das er noch nicht hat? – Sie hatten es zurückgenommen und ihm nicht mehr gegeben.« Wer Luft hat, mag dies auf das Rondo Op. 129 beziehen, von dem wir ja sonst nichts wissen, als daß Beethoven es nicht herausgegeben hat und daß es erst nach seinem Tode bei Diabelli erschienen ist. –

Nach diesem Ausblicke auf die Pläne dieses ersten Halbjahres95 dürfen wir noch kurz hinblicken auf den persönlichen Verkehr in dieser Zeit, über welchen freilich in anderem Zusammenhange schon das Nötige gesagt ist. Außer seinem ständigen und stets hilfsbereiten Genossen Holz und dem nur zuweilen auftretenden Schindler sind es seine musikalischen Genossen, vor allem Schuppanzigh, über dessen Augarten-Konzert am 1. Mai früher gesprochen wurde, und solche, mit denen ihn seine Interessen zusammenführten, Verleger (wie Artaria) und Schriftsteller (wie Kuffner und Grillparzer). Sie kamen zu ihm oder er traf [336] sie an öffentlichen Orten, im Igel, im wilden Mann oder sonstwo. Die Behauptung Schindlers, infolge des Umganges mit Holz hätten sich ältere Freunde von ihm zurückgezogen, haben wir schon oben als unbegründet zurückgewiesen; Schindler hat außer seiner eigenen werten Person keinen namhaft machen können, der sich zurückgezogen hätte. Manche, die Beethoven wohl kannte, begegnen uns nicht im Konversationsbuche, hatten ihn aber auch sonst nicht besucht. Es war überhaupt einsam um ihn geworden, seitdem der Verkehr mit ihm so sehr erschwert war. Dafür daß er unter Holz' Einfluß seine Lebensgewohnheiten zum Nachteil seiner Gesundheit geändert hätte, haben wir keine bestimmten Zeugnisse. Der alte Freund Zmeskall konnte seines eigenen Zustandes wegen keinen Verkehr pflegen; Bernard war verstimmt wegen Verzögerung des Oratoriums, Halm wegen der Fuge, Piringer stand auf schlechtem Fuße mit Holz. Wenn wir den Grafen Lichnowsky jetzt selten oder nicht finden, so war das auch früher der Fall gewesen; bei seinen Gesinnungen für Beethoven ist nicht denkbar, daß er sich wegen einer neuen Freundschaft des Meisters von ihm zurückgezogen hätte. Vielleicht war er zeitweise garnicht in Wien anwesend. Wir brauchen aber nur den einen Namen Breuning zu nennen, der auch in dieser Zeit nicht abließ, dem alten Freunde nahe zu bleiben.

Es begegnen uns aber auch noch andere in seiner Nähe. Da war der alte Abbé Stadler, der Freund Mozarts, zu dem schon lange freundliche Beziehungen bestanden; er mußte sich freilich auch die Scherze Beethovens gefallen lassen. Er war ein Musiker alten Schlages und konnte Beethoven nicht folgen; er stellte seine Werke gegenüber Mozart ungebührlich zurück und soll sie nach Castelli (Mem. III S. 119) »baaren Unsinn« genannt haben. Bekannt war, daß er aus dem Konzert wegging, wenn ein Beethovensches Stück an die Reihe kam.96 Schuppanzigh entschuldigte ihn damit, daß er ein alter Mann sei und einen weiten Weg nach Hause habe. – Nun hatte im Jahre 1825 G. Weber einen Aufsatz über die Echtheit des Mozartschen Requiems erscheinen lassen,97 worin er mehrere zweifellos Mozartsche Stücke aus [337] inneren Gründen Mozart abzusprechen suchte: ein Aufsatz, der Beethovens großen Zorn erregt hatte. Gegen ihn schrieb Stadler die »Vertheidigung der Echtheit des Mozartschen Requiems« (Wien 1826) und schenkte Beethoven ein Exemplar, der mit folgenden Worten dafür dankt:98


»am 6ten

Febr.

1826.


Mein Verehrter

Hochwürdiger Herr!


Sie haben wirklich sehr wohl gethan, den ManenMozarts gerechtigkeit durch ihre wahrhaft musterhafte u. die Sache durchdringende Schrift zu verschaffen u. sowohl layen oder profane wie alles was nur musikal. ist oder nur dazu gerechnet werden kann muß ihnen Dank dafür wissen. –

Es gehört entweder nichts oder sehr viel dazu d.g. aufs Tapet zu bringen, wie H.W.

Bedenkt man noch, daß, so viel ich weiß, ein solcher ein Tonsetz-Buch geschrieben, u. doch solche Säze


3. Kapitel. Das Jahr 1826 bis zum Dezember

99


Mozart zuschreiben will, nimmt man nun das eigene Machwerk W. noch dazu, wie


3. Kapitel. Das Jahr 1826 bis zum Dezember

[338] man erinnert sich bey der erstaunlichen Kenntniß der Harmonie u. Melodie des H. W. an die verstorbenen alten reichscomponisten Sterkel...100 Kalkbrenner (Vater) Andre (nicht der gar andere) etc.

requiescant in pace – ich insbesondere danke ihnen noch mein verehrter Freund für die Freude, die sie mir durch Mittheilung ihrer Schrift verursacht haben, allzeit habe ich mich zu den größten Verehrern Mozarts gerechnet, u. werde es bis zum letzten Lebens Hauch

Ehrwürdiger Herr ihren Segen nächstens101


Euer Hochwürd.

Mit wahrer Hochachtung

Verharrender

Beethoven


Stadler empfand über Beethovens Zustimmung so große Freude, daß er es allenthalben erzählte, wie Beethoven durch Holz (im K.B.) erfuhr. Kurze Zeit nachher erscheint Stadler selbst einmal im Konversationsbuche; er erzählt Beethoven, daß er das Dies irae in Mozarts Manuskript in Händen habe, andere Stücke habe ein anderer; unter anderen Bemerkungen sagt er, er habe von dem dritten Quartette noch nichts hören können; er bedauere es besonders wegen der Fuge. Von anderen seiner Bemerkungen sehen wir ab. Er scheint Beethoven aufgefordert zu haben (vielleicht durch einen dritten), eine Messe zu schreiben. Holz schreibt im Konversationsbuche:


»Wenn der Stadler sagt, daß Sie eine Messe schreiben sollen, dann ist es auch sicher, daß dafür etwas gethan wird, er kennt am besten, wo der Wind hingeht. – Er hat den Dietrichstein und Eybler im Sack – die sind völlig aufgehoben, wenn Stadler dafür ist.« –


Andere erscheinen mehr im Hintergrunde, ohne im Konversationsbuch als nähere Freunde zu begegnen. So ist von dem uns schon bekannten Hofrat Dr. Mosel die Rede, der Beethoven freundlich gesinnt war, und auch Konzerte besuchte, in welchen Sachen von ihm vorkamen.102 [339] Holz bittet einmal um eine Gefälligkeit für Mosel. »Dem Mosel würden Sie eine Gefälligkeit erweisen, wenn Sie es annehmen, obwohl er selbst gesagt, daß das Quartett, so wie er es durchgesehen hat, nicht viel werth ist.«103 Hierher gehört vielleicht ein Brief, den Beethoven um jene Zeit an einen uns unbekannten jungen Komponisten schrieb, der ihm ein Werk zugeschickt hatte, als Antwort auf einen durch Mosel erhaltenen Brief:104


»Durch Hrn. Hofrath von Mosel empfing ich einen Brief von Ihnen, welchen ich, da ich sehr überhäuft bin, nicht gleich beantworten konnte. Sie wünschen mir ein Werk zu widmen; so wenige Ansprüche ich auf dergleichen mache, so werde ich doch mit Vergnügen die Dedication Ihres schönen Werkes annehmen. Sie wollen aber auch, daß ich dabei als Kritikus erscheine, bedenken aber nicht, daß ich mich selbst muß kritisiren lassen! Allein ich denke mit Voltaire ›daß einige Mückenstiche ein muthiges Pferd nicht in seinem Laufe aufhalten können.‹ In diesem Stücke bitte ich Sie mir nachzufolgen. Damit ich aber nicht versteckt, sondern offen, wie ich immer bin, Ihnen entgegenkomme, sage ich Ihnen nur, daß Sie in dergleichen künftigen Werken mehr auf die Vereinzelung der Stimmen achten könnten.

Indem es mir allezeit eine Ehre seyn wird, wenn ich Ihnen irgendwo in etwas dienen kann, empfehle ich mich Ihren freundschaftlichen Gesinnungen gegen mich u. bin mit vollkommenster Hochachtung


Euer Hochwohlgeboren

ergebenster

Beethoven.

Wien am 10ten Mai

1826.«


Die Zahl von Bekannten Beethovens aus jener Zeit würde wohl noch vermehrt werden können, doch reichen dazu unsere Quellen nicht aus, und Vermutungen können wir uns hier nicht hingeben. Mit Castelli scheint er an drittem Orte zusammengekommen zu sein. Der Klaviermacher Stein, ein sehr guter Bekannter wie wir wissen, erscheint einmal, um einen gleich zu nennenden Fremden einzuführen. Weiteres Detail können wir hier nicht geben.

Wir möchten gern Näheres darüber wissen, ob zwischen Beethoven und dem 27 Jahre jüngeren gleichfalls in Wien lebenden Franz Schubert Beziehungen bestanden. Wir wissen nur, daß Schubert Beethovens glühender Verehrer war, daß er aber, wie andere jüngere Musiker von [340] dem auf der Höhe seines Ansehens stehenden Meister wenig beachtet worden war. Nun erzählt Schindler,105 Schubert habe Beethoven vierhändige Variationen überbracht, sei aber durch diese Begegnung und infolge einer schonend angebrachten tadelnden Bemerkung Beethovens so außer Fassung geraten, daß er niemals wieder Mut gefaßt habe, sich ihm vorzustellen. Diese Erzählung wird wohl unter die vielen Irrtümer Schindlers, wenigstens in dieser Form, eingereiht werden dürfen. Joseph Hüttenbrenner, der mit Schubert nahe bekannt war, wollte, wie Kreißle berichtet,106 von Schubert selbst gehört haben, daß er Beethoven zwar besucht, aber nicht zu Hause getroffen habe, und daß er die Variationen dem Dienstboten übergeben habe. Später habe er gehört, daß Beethoven an den Variationen Gefallen finde und sie oft mit dem Neffen durchspiele. Nach der brieflichen Mitteilung von Rochlitz an Härtel107 wäre Schubert mit Beethovens Lebensgewohnheiten bekannt gewesen und sie hätten sich auch gesprochen. Schuberts Bruder Ferdinand antwortet auf die Frage nach Schuberts Verhältnis zu Beethoven: »Sie sind selten zusammengetroffen«; das bezieht Kreißle darauf, daß sie sich bei Steiner im Paternostergäßchen trafen.108 In dem Hause von Giannatasio del Rio verkehrte Schubert auch nach dem Berichte der Enkelin; dort wurde »der häusliche Krieg« aufgeführt. In einer Konversation von 1826 schreibt Holz: »Schubert war eben bei ihm,109 sie haben in einer Händelschen Partitur gelesen. – Er war sehr artig, hat sich zugleich bedankt für das Vergnügen, das ihm die Quartette Mylords gemacht haben; er war immer zugegen. – Für Lieder hat er viel Auffassungsgabe. – Kennen Sie den Erlkönig. – Er hat immer sehr mystisch gesprochen.« – Daraus darf man schließen, daß Beethoven ihn zwar kannte, ihm aber nicht näher stand, und daß ihm Schuberts Kompositionen noch ferner standen. Den »göttlichen Funken« hat er erst auf dem Sterbebette entdeckt. –

Hier muß nun auch noch von einem auswärtigen Besuche die Rede sein, nämlich dem von Friedrich Wieck, des Vaters von Klara [341] Schumann, des hervorragenden Musikpädagogen. Die Erzählung, welche er hierüber in einem Briefe an seine Frau gab, fand Aufnahme in den Dresdener Nachrichten, und nach diesen in den Leipziger Signalen (1873 Nr. 57) und in der Zeitschrift »Der Klavierlehrer« (1885 Nr. 17) und kann auch hier nicht fehlen.


»1826 im Mai war es, wo ich durch meinen und Beethovens genialen Freund, den berühmten Instrumentenmacher Andreas Stein, bei Beethoven als Tonkünstler und Schriftsteller, der sich viel mit Gehörverbesserungen und Gehörmaschinen abgäbe, eingeführt wurde und mehrere Stunden bei ihm verweilte. Sonst hätte er mich nach Steins Erfahrungen nicht angenommen. Das Gespräch drehte sich unter rothen Weintrauben um Leipziger Musikzustände – Rochlitz – Schicht – Gewandhaus – seine Haushälterin – seine vielen Logis, wo keins recht für ihn paßte – seine Spaziergänge – Hietzing – Schönbrunn – seinen Bruder – verschiedene dumme Menschen in Wien – Aristokratie – Demokratie – Revolution – Napoleon – Mara, Catalani, Malibran, Fodor – u. die genialen Sänger Lablache, Donzelli, Rubini u.A. – um die vollendete italienische Oper (deutsche Opern könnten nie so vollkommen sein wegen der Sprache und weil die Deutschen nicht so schön singen lernten wie die Italiener) – und meine Ansichten über Clavierspiel – Erzherzog Rudolph – Fuchs in Wien, eine dazumal berühmte mu sikalische Persönlichkeit – um meine bessere Methode im Clavierlehren u.s.w., alles unter fortwährendem schnellsten Schreiben von meiner Seite (denn er fragte viel und hastig) und unter stetem Absetzen; er begriff alles schon, wenn ich mit der Antwort erst zum Theil fertig war; aber Alles mit einer gewissen Herzlichkeit, selbst in verzweifelten Aeußerungen und bei tiefer innerlicher Bewegung seiner Augen und Greifen an den Kopf und Haaren. Alles etwas derb, vielleicht bisweilen roh, aber edel, klagend, gemüthlich, gesinnungstüchtig, begeistert, politisch Unglück ahnend. Aber nun? Er fantasirte mir über eine Stunde lang, nachdem er seine Gehörmaschine angelegt und auf den Resonanzboden gestellt, auf dem von der Stadt London (sic!) ihm geschenkten und bereits ziemlich zerschlagenen, großen, langen Flügel von sehr starkem, puffigem Ton, in fließender Weise meist orchestral, noch ziemlich fertig im Ueberschlagen der rechten und linken Hand (griff einigemal daneben), mit eingeflochtenen reizendsten und klarsten Melodien, die ungesucht ihm zuströmten, mit meist nach oben gerichteten Augen und dichten Fingern. Nach drei Stunden höchster Spannung, mit pochendem Herzen, nach angestrengtem und schnellstem Schreiben und höchstem Bemühen, kurze und treffende Antworten zu geben, die er immer durch neue Fragen unterbrach, die ganzen Glieder voll höchstem Respect, dabei voller inniger Freude, daß ich solch' Glück gehabt – dazu das ungewohnte Weintrinken! – Nach herzlichem Abschied und der ihm gemachten Aussicht, daß er schon noch die rechte Gehörmaschine finden würde, weil die Wissenschaft jetzt große Entdeckungen darin mache – schlich ich mit Andreas Stein ganz erschöpft und aufgelöst in wunderbaren Empfindungen, erregt von Unerhörtem, von dannen und fuhr geschwind von Hietzing nach Hause.«


Das letztere ist nun irrtümlich, Beethoven wohnte damals nicht in [342] Hietzing und war überhaupt nicht von Wien abwesend. Auch war, wenn wir die K.B. richtig verstehen, das englische Klavier damals nicht bei Beethoven, sondern bei Graf zur Reparatur. Anscheinend waltet bei Wieck ein Irrtum in der Zeit- und Ortsbestimmung ob. Vielleicht meint er Penzing; dann fiele der Besuch in das Jahr 1824.

Da wir in einzelnen der obigen Mitteilungen schon über die erste Hälfte des Jahres 1826 hinausgegangen sind, dürfen wir hier fragen, ob Beethoven denn für dieses Jahr einen Landaufenthalt vorhatte, der ja in den früheren Jahren viel früher angetreten wurde. Er hatte in der Tat die Absicht, zumal er für seine Gesundheit Bäder nehmen sollte. Schon früh im Jahre, Ende Januar oder Anfang Februar wurde die Sache besprochen, die verschiedensten Vorschläge wurden in seiner Umgebung gemacht. Der Bruder Johann machte ihm im Laufe der Monate wieder den Vorschlag, zu ihm aufs Gut zu kommen. Daß Beethoven jetzt darauf nicht einging, wundert uns nicht. Auch die Geldfrage spielte eine Rolle; Beethoven erwartete ja noch das Geld von Galitzin.110 Unter den verschiedenen Möglichkeiten richtet er diesmal seine Ge danken auf Ischl.111 Es kommt ihm auf warme Bäder an; Holz meint (im Juli), er solle einen Arzt zu Rate ziehen.


»Die in Ischl sind sehr heiß. – Vielleicht Gastein. Schlammbad in Ischl.« – Dieser Entschluß war der Ausführung nahe. Holz fragt weiter im Juli: »Wann reisen Sie nach Ischl ab?« und später: »wie ist die Beschreibung von Ischl?«


Aber es kam nicht zum Entschlusse. Der Gegenstand verschwand jedoch nicht von der Tagesordnung, eine Eintragung Beethovens scheint anzudeuten, daß er mehr in der Nähe Wiens bleiben wolle.112 In dieser Zeit ist denn, scheint es, die alte Vorliebe für Baden wieder aufgetaucht. »Sonntags fahre ich nach Baden,« schreibt Holz, der schon vorher von Baden gesprochen hatte, »soll ich Wohnungen für Sie suchen?« Das war im Juli.

[343] So blieb also der Entschluß, wieder einen Sommeraufenthalt zu nehmen, bestehen, und nur der Ort war noch nicht festgestellt, als ein Ereignis eintrat, welches alle diese Pläne einstweilen zurückdrängte – der Versuch des Neffen, sich selbst das Leben zu nehmen. Um dieses Beethoven niederschmetternde Ereignis vorzubereiten und zu erklären, müssen wir etwas zurückgreifen.

Wir verließen den Neffen Karl nach seinem Eintritte ins polytechnische Institut (1825) und haben auch Beethovens nachfolgende Briefe an ihn und andere Äußerungen Karls und anderer aus dem Jahre 1825 in dem Anhange I mitgeteilt. Er wohnte, wie wir wissen, in der Alleegasse bei Schlemmer und kam Mittags in der Regel zu Beethoven (wenn dieser anwesend war), war auch sonst viel in seiner Umgebung. Beethoven unterhielt ihn vollständig und bestritt alle seine Bedürfnisse. Er scheint viel und gut zu beobachten, erzählt Beethoven vieles was in der Welt geschieht, auch Musikalisches und Literarisches, er scheint über Beethovens Angelegenheiten (Pläne, Verleger, Geld) gut unterrichtet und hatte fortgesetzt Briefe für ihn zu schreiben und Gänge für ihn zu besorgen. In Beethovens Umgebung legt man Wert auf sein Urteil; »er hat gesunde Ansichten,« sagt einmal Holz; anderswo erwähnt er einmal seine »guten Fähigkeiten«. Seinen neuen Studien scheint er Fleiß und Interesse zuzuwenden, wenn wir nur seinen eigenen Mitteilungen überall Glauben schenken dürften. Er klagt über viele Arbeit, die ihm die Professoren verursachen. Es kommen auch günstige Äußerungen. »Mit Reißer« sagt Holz in der Neujahrszeit, »habe ich schon gesprochen, er sagt, Karl betrage sich, wie es sich von einem vernünftigen Menschen erwarten läßt.« Beethoven hörte ja auch Ungünstiges, wie wir oben zu berichten hatten. Die alte Vergnügungssucht tritt einmal wieder hervor. Er möchte, erzählt Holz, im Karneval einmal tanzen, Holz spricht befürwortend und will ihn begleiten. Beethovens eigene Absicht, ihn zu begleiten, scheint ihm Holz auszureden.113


»Sie würden jedoch am meisten genirt sein, wenn Sie sich von den Leuten müßten angaffen lassen. – – Ich werde mit ihm auf einen ordentlichen Ball gehen. – – Ich fürchte nur, wenn ich allein mit ihm bin, so läuft er mir davon, und ich weiß nicht wohin. – Wenn im Apollosaal ein Ball ist, der sogenannte Ball der Reformirten, so könnten Sie dort wohl weniger bemerkt werden, als sonst wo, was Ihnen gewiß angenehm wäre.«


[344] Es bestand also Mißtrauen gegen Karl wegen seiner Leichtfertigkeit, nicht bloß in Beethovens Umgebung, sondern auch bei Beethoven selbst; auch fehlte es nicht an Vorwürfen wegen zu langen Ausbleibens. Die Schwierigkeit steter Kontrolle und Beaufsichtigung mochte längst fühlbar sein; darauf mag es beruhen, wenn Holz einmal (noch 1825) es für wünschenswert erklärt, daß er Mitvormund werde.114 Über Reißer spricht er einmal etwas abfällig. Beethoven muß in der Unterhaltung den Wunsch ausgesprochen haben, daß Karl wieder zu ihm ziehe; Karl schreibt (im Februar):


»Du wirst thun was Du für das beste hältst. Ich glau be nur daß die Entfernung sehr viel Zeitverlust verursacht, statt daß ich jetzt in wenig Minuten zu Hause bin und studiren kann. – Im Sommer wird uns die Entfernung nicht so fühlbar sein. – Es ist aber das letzte Jahr; dann brauchen wir nicht mehr getrennt zu sein.«


Beethoven gab nach; aber das Mißtrauen blieb. Der Bruder Johann will sich nach Karl umsehen und zeigt überhaupt Interesse für ihn. Karl erzählt dem Onkel inzwischen von seinen Studien und sucht ihn wegen seiner Zukunft zu beschwichtigen; er malt ihm seine erste Stellung im Kaufmannsstande aus. Er ist bereit, Briefe für Beethoven zu schreiben, und bittet gelegentlich um Geld, sein »Wöchentliches«, für Anschaffungen. Ob er dem Oheim hier klaren Wein einschenkt, lassen wir dahingestellt. Johann will dem Neffen zumuten, eine »Ehrenprüfung« abzulegen; Reißer hat sich zufrieden geäußert; »bis August ist ohnehin alles zu Ende«. Äußerungen von Holz, die sich auf Karl beziehen, lauten weniger zuversichtlich. Klangen auch einzelne der Mitteilungen noch beruhigend, so mußte doch die angeborene Leichtfertigkeit des jungen Mannes wieder hervorbrechen.

Die Verhältnisse begannen sich zu verdunkeln. Es wurde bereits erwähnt, daß auch früher schon, als der Neffe noch mit Beethoven zusammen wohnte, heftige Szenen vorkamen, bei denen Beethoven mit seiner leicht erregbaren impulsiven Natur sich nicht immer mäßigen konnte. Wenn er dann, wie wir ihn aus den Briefen kennen, verletzende Worte durch übermäßig liebevolle Äußerungen wieder auszugleichen suchte, so macht [345] das gewiß seinem liebevollen Herzen Ehre, aber es war nicht der richtige Weg, zu dem Herzen des jungen Mannes zu dringen. Ein gleichmäßiges, ruhiges und überlegenes Verfahren wäre nötig gewesen, um auf ihn Einfluß zu gewinnen; Moralpredigten, starke Vorwürfe und dann wieder übermäßig gefühlvolle Äußerungen der Liebe waren nur geeignet, die Autorität ihm nach und nach zu entwinden. Der junge Mann, zu einer gewissen Frühreife im Denken und Urteilen gleichsam erzogen, suchte sich dieser Autorität zu entziehen, ließ sich von den Netzen leichtsinniger Freunde umgarnen und fing an, sich bei dem Oheim selten zu machen.115 Das fiel diesem schmerzlich auf und Bruder Johann wurde in Anspruch genommen, um die Gründe zu erkunden. Dieser berichtet ihm im Anfang März:


»Ich habe dieser Tage ernstlich mit ihm gesprochen, warum er sich so wenig bei dir sehen lasse. – Die Antwort war ohngefähr folgende. Er würde sehr gern bei Dir sein, nur fürchte er die öftern Lermen und die öftern Vorhaltungen an seine Fehler in vergangener Zeit, ebenso den öftern Lerm mit den Dienstbothen, nur bitte ich ihm dieses nicht vorzuhalten, sonst möchte er gegen mich seine Offenheit verlieren. Ich glaube daher es steht nur bei Dir ihn ganz an Dich zu ziehen. – Ich vermuthe wegen seinem öfters schlechteren Aussehen,116 auch habe ich ihn darüber schon derb zur Rede gestellt, allein darin will er durchaus nichts wissen.«


Er rät ihm, wichtige Briefe selbst zu schreiben, damit nicht andere den Inhalt erfahren; er wird sie selbst wegtragen. – –


»In 4 Monaten ist Karl mit allem fertig, dann mußt Du darauf dringen, daß er gleich in ein hiesiges oder fremdes Handelshaus kommt, denn sonst wird er wieder ein Lump, und läßt sich so lange Du lebst von Dir aushalten, damit er faullenzen kann. –« Weitere Bemerkungen über die frühere Zeit brauchen wir nicht. Nur sagt Johann schließlich noch: »In letzterm Fall gib die Vormundschaft an Dr. Bach. – Du kannst so wenig wie ich ihm immer nachlaufen.« –


Auch darüber, daß er den Direktor Reißer selten aufsuche, scheint, wenn wir eine Stelle des Konversationsbuches richtig deuten, geklagt zu werden; Karl verteidigt sich dagegen; auch beruft er sich als Zeugen für seinen Fleiß und die gute Anwendung seiner Zeit auf den Korrepetitor, mit welchem auch Holz eine Unterredung hatte. Auch Beethoven selbst besucht ihn, erkundigt sich im Institut nach ihm, man sieht ihn wohl mit [346] Karl zusammen aus dem Institute kom men.117 Auch Schindler, den wir einmal wieder bei ihm finden, macht Beethoven Mitteilung von seinen Befürchtungen. »Ich bedaure es zu hören,« sagt Schindler darauf, »was werden wir an dem Karl noch alles erleben, wenn es so fortgeht,« und läßt dann seiner Abneigung gegen Holz ihren Lauf, den Beethoven in dieser Sache etwas fern halten solle. Inzwischen erzählt ihm der Neffe weiter von den vielen Arbeiten, die ihm auferlegt seien,118 dabei auch von Ereignissen, die ihn davon abhalten, z.B. von der bevorstehenden Jubiläumsprozession, und stellt seinen Besuch in Aussicht. Er spricht von Prüfungen, auf die er sich vorbereiten müsse; die eigentliche Semestralprüfung war das noch nicht. »Man hat viel zu thun, weil die Examina bald sind,« schreibt er im Juni, und ebenso Holz: »Jetzt hat Carl nicht mehr lange zu studiren.« Er hat mit Mitschülern zu arbeiten; Beethoven scheint einmal eine Anspielung auf unpassende Freundschaften (z.B. Niemetz) zu machen. Besondere Sorge machen ihm die vielen Geldausgaben, er ist hier von Mißtrauen erfüllt. Sein Verhalten werfe einen Schatten auf sein (Beethovens) Leben, scheint ihm Beethoven zu sagen. »Den Schatten machen schon deine Neider,« sagt Karl, »dazu brauch ich nicht noch zu kommen.« Beethoven will die Quittung des Hauswirts Schlemmer sehen und ist im Zweifel, wozu Karl all das Geld brauche. »Die Quittung,« sagt Karl, »im Fall die sich nicht bei mir finden sollte, kann mir der Schlemmer zugleich mit der jetzigen Quittung geben für diesen Monath. – Sie wird sich aber finden. – Wenn ich spazieren gehe und trinke etwas und dergleichen. Andere Ausgaben habe ich nicht.« Beethoven machte Karl, wie es scheint in dessen Wohnung, heftige Vorwürfe, welche den jungen Menschen tief verbitterten. Kurz nachher ging er wieder zu ihm, um seinen Trotz zu brechen. Da lesen wir von Karls Hand die Gegenrede, die wir hierher setzen, da sie so recht das eingetretene Mißverhältnis kennzeichnet.


»Du hältst für Trotz, daß ich, nachdem Du mir stundenlange, wirklich wenigstens dieses Mahl, unverdiente Vorwürfe gemacht, nicht gleich aus dem bittern Gefühl des Schmerzes zu Scherzen übergehen kann. So leichtsinnig, wie Du glaubst, bin ich nicht, ich kann Dich versichern, daß ich diese Tage hindurch, seit dem Auftritt Sonntags in Gegenwart dieses Menschen, so abgeschlagen [347] war, daß es die Leute im Hause sogar bemerkten. Die Quittung über die 80 fl., die im Mai bezahlt wurden, habe ich Dir, wie ich bestimmt und jetzt, nach angestellter Nachsuchung bei mir, ganz gewiß weiß, und auch schon Sonntags sagte, übergeben; sie muß und wird sich also, vielleicht zufällig finden. – Wenn ich, da Du bei mir bist, fortarbeite, so geschieht es nicht aus Trotz, sondern weil ich glaube, daß es dich nicht beleidigt, wenn ich mich durch deine Gegenwart von meinen jetzt wirklich gehäuften Arbeiten nicht abhalten lasse, um so mehr, da wir uns ohnedies hier sehen, wo Zeit genug ist, über alles Nöthige zu sprechen; auch irrst Du Dich, wenn Du glaubst, daß ich auf Dich warte, um fleißig zu sein. Auch scheinst Du für meine Gesinnungen zu halten, was ich nur als Aeußerungen Anderer Dir anführe, wie das Wort Haslingers und das Geschwätz der Frau Passy.119 – Ich weiß gut genug was von diesem Gerede zu halten, habe es aber für meine Pflicht gehalten, Dich davon in Kenntniß zu setzen. – Ich hoffe, daß das Gesagte hinreichen werde, Dich von meinen wahren Gesinnungen zu überzeugen, und die Spannung zu endigen, die seit kurzem, obschon keineswegs von meiner Seite, zwischen Dir und mir bestand.«


Also Verstimmung und Erbitterung auf beiden Seiten, verschärft vielleicht durch Zwischenträgereien, von denen wir Näheres nicht wissen können. Selbst zu Tätlichkeiten kam es; Holz schreibt: »Ich kam ja hier dazu, als er Sie an der Brust packte – draußen bei der Thüre als er fortgehen wollte.«120 Beethoven war, wie der Neffe wohl wußte, leicht wieder versöhnt. Die Mitteilungen des Neffen über seine Verpflichtungen nehmen ihren Fortgang. Da ist wieder von den vielen Arbeiten die Rede, von den laufenden Prüfungen, von den bevorstehenden Hauptprüfungen, von der beschränkten Zeit, zum Oheim zu kommen, von den gemeinsamen Arbeiten mit Mitschülern und Freunden, von Geldzahlungen usw.121 Ob wir alles als Wahrheit annehmen können, was der Neffe sagt,122 ist sehr zweifelhaft. »Sein ganzes Benehmen gegen Sie war [348] eine ununterbrochene Kette von Lügen,« schreibt später Holz. Beethoven beruft sich, scheint es, einmal auf den Bruder. Karl schreibt: »Der Bruder ist ein elender Mensch, der mich eher noch verleiten möchte, um dann über mich schimpfen zu können, kann also keine Autorität sein. Meine Unschuld bin ich im Stande, wenn es darauf ankommt, zu beweisen, ich glaube aber nicht, daß schon jetzt von so etwas die Rede sein könnte.«

Der Neffe verstockte sich immer mehr gegen Beethoven, was wir um so verständlicher finden, wenn er sich schuldbewußt fühlte. In diesen Tagen steigender Erbitterung mag er einmal dem Gedanken an einen verzweifelten Entschluß Ausdruck gegeben haben, wie ja auch nach seiner unseligen Tat die Freunde die Ansicht kundgaben, daß der Plan schon früher gefaßt gewesen sei. Beethoven glaubte auch jetzt noch, durch liebevollen, flehentlichen Zuspruch auf den jungen Meuschen, der sich von ihm ganz abgewendet hatte, wirken zu können. Wir besitzen einen Brief aus diesem verhängnisvollen Monat Juni, der vielleicht nach einem solchen heftigen Auftritt, vielleicht einem solchen, wie ihn Holz in der oben angeführten Bemerkung anführt, in aller Eile geschrieben ist und welcher lautet:123


»Schon um dessentwillen, daß du mir wenigstens gefolgt bist, ist alles vergeben u. vergessen, mündlich darüber mit dir heute gantz ruhig. – Denke nicht, als daß ein anderer Gedanke in mir als nur dein Wohl herrsche, u. hieraus beurtheile mein Handeln – mache ja keinen Schritt der dich unglücklich machen u. mir das Leben früher raubte; erst gegen 3 uhr kam ich zum schlafen, denn die gantze Nacht hustete ich – ich umarme dich herzlich, u. bin überzeugt, daß du mich bald nicht mehr verkennen wirst, so beurtheile ich auch dein gestriges Handeln – ich erwarte dich sicher heute um Ein Uhr – mach mir nur keinen Kummer u. keine Angst mehr – leb indessen wohl!


Dein wahrer

u. treuer Vater.


wir sind allein, ich lasse deswegen H.124 nicht kommen, um so mehr, da ich wünschte, daß nichts verlauten möge von gestern.

Komme ja – laß mein armes Hertz nicht mehr Bluten


[349] Bei dem Original des Briefes befindet sich eine alte Kopie desselben, deren Schreiber sich mit Beethovens Verhältnissen nicht ganz unbekannt zeigt.125 Er leitet den obigen Brief mit folgenden Bemerkungen ein, deren Abschrift ich ebenfalls Herrn Dr. Kalbeck verdanke:


»L. v. Beethovens interessantes, in der Zeit der höchsten Betrübniß u. Angst an seinen Neffen gerichtetes Schreiben (Original) vom Monate Juny 1826, nachdem dieser so vieler Liebe und Sorge unwürdige junge Mann |:zu deutsch ein Lümpchen:| sich ertränken, oder in anderer Art Schulden halber sich um das Leben bringen wollte – daran aber noch rechtzeitig durch Dazwischenkunft eines Freundes des Beethoven |: Ferd. Holz :|126 verhindert wurde.«


Der Kopist fügt dem Schlusse des Briefes noch folgende Worte bei, die uns sachlich nichts Neues sagen:


»Der Bursche, um welchen es sich hier handelt,Beethovens Bruders Sohn, ist leider auch die Veranlassung, daß die Welt nicht mehr oder heiterere Compositionen dieses Genies besitzt; ich wenigstens nenne diesen Lumpaci den Räuber mancher göttlicher Gedanken, die vielleicht im Unmuthe zu Grabe gingen. Beethoven nahm sich nämlich vor, nach eigenen pädagogischen Grundsätzen mit dem Knaben vorzugehn; – wenn aber ein Beethoven sich der Erziehung eines Kindes widmet, so kann man sich denken, wie weit es so ein Ajo bringt – der wohl den besten Willen, das liebevollste Gemüth, leider aber auch das weichste Herz im Busen hatte, und dem das a fehlte, um aus einem Knaben einem rechten Mann zu machen. Figura I giebt den sprechendsten Beweis, daß ein Genie nur ein Genie sein kann, und daß alles Andere in der Hand desselben zerbricht. Die FreundeBeethovens grämten sich oft genug über diese fixe Idee des großen Musikdichters – aber er war nicht abzubringen, da sein Herz ganz an dem wüsten Buben hing. –«


Das beklagen wir Nachgeborenen auch; der Brief Beethovens führt uns ganz in die Situation jener Tage ein und zeigt uns wieder Beethovens überströmende Liebe zu dem jungen Manne, auf welchen er noch wirken zu können glaubte, und der diese Liebe nur mit Undank lohnte. Die Zeit, in welche der Brief fällt, kennen wir nur aus jener Angabe des Kopisten, doch paßt sie zu den übrigen Mitteilungen. Er legt die Vermutung nahe, daß Karl von einem verzweifelten Entschlusse eine Andeutung gemacht hatte.

[350] Die weiteren Unterhaltungen beziehen sich auf öfter besprochene Gegenstände: die Gewinnung einer Stelle für Karl, die Nähe der Prüfung,127 die vielen Arbeiten, zum Teil mit Mitschülern, die Schwierigkeit, so oft zu Beethoven zu kommen, wie dieser wünschte; er sagt ihm nachdrücklich, daß er am Abend nicht kommen könne. Ob ihn Abends blos seine Arbeiten abhielten? Die Art, wie er die Abende zubrachte, in welcher Gesellschaft, wird er dem Oheim nicht anvertraut haben. Der Verkehr mit leichtfertigen Freunden dauerte fort, ebenso die Luft am Spiel;128 auch von Ausflügen ist die Rede.129 Beethoven erkundigte sich oft nach ihm, nach einer Äußerung Reißers zu oft; man sah ihn da im Vorhofe des polytechnischen Instituts Nachmittags warten und Arm in Arm mit dem Neffen nach Hause gehen.130 Sein Mißtrauen ist groß geworden; ganz versagt er ihm aber den Glauben noch nicht.131 Karls weitere Äußerungen aus dieser Zeit, die wir nicht alle anführen können, klingen unmutig und verdrossen, und lassen die Ehrerbietung vermissen, die wir dem Oheim gegenüber erwarten sollten. Mehrfach ist der Gegenstand die Prüfung, die als nahe bevorstehend behandelt wird.132 In dieser Zeit verkehrte er auch, wie sich nachher herausstellte, mit der Mutter, was wir an sich nicht auffallend finden können, was aber sicher gegen Beethovens Willen geschah, und wo er nichts Gutes lernen konnte. Hier traf er auch mit dem bedenklichen Freunde Niemetz zusammen, mit dem sich die Mutter später bekannt zeigt. Daß sie gemeinschaftlich Exzesse [351] verübten, muß man aus einer späteren Äußerung der Wärterin schließen, natürlich wissen wir davon nichts und enthalten uns darüber aller Vermutungen.133

Vielleicht gehört in diese Zeit großer Aufregung ein kleiner, mit Bleistift geschriebener Zettel an Holz:134


»Ich bitte sie sobald als möglich zu kommen, damit wir alles Nöthige veranstalten. Es ist keine kleine Aufgabe, er wollte sich schon früh wieder entfernen.


Eiligst

Ihr Beethoven


Wie sich nun aus allen diesen Schwierigkeiten und Verstimmungen der Überdruß am Leben bei dem jungen Manne entwickelte, und welche Umstände ihn schließlich zu dem traurigen Versuche trieben, sich das Leben zu nehmen, wird nicht genügend aufgeklärt werden können. Daß die Prüfung nicht abgelegt wurde, wie Schindler und nach ihm Vancsa sagen, kann in dieser Form nicht richtig sein und kann nicht der unmittelbare Grund gewesen sein; die Prüfung war begonnen, wie die Unterhaltungen vermuten lassen, die Periode war nicht abgeschlossen, er konnte die Prüfung bis zum September nachholen. Das bestätigte nach der Katastrophe Reißer selbst, daß er die Prüfung habe nachtragen können. Das Zusammentreffen der Zeit legt immerhin die Vermutung nahe, daß irgendein Zusammenhang habe bestehen können, daß vielleicht Karl auf Grund von Erfahrungen bei der Prüfung der Fortsetzung oder vollständigen Ablegung derselben entgehen wollte.135 Karl selbst widersprach dem Gedanken, daß die Prüfung die Veranlassung seiner Tat gewesen sei, und gab dabei zu, daß er den Entschluß schon früher gefaßt habe. Holz erzählte Beethoven in der Zeit, als Karl im Hospital war:


»Er sagte mir gestern, es sei ihm ein leichtes gewesen, die Prüfungen zu machen, doch da er sich schon vorgenommen, sich zu erschießen, so fand er es un nöthig.« Seit er den Vorsatz gefaßt, sagte er zu Holz, habe er nichts mehr getan.136 »Die Prüfungen scheut er nicht, davon bin ich überzeugt. – [352] Er fand es überflüssig. – Es war bloß Lebensüberdruß, weil er das Leben in etwas anderem sah, als Sie vernünftiger und rechtlicher Weise billigen konnten.«137


In der Tat hat Karl später »die Gefangenschaft bei Beethoven« als Beweggrund angegeben (Holz im K.B.), d.h. die Behinderung zu tun was ihm beliebte. Beim Polizeigericht hatte er ausgesagt (Breuning im K.B.), Beethoven habe ihn zu viel »sekirt«, was ihn zu dem Schritt veranlaßt habe.138 Daß Beethoven dem Neffen oft schwere und leidenschaftliche Vorwürfe machte, wissen wir. Die Kundgebungen von Liebe und Güte konnten auf das verhärtete Gemüt des herzlosen jungen Mannes nicht mehr wirken. Das Verhältnis war zerrüttet; was von Liebe noch vorhanden sein mochte, war in Haß und Abneigung verwandelt. Übermütige Äußerungen wurden von ihm erzählt.139 Er war einmal auf den Verkehr mit dem Onkel angewiesen, auch pekuniär; so konnte die Zerstörung dieses Verhältnisses, zumal wenn er kein gutes Gewissen hatte, immerhin unter den Beweggründen der Tat sich befinden.

Ein dritter Grund, der schon früh angeführt wurde, war die Geldfrage; dies wird wohl der hauptsächlichste gewesen sein. Schon der Hauswirt Karls, Schlemmer, hatte nach seinen Erkundigungen gesagt, daß Schulden der Grund der Tat gewesen seien; auch der unbekannte Kopist des oben S. 350 mitgeteilten Briefes gibt dasselbe an, und wir dürfen annehmen, daß dieses damals in Wien erzählt wurde. Auch Breuning sprach später vom Schuldenmachen. Das ist von allen Möglichkeiten die glaublichste. Für seine Ausschreitungen, für sein ganzes leichtfertiges[353] Leben, wie wir es uns nach den Andeutungen im Konversationsbuche denken müssen,140 hatte er mehr Geld nötig, als er vom Oheim erwarten konnte. Schon in früherer Zeit hatte er sich, wie oben erzählt wurde, von Dienstboten Geld zu verschaffen gewußt. Das öftere Mißtrauen Beethovens beruhte eben auf der Ungewißheit, ob das zu bestimmtem Zweck gegebene Geld auch für diesen verwendet werde.141 Daß Karl an öffentlichen Orten, die er besuchte, Geld schuldig geblieben, daß er auch von Bekannten Geld geliehen, können wir annehmen. Aber die Konversationsbücher lassen vermuten, daß er sich auch auf unlautere Weise Geld verschaffte. Es ist die Rede von dem Verkauf von Büchern, die nicht ihm gehörten, sondern dem Oheim, was ihn sogar strafbar machen mußte. So mochte zu den großen Verlegenheiten noch das schlechte Gewissen und die Furcht vor Strafe hinzukommen. Bei dem des sittlichen Haltes entbehrenden jungen Manne konnte dieses wohl einen verzweifelten Entschluß zur Reise bringen.

Beethoven, in seinem Bestreben, für alles eine sittlich entschuldbare Erklärung zu finden, wollte später sogar eine geistige Störung als Erklärungsgrund annehmen. In seinen Aufzeichnungen findet sich »Verirrung des Geistes, u. Verrückheit; die Hitze auch – von Kindheit an mit Kopfweh behaftet.« Auch im Konversationsbuche klagt Karl in dieser Zeit über Kopfweh. Im übrigen müssen wir diese Annahme auf sich beruhen lassen.

Wir haben noch kurz über den Verlauf des Ereignisses selbst zu berichten, soweit wir aus unsern Quellen darüber unterrichtet sind. An einem Samstage kaufte sich Karl von dem Erlöse seiner Uhr neue Pistolen und fuhr mit denselben hinaus nach Baden. Dort brachte er die Nacht zu, schrieb Briefe (darunter auch einen an den Oheim)142 und bestieg am andern Tage die Ruine Rauhenstein im Helenental; dort feuerte er die Pistolen auf seine Schläfe ab. Der eine Schuß ging ganz fehl, der andere verletzte nur die Knochenhaut. Der junge Mann wurde von [354] einem Fuhrmann gefunden, heruntergeschafft und, wohl auf sein Verlangen, nach Wien zu seiner Mutter gebracht. Beethoven wurde bald benachrichtigt, und zwar zunächst von dem Verschwinden Karls und seiner Absicht, sich das Leben zu nehmen. Karl hatte, wie es scheint, als er das Haus verließ, etwas von dieser Absicht verlauten lassen; das erfuhr sein Hauswirt Schlemmer, durch diesen (wie es scheint) Holz, der den Neffen in der Schule aufsuchen wollte, wo er ihm aber davonlief.143 Durch Holz kam die Nachricht an Beethoven. Er begab sich mit Holz in die Wohnung des Neffen; dort schrieb ihm Holz auf:144


»Ich hole die Polizei. – Er muß doch von hier aus abgeholt werden. Die Prüfung macht er doch nicht. – Soll ich den Schlemmer herauf holen lassen?«


Schlemmer berichtet dann:


»In Kürze die Sache, weil Sie ohnehin durch Hrn. Holz unterrichtet sind. Ich erfuhr heute, daß Ihr H. Neffe sich längstens bis nächsten Sonntag erschießen wollte; nur so viel brachte ich in Erfahrung, daß es wegen Schulden sein sollte, doch nicht für ganz gewiß, nur zum Theil war er deren geständig, die von früheren Sünden herstammen sollen – ich suchte nach ob Vorbereitungen vorhanden sind, ich fand in seinem Kasten richtig eine geladene Pistole, sammt noch übrigen Bley und Pulver, ich verständige Sie daher davon in der Sache als dessen Vater zu handeln, die Pistole ist in meiner Verwahrung. – Handeln [Sie] liberal gegen ihn, sonst wird er verzagt.«


Auf die Frage, ob an ihn noch Schulden vorhanden seien, antwortet Schlemmer:


»ich bin befriedigt, ganz – bis auf den gegenwärtigen Monath, für August aber noch nicht.«


Da war also die Tat noch nicht geschehen. Holz fragt weiter, während er die Sache prüft:


»Das ist nicht seine Handschrift, doch ist alles bezahlt bis Ende Juli. – Es wird sich noch weit mehr finden.« –


Nachdem er ihn inzwischen getroffen, schreibt er wieder:


»Er bleibt nicht hier. – Er war nicht aufzuhalten; er sagt, er komme gleich wieder zu Schlemmer, er hohle nur seine Handschriften, bei einem Freunde, indeß ich mit Reißer spreche. – Ich sagte, daß ich nicht länger [355] als eine Viertelstunde warten könne.« Beethoven scheint ihm Vorwürfe zu machen, daß er ihn habe gehen lassen. »Ihnen wäre er ebenso gut fortgelaufen. – Ich glaube, wenn er die Absicht hat sich Leid anzuthun, so kann ihn kein Mensch aufhalten. – Er kann die Prüfungen bis spätestens 3. September nachtragen.« Holz sucht und schreibt weiter: »hier sind noch 30 X auf den Rest von Schlemmers Kostgeld. Er sagte, was nützt es Ihnen wenn Sie mich noch halten, wenn ich heute nicht loskomme, so geschieht es doch ein andermahl.« Schlemmer sagt nachher: »Den Schuß werde ich ausziehen lassen. Die 2te Pistole hat meine Frau – weil ich nicht zu Hause war wie sie gefunden wurde.«145 Da schreibt Beethoven selbst den Schrec kensseufzer nieder: »Er ersäuft sich.« Von dem wirklichen Sachverhalt hatten sie also noch keine Kenntniß.


Das Fehlen von Blättern im Konversationsheft hindert uns bei den folgenden Ereignissen, die genaue Zeitfolge zu erkennen. Während der weiteren Nachforschungen, die durch Holz angestellt wurden, – der in dieser ganzen Sache besonders tätig und hilfreich erscheint –, war auch der Name des Niemetz genannt worden, der als Mitwisser, vielleicht gar als mitschuldig betrachtet wurde. Dieser soll aufgesucht und außerdem die Polizei in Anspruch genommen werden; nach einer ergebnislosen Fahrt gelangen sie endlich zur Mutter Karls, wo sie dann den Sachverhalt erfuhren.146 Da fanden sich denn Oheim und Neffe zusammen; wir mögen uns die Szene ausmalen. Später, als Karl schon im Spital war, schrieb Holz auf:


»Als wir ihn verwundet bei der Mutter trafen, sagte sie zu ihm: ›Sag doch die Ursache deinem Onkel jetzt, wenn du etwas auf dem Herzen hast; du siehst, jetzt ist der Augenblick dazu, jetzt ist er schwach, jetzt thut er gewiß alles was du willst.‹ Karl antwortete aber starrsinnig: ›Ich weiß von nichts.‹ – Sie war in dem Augenblicke bei ihrem höchsten Schmerze noch so unbarmherzig, Sie zu mißbrauchen. – Wer kann aber auch nur eine Spur finden bei seinem ewigen Stillschweigen, bei seiner Verschlossenheit?«


In der Tat, die Mutter verleugnet ihr Wesen auch hier nicht. –

Bei dem Zusammensein mit Beethoven schreibt Karl auf:


»Jetzt ists geschehen. Nur einen verschwiegenen Wundarzt. Smetana, wenn er hier ist. – Quäle mich jetzt [nicht] mit Vorwürfen und Klagen; es ist vorbey. In der Folge läßt sich alles machen. – Sie hat um einen Arzt geschickt, der aber nicht zu Hause ist. Holz wird schon einen bringen.« –


Dann fragt Beethoven: »Wann ist es geschehen?« und die Mutter antwortet:


[356] »Er ist eben gekommen. Der Fuhrmann hat ihn in Baaden von einem Felsen heruntergetragen, und ist eben zu Ihnen hinaus gefahren. Baaden im Badener Bad. Ich bitte dem Wundarzt zu sagen, daß er keine Anzeige mache, man hohlt ihn sonst gleich hier ab, und wir haben das ärgste zu fürchten. – Auf der linken Seite hat er eine Kugel im Kopfe.«


Dies wird die Veranlassung gewesen sein, daß Beethoven einen kurzen Brief an den Arzt Smetana schrieb; wir entnehmen es aus der letzten Bemerkung der Mutter und den folgenden Worten Holz': »Nur in kurzem, daß er bald kommen möchte.«147 Der Brief lautet:


»Verehrtester H. D. Smettana:


Ein großes Unglück ist geschehen, welches Karl zufällig selbst an Sich verursacht hat, rettung hoffe ist noch möglich, besonders von ihnen, wenn sie nur bald erscheinen. Karl hat eine Kugel im Kopfe, wie, werden sie schon erfahren – nur schnell um Gotteswillen schnell,


ihr

Sie verehrender

Beethoven

Die geschwindigkeit

zu helfen, forderte ihn

zu seiner Mutter,

wo er jetzt ist

die adresse folgt hiebei«


Ein Wundarzt, Dögl, war inzwischen schon erschienen. Holz bringt die Nachricht von Smetana:


»Er will mit Vergnügen kommen, doch den Dögl, der sehr geschickt ist und alles Zutrauen verdient, nicht compromittiren. – Er wird daher nur erscheinen, wenn es Dögl für nothwendig erachtet, sich mit ihm zu berathschlagen.« –


Weiter schreibt Karl:


»Ich habe viel Vertrauen zu dem Arzt. Smetana wird nicht nöthig sein.« Es wurde ihm dann ein Verband angelegt.


Aus den weiteren Aufzeichnungen im Konversationsbuche ist zu schließen, daß sich Beethoven wegbegab, Holz aber noch blieb und Beethoven später weiteren Bericht gab. Der Unmut des jungen Mannes gegen den Onkel tritt dabei stark hervor; Holz hält mit seinen Ansichten und Vorschlägen nicht zurück.


»Er sagte, wenn er nur mit seinen Vorwürfen aufhören möchte. – – Da es die Polizey doch immer durch den Arzt erfahren müßte, so werde ich [357] es nach Tische selbst dort melden, und werde schon erfahren, in wiefern es für ihn üble Folgen haben kann. – Vielleicht eine Vorforderung oder mündlichen Verweiß. – Er ging gestern von mir gerade in die Stadt,148 kaufte sich neue Pistolen und fuhr nach Baden. – Wenn er die alten noch gehohlt hätte, so wäre er sicher schon todt, denn diese waren über die Hälfte geladen. – Hier sehen Sie den Undank sonnenklar; wozu wollen Sie ihn noch länger bändigen. Ist er einmahl beym Militair,149 so steht er unter der strengsten Zucht, und wenn Sie schon noch etwas für ihn thun wollen, so brauchen Sie nur einen kleinen Beitrag ihm monatlich auszuwerfen. – – Gleich Soldat. – – – Zweifeln Sie noch länger? Dies ist ein merkwürdiges Aktenstück:«


Die letzten Worte sind möglicherweise nach Einsichtnahme eines Briefes Karls, oder eines andern auf die Sache bezüglichen geschrieben. Dann rät ihm Holz, die Vormundschaft niederzulegen; der Magistrat müsse ihm einen andern Vormund setzen.


»Das geht sehr leicht und auf ihn macht es doch Wirkung.« Beethoven habe dann keine Pflichten mehr und es stehe in seinem Willen, ob und was er weiter für ihn tun wolle. »Als Sie gingen, sagte er: wenn er sich nur gar nicht mehr sehen ließe.«150 Er erinnert an Karls Undankbarkeit, an Beethovens große Opfer, die auch allerseits anerkannt würden. »Hätte Ihre Gutmüthigkeit nicht über Ihre gewöhnliche Festigkeit so oft den Sieg errungen, Sie hätten ihn längst davon gejagt.« –


Wir haben den Eindruck, daß Beethoven sich noch gegen den Gedanken sträubt, die Hand ganz von dem Neffen abzuziehen.


»Dem Reißer sagte ich gestern,« erzählt Holz weiter, »daß man bei ihm Pistolen gefunden habe. Der Lausbub, sagte er, der Komödienheld!« Später zeigte Reißer viele Teilnahme.151 Weiter sagt Holz: »Ich habe der Polizey nichts verschwiegen, da es doch immer besser ist, alles zu sagen, wie es wirklich ist; man war sehr artig, und versicherte, daß er, wenn er genesen sollte, eine tüchtige Zurechtweisung [erhalten] und unter Polizey-Aufsicht gestellt werden sollte. – – – Weil er als besinnungslos erklärt, mußte er 2 Wärterinnen erhalten; dafür werden 50 fl. bezahlt, morgen früh erhalten Sie die Quittung; heute darf niemand mehr zugelassen werden. – Morgen. – Erwarten Sie früher seine Mutter, sie kommt zu Ihnen.152 – Nach 9 Uhr. – Er sagt: Er reiße sich auf der Stelle den Verband weg, wenn von Ihnen noch einmal die Rede ist. Er sagte: wenn nur das dumme Geschwätz einmahl aufhörte.«


[358] Darnach wird ihm (durch Schlemmer? s. oben S. 354) mitgeteilt, daß er »heute« den Brief Karls aus Baden erhalten werde; er hatte ihn vielleicht schon, als Holz bei ihm war.

Am 7. August (Montags) wurde Karl auf Veranlassung der Polizeidirektion ins allgemeine Krankenhaus gebracht. Das Datum entnehmen wir einem Atteste, welches Thayer von dem Direktor Helm erhielt:


»Carl v. Beethoven 20 J. kath. C. Studirender zu Wien, wohnhaft Stadt 717153 – wurde von d. Polizei Diener Stubenviertl übergeben an das allg. Kknhaus


am 7 August 1826


durch dieselbe abgeholt am 25 Septemb. 1826. Behandelt wurde obgenannter Kranke auf dem sog. [?] Herrn Drei Gulden Stock

Krankengeschichte liegt nicht mehr vor.

Am 22 Septemb 1862.


Direct F. Helm


Das gibt auch einen Fingerzeig für die Zeit der Tat.154 Holz hatte geschrieben: »er ging gestern von mir weg gerade in die Stadt, kaufte sich Pistolen und fuhr nach Baden« (das wurde also am Tage der Tat geschrieben), dann etwas später (anscheinend am folgenden Tage): »Seine Uhr hat er am Samstag verkauft und sich dafür 2 neue Pistolen angeschaffft.« Das gestern war also ein Samstag, und die erste Unterhaltung an einem Sonntag geschrieben. Da nun gleichzeitig die Mutter sagt: »er ist eben gekommen,« so ist klar, daß die Tat an eben diesem Sonntag geschehen ist. Der 7. August, an welchem die Aufnahme ins Krankenhaus stattfand, war ein Montag; man könnte also auf Sonntag den 6. August verfallen. Es ist aber höchst unwahrscheinlich, daß der junge Mann schon am ersten Tage nach der Tat, als er noch mit der schweren Verwundung dalag und eben verbunden worden war, gleich hinübergebracht worden wäre. Auch war die Polizei erst am Nachmittag benachrichtigt worden und hatte die ersten Erhebungen zu machen, und konnte sicherlich so schnell nicht bindende Anordnungen treffen. Ein Teil der mitgeteilten Konversationen erstreckt sich über den Tag der Tat, vielleicht auch über den folgenden. Ausschlaggebend ist, daß der Hauswirt Schlemmer bei der ersten Unterhaltung (S. 355) sagt, er sei bis auf den gegenwärtigen Monat bezahlt, für August [359] noch nicht. Diese Unterhaltung war also noch im Juli. Zu weit dürfen wir aber in diesem Monat nicht zurückgehen, da Karl noch am 27. Juli (Donnerstag) nach dem Konversationsbuch Bücher zum Verkauf fortschaffen ließ. Aus allem ergibt sich der Schluß, daß sich die unglückliche Tat am Sonntag den 30. Juli ereignete.

Die tiefe Erschütterung, welche durch Karls Verzweiflungstat Beethoven erfuhr, mögen wir uns leicht ausmalen. »Der Schmerz, den er über dieß Ereignis empfand, war unbeschreiblich,« erzählt Gerhard von Breuning (S. 78), »er war niedergeschlagen wie ein Vater, der seinen vielgeliebten Sohn verloren.155 Ganz verstört begegnete er meiner Mutter auf dem Glacis. ›Wissen Sie, was mir geschehen ist? Mein Karl hat sich erschossen!‹ ›Und ist er todt?‹ ›Nein, er hat sich nur gestreift, er lebt noch, es ist Hoffnung vorhanden, ihn retten zu können; – aber die Schande, die er mir angetan; ich habe ihn doch so sehr geliebt!‹« – In diesem Falle erprobte sich Breunings Freundschaft. Schon am Tage nach der Tat (so scheint es nach dem Zusammenhange im K.-B.) erschien der Knabe Gerhard von Breuning bei ihm mit den Worten: »Du möchtest nur zu uns essen kommen, damit du nicht allein wärest.« Breuning kommt selbst und erkundigt sich; dabei kommt auch der Übergang zum Militär zur Sprache. »Letzthin sagtest du von den vielen Kosten, ich vermuthete da gleich nach dem Beyspiele der meisten jungen Leute nicht viel Gutes.« – Dann sagt er weiter: »Militär die beste Zucht für den, der die Freyheit nicht vertragen kann, lehrt auch mit Wenigem leben.« Und Holz schreibt gleich nachher: »Er sagt, daß es nicht nothwendig ist ihn in die Militärschule zu geben, er kann gleich als Cadet ex propriis eintreten. – Breuning wird Ihnen hier auch am besten rathen, da er beym Hofkriegsrath ist. – Er denkt sehr edel. –«

In dieser Zeit lud ihn auch Schuppanzigh einmal ein, wie wir aus Holz' Erzählung entnehmen; er freute sich, daß Beethoven es annahm.


»er hat auch Wolfmeyer eingeladen, der eine außerordentliche Freude hat Sie wieder einmal sehen zu können; doch bittet Mylord, daß Sie diese Einladung nicht für Sonntag sondern für Montag annehmen möchten, da Wolfmayer am Sonntage verhindert ist, irgendwo zu erscheinen. Wolfmayer bringt die Getränke.«


[360] In der Stadt wurde die Sache bald bekannt und, wie Holz dem Meister erzählte, mit vieler Teilnahme für Beethoven besprochen.

Die chirurgische Abteilung, auf welche der junge Mann gebracht worden war, stand unter der Leitung des Primarius Gaßner, neben welchem der Sekundärarzt Seng die Aufsicht über Karl hatte. Diesen suchte Beethoven persönlich auf; Seng erzählte später G. von Breuning von der Begegnung.156 »Im Spätsommer 1826 kam eines Tages, als ich eben Inspection hatte, ein Mann in grauem Rocke zu mir, den ich im ersten Augenblicke für einen schlichten Bürger hielt. Er fragte trocken: ›Sind Sie Herr Secundarius Seng? Man hat mich in der Ausnahmskanzlei an Sie gewiesen? Liegt bei Ihnen mein Neffe, der liederliche Mensch, der Lump?‹ u.s.w. Nach Erkundigung um den Namen des Gesuchten bejahte ich die Frage und erwiderte, daß er in einem Zimmer des Drei-Gulden-Zahlstocks liege, an einer Schußwunde verbunden sei, und ob ich ihn führen solle? worauf er sagte: ›Ich bin Beethoven.‹ Und während ich ihn nun zu Jenem führte, sprach er weiter: ›Ich wollte ihn eigentlich nicht besuchen, denn er verdient es nicht, er hat mir zu viel Verdruß gemacht, aber...‹ und da fuhr er fort, über die Katastrophe zu sprechen und über des Neffen Lebenswandel und, wie er ihn allzusehr verwöhnt habe u.s.w. – Ich aber war ganz erstaunt, unter diesem Äußeren den großen Beethoven vor mir zu haben, ihm versprechend, aufs beste für seinen Neffen sorgen zu wollen.«

Über das Ergehen des Neffen unterrichtet Holz den Meister. In der Zeit der Überführung, vielleicht unmittelbar vorher, schreibt er; »Täglich kommen 4 der geschicktesten Ärzte 4mal. – An der Pflege fehlt es nicht. – – Jetzt ist noch kein Fieber da, aber wenn dieß erst kommt, dann ist die gefährliche Crisis. – Der Magistrat, als Criminalgericht, ist jetzt mit der Sache befaßt.« Das einzelne der Mitteilungen müssen wir hier übergehen. Auf den jungen Mann soll auch von religiöser Seite eingewirkt werden, weil man die Tat als einen Ausfluß mangelnder Religiosität betrachtet. »Der Geistliche wird vom Magistrat geschickt, Sie brauchen dieß nicht mehr zu besorgen. – Er wird nicht eher aus dem Arrest gelassen, bis er eine vollkommene Prüfung im Religionsunterricht abgelegt und sich gänzlich bekehrt hat, damit kein Rückfall mehr zu fürchten. – Die Polizei behandelt in solchen Fällen die Verirrten mit möglichster Schonung, um nicht Trotz zu erwecken. – [361] Aber Gefängniß muß sein nicht als Strafe, sondern als Sicherheitsmittel für ihn selbst.« Später: »Im Spital bekommt er noch keinen Geistlichen, weil jede Geistesanstrengung vor der Hand gefährlich werden könnte.« Der Geistliche, den Karl erhielt, erzielte den erwünschten Erfolg und stellte ein Zeugnis aus, wie wir Holz' späteren Berichten entnehmen.

Dann ist auch wieder von der Vormundschaft die Rede; Holz erbietet sich ein Gesuch zu schreiben, Beethoven scheint nicht geneigt auf sein Recht zu verzichten. Holz schreibt: »In diesem Falle handelt der Magistrat nicht über ihre vormundschaftlichen Rechte, die auf jeden Fall unangetastet bleiben müssen, sondern es handelt sich um Auskunft über die Umstände, die sich vor diesem Unglücksfalle mit ihm zugetragen haben und auf die leichtere Entdeckung der Ursachen führen, die ihn zu diesem Schritt verleiteten, damit sie das Übel aus der Wurzel heben können. –« Auch Schindler erscheint um diese Zeit, erkundigt sich über das Nähere, spricht seine Teilnahme aus, billigt den Plan, den Neffen zum Militär zu geben und redet auch seinerseit dem Meister ernstlich zu, sich von ihm loszumachen, um seiner eigenen Gesundheit und Ruhe willen. »Wenn es ein Mann ist, der es versteht, besser ein Vormund als zwei. – Es ist genug, daß Sie das Geld hergeben müssen. – –« Wie sich weiter die Vormundschaftsfrage löste, werden wir später sehen. – Beim Magistrat scheinen die Dinge nicht ganz glatt zu verlaufen, »es hat sich also der politische Senat gegen den Kriminalsenat aufgelehnt,« schreibt Holz; »wahrscheinlich war die Vormundschaftsfrage aufgegriffen worden.«157 – – Weiter sagt Holz: »Ich mußte bei der Polizei Ihre Wohnung angeben. – Die Polizei hat ihr Geschäft schon vollendet. – Zu Reißer sollte ich [362] doch gehen. – Ich war selbst so verwirrt daß ich nicht wußte wo ich gehe und stehe. – Stillschweigen wäre ein Vergehen gegen Ihre vormundschaftlichen Pflichten gewesen. – Wer weiß was noch dahinter steckt, er wird schon gestehen, wenn einmal das Gewissen erforscht wird. – Er bekommt einen Ligorianer, die sind wie die Blutegel. – –.« Schindler, der kurz nachher wieder auftritt (in Beethovens Wohnung), bemerkt nachdem von anderem die Rede, »es sei in welchem Verhältnis es wolle, nur weg von Wien«, wo die Gelegenheit wieder auszuarten zu groß sei. Man solle sorgen, daß die Mutter nicht bei dieser Gelegenheit Nachteiliges von Beethoven erzwecke. Einige Zeit von Wien weg, sei besser als Polizeiaufsicht.158 Die Frage des Militärberufs war wenigstens schon aufgeworfen. Schindler war nicht über alles genau unterrichtet, wenn er auch Beethoven wieder etwas näher getreten war.

Unter allerlei Mitteilungen, deren Zusammenhang wir zum Teil nicht verstehen und von deren Widergabe wir absehen müssen, erfahren wir auch von der Untersuchung, die mit Karl vorgenommen wurde, sowie von beabsichtigten Besprechungen mit Dr. Bach und mit Reißer.


»Er hat bei der Untersuchung gesagt,« erzählt Holz, »daß er immer bei der Mutter war. – Es ist nur die Frage, an welchen Ort er indeß gebracht werden soll, wenn er geheilt ist.« Beethoven scheint sich die Bestimmung vorzubehalten. »Doch muß ich,« fährt Holz fort, »Ihren Beschluß dem Rathe anzeigen und zwar in wenigen Tagen. Wir müßten also früher doch mit Reißer sprechen.«


Von der Zukunft Karls wird gesprochen. Wir sehen, daß entscheidende Beschlüsse nicht gefaßt sind, der Gedanke, ihn in ein Handelshaus (Musikhandlung) zu tun, wird wieder erwogen. Karl war sehr einverstanden gewesen, nach Paris zu kommen. In dieser Zukunftsfrage gab schließlich Breunings Stimme den Ausschlag.

Holz teilt eine sehr verfängliche Stelle aus einem Briefe mit (an Niemetz, wie Thayer glaubte), die eine ziemlich lockere Gesinnung verrät. Da steht auch die wegwerfende Äußerung gegen den Oheim, die schon oben mitgeteilt wurde. Aus den Verhandlungen beim Gericht und den Besprechungen mit dem betreffenden Rate teilt Holz allerlei mit: daß man Beethovens edelmütiges Verfahren vollkommen würdige; daß man in die Frage, wo der junge Beethoven künftig bleiben solle, schwer eingreifen könne, da ein etwaiger Wunsch, zu seiner Mutter zu kommen, [363] immerhin dem natürlichen Triebe entsprechen werde. Den Wunsch, die Mutter zu sehen, habe er (erzählt Holz) nicht geäußert. Es könne noch lange (6 Monate) dauern, es komme auf ihn an »inwiefern er sich bekehre«. Am besten bleibe er, auch nach seiner physischen Heilung, noch im Krankenhause (nicht im Polizeihausarrest), »bis ihn der Geistliche vollends zur Erkenntniß seiner Pflichten gebracht habe.« Er habe keine andere Ursache angegeben, »als die Gefangenschaft bei Ihnen.« Beethoven möge bei ihm die Tat möglichst nicht erwähnen, wenn er ihn zur Liebe zu ihm zurückführen wolle. Es ist auch von den Prüfungen die Rede, die Karl noch nachzutragen habe, und die er, wie er sagt, schuldig bleiben müsse; »er sagt, es liege nichts daran, ob er diese Prüfungen mache oder nicht.« »Daß er seines Gegenstandes nicht mächtig war, halte ich nicht für die erste Ursache; denn er war desselben erst dann nicht mehr mächtig, als er zur Prüfung gehen sollte; es gibt frühere Beweggründe.« – – – »Die Prüfungen halte ich auch deshalb nicht für die Ursache, weil er leichtsinnig genug aus früheren Zeiten sich schon bewiesen, eher einen derben Verweis von Ihnen hierüber zu ertragen; zum Erschießen ist noch ein weiter Sprung. – Er kann sie machen.« – Daß er die Prüfung nachtragen könne, wurde auch von Reißer bestätigt, auch der Korrepetitor Klaps,159 der einmal im Konversationsbuche auftritt, erklärt es, weshalb er einzelne nicht machen zu können glaube. Der Advokat Bach gibt praktische Weisungen. »Ich würde an Ihrer Stelle keinen Antheil mehr nehmen – Es handelt sich blos um die Aufsicht über die Person. Was soll er werden. Das beste wäre, ihn auf der Stelle auf ein Contoir in Triest oder Mailand zu bringen. – Auf der Stelle – Keine Prüfung mehr – Geymüller. – Mit ihm sprechen ob er keinen Platz weiß gegen Bezahlung auf 1 Jahr. Oder Hamburg.« [»Paris, Schlesinger« fügt ein anderer, vielleicht Holz, hinzu.] »Wie wollen Sie, daß ein Mensch, der in keine Schule mehr will, wieder das Buch in die Hand nehmen soll. Man muß ihm alle Gelegenheit hier nehmen. Weg mit ihm in die praktische Welt.« Dem fügt Holz noch hinzu: »Nutzen kann es ihm nicht nur schaden.160 Er hat ganz Recht.[364] – Er sagt, wo einmal Familienzwistigkeiten sind, ist nicht anders zu helfen – Auch ist der Paß nicht so schwer zu bekommen. – Er behauptet, daß keine Art Vormundschaft bei ihm nützlich sein kann, so lange er hier bleibt.« Nicht lange nachher berichtet Holz weiter über Bachs Ansicht, wobei das oben Angeführte im wesentlichen bestätigt wird. – »Er hält [nachdem der ungünstige Einfluß seiner bisherigen Umgebungen nochmals betont ist] deshalb auch die Prüfungen für unnütz; man fragt in einem Comptoir wenig nach solchen Zeugnissen, und es ist jede Stunde Aufenthalt, die er über das Studieren verlieren müßte, ihm ein offenbarer Nachteil. – In einem Comptoir ist man nur gegen Anempfehlungen gut aufgenommen; als das polytechnische Institut noch nicht bestand, bildeten sich auch geschickte Leute für den Handelsstand. Die meisten theoretischen Regeln, die sie in solchen Instituten erlernen, sind ohnedies im praktischen Leben nicht anwendbar. – So sagte Bach. Also weg von Wien, zu Schlesinger (Paris) oder sonst wohin.« Dann erwähnt Holz jene seltsame Aussage Karls beim Verhör, die dem Sinne nach lautete: »Ich bin schlechter geworden, weil mich mein Onkel besser haben wollte.« Dabei fallen noch starke Streiflichter auf sein liederliches Leben.161

Holz berichtet dann weiter von einem Gespräche mit Breuning, der wieder den Militärstand als die geeignetste Wahl bezeichnet, welches auch, wie wir später sehen, Karls Wünschen entsprach; außerdem rät er, einen strengen Vormund zu wählen. Aus einigen späteren Äußerungen meint man die Vermutung zu entnehmen, Beethoven habe gewünscht, daß Holz die Vormundschaft übernehme; Holz scheint das aber abzuwehren. Auch Breuning wollte sie zunächst nicht übernehmen, tat es aber später. –

Karls Heilung ging langsam vonstatten; er blieb bis gegen Ende September (S. 359) im Spital. Dort besuchte ihn Holz, der darüber an Beethoven berichtet; Beethoven schreibt an ihn in liebevoller Weise, was seinem Herzen gewiß Ehre machte, bei dem jungen Mann aber nicht angebracht war.162

[365] Die Verhältnisse näherten sich jetzt ihrer Entwicklung; wir können den Abschluß mit den weiteren Mitteilungen über Beethoven verbinden. Wir haben uns bei der traurigen und unerfreulichen Angelegenheit des Neffen schon so lange aufgehalten, das es hohe Zeit wird, daß wir uns einstweilen zu Beethoven selbst zurückwenden, und nach seinen musikalischen und persönlichen Erlebnissen fragen.

In den Tagen der tiefen Erschütterung infolge des Unglückes ist natürlich von musikalischen Ereignissen wenig die Rede; auch die eigene Produktion muß, wenngleich darüber nichts verlautet, dadurch unterbrochen worden sein. Vereinzelt sprechen seine Bekannten über dergleichen Dinge; so bittet ihn Holz, für den Verleger, wie es scheint, Abschnitte der Fuge zur Bequemlichkeit »der Dilettanten« beim Einstudieren mit Buchstaben zu versehen, und erzählt ihm, daß bei Artaria das B-Dur-Quartett geübt worden sei, es habe ihm jetzt sehr gefallen; es werde eifrig korrigiert, Artaria wolle jedes Stück einzeln herausgeben.163 Auch bei Piringer werde das neueste Quartett fleißig gespielt. Ganz, sagte er, könnte er seine Zeit nicht Beethoven opfern, wegen seiner Beamtenstellung. Später ist von verschiedenem die Rede, so von dem Flageolet auf der Violine, dem sul ponticello (vielleicht veranlaßt durch das Cis-Moll-Quartett), von Klavierauszügen. Kuffner möchte Beethoven sprechen, um sich beruhigen zu lassen, daß Beethoven seine Arbeit gut aufnehme. Holz will ihm ein Rendezvous geben. Beethoven aber will, so scheint es, in diesen Tagen mit weiter ausstehenden Plänen nicht behelligt sein. –

In diese Zeit fällt auch ein Plan des uns bekannten früheren Tenoristen, damaligen Theater-Regisseurs Ehlers,164 die Ruinen von Athen in einer neuen Bearbeitung auf die Bühne zu bringen. Darüber [366] haben wir einen Brief Beethovens an Ehlers mit dem Datum des 1. August 1826, den wir, wenn er auch schon veröffentlicht ist, doch hier folgen lassen müssen.165


(Adresse.) »Seiner Wohlgeboren Herrn Ehlers Professor der Gesanglehre u. Regisseur en Generale des großherzoglichen Hof Theaters in Mannheim.


Mein werther Ehlers!


am Iten Aug.

1826.


überhäuft – kommt meine antwort auch spät – ich bin mit allem einverstanden, was Sie in rücksicht der ruinen von Athen bewerkstelligen, nur vergessen sie nicht die wahrheit, welche durch die Meißnerische166 Bearbeitung sehr gelitten hat, wiederherzustellen, die natürlich mehr im Kotzebueschen ursprüngl. Text nur zu finden ist – können Sie etwas machen daraus so billige ich alles dieß, nur sehen Sie daß alles echt ist, denn zu den Ruinen von Athen war eine andere Overture in G moll167 zu der Meisnerischen Bearbeitung für die Josephstadt wieder eine andere, welche die Schott in Maynz gestochen haben es kommt also auf den Sinn an, in welchem die neueste Bearbeitung gestaltet ist, brauchten Sie die letztere in C dur, so würde ich auf ihr schreiben deswegen, sie sogleich an Schott um diese anweisen168 – denn der Kapellmeister vom Königstädter Theater hat einen schändlichen Klavierauszug von der Overtüre inC veranstaltet. Es läßt sich vermuthen daß er auch gegen die Partitur sich versünd(igt) hat, er glaubte wahrscheinlich in Königsberg sich zu befinden, (und) in Königsberg die Kantische chritik der reinen Vernunft darin anwenden zu können.

Mit Freuden überlasse ich Ihnen den Nutzen den Sie von Ihrer Mühe aus diesem Werke ziehen können, nichts als ein kleines Geschenk als Andenken werde ich von Ihnen annehmen. Ich werde Schott schreiben daß man Ihnen auch das Opferlied einhändige, wenn Sie drum schreiben denn das ursprüngliche u. wahre Concept davon fand sich erst später. – wenn Sie mir nun bald Nachricht von dieser Sache geben wollten, wird es mich freuen – ich umarme sie


herzlich ihr Freund

Beethoven


Diesem Briefe war also ein Brief von Ehlers vorhergegangen; darauf bezieht sich vielleicht die Frage Schindlers im Konversationsbuch. Daß aber der Brief am 1. August, in den Tagen der tiefsten Erschütterung [367] infolge der Tat des Neffen, geschrieben worden sei, ist schwer glaublich;169 es dürfte ein Irrtum in der Datierung vorliegen. War es vielleicht der 1. September? Da der Plan unseres Wissens nie ausgeführt wurde, ist jedoch kein Anlaß zu besonderen Betrachtungen gegeben.

In jener Zeit ging auch die Korrespondenz mit Schott wegen des Cis-Moll-Quartetts weiter, wie wir bereits wissen (S. 316 ff.). In einem der Briefe wird auch das Ereignis mit dem Neffen erwähnt.

Eine andere Angelegenheit, die ihn in dieser Zeit und über dieselbe hinaus beschäftigte, war die Übersendung der 9. Symphonie an den König von Preußen; von Schindler wird er gerade damals an die Sache erinnert. Die Symphonie erschien in diesem Jahre bei Schott in Mainz; noch am 26. Juli (S. 316) soll Schott die Versendung noch etwas hinausschieben, da er dem Könige ein geschriebenes Exemplar senden wolle. Natürlich brachte das eine Verzögerung. Beethoven ließ durch den Gesandten Fürsten Hatzfeld anfragen, ob er die Widmung wagen dürfe, und da die Erlaubnis gegeben wurde, so wurde das abschriftliche Manuskript mit Beethovens eigenhändiger Widmung Ende September, unmittelbar vor der Abreise nach Gneixendorf, durch Vermittlung des Dr. Spicker (s.u. S. 371, 382) nach Berlin expediert.170 Folgendes Schreiben Beethovens begleitete die Sendung:171


»Euer Majestät!


Es macht ein großes Glück meines Lebens aus, daß Ew. Majestät mir gnädigst erlaubt haben, allerhöchst Ihnen gegenwärtiges Werk zueignen zu dürfen.

Ew. Majestät sind nicht bloß Vater allerhöchst Ihrer Unterthanen, sondern auch Beschützer der Künste und Wissenschaften; um wie viel mehr [368] muß mich also Ihre allergnädigste Erlaubniß erfreuen, da ich selbst so glücklich bin, mich als Bürger von Bonn, unter Ihre Unterthanen zu zählen.

Ich bitte Ew. M., dieses Werk als ein geringes Zeichen der hohen Verehrung allergnädigst anzunehmen, die ich allerhöchst Ihren Tugenden zolle.


Ew. Majestät

unterthänigst gehorsamster

Ludwig van Beethoven.«


Darauf erging – wir führen die Sache hier zu Ende – folgendes Antwortschreiben des Königs:172


»Bei dem anerkannten Werthe Ihrer Compositionen war es mir sehr angenehm das neue Werk zu erhalten welches Sie mir überreicht haben. Ich danke Ihnen für dessen Einsendung und übersende Ihnen den beigehenden Brillantring zum Zeichen meiner aufrichtigen Werthschätzung.


Berlin den 25. November 1826.

Friedrich Wilhelm.


An den Componisten Ludwig van Beethoven.«


Beethoven hatte, wie wir aus dem Konversationsbuch ersehen, einen Orden erwartet. Diesem Schreiben ist eine längere handschriftliche Anmerkung Schindlers beigefügt, aus welcher wir erfahren, daß Beethoven beim Öffnen des Etuis nicht einen Brillantring, sondern einen Ring mit einem »röthlichen« Stein fand. Er ließ ihn durch einen Hofjuwelier abschätzen; die Schätzung lautete auf 300 Gulden Papiergeld; es erschien zweifellos, daß entweder ein Irrtum oder ein Betrug vorliege. Nur mit Mühe ließ sich Beethoven, wie Schindler erzählt, davon abhalten, den Ring an den Gesandten zurückzuschicken; er verkaufte ihn schließlich für die genannte Summe an den Hofjuwelier. Hierzu müssen wir anführen, daß in den Konversationen vom Dezember 1826 (Karl) von einem Briefe an den Hofrat Wernhard die Rede ist,173 welcher Direktor der Kanzlei bei der preußischen Gesandschaft war, und welcher bereit war, den[369] Ring an Schindler abzugeben, der ihn aber ohne Empfangsbescheinigung Beethovens nicht annehmen wollte. Man erkannte also, wie es scheint, den Irrtum an; was aber weiter aus der Sache geworden ist, wissen wir nicht; den echten Ring hat Beethoven unseres Wissens niemals erhalten. Schindler schließt seine Anmerkung mit einem nicht unverständlichen Angriffe auf den später bekannt gewordenen Ruf des Wernhard. Gegenüber einer später hervorgetretenen, anekdotenhaften Verwertung dieser Angelegenheit, bei welcher K. Holz eine Hauptrolle gespielt habe, hält es Schindler doch für angezeigt am Schlusse zu erklären, daß Holz mit der Ringgeschichte vom Dezember 1826 in keine Berührung gekommen sei.174

Wegen der Verhandlungen über die Übermittelung der 9. Symphonie an den König war der Königliche Bibliothekar Dr. Spicker von Berlin nach Wien gekommen175 und nahm die Symphonie, nachdem Widmung und Verbesserungen von Beethoven eingetragen waren, selbst mit. Aus seiner Feder stammt ein Bericht über einen Besuch bei Beethoven, der in den Berliner Nachrichten vom April 1827 zu lesen war176 und der Hauptsache nach hier folgt:


»– – – Es war nicht leicht, Beethoven in Wien selbst zu sehen. Der beinahe gänzliche Verlust seines Gehörs machte, daß nur wenige, an deren Organ er gewöhnt war, sich ihm verständlich zu machen im Stande waren, und die Unbequemlichkeit, welche daraus entstand, daß alle Andern, die sich mit ihm unterhalten wollten, ihre Zuflucht zum Schreiben nehmen mußten, mochte ihm selbst es vielleicht peinlich machen, Fremde bei sich zu sehen. Auch dem Schreiber dieses, der es sehnlichst wünschte, Beethovens persönliche Bekanntschaft zu machen, hatte man wenig Hoffnung dazu gegeben. Ein Umstand erleichterte jedoch die An näherung. Beethoven hatte, wie bekannt, nach eingeholter Erlaubniß Sr. Maj. des Königs von Preußen, allerhöchstdemselben seine letzte große Symphonie mit Chören zugeeignet, und wünschte, die reine Copie der Originalpartitur mit allen seinen eigenhändigen Verbesserungen und Einschaltungen, sicher und schnell in die Hände Sr. Maj. gelangen zu lassen. Es war einige Abrede dazu nöthig, und dieß war die Veranlassung der Ankündigung eines Besuchs bey Beethoven, den er auch annahm.

Beethoven wohnte in der Vorstadt am Glacis vor dem Schottenthore, in einer freyen Gegend, wo man eine schöne Aussicht auf die Hauptstadt, mit [370] allen ihren Prachtgebäuden und der Landschaft dahinter, genoß, in freundlichen, sonnigen Zimmern. Seine Kränklichkeit machte daß er in den letzten Jahren sich häufig der Bäder bediente, und wir (ein genauer Freund des verstorbenen, Hr. T. Haslinger, und ich) sahen daher in den Vorzimmern den Apparat dazu. An dieses stieß Beethovens Wohnzimmer, in welchem in einer ziemlich genialen Unordnung Partituren, Bücher u.s.w. auf einander gehäuft waren, und in dessen Mitte ein Flügel-Pianoforte, von dem trefflichen Künstler Konrad Graf, stand. Das Möblement war einfach und das ganze Ansehsn des Zimmers so, wie man es wohl bei manchem findet, der in seinem Innern mehr auf das Regelrechte hält, als im Äußern.

Beethoven empfing uns sehr freundlich. Er war in einen einfachen grauen Morgenanzug gekleidet, der zu seinem fröhlichen jovialen Gesicht und dem kunstlos angeordnetem Haar sehr gut paßte. Nachdem wir uns über die schöne Aussicht aus den Fenstern seines Wohnzimmers gefreut, lud er uns ein, uns mit ihm an einen Tisch zu setzen, und nun begann die Conversation, die meinerseits schriftlich geführt wurde, während Hr. Haslinger, an dessen Organ Beethoven schon gewöhnt war, diesem das, was er sagen wollte, ins Ohr rief. B. sprach vor allem mit großem Enthusiasmus von unserm König, dessen Liebe zu den Künsten, und namentlich zur Tonkunst, er volle Gerechkeit widerfahren ließ, und über die ihm zugestandene Erlaubniß (welche ihm durch den verstorbenen Fürsten Hatzfeldt bekannt geworden war) dem Monarchen seine letzte Symphonie widmen zu dürfen, seine große Freude bezeigte. So gedachte er auch mit großer Rührung eines freundlichen Schreibens Ihrer Majestät der jetzt regierenden ruß. Kaiserin Alexandra, welche ihn ersucht hatte, ein Wiener Flügel Forte Piano für sie auszuwählen, und äußerte sich über die in der königlichen Familie verbreitete Liebe zur Kunst mit großer Begeisterung. Seine eignen Verhältnisse in Wien berührte er nur wenig, und schien geflissentlich der Erinnerung daran auszuweichen. Uebrigens war er ausnehmend heiter und brach über jeden Scherz, mit der Gemüthlichkeit eines Menschen, der kein Arg und zu jedermann Zutrauen hat, in Lachen aus; etwas, das dem allgemeinen Gerüchte nach, das Beethoven als sehr finster und scheu schilderte, nicht zu vermuthen war.

Sehr interessant war es, sein musikalisches Skizzenbuch zu sehen, das er, wie er uns sagte, auf Spaziergängen immer bei sich trug, um, wenn ihm irgend ein musikalischer Gedanke einfiel, ihn mit Bleistift sogleich darin anzumerken. Es war voll von einzelnen Takten von Musik, angedeuteten Figuren u.s.w. Meh rere große Bücher der Art lagen auf dem Pulte neben seinem Pianoforte, in die längere Fragmente von Musik eingeschrieben waren. – Leider machte sein sehr schweres Gehör (das auch die Veranlassung zu einer, an seinem Flügel-Pianoforte angebrachten, eigenthümlichen Vorrichtung war, eine Art von Schallbehälter, unter dem er saß, wenn er spielte, und der dazu dienen sollte, den Schall um ihn her aufzufangen und zu concentriren) daß die Unterhaltung mit ihm sehr mühselig wurde; was er indeß bei seiner ungemeinen Lebendigkeit wenig zu fühlen schien. Papier und Bleistift waren sogleich bei der Hand, als wir eintraten, und in kurzem war ein ganzer Bogen vollgeschrieben, seine Fragen zu beantworten und ihn wieder zu befragen.

[371] Unter den vielen Bildern, die man von B. hat, ist meines Erachtens das, in seinen jüngeren Jahren von Louis Letronne gezeichnete und von Riedel gestochene, das ähnlichste. In seinen Augen lag etwas ungemein Lebendiges und Glänzendes, und die Regsamkeit seines ganzen Wesens hätte wohl seinen Tod nicht als so nahe erwarten lassen sollen.


Dkt. Sp.«


Der Besuch Spickers fiel in den September. In einer Unterhaltung aus diesem Monat177 kündigt Holz Beethoven den Besuch von Tobias Haslinger mit Spicker an, den Beethoven offenbar noch nicht kennt. Eine Bemerkung Schindlers im Konversationsbuch könnte vermuten lassen, daß eine Besprechung zwischen ihnen schon etwas früher stattfand;178 doch ist hier, wo wir nur auf die Konversationsbücher angewiesen sind, jede feste Datierung unsicher. Beide Angaben lassen die Zeit nicht lange vor der Übersendung erkennen.

Soviel sehen wir – wir kehren hier zu den persönlichen Verhältnissen zurück – daß die Freunde, nicht am wenigsten Holz, ihr Absehen darauf richteten, den Meister zu zerstreuen und auf andere Gedanken zu bringen. Sie machen einen Ausflug mit Beethoven, wobei Rannersdorf, Dornbach genannt werden. Der übliche Sommerausflug, der bereits früher in Aussicht genommen war, war unter dem Eindruck der Ereignisse unterblieben, obgleich Beethoven einer Erholung sehr bedürftig war, wie auch seine Bekannten mitteilten (Karl); von Baden ist einmal wieder die Rede; doch wurde daraus nichts.

Mitten zwischen den Besprechungen über Karls Zukunft steht unerwartet im Konversationsbuch von Beethovens Hand die Bemerkung: »Ich komme nicht – dein Bruder?? etc.!!!«, von der Thayer annahm, daß sie aus einem Briefe Johanns stamme. Umgekehrt: es ist eine kurze Zuschrift Beethovens selbst an Johann, welche hier vorläufig hingeworfen wird. Sie lautet so:179


[372] »Wien

am 28ten Aug.180

1826


Ich komme nicht –


Dein Bruder ?????? !!!!

Ludwig.«


Äußere Adresse:


»An H. Johann

van Beethoven

Gutsbesitzer

in

Kneixendorf

(pr. Krems).«


Demnach hatte Johann den Bruder gerade damals, wo die Notwendigkeit einer Erholung für diesen dringend geworden war, zu sich eingeladen, was wir doch (wie sich Thayer einmal ausdrückt) unmöglich zu seinen Ungunsten auslegen können; bald nachher wiederholte er die Einladung mit besserem Erfolge. Daß Beethoven, so lange die Frage wegen des Neffen nicht geregelt war, nicht von Wien weggehen wollte, wundert uns nicht. Eine Verstimmung gegen den Bruder scheint noch vorhanden.

Die Frage wegen des Neffen hatte sich jetzt soweit geklärt, daß Beethoven, trotz grundsätzlichen Widerstrebens, mit dem Rate der Freunde, der auch dem Wunsche Karls entsprach, ihn den Militärstand ergreifen zu lassen, sich einverstanden erklärt, wenigstens sich in denselben gefunden hatte. In seine Stimmung läßt uns ein Brief aus dieser Zeit an K. Holz, der sich in Baden befand, hineinblicken:181


»am 9. Sept. 1826.


Sehr Werther!


Man sieht was bessere und reinere Luft, wie auch die Frauen wirken, denn kaum in 3 Tägen ist ihre Eisrinde schon aufgethaut, dieß merke ich an ihrem gestrigen Brief, denn der vom 7. Septbr. ist wie ein gedörrter Fisch – ich erhielt ihn erst gestern Abends, da ich mich gestern der kühlenden angenehmen Luft wegen in Nußdorf befand; ich würde auch nach Baden kommen vielleicht komme ich auch morgen; – in Ansehung der Wohnung möchte ich doch nachsehen, allein ich habe die Correktur für des Königs Majestät [be]eiligst zu beenden, C. will durchaus zum Militär, er schrieb, ich sprach ihn auch, es wäre doch besser, daß er erst in einem militärischen Institute wie Neustadt unterkäme; kommen sie mit ihrer Gesellschaft dorthin, so hätten sie nur Oberst Faber allda zu befragen: ob die Jahre hier auch so gerechnet werden? ich [373] glaube nicht, denn man bezahlt dort, u. C. kann gleich als Offizier austreten, denn länger Cadet zu sein, halte ich nicht für gut, und wollen wir, daß er so Offizier werde, so muß man die Offiziersgage ihm erfolgen, und nebstbei noch darauf legen, daß er leben könne; als Züchtling darf er doch auch nicht behandelt werden, Uebrigens bin ich gar nicht für den Militärstand! Sind sie da, so muß alles jetzt per extra Post gehen. Ich bin ermüdet und lange wird mich die Freude fliehen, die jetzo und noch künftigen schrecklichen Ausgaben müssen mir Sorgen machen; alle Hoffnungen verschwinden! ein Wesen um mich zu haben, welches ich hoffte wenigstens in meinen besseren Eigenschaften mir zu gleichen! Freuen sie sich ja recht draußen, leeren sie die Füllhörner der alles bezaubernden Natur, und Montags hoffe ich sie gewiß wieder zu sehen und zu umarmen.


Wie immer dankbar

der ihrige

Beethoven.«


Aus derselben Zeit müssen die Zeilen stammen, die Nohl N. Br. Nr. 308 mitteilt und unseres Erachtens ganz richtig als an Breuning und keineswegs an Holz gerichtet bezeichnet.182 Die Übereinstimmungen im Inhalt weisen sie in diese Zeit. Beethoven schreibt:


»Bei Karl sind glaube ich 3 Punkte zu beobachten, 1tens daß er nicht wie ein Sträfling behandelt werde, welches gerade nicht das Wünschenswerthe sondern das entgegengesetzte hervorbringen würde; 2ts um zu höheren Graden befördert zu werden, darf man doch nicht gar zu gering und unansehnlich leben; 3tens dürfte eine gar zu große Einschränkung mit Essen und Trinken ihm doch hart fallen. ich greife dir nicht vor.«


Auch folgende Zeilen, der ganzen Fassung nach sicher an Holz gerichtet sind, werden wohl in diese Zeit oder kurz nach derselben fallen.183


»Sind sie heute aus dem Reiche der Liebe nach Hause gekommen, da ich an Sie und Breuning geschrieben habe, falls nicht, so könnten Sie noch nach ihrer Kanzley mit dem Brief an Breun. zu ihm gehen – wenn Sie aber quel Resultat? ich kann nichts mehr sagen, der Copist ist da, ich hoffe sie also heut nachmittag gegen 5 zu sehen, nehmen Sie doch einen Fiaker immer, wo Sie ihn bedingen können, wie schmerzt es mich, ihnen so beschwerlich fallen zu müssen, der Himmel wird helfen! Karl hat nur noch 5 Tage zu bleiben –


eiligst ihr Freund

Beethoven m/p


[374] Die bevorstehende Abreise Karls ist die nach Gneixendorf, von der bald die Rede sein wird. Das »Reich der Liebe« ist Anspielung auf Holz' Brautstand; die Erwähnung Breunings, die Kanzlei, alles deutet auf Holz.

Derselben Zeit – ob vor oder nach dem vorigen, entscheide ich nicht – gehört der folgende Brief an Holz an:184


»Herr Verliebter!


Ich sende ihnen hier die Sinfonie, bezeichnen sie dem Ueberbringer recht das Gewölb des Haßlinger, damit sie ihm die Sinfonie zum einbinden übergiebt, ohne sich zu übergeben. Könnte ich diesen Nachmittag die Exemplare der Clementischen Clavierschule abholen lassen bei ihnen? erhalte ich eines gratis, so wird eins bezahlt, ohne gratis wird nur eins genommen und richtig bezahlt.

Carl bittet sie um Cigarro's; könnte nun alles dieses und jenes in ihren Händen sein, diesen Nachmittag, das wäre folgenreich – wenn sie dächten, wie nöthig es ist, noch einmal ins Spital zu gehen mit mir, daß dieß wenigstens übermorgen früh geschieht, denn wir können noch etwas erleben, ich glaube daß mein Herr Bruder sicher nicht kommen wird, so würden sie wenigstens ein Viertheil ihres Ichs übermorgen v. Döbling führen gegen 7 Uhr zu mir zu schaffen – nachmittags könnte es wohl nicht sein.


Hr. Verliebter

ich beuge meine Kniee vor der

Allmacht der Liebe

ihr ergebenster

B–n

memento mori.185

P. S.

Es wäre schön wenn

sie von T. den Buchbinder

erfragten, damit es auch

zweckmäßig gebunden u.

aller Schmutz hinwegeräumt

werde.

V–l–t–r


Die Erwähnung der Symphonie, welche demnächst nach Berlin abgehen sollte, weist den Brief in die spätere Zeit des September. Für das Einbinden der Symphonie hatte Tobias Haslinger sorgen wollen. Ob Karl schon aus dem Spital entlassen war (25. Sept.), wird aus dem [375] Brief nicht ganz klar (»noch einmal« deutet darauf hin;186 das konnte sich auf Geldangelegenheiten beziehen, welche auch die Konversationen erwähnen).

Über das Ergehen Karls im Spital, die Besucher in demselben (unter denen außer der Mutter auch der ominöse Niemetz auftaucht), über seine Zukunftspläne und anderes geben die Berichte in den Konversationen, durchweg von Holz, ausführliche Mitteilungen; wir müssen auf die Wiedergabe derselben verzichten. Nur eine Bemerkung von Beethoven selbst, in die Erörterungen über Karls leichtfertige Handlungen und die etwaigen Maßnahmen der Polizei und des Gerichts eingeschoben, möge noch hier stehen: »Ich wollte nur seine Besserung bezwecken, wenn er jetzt preisgegeben wird, könnte noch Schreckliches geschehen.« Diese ideale Forderung an sich selbst hat er in seinem Herzen wohl der stark an ihn herantretenden Forderung, die Hand ganz von Karl abzuziehen, entgegengestellt.

Auch von auswärtigen Besuchern hören wir; der alte Schlesinger aus Berlin kam nach Wien, Holz sprach ihn; »der Zweck seines Hierseins sind Sie.« Es kam dabei das neue F-Dur-Quartett zur Sprache, welches Beethoven bereits zu schreiben übernommen hatte, und welches Schlesinger dann verlegte. Er war gleichzeitig mit Dr. Spicker in Wien187 und kam, wie das Konversationsbuch ergibt, mit Holz zu Beethoven; da ist denn auch von anderen Werken (Oper, Oratorium, Klavierkonzert) und von der Gesamtausgabe die Rede, worauf wir hier nicht weiter eingehen. Mit Holz sprach er von der Ausdehnung des neuen F, Dur-Quartetts (s.u. S. 398). Beethoven machte er die Prachtausgabe des Oberon zum Geschenk. Auch in die Frage wegen Karl wird Schlesinger hineingezogen; er ist nicht für den Handelsstand; in Berlin würde Karl nach seiner Ansicht der Name Beethoven mehr schaden als nutzen, wegen der vielen Zerstreuungen, die ihm bevorständen.

Weiter erzählt Holz, daß Artaria die Fuge im Klavierauszug als Op. 132 als eigenes Werk herausgeben wolle. – »Den Halmschen kann er im Feuer vergulden lassen.«188 Von Militärmärschen wird gesprochen, [376] die bei Schlesinger erscheinen sollen, und wobei er dem Könige einen Geleitbrief schreiben möge; darüber können wir Näheres nicht beibringen. Später sagt Holz noch einmal: »Die Märsche werden vom Könige honoriert, nicht vom Verleger; da die ganze Sammlung eigentlich nur für die königliche Militärmusik unternommen wurde.«

Mit Bezug auf Karl machte Holz noch auf folgende beiden Punkte aufmerksam, die beim Magistrat betont werden müßten: 1. Da Breuning die Vormundschaft ablehne, so müsse ein gerichtlicher Vormund bestellt werden, und 2. nach seiner physischen Heilung dürfe Karl nicht zur Mutter gehen, sondern zu Beethoven. Werde einer dieser Punkte nicht beachtet, so sehe Beethoven sich genötigt, für sein künftiges Fortkommen mit keinem Heller mehr zu sorgen. Dann werde der Magistrat schon um so strengere Maßregeln gegen die Mutter ergreifen. Der Magistrat habe bei der Regierung darauf angetragen, erzählt Holz bald nachher, »daß über Karls künftige Bestimmung eine Commission aus dem Civil-Senat gehalten werde; doch wird alles geschehen, was Sie wünschen, da man Ihre edlen Gesinnungen zu würdigen weiß.«

In einer folgenden Unterredung im Spital, wo ihn Beethoven besucht, spricht sich Karl ganz offen aus.


»Mein jetziger Zustand ist noch von der Art, daß ich dich bitten möchte, von dem was geschehen und nicht zu ändern ist, so wenig als möglich zu erwähnen. Kann mein Wunsch rücksichtlich des Militärstandes erfüllt werden, so werde ich mich glücklich fühlen, in jedem Fall halte ich ihn für denjenigen, worin ich zufrieden leben werde. Ich bitte dich also die Mittel die du für gut hältst, anzuwenden, und vor allem zu sorgen, daß ich nach meiner Genesung so bald als möglich von hier wegkomme. – Ich bitte dich durch den Gedanken, daß ich diesen Stand aus Verzweiflung wähle, nicht von den nöthigen Anstalten abhalten zu lassen; ich bin gefaßt genug um ruhig überlegen zu können und meine Wünsche über diesen Gegenstand werden immer dieselben bleiben. – Als Cadet beim Regiment kann ich auch bald Beförderung hoffen. – Derselbe Weg, den so viele gegangen sind.«


Beethoven scheint noch immer daran zu denken, daß Karl vielleicht in Wien bleiben könne. Er notiert sich (das steht gleich nach obiger Aussprache):


»Die M–r [Mutter] nach Preßburg oder Pest verreisen«


und dann im Anschluß an eine frühere Bemerkung:


»sein leidenschaftliches Spiel muß verhütet werden, ohne dieses ist keine Besserung möglich.«


Im weiteren Verlaufe nimmt Karl auch einmal Gelegenheit, über die Mutter zu sprechen.


[377] »Ich wünsche über sie nichts zu hören, was ihr nachtheilig ist, es kommt mir auch gar nicht zu über sie urtheilen. Wenn ich die wenige Zeit, die ich noch hier bin, bei ihr zubrächte, so würde es nicht mehr als ein kleiner Ersatz für alles sein, was sie um meinetwillen gelitten hat, von nachtheiligem Einfluß auf mich würde, selbst wenn er stattfinden könnte, schon der Kürze der Zeit wegen, keine Rede sein. – In keinem Falle aber werde ich ihr kälter begegnen, als es bisher der Fall war, mag man auch davon sagen was man will. –«


Er wiederholt sein Verlangen nach dem neuen Stande, und seinen Wunsch, baldmöglichst aus Wien wegzukommen; die Mutter würde nichts hindern.


»Ich kann ihr also in diesen Tagen um so weniger den Wunsch versagen, um mich zu sein, da ich wahrscheinlich so bald nicht hierher kommen werde; es versteht sich von selbst, daß dies auch kein Hinderniß ist, daß wir uns sehen so oft du willst.«


Für uns liegt darin eigentlich ein deutliches Urteil gegen Beethoven. Mochte er der Mutter Karls noch so starke und begründete Vorwürfe zu machen haben: daß er den Sohn ihr ganz entfremden und die Zuneigung zu ihr ihm aus dem Herzen reißen wollte, müssen wir für erzieherisch falsch erklären. Und der Erfolg bestätigt das; wie er sich jetzt überzeugen mußte, war es ihm nicht gelungen, dem Sohne die Anhänglichkeit an die leibliche Mutter zu nehmen. Wir können nicht leugnen, daß wir von diesen Äußerungen des jungen Mannes, den wir bisher nur als leichtfertig kannten, einen wohltuenden Eindruck empfangen. Gegen den Oheim tritt er ohne Unbescheidenheit, offener und fester auf. Beethoven erkennt an, daß er seither liebevoll gegen ihn gewesen. Der Geistliche sagt aus, daß er sich bekehrt gezeigt habe (Holz, Konversationsbuch, der auch von einer Äußerung Karls berichtet). Vielleicht vollzog sich eine innere Umwandlung bei ihm.

Die Entscheidung über seine Zukunft erfolgte nun. Die Heilung der Wunde machte unter sorgsamer Pflege Fortschritte; seine Heilung konnte formell angezeigt werden; die Spuren derselben zu verdecken, wurde Veranstaltung getroffen. Breuning sprach mit dem Feldmarschall-Lieutenant von Stutterheim, daß er in dessen Regiment (Erzherzog Ludwig), welches in Iglau lag,189 aufgenommen werde. Dann aber, was [378] wichtig war: Breuning erklärte sich jetzt bereit, die Mitvormundschaft zu übernehmen, welche Reißer niedergelegt hatte. Am 25. September (einem Montag) wurde er, wie wir aus dem oben mitgeteilten Dokumente (S. 359) wissen, aus dem Spital als geheilt entlassen; er wurde von der Polizei abgeholt und Breuning zur Disposition übergeben.190 Holz schreibt: »Am Dienstag ist Commission mit Breuning, wegen der Vormundschaft, wenn diese Breuning annimmt, so wird er erst aus dem Spital entlassen und ihm übergeben; früher darf es nicht geschehen. – Sagen Sie dieß dem B. morgen früh. – Es kommt nur die wenigen Tage, als K. hier ist.« Nach einigen Bemerkungen über Karls vorläufigen Aufenthalt sagt Breuning: »So bald er los ist, gehe ich mit ihm zum Feldmlt. Stutterheim, lasse ihn den anderen Tag assentiren und in 5 bis 6 Tagen kann er assentirt sein und abreisen. – Lasse Du mich nur machen.«

In dieser Zeit war auch Bruder Johann in Wien, und da Beethoven einer Erholung bedurfte, auch für Karl bis zu seiner Einstellung ein Aufenthalt gesucht wurde, so erfolgte jetzt nochmals die Einladung, aufs Gut zu kommen. Diesmal wurde sie angenommen. Auch der schärfste Gegner Johanns wird ihm hier keinen Vorwurf machen können.

Wie zu erwarten, wurde Johann bald auch mit der Lage der Verhältnisse für Karl bekannt. »Der Hofrath sagt mir,« schreibt Johann, »er wird gleich assentirt und kommt nach Iglau zum Regiment. Hierher kommt er nicht sondern kommt gleich ins Militärhaus. – – Du sollst gleich alles zusammenpacken was du auf die kurze Zeit brauchst bei mir, denn morgen um 5 Uhr früh muß ich fort, weil noch so viel zu thun ist auf den Feldern – die Wäsche kannst du seiner Mutter schicken.«

Breuning hatte, wie er im Konversationsbuch erzählt, noch einmal eine lange Unterredung mit Karl, worin er ihm, wohl im Sinne Beethovens, alles Mißliche beim Militärstande noch einmal vorhält; Karl aber bleibt fest und erklärt, sein Glück nur in diesem Stande finden zu können.191

[379] Es handelte sich also nur noch um den Tag der Vorführung und Abreise. Wir setzen noch ein paar Worte Breunings hierher.


»Er will dich nicht sehen. – Beim Magistrat habe ich die Vormundschaft übernommen, und er wurde hierauf mir zur Disposition übergeben. – Ich mußte sonach in das Polizeihaus gehen zum Magistrats RathCzapka. Dieser zeugte mir, daß er nur deshalb abgeholt worden ist, weil das Spital die Heilung angezeigt und die Besorgniß einer Entweichung angegeben hatte. – Er kann ihn also nicht dahin zurückschicken, will ihn mir aber jeden Augenblick übergeben. – Wohin also mit ihm bis zur Abschickung? – Das Beste wäre, wenn man machen könnte, daß das Spital ihn wieder nähme bis zur Absendung. – Mit Stutterheim, der selbst zu mir kam, habe ich nochmals gesprochen, und wenn er ihm vorgeführt werden kann, wird alles in 6 Tagen geordnet seyn. – Mit zum 6. 8ber ist ja, soviel ich weiß, bereits bezahlt. – Ich kann ihn erst am Donnerstag192 zu Stutterheim führen, jedoch muß er schon mit seinen Haaren zum Ausgehen geeignet seyn.193 – Ich fürchte, wenn er hier ist, daß Du zu viel mit ihm redest, was neue Aufreizung verursacht. – Denn er hat beim Polizei Gericht ausgesagt, daß Du ihn zu viel sekirt habest, was ihn zu dem Schritt veranlaßt habe. – Laß ihn also durch Holz hierher hohlen; am Freytag werde ich ihn also zum Feldmlt. Stutterheim führen, in 6 Tagen ist er equipirt und in 8 Tagen geht er fort. – Im Spital sind viel Anstände ob sie ihn wieder nehmen. Läuft er jetzt hier davon, so läuft er auch auf der Reise zum Regt. davon. Referent Czapka hat eigends gesagt, daß er mit der Mutter nicht spreche. – Sie haben durchaus keinen Platz, es sind aber nun Schuldner. –«


An den hier genannten Magistratsrat von Czapka, mit dem Breuning zu verhandeln hatte, sind zwei Briefe Beethovens aus diesen Tagen vorhanden, die, wenn auch schon veröffentlicht, doch hier nicht fehlen dürfen, da sie uns einen Einblick in die Fragen dieser Tage und in Beethovens Stimmung eröffnen.194


»An seine Wohlgeboren Hr. Magistratsrath v. Czapka.


Euer Wohlgebohrn!


Ich ersuche Sie dringend anzuordnen, daß da mein: Neffe in wenigen Tagen genesen sein wird, er mit niemandem als mir u. H. v. Holz sich vom Spital entfernen darf – man kann es unmöglich zugeben, daß er Seiner Mutter dieser höchst verdorbenen Person sehr nahe sey, ihr so sehr schlechter [380] und ihr boßhafter tückischer Karakter, ja die Verführung Karls mir Geld abzulocken, die Wahrscheinlichkeit daß sie mit ihm Summen getheilt habe, und ebenfalls mit Karls liederlichem Theilnehmer vertraut war, das Aufsehen, welches sie mit ihrer Tochter, wozu man den Vater sucht, erregt, ja gar die Vermuthung, daß er bei der M–r mit nichts weniger als tugendhaften Frauenzimmern bekanntschaft machen würde, rechtfertigen meine Besorgniß und meine Bitte, die Gewohnheit schon um eine solche Person zu sejn, kann einen jungen Menschen unmöglich zur Tugend führen. – indem ich ihnen diese Angelegenheit an das Hertz lege, empfehle ich mich ihnen bestens, u. bemerke nur noch, daß es mich sehr, obschon bey einer sehr schmertzhaften Gelegenheit, erfreute, die Bekanntschaft eines Mannes von so ausgezeichneten Geistes-Eigenschaften gemacht zu haben.

Euer Wohlgebohrn mit wahrer Hochachtung verharrender


Beethoven m/p.«195


»Für Seine Wohlgebohrn Hrn. Magistratsrath v. Zzapka.


Euer Wohlgebohrn!


Herr Hofrath von Breuning und ich haben genau überlegt was zu thun sey, u. fanden doch immer, daß in diesem Augenblick nichts anders geschehen könne, als daß Karl einige Tage (gegen seine Entfernung von hier zum Militär) bey mir zubringen muß. Seine Reden sind noch Aufwallungen von dem Eindruck, welchen meine Zurechtweisungen auf ihn gemacht, da er schon im Begriff stand, seinem Leben ein Ende zu machen, allein er zeigte sich auch nach dieser Periode liebevoll gegen mich; seyn Sie überzeugt, daß mir die Mensch heit auch in ihrem Falle immer heilig bleibt, eine Ermahnung von ihnen würde gute Wirkung hervorbringen, auch dürfte es nicht schaden, ihn merken zu lassen, daß er ungesehen bewacht werde, während er bey mir ist. –

Genehmigen Sie meine sehr hohe Achtung für sie, u. betrachten sie mich als liebenden Menschenfreund, der nur Gutes will, wo es möglich ist. –


ihr Ergebenster

Beethoven m. p


Bruder Johann ist wieder da, will helfen und wiederholt die Aufforderung, zu ihm zu kommen. Er ist damit sehr eilig: »Übermorgen früh 5 Uhr müssen wir fortfahren, denn sonst geht meine ganze Wirtschaft zu Grunde.« Und etwas später: »Denk du, daß wir schon Übermorgen früh 5 Uhr fort müssen. – Das thust du binnen 8 Tagen wenn du wiederkommst, indem der Karl nicht länger bleiben kann.«196 Solange [381] das Wetter noch schön sei, meinte auch Karl, solle man reisen, da die Zeit schon vorgerückt sei. Auch waren noch mehrere Briefe zu schreiben, u.a. die Übersendung der 9. Symphonie nach Berlin zu bewerkstelligen. Da schreibt Karl:


»Morgen früh, sagt der Bruder, soll die Symphonie zu Haßlinger geschickt werden, und ein Billet dazu; und im Nothfalle wird er selbst hingehen. Jetzt, schrei ben wir die nöthigen Briefe, damit wir morgen fertig sind; denn der Bruder will durchaus nicht mehr warten, als bis morgen früh. – An Haßlinger könnte jetzt geschrieben werden, statt selbst hinzugehen.«


Und dann wieder Johann:


»Um 9 Uhr früh werde ich mit dem Wagen kommen, damit du bis dahin Zeit hast den Brief an den König zu machen, daß ich ein Unterthan Ew. Majestät bin.«


Also der uns bereits bekannte Brief.197

Noch einen Brief an Schott in Mainz,198 haben wir aus diesen Tagen, dessen Datum (29. September) uns einige Schwierigkeit macht.


»Wien am 29ten September 1826.


Im Begriffe mich aufs Land zu begeben, melde Ich Ihnen eiligst, daß Sie nächstens die Metronomisirung der Symphonie erhalten werden.199

Das Quartett aus Cis moll werden Sie hoffentlich schon haben, erschrecken Sie nicht über die 4 Kreuze. Das Werk wird hier in Kurzem zum Vortheil eines Künstlers gegeben werden.200

Schließlich muß ich Sie bitten, das Nöthige wegen der Herausgabe meiner sämmtlichen Werke zu beschleunigen; ich kann es Ihnen nicht verhehlen, daß wenn ich nicht so fest auf meine Versprechungen hiel te, Sie durch Vorschläge welche mir über diesen Punct von andern Verlegern geschehen sind, leicht in Nachtheil kommen könnten.

In der Hoffnung hierüber recht bald von Ihnen zu hören


Ihr ergebener

Beethoven.


P. S. Noch muß ich bemerken, daß im 2ten Stück der Symphonie nach dem letzten Tacte das Maggiore


3. Kapitel. Das Jahr 1826 bis zum Dezember

das D. S. vergessen ist.«


[382] Das Datum stimmt offenbar nicht zu dem Datum des Briefes an Haslinger. Wir lassen zuerst noch die anderen Angaben über die Abreise folgen. Das Konversationsbuch ist hier stellenweise etwas spärlich; einzelnes scheint während der Fahrt geschrieben.

Zunächst ersehen wir, daß die Reise nicht in einem Zuge gemacht, sondern durch eine auswärts zugebrachte Nacht unterbrochen wurde. Karl schreibt: »Heute wird bloß bis Stockerau201 gefahren, wo ein treffliches Wirthshaus ist.« Am zweiten Tage fahren sie früh weg, frühstücken in Kirchberg und kom men im Laufe des Tages an den Bestimmungsort. Auf der Fahrt wird auch von dem Unterhaltungsbuche Gebrauch gemacht.202 Karl macht auf einzelnes bei dem Gute aufmerksam. Bei der Ankunft fürchten sie erst spät Essen zu bekommen, weil man sie noch nicht erwartet. Der Bruder muß noch aufs Feld gehen, fragt aber Beethoven nach seinen Wünschen.


»Willst Du mit zum Bruder aufs Feld? wenn du nicht zu müde bist,« fragt Karl. »Wann du willst, gewöhnlich um 1/28 bis 8 Uhr,« sagt Johann, wohl auf das Frühstück bezüglich. »Um wie viel Uhr brauchst du das warme Wasser?«


Eine Weile nachher schreibt Karl unvermittelt, »heute ist der 30. September.« Da es nun gleich darauf heißt, daß Johann wieder aufs Feld gehen will und Beethoven nachkommen soll, »wo wir mit ihm gestern vor Tisch waren«, und da weiter von Aufstehen und Frühstücken die Rede ist – die weitere Unterhaltung war an demselben: 30sten203, – so ist klar, daß dies der Tag nach der Ankunft ist, daß sie schon eine Nacht auf dem Gute zugebracht hatten. Eine solche Datumsangabe, wie wir sie von Karls Hand lesen, deutet auch darauf hin, daß ein neuer Tag angebrochen war.

[383] Wir dürfen also aus dem vorher Mitgeteilten entnehmen, daß die Ankunft auf dem Gute den Tag vor dem 30., also den 29. September stattfand, somit die Abreise von Wien am 28. erfolgte.204 Das vereinigt sich auch mit dem früher erwähnten Briefe an Haslinger (S. 368, 2, Nohl N. Br. Nr. 309), worin es heißt, »ich geh morgen von hier;« der Brief kam am 27. an Haslinger; der Brief an Schott (S. 382), der vom 29. datiert war, in Widerspruch mit dem eben erwähnten und mit unsern andern Angaben, muß also unrichtig datiert sein, er war am 28. geschrieben. Weiter können wir hier nicht gehen; wir werden dankbar sein, wenn uns jemand diese Widersprüche anderweitig lösen kann.


Beethoven in Gneixendorf.

Johann scheint dem Bruder mit Befriedigung Gut und Gegend zu zeigen, wobei Karl assistiert. Es ist von Spaziergängen die Rede.205


»Er wird dir Nachmittags seinen Gebirgsweingarten zeigen, der in einer sehr schönen Gegend liegt,« sagt Karl. »Jetzt gehen wir auf unsere fernsten Acker,« (Johann) und Karl: »Nachmittags wird nach Imbach gegangen, welches in einer sehr schönen Gegend liegt; auch sollten dort einige historische Denkmäler zu sehen seyn. – – – Dies ist das Kloster wo Margarethe, Ottocars Gemahlin, starb; die Scene kommt auch in Grillparzers Stück vor. – Wir werden uns hier setzen und etwas trinken, dann nach Haus zurück.«


Und bald darauf, wie es scheint am folgenden Tage:


Heut ist der 2te October. – Gleich wirds nicht seyn können, sie sind mit dem Frühstück beschäftigt. – Er hat schon 1/2 Stunde auf dich gewartet. Er sagt, alle arbeiten den ganzen Tag. – Jetzt müssen gleich die Briefe geschrieben werden; bald kommt der Bothe.


Die Utensilien, deren er benötigt war, werden ihm, wie wir sehen, aus Krems beschafft. »Das berühmte Stift Helwein [Göttweih?], er wird dich hinführen« sagt Karl noch. Von Verstimmungen mit dem Bruder erfährt man noch nichts. –

[384] Im Sommer 1860 besuchte A.W. Thayer diese durch Beethovens Aufenthalt denkwürdig gewordenen Gegenden; aus seinen englischen Aufzeichnungen setze ich das Wichtigste hierher. Ich gebe es, wie ich es bei Thayer finde, mit den nötigen Weglassungen.


»Die kleine Stadt Krems mit dem benachbarten Stein liegt an der Donau etwa 35 Meilen von Wien. – Ein Weg von einer Stunde gerade seitwärts von dem Flusse bringt uns zu dem kleinen Dorfe Gneixendorf auf der Hochebene welche sich weit und breit ausdehnt, kahl, ohne Bäume, aber bedeckt mit Feldern und Weingärten. Der Ort ist beinahe, wenn nicht ganz auf eine einzige Straße beschränkt, holperig und schmutzig, die niedrigen Hütten weit geringfügiger als die in den Dörfern bei Wien. Gerade jenseits des Dorfes liegt das Besitztum, welches ehemals Johann van Beethoven gehörte. Als er es inne hatte, waren die zwei Häuser, beide hübsch, groß und ansehnlich, in das Besitztum einbegriffen; jetzt freilich nicht mehr, wie mir der Mann sagte, der mich herumführte. Jedes hat seinen Garten, von einer Mauer umgeben; eine Straße führte zwischen beiden durch. Das Haupthaus, in welchem Johann van Beethoven wohnte, ist was wir in Amerika ein großes zweistöckiges Haus mit einem tiefen Erdgeschoß nennen würden. Es liegt beinahe von Osten nach Westen gerichtet. Die Ostseite liegt nach dem Garten, jetzt traurig vernachlässigt und so mit Bäumen bewachsen, daß er keinen Ausblick aus den Fenstern gestattet. Natürlich ist alles solider Stein, oder Ziegel, mit Mörtel beworfen. Der Haupteingang ist an der Westseite, welche auf die Außengebäude, Ställe, Wirthschaftsgebäude usw. hinsieht. An dieser Seite befindet sich eine Art Turm, der gerade über den Kellern sich erhebt, und aus der Entfernung dem Anblick etwas würdiges gibt. Zu Beethovens Zeit lief die Treppe in der Mitte des Hauses.«


Thayer versucht hier aus der Erinnerung einen Plan des Hauses zu geben, den er aber selbst mit Zweifel begleitet. Die von Beethoven benutzten Zimmer hätten an der Ostseite gelegen.206


»Wären damals nicht Bäume und eine hohe Mauer dort gewesen, dann hätte Beethoven eine herrliche weite Aussicht über das Donautal zu den steiermärkischen Bergen gehabt. Die Spaziergänge rings umher sind nur insofern von Interesse, als sie diese Aussichten auf bestimmte Gegenstände in der Entfernung zeigen; wir befinden uns unterhalb des Hochlandes der Donau. Jenseits des Flusses ist das großartige Kloster Göttweih, von großer Ausdehnung, auf dem Gipfel eines Hügels, 700 Fuß hoch, ein glänzendes Aussichtsbild.

Das Gut hieß ›Wasserhof‹ (Luib). Johann van Beethoven verpachtete den größten Teil desselben. Wie mir der Mann es schätzte, war es etwa 280 Joch groß, nicht viel unter 400 Morgen. Der Weg dahin von Krems führt größtenteils an einem engen Abgrunde vorbei, etwa 40–50 Fuß tief, welchen das Wasser in dem tiefen Lehm ausgewaschen hat.

[385] Dieses Besitztum, ohne Hügel oder Wälder näher als das Tal des Krems-Flusses, war kein Aufenthalt für Beethoven.«207


Gerh. von Breuning (Schwarzspanierhaus S. 81) äußert sich bei Erzählung dieser Reise in sehr wegwerfender Weise über den Bruder Johann. Er habe Beethoven ein schlechtes, zum Bewohnen in der naßkalten Novemberzeit nur wenig geeignetes Gemach angewiesen, mit der Heizung gekargt, auch diese ganz verweigert, elendes, unzulängliches Essen gegeben, nach drei Tagen Aufenthalt ihm angekündigt, daß er ihm für seinen Aufenthalt Kost- und Wohnungsgeld zu zahlen habe, worüber Ludwig in einem Briefe aus Gneixendorf an Breunings Vater sich schwer beklagt habe, da er doch eine brüderlich liebevolle Behandlung erwartet hätte. Dazu gesellte sich noch die anwidernde Gemeinschaft mit Johanns Frau und Ziehtochter. Diese leidigen Zustände hätten einen sehr nachteiligen Einfluß auf Beethovens angegriffenen Körper gehabt. Seine Briefe an Breunings Vater hätten Kunde gegeben von dieser schlechten Behandlung.

Diese Briefe sind nun nicht mitgeteilt; sie würden, wenn wir sie hätten, an unserer Ansicht wohl wenig ändern. So hoch wir Gerhards wertvolle Mitteilungen schätzen – sie sind in der Tat der wichtigste Beitrag für Beethovens letzte Lebenszeit – so müssen wir es doch bedauern, daß er solchen Übertreibungen Worte leiht. Wie wir aus dem Konversationsbuche wissen, war Beethovens Aufnahme auf dem Gute keineswegs eine unfreundliche; für alle seine Bedürfnisse, auch für seine Gesundheit wurde ganz gut gesorgt. Johann konnte natürlich nicht immer um ihn sein, da ihn seine Gutswirtschaft in Anspruch nahm, war aber darauf bedacht, ihm das Gut und die Gegend zu zeigen. Was die Klage über mangelhafte Heizung betrifft – Breuning bezieht sie auf die naßkalte »November«-Zeit – so führen wir hier nur noch die Worte Karls aus dem Konversationsbuche an, aus der Zeit, da schon von der Abreise gesprochen wurde, die Karl hinausschieben möchte: »Was die Kosten betrifft, so ist bei der Wohlfeilheit des Holzes gar nicht zu denken, daß der Bruder besondere Auslagen hat, denn mit 1 Klafter läßt sich lang heizen und bezahlt ist er überflüssig.« – Das deutet auf eine Zeit, da Beethoven schon an den Kosten beteiligt war, und macht es unwahrscheinlich, daß Johann es war, der mit der Heizung kargte. Auch werden wir die Angabe, daß ihm der Bruder Kost- und Wohnungsgeld abverlangte, bei [386] Betrachtung des Näheren etwas anders ansehen. Es war, wie wir wissen, anfangs nur auf einen Aufenthalt von 8 Tagen abgesehen; der Neffe sollte Stutterheim erst vorgeführt werden, wenn die Spuren seiner Wunde tunlichst verschwunden seien. Da sich der Aufenthalt dann aber auf viele Wochen ausdehnte, so können wir es kaum auffallend finden, wenn der Bruder, der selbst in Schwierigkeiten lebte, für die Kosten entschädigt sein wollte. Hätte er die Gesinnungen eines innerlich liebevollen, herzlich beanlagten Bruders besessen – wir wollen hier nichts beschönigen, wir wissen, daß er ungebildet und egoistisch war – dann hätte er wohl den Bruder auch ohne dies auf unbestimmte Zeit beherbergt; daraus aber, daß er dies nicht wollte, können wir nicht gleich eine vollendete Schlechtigkeit und Herzlosigkeit folgern. »Du brauchst hier kein Geld,« sagt Johann einmal im Konversationsbuch; und weiter: »Wenn du willst bei uns leben, so kannst du alles monatlich für 40 C/M, das macht das ganze Jahr 500 f. C/M,« und wiederum später: »Da brauchst du nicht die Hälfte deiner Pension.« Bei solchen Äußerungen ist offenbar ein länger dauernder, vielleicht immerwährender Aufenthalt ins Auge gefaßt, und sie können für das, was hier behauptet wird, nicht als Beweis benutzt werden. An anderer Stelle sagt er: »8 Monat kannst du immer hier sein, von Monat März bis November, du brauchst dann auch kein so großes Quartier, und im Frühjahr und Sommer ist es viel schöner hier.« – »So rechne ich für die 1ten 14 Tage nichts, ich würde mehr thun, wenn ich nicht so gedrängt wäre von Steuern.« So scheinen die Folgerungen, die man aus dieser Geldforderung ziehen will, in nichts zu zerfallen.208

Zu erinnern bleibt noch, daß Beethoven noch als Kranker nach Gneixendorf kam, wie auch die Konversationen erkennen lassen; seine Krankheitszustände (wir kennen sie) hatten ihn im Laufe des Jahres nicht verlassen; sie waren gewiß nach den Ereignissen der letzten Monate gesteigert; von Todesahnungen war er nicht frei. Diese Zustände nahmen in der ersten Zeit des Gneixendorfer Aufenthaltes zu; in dem Briefe an Wegeler vom 7. Oktober nennt er sich »bettlägerig«. Breuning sagte nach Empfang eines Briefes von ihm, Beethoven sei in Gefahr sehr krank, wo nicht gar wassersüchtig zu werden. (Gerh. v. Breuning S. 84, der den Brief einen »früheren« nennt.) Das erklärt auch außer dem dauernden [387] Leiden, der Taubheit, eine gesteigerte Empfindlichkeit und Reizbarkeit, die auch in einer Zeit, da auch die näheren Bekannten und die häusliche Bequemlichkeit fehlten, in seine Briefe überfließen mochte.

Das Beethoven ein unbequemer Gast war, können wir bei seinen Eigenheiten uns denken; daß er ungern mit der Schwägerin verkehrte und auch dem Bruder nicht herzlich näher stand, wissen wir. Daraus erklären sich manche Vorfälle auf dem Gute. Wir besitzen einen Aufsatz von Dr. B. über »Beethoven in Gneixendorf«,209 welcher unter Thayers Mitwirkung entstanden ist und auf Beethovens Leben und Stimmung daselbst ein erwünschtes Licht wirft und aus welchem die Hauptsachen auch hier nicht fehlen können.


»Johann van Beethoven,« heißt es dort, »ging eines Tages in Begleitung seines Bruders Ludwig und noch mehrerer Personen von Gneixendorf nach Langenfeld, um den dortigen Chirurgus Karrer, der im Beethovenschen Hause gern gesehen ward, zu besuchen, traf ihn aber nicht, da er eben zu einem Kranken gerufen worden. Frau Karrer fühlte sich durch den Besuch des gnädigen Herrn Gutsbesitzers äußerst geschmeichelt, und tischte reichlich auf, was nur immer zu haben war; da fiel ihr Blick auf eine Mannsperson, die sich bescheiden und schweigend auf der Ofenbank niedergelassen hatte. In ihm einen Bedienten vermuthend füllte sie ein irdenes Krügel mit Heurigem, und reichte es dem Tonsetzer freundlich mit den Worten: ›Nu, da hat er auch einen Trunk!‹ Als der Chirurg Karrer spät Abends nach Hause kam, ahnte er sogleich aus der Beschreibung dessen, der hinter dem Ofen gesessen, den wahren Charakter desselben, und rief aus: Liebes Weib, was hast du gethan, der größte Tonsetzer des Jahrhunderts war heute in unserm Hause und du hast ihn so sehr mißachtet.«


Eine ähnliche Geschichte zeigt ebenso das apathische, äußerlich unbeholfene Wesen des tauben Meisters, der auf seinen äußeren Eindruck auf andere nichts gab, aber doch gegen den Bruder gutmütig war.


»Johann van Beethoven hatte zufällig bei dem Syndikus Sterz in Langenlois Geschäfte abzumachen. Ludwig begleitete ihn dahin. Während der ziemlich langen Verhandlungen blieb Ludwig regungs- und theilnahmslos an der Thür der Amtskanzlei stehen. Beim Abschied machte Sterz gegen ihn viele Bücklinge, und frug dann den Kanzellisten Fux, einen Enthusiasten [388] für Musik, und namentlich für Beethovensche Musik: ›Wer, denken Sie wohl, mag der Mann gewesen sein, der dort bei der Thür gestanden?‹210 Fux erwiderte: ›Da ihm der Herr Syndikus so viele Complimente gemacht, mag es wohl mit ihm ein eigenes Bewandtniß haben, sonsten aber hätte ich ihn für einen Trottel (blödsinnigen Menschen) halten müssen.‹ Fux erschrak nicht wenig, als ihm sein Chef den Namen des Mannes nannte, den er für einen Idioten gehalten.«


Dem Meister war schon von Anfang eine besondere Bedienung in Aussicht gestellt worden. Diese erhielt er in der Person eines jungen Burschen Michael Krenn, des Sohnes eines bei Johann bediensteten »Weinzirls« gleichen Namens. Die Erzählungen des letzteren hat Dr. B. aufbewahrt; sie sind von besonderem Interesse.


»Ludwig van Beethoven,« erzählt B. nach Krenn, »war nur einmal, und zwar im Jahr 1826, etwa durch 3 Monate, vom Schnitt bis nach der Lese (das war also in den Monaten August, September, October)211 in Gneixendorf. Michel Krenn wurde von der Frau Gutsbesitzerin zur Bedienung des Compositeurs aufgenommen. In der ersten Zeit aber hatte die Köchin täglich das Bett Beethovens zu machen. Letzterer saß einmal bei seinem Tisch, agirte mit den Händen, gab mit den Füßen den Takt, und sang oder brummte dazu. Die Köchin lachte darüber; als Beethoven sich zufällig umsehend, sie so lachen gewahrte, jagte er sie ohne Weiteres zum Zimmer hinaus. M. wollte mit ihr davon laufen; Beethoven aber zog ihn zurück, schenkte ihm drei Zwanziger und sagte ihm, er solle sich nicht fürchten, und er müsse ihm nun täglich das Bett machen und das Zimmer zusammenräumen. M. mußte immer zeitlich früh hinauskommen, aber meistens lange klopfen, bis Beethoven ihm aufmachte. Um 1/26 Uhr pflegte Letzterer aufzustehen, zu seinem Tisch sich zu setzen, mit Händen und Füßen den Takt zu schlagen, und sin gend und brummend zu schreiben. Anfangs schlich M., wenn ihm das Lachen darüber kam, zur Thür hinaus, allmälig aber gewöhnte er sich daran. Um 1/28 Uhr war gemeinsames Frühstück; nach demselben eilte Beethoven stets ins Freie, schlenderte auf den Feldern herum, schrie, agirte mit den Händen, ging einmal sehr langsam, dann wieder sehr schnell, oder blieb plötzlich stehen und schrieb in eine Art Taschenbuch. Einmal bemerkte er, als er nach Hause gekommen, daß er dasselbe verloren. M., sagte er, laufe und suche nach meinen Schriften, ich muß sie um jeden Preis wieder haben; sie fanden sich auch wirklich. Um 1/21 Uhr pflegte er nach Hause zum Essen zu kommen, nach Tisch ging er in sein Zimmer, ungefähr bis 3 Uhr, dann lief er wieder auf den Feldern herum bis vor Sonnenuntergang, denn nach demselben pflegte er nie mehr auszugehen. Um 1/28 Uhr war Nachtmahl, dann verfügte er sich in sein Zimmer, schrieb bis 10 Uhr, und legte sich dann zu Bett; zuweilen [389] spielte Beethoven auch Clavier, doch stand dasselbe nicht in seinem Zimmer, sondern im Saale. Beethovens Wohn- und Schlafzimmer, das außer Michael Niemand betreten durfte, war das Eckzimmer gegen den Garten und Hof, wo gegenwärtig das Billard sich befindet.

Während der Zeit, daß Beethoven Morgens spazieren ging, mußte M. das Zimmer aufräumen. Da fand er mehreremale Geld auf der Erde liegen, als er es Beethoven zurückgab, fragte ihn dieser, wo er es gefunden habe. M. mußte ihm nun den Platz zeigen, wo er es aufgelesen, worauf es ihm dieser zum Geschenk machte. Dies geschah so drei- bis viermal, dann aber fand M. kein Geld mehr. Abends mußte M. immer neben Beethoven sitzen, und ihm die Antwort auf die Frage, die dieser an ihn gestellt, aufschreiben. Meistens wurde er darüber ausgeforscht, was beim Mittags- und Abendtisch über ihn gesprochen wurde.

Eines Tages schickte die Frau des Gutsbesitzers M. mit 5 fl. nach Stein, um daselbst Wein und einen Fisch zu kaufen. M. war unachtsam, verlor das Geld und kam nach 12 Uhr ganz bestürzt nach Gneixendorf zurück. Die Gutsbesitzerin fragte ihn allsogleich, wo der Fisch sei, und jagte ihn, als er ihr den Verlust des Geldes anzeigte, alsogleich davon. Beethoven fragte, als er zu Tisch kam, alsogleich nach seinem M.; die Gutsbesitzerin erzählte ihm den Vorfall. Da ward Beethoven furchtbar aufgeregt, gab der Gutsbesitzerin die 5 fl. und bestand voll Zorn darauf, daß M. augenblicklich zurückkomme. Von dieser Zeit an ging er nicht mehr zu Tisch, sondern ließ sich das Essen auf sein Zimmer bringen, wo ihm M. auch das Frühstück bereiten mußte. Ueberhaupt hat nach der Aussage des Letzteren Beethoven auch schon vor diesem Auftritt mit seiner Schwägerin fast nie, und auch mit seinem Bruder nur sehr wenig gesprochen. Noch erwähnte M., daß Beethoven ihn nach Wien mitnehmen wollte, was aber nach Ankunft einer Köchin,212 die, um Beethoven abzuholen, eintraf, wieder unterblieb.«


Wir halten einen Augenblick inne. Was mag nun wohl die Hauptursache von Verdruß und Verstimmung gewesen sein? Die Frau sorgte für ihn, wie sie es konnte; sie hatte den Bedienten für ihn angenommen. Beethoven läßt von seinen Gewohnheiten nicht ab (was wir ihm nicht verdenken), greift aber in die Hausordnung in einer Weise ein, wie es sonst Gäste, die zum Besuche weilen, nicht zu tun pflegen. Wo, bei wem ist also wohl der Grund der Verstimmungen zu suchen?

Noch ein paar andere kleine Mitteilungen machtDr. B.


»Zwei ältere Bauern, die von dem gegenwärtigen Herrn Gutsbesitzer ebenfalls vernommen wurden, bestätigen die Aussagen des Michael Krenn über Beethovens wunderliches Treiben auf den Feldern Gneixendorfs. Sie hielten ihn daher auch anfangs für verrückt, und gingen ihm aus dem Wege; später gewöhnten sie sich daran, und pflegten ihn, als sie erfuhren, er sei der[390] Bruder des Gutsbesitzers, auch höflich zu grüßen, was aber Beethoven, stets in Gedanken verloren, selten oder nie erwiderte.

Der eine dieser Bauern hatte auch, damals noch ein junger Mensch, ein kleines Abenteuer mit Beethoven zu bestehen. Er fuhr, wie er erzählt, gerade mit zwei jungen, noch wenig an den Zug gewöhnten Ochsen vom Ziegelofen gegen das Schloß zu. Da kam ihm Beethoven schreiend und mit den Händen herumschlagend und heftig gestikulirend entgegen. Der Bauer rief Beethoven zu: ›A bissel stada!‹ (ein bischen stiller), worauf aber dieser keine Rücksicht nahm. Da wurden die Ochsen scheu und liefen über ein Gestätte (steilen Abhang) hinaus. Der Bauer brachte sie mit Mühe zum Stehen, kehrte sie um, und lenkte sie den Abhang auf die Straße herab. Da kam Beethoven wieder vom Zie gelofen ebenfalls singend und mit den Händen agirend. Der Bauer rief ihm abermals zu, und wieder umsonst, und nun rannten dessen Ochsen mit erhobenen Schwänzen gegen das Schloß zu, wo einer der Schloßbewohner sie aufhielt. Als der Bauer endlich auch hinkam, und frug: Wer ist denn der Narr, der meine Ochsen scheu gemacht hat? sagte ihm der, der sie aufgefangen, es sei der Bruder des Gutsbesitzers. Der Bauer erwiderte: ›Das ist mir ein sauberer Bruder!‹«


Jedenfalls war Beethoven – um zu unserm Ausgangspunkt zurückzukehren – in der ersten Zeit des Gneixendorfer Aufenthaltes ganz guter Dinge, was wir sowohl aus Briefen entnehmen, soweit sie uns bekannt sind, als aus dem Umstande, daß er wieder zum Komponieren aufgelegt war. Er fand auch jetzt endlich Zeit, den längst erhaltenen Brief des alten Freundes Wegeler213 zu beantworten. Beethovens Brief ist von Wegeler (Notizen S. 49) mitgeteilt, auch seither wieder abgedruckt, kann aber in diesem Zusammenhange nicht fehlen.214


»Wien am 7. Oktober 1826.


Mein alter geliebter Freund!


Welches Vergnügen mir Dein und Deiner Lorchen Brief verursachte vermag ich nicht auszudrücken. Freilich hätte pfeilschnell eine Antwort darauf erfolgen sollen; ich bin aber im Schreiben überhaupt etwas nach lässig, weilich denke, daß die besseren Menschen mich ohnehin kennen. Im Kopf mache ich öfter die Antwort, doch wenn ich sie niederschreiben will, werfe ich meistens die Feder weg, weil ich nicht so zu schreiben im Stande bin, wie ich fühle. Ich erinnere mich aller Liebe, die Du mir stets bewiesen hast; z.B. wie Du meine Zimmer weißen ließest und mich so angenehm überraschtest. – Eben so von der Familie Breuning. Kam man von einander, so lag das im Kreislauf der Dinge; jeder mußte den Zweck seiner Bestimmung verfolgen und [391] zu erreichen suchen. Allein die ewig unerschütterlichen Grundsätze des Guten hielten uns dennoch immer fest zusammen verbunden. Leider kann ich Dir heute nicht so viel schreiben, als ich wünschte, da ich bettlägerig bin, und beschränke mich darauf, einige Punkte Deines Briefes zu beantworten.

Du schreibst, daß ich irgendwo als natürlicher Sohn des verstorbenen Königs von Preußen angeführt bin; man hat mir davon vor langer Zeit ebenfalls gesprochen. Ich habe mir aber zum Grundsatz gemacht, nie weder etwas über mich zu schreiben, noch irgend etwas zu beantworten was über mich geschrieben worden. Ich überlasse Dir daher gern, die Rechtschaffenheit meiner Eltern, und meiner Mutter insbesondere, der Welt bekannt zu machen. Du schreibst von Deinem Sohn. Es versteht sich von selbst, daß, wenn er hierher kommt, er seinen Freund und Vater in mir finden wird, und wo ich im Stande bin, ihm in irgend etwas zu dienen, werde ich es mit Freude thun.

Von Deiner Lorchen habe ich noch die Silhouette, woraus zu ersehen, wie mir alles Liebe und Gute aus meiner Jugend noch theuer ist.

Von meinen Diplomen schreibe ich nur kürzlich, daß ich Ehrenmitglied der K. Gesellschaft der Wissenschaften in Schweden, eben so in Amsterdam und auch Ehrenbürger von Wien bin. – Vor Kurzem hat ein gewisser Dr. Spieker meine letzte große Symphonie mit Chören nach Berlin mitgenommen; sie ist dem Könige gewidmet, und ich mußte die Dedication eigenhändig schreiben. Ich hatte schon früher bei der Gesandtschaft um die Erlaubniß, das Werk dem Könige zueignen zu dürfen, angesucht, welche mir auch von ihr gegeben wurde. Auf Dr. Spieker's Veranlassung mußte ich selbst das corrigirte Manuscript mit meinen eigenhändigen Verbesserungen demselben für den König übergeben, da es in die K. Bibliothek kommen soll. Man hat mich da etwas von dem rothen Adler-Orden 2ter Klasse hören lassen; wie es ausgehen wird, weiß ich nicht; denn nie habe ich derlei Ehrenbezeugungen gesucht, doch wäre sie mir in diesem Zeitalter wegen manches andern nicht unlieb.215

Es heißt übrigens bei mir immer: Nulla dies sine linea, und lasse ich die Muse schlafen, so geschieht es nur, damit sie desto kräftiger erwache. Ich hoffe noch einige große Werke zur Welt zu bringen, und dann, wie ein altes Kind, irgend unter guten Menschen meine irdische Laufbahn zu beschließen. – Du wirst auch bald durch die Gebrüder Schott in Mainz einige Musikalien erhalten. – Das Porträt, welches Du beiliegend bekömmst, ist zwar ein künstlerisches Meisterstück, doch ist es nicht das letzte, welches von mir verfertigt wurde. – Von Ehrenbezeugungen, die Dir, ich weiß es, Freude machen, melde ich Dir noch, daß mir von dem verstorbenen König von Frankreich eine Me daille zugesandt wurde, mit der Inschrift: Donné par le Roi à Monsieur Beethoven; welche von einem sehr verbindlichen Schreiben des premier gentilhomme du Roi, Duc de Châtres begleitet wurde.216

Mein geliebter Freund! nimm für heute vorlieb; ohnehin ergreift mich die Erinnerung an die Vergangenheit, und nicht ohne viele Thränen erhältst Du diesen Brief. Der Anfang ist nun gemacht, und bald erhältst du wieder ein Schreiben; und je öfter Du schreiben wirst, destomehr Vergnügen wirst [392] Du mir machen. Wegen unserer Freundschaft bedarf es von keiner Seite einer Anfrage, und so lebe wohl; ich bitte Dich, Dein liebes Lorchen und Deine Kinder in meinem Namen zu umarmen und zu küssen, und dabei meiner zu gedenken. Gott mit euch allen!

Wie immer Dein treuer, Dich ehrender wahrer Freund


Beethoven


Außer diesem Briefe, der uns so recht tief in Beethovens Herz blicken läßt, setzt er auch die Korrespondenz mit seinen Verlegern fort. Am 13. Oktober schrieb er an Haslinger.217


»An Hernn Tobias Haßlinger

Kunst- und Musikalienhändler


in

Wien

abzugeben am Graben

nächst dem Paternoster

Gäßchen in der Kunsthandlung.


3. Kapitel. Das Jahr 1826 bis zum Dezember

218


Gneixendorf am 13. Oct. 1826.


Wir schreiben Ihnen hier von der Burg des Signore Fratello. Ich muß Ihnen wieder beschwerlich fallen, indem ich Sie höflich ersuche beygeschlossene 2 Briefe sogleich auf die Post zu geben.

Von der Klavierschule an, werde ich Ihnen alle Kosten, die ich Ihnen verursacht habe, ersetzen, sobald ich wieder nach Wien komme. Die so schöne [393] Witterung und der Umstand daß ich den ganzen Sommer hindurch nicht aufs Land kam, ist schuld, daß ich hier noch länger verweile. Das Quartett für Schlesinger ist bereits vollendet, nur weiß ich noch nicht, auf welchem Wege ich es Ihnen am sichersten senden soll, damit Sie die Güte haben, es bei Tendler und Manstein abzugeben, u. auch das Geld dafür in Empfang zu nehmen. Schlesinger wird wahrscheinlich keine Anweisung auf Gold geben; wenn Sie erreichen könnten, daß ich es erhalte, würden Sie mich sehr verbinden, da ich von allen Verlegern in Gold honorirt werde.

Indessen, Bester Tobiasserl, brauchen wir Geld, denn es ist nicht alles Eins, ob wir Geld haben, ob keins.

Wenn Sie Holz zu Gesicht bekommen, so nageln Sie es auf ein andres Holz. Der Liebesrausch hat es entsetzlich ergriffen, dabei ist es fast entzündet worden, so daß Jemand aus Scherz geschrieben hat, daß Holz ein Sohn des verstorbenen Papageno sei.

Ganz erstaunlicher, bewunderungswürdigster, einziger aller Tobiasse, lebt wohl. Wenn es nicht unbehaglich ist, so schreibt doch einige Zeilen hierher. IstDr. Spieker noch in Wien?

Mit hochachtlichster Hochachtung u. Treue


der Eurige

Beethoven.«


Einer der Briefe, welche er hier Haslinger mitschickte, war jedenfalls der an Schott vom gleichen Datum:219


»Gneixendorf am 13. Oct. 1826.


Ich benütze den Rest des Sommers, um mich hier auf dem Lande zu erholen, da es mir diesen Sommer unmöglich war, Wien zu verlassen. Ich habe während dieser Zeit die Symphonie ganz metronomisirt und füge hier die Tempi bey


Allo ma non troppo 88 =3. Kapitel. Das Jahr 1826 bis zum Dezember

Molto vivace116 =3. Kapitel. Das Jahr 1826 bis zum Dezember

Presto116 =3. Kapitel. Das Jahr 1826 bis zum Dezember

Adagio tempo Imo 60 =3. Kapitel. Das Jahr 1826 bis zum Dezember

Andante moderato 63 =3. Kapitel. Das Jahr 1826 bis zum Dezember

Finale presto 66 =3. Kapitel. Das Jahr 1826 bis zum Dezember

Allo ma non troppo 88 =3. Kapitel. Das Jahr 1826 bis zum Dezember

Allegro assai 80 =3. Kapitel. Das Jahr 1826 bis zum Dezember

Alla Marcia 84 =3. Kapitel. Das Jahr 1826 bis zum Dezember

Andte maestoso 72 =3. Kapitel. Das Jahr 1826 bis zum Dezember

Adagio divoto 60 =3. Kapitel. Das Jahr 1826 bis zum Dezember

Allo energico 84 =3. Kapitel. Das Jahr 1826 bis zum Dezember

Allo ma non tanto120 =3. Kapitel. Das Jahr 1826 bis zum Dezember

Prestissimo132 =3. Kapitel. Das Jahr 1826 bis zum Dezember

Maestoso 60 = 3. Kapitel. Das Jahr 1826 bis zum Dezember220


[394] Sie können selbe auch besonders stechen lassen. Vergessen Sie nicht was ich Ihnen über das zweyte Stück angezeigt habe.

Auch die Messe werde ich Ihnen nächstens metronomisirt senden.

Das neue Quartett haben Sie hoffentlich schon erhalten.

Die Herausgabe meiner sämmtlichen Werke betreffend wünsche ich Ihre Meinung zu erfahren, und ersuche Sie mir selbe baldigst mitzutheilen. Hätte ich nicht aus allen Kräften dagegen gestrebt, so hätte man die Herausgabe schon theilweise begonnen, welches für die Verleger nachtheilig wie auch für mich ohne Vortheil wäre.

Die Gegenden, worin ich mich jetzt aufhalte, erinnern mich einigermaßen an die Rheingegenden, die ich so sehnlich wieder zu sehen wünsche, da ich sie schon in meiner Jugend verlassen.

Schreiben Sie mir bald etwas Angenehmes. Wie immer mit Hochachtung


Ihr ergebenster

Beethoven.«


Diesen Brief beantworteten Schotts am 28. November sehr zuvorkommend und zeigen ihm u.a. an, daß die Messe nun im Druck sei, für deren Titelblatt sie noch das Wappen des Erzherzogs wünschen, und daß sie die Metronomisierung der Symphonie erhalten haben; sie teilen mit, daß sie über die Herausgabe der sämtlichen Werke noch keinen Entschluß fassen könnten, und fragen in einer Nachschrift an, was es mit der in Paris erfolgten Ankündigung eines neuen Quartetts von Beethoven Op. 127 (Op. 127 war längst Eigentum von Schott) auf sich haben könne. Darauf schreibt dann Beethoven wieder am 9. Dezember, bald nach seiner Rückkehr;221 wir teilen aus dem Briefe nur das Wesentliche mit. Er berichtet, daß ihn »ein Zufall auf seiner Rückreise unpäßlich gemacht habe und ihn zwinge, das Bett zu hüten«. Dann nach einigen [395] anderen Mitteilungen (so über das kürzlich überschickte Cis-Moll-Quartett) fährt er fort: »Ihre Nachschrift den Nachdruck des Quartetts betreffend, hat mich in um so größeres Staunen versetzt, als Sie selbst einen Verlag in Paris haben; ich aber habe nicht den mindesten Theil daran. Wenn ich eine Vermuthung darüber äußern soll, so muß ich gestehen, daß ich Schlesinger'n die Schuld beymessen möchte. Sie erinnern sich, daß er das Quartett schon einmal schriftlich verlangte; Sie selbst glaubten mich damahls unedel genug, ihm ein solches Werk zu geben. Der alte Schlesinger aus Berlin war diesen Sommer hier, und wollte auch von dem hiesigen Verleger Mathias Artaria ein Quartett von meiner Composition haben, welches ihm jedoch abgeschlagen wurde. Wenn ich, die Herausgabe meiner Werke betreffend, eine dringende Ermahnung an Sie ergehen ließ, so war es gerade wegen Schlesinger; denn er hat mir eine Sammlung von meinen frühesten bis auf die letzten Quartette überschickt um sie neuerdings herauszugeben; ich habe ihm das völlig abgeschlagen, weil meine Ehre nicht gestattet solch ein Unternehmen zu begünstigen, noch weniger aber, ihm gar meinen Namen voranzusetzen. Ich rathe Ihnen übrigens hiervon nichts drucken zu lassen, denn es ist schwer in derley Fällen vollständige Beweise zu finden.« –

Er schließt dann mit der Hoffnung auf baldige Besserung. Darauf antwortete Schott wieder (wir teilen nur das Wesentliche mit):


»Mainz, d. 18. Dezemb. 1826.


Hochgeehrtester Freund und Gönner!


Wir haben Dero geehrte Zuschrift vom 9. Dezemb. erhalten und daraus mit Vergnügen vernommen, daß Sie das Wappen recht bald besorgen wollen.

... In Betreff unserer Anfrage wegen dem nachgestochenen Quartett Op. 127, wovon eine Pariser Zeitschrift eine Ankündigung (: von Wien aus datirt:) macht, nähmlich daß dies neue Quartett Op. 127 von Ihnen componirt, in Wien neu verlegt worden wäre, weßwegen wir anfragten, ob auch in Wien das Quartett Op. 127 welches wir in Eigenthum von Ihnen verlegt haben, auch wirklich in Wien nachgestochen wurde und von wem?

In Paris darf es von niemand also auch nicht von Schlesinger nachgestochen werden, auch nicht von Schlesinger in Berlin gemäß Privilegium.

Wir ersuchen sie recht freundschaftlich genaue Erkundigungen einzuziehen, und uns darüber eine getreue Auskunft zu ertheilen.

Indem wir Sie auf das Freundschaftlichste grüßen, wollen wir auch nicht versäumen bei dem herannahenden neuen Jahr, um die Fortdauer Ihrer schätzbaren Freundschaft zu bitten, und wünschen Ihnen nicht allein langes Leben, sondern auch Gesundheit, Zufriedenheit und alles andere was Ihnen das Leben vergnügt und angenehm machen kann. Ihre ergebensten


B. Schott's Söhne.


[396] P. S.

Haben Sie die Güte uns doch das opus und die Dedication für das neueste Quartett zukommen zu lassen.« –


Die Korrespondenz mit Schott dauerte noch bis ins nächste Jahr, wir haben noch einmal darauf zurückzukommen.222

Der schaffenden Tätigkeit Beethovens in diesem Gneixendorfer Aufenthalte haben wir uns noch zuzuwenden. Vor allem war es das neue F-Dur-Quartett, welches er hier vollendete und am 30. Oktober an Tendler und Manstein absandte. Schon am 13. Oktober (s.o. S. 394) hatte er Haslinger geschrieben, daß er es vollendet habe. Der Brief an Tendler und Manstein folgt hier:223


»An

Herrn Herrn

Tendler u. v. Manstein

Wohlgeb. in Wien

Gneixendorf am 30ten Oct.

1826.224


Euer Wohlgeboren!


Ich übersende Ihnen durch meinen Bruder mein neuestes für Herrn Schlesinger verfaßtes Violinquartett, und ersuche Sie, das bei Ihnen zu diesem Ende hinterlegte Honorar von Achtzig Dukaten dem ersteren einzuhändigen: über welchen Betrag ich zugleich hiermit quittire.


Mit Hochachtung

ihr ergebenster

Ludwig van Beethoven.«


Dieses Quartett, die Hauptarbeit des Jahres 1826, muß uns noch etwas beschäftigen.

Das F-Dur-Quartett (Op. 135) hatte Beethoven schon in dem Briefe vom 13. Oktober als vollendet bezeichnet; er muß es also in weit vorgerücktem Entwurfe nach Gneixendorf mitgebracht haben. Es war aber weit früher, und zwar spätestens Anfang Juli schon konzipiert. Damals scheint Beethoven Holz gegenüber die Absicht ausgesprochen zu [397] haben, ein neues Quartett zu schreiben. In diesem Monat schreibt Holz auf: »Tonart? Das wäre aber das 3te inF«, und fügt noch hinzu: »In D-Moll ist noch keines. – Es ist doch sonderbar daß unter den Violinquartetten Haydns keins in A-Moll ist.« Neben Op. 18, 1 und 59, 1 war es allerdings das dritte Quartett in F, und so haben wir für die Zeit Beethovens indirektes eigenes Zeugniß. Wäre das »Muß es sein« gleich für das Quartett bestimmt gewesen, welches jetzt dem letzten Satze zugrunde liegt, dann könnte man die Konzeption noch etwas weiter zurückdatieren (vgl. o. S. 301 ff.); doch ist darüber nichts Bestimmtes auszumachen. Da man sich gerade im Juli bei Beethoven über die Sache des Dembscher unterhält und Holz ihm diese Szenen erzählt,225 so darf man vermuten, daß beides, der erste Entwurf des Quartetts und die Niederschrift des Kanons, in der Zeit nahe zusammenfällt. Ob nun das für den Kanon erfundene Motiv gleich oder erst später als letzter Satz für das Quartett bestimmt wurde, muß unentschieden bleiben.

Ende August 1826 war der alte Schlesinger aus Berlin, wie wir bereits wissen, in Wien (s.o. S. 376) und sprach mit Holz über das für ihn bestimmte Quartett, über dessen geplante Kürze er sich zu wundern scheint. Holz schreibt im Konversationsbuch:


»Er hat mich gefragt; ich sagte, Sie schreiben es eben. – Sie strafen ihn nicht, wenn es kurz wird; hat es nur 3 kurze Stücke, so ist es doch ein Quartett von Beethoven, und dem Verleger kostet die Auflage nicht so viel.«


Und Artaria fragt im September:


»Sie haben ja ein neues kleines Quartett fertig?«


Am 13. Oktober bezeichnet er, wie gesagt, das »Quartett für Schlesinger« als vollendet.226

Soweit wir also die Konversationsbücher hier als Quelle benutzen dürfen, war das Quartett von Anfang kurz angelegt und zunächst nur auf drei Sätze berechnet.

Das Quartett erschien bei Schlesinger in Berlin im September 1827 und wurde dem Freunde Johann Wolfmayer gewidmet, nach Holz' Vorschlage, [398] wie dieser selbst O. Jahn mitteilte, nachdem die anfängliche Widmung des Cis-Moll-Quartetts an Wolfmayer in die an den Feldmarschall von Stutterheim geändert worden war.


Das F-Dur-Quartett.


Das Quartett tritt nach dem Umfang und der Struktur der Sätze und der Einfachheit der Motive aus der Reihe der letzten großen Quartette heraus; die große Leidenschaft, der mächtige Strom der Empfindung, die Kraft und Tiefe der Melodik, der vorausgehenden, spricht nicht aus ihm. An den »späteren« Beethoven werden wir, außer in dem kurzen Lento, kaum erinnert. Aber der Reichtum der Erfindung und die Feinheit und die Genialität der Stimmverwebung prägt jedem Takt den Namen Beethoven auf. Wir müssen bedenken, daß er das Werk der Hauptsache nach zu einer Zeit tiefer Gemüts-Depression, teils wegen des eigenen Leidens, teils infolge des Ereignisses mit dem Neffen, ausarbeitete; er will sich durch seine Kunst aufraffen; da bricht denn auch der alte Humor zuweilen gewaltsam hervor, neben welchem aber auch demütig ergebene Stimmen laut werden.

Der erste Satz beginnt mit einem kurzen dunklen Motiv der Bratsche mit Violoncell, mit einem spielend nachklingenden Rufe der Geigen, das Motiv mit seinem Vorschlage wird später wieder verwendet, es tritt zagend, gleichsam tastend auf, geht dann in eine Figur über, die durch die Instrumente geht und ein Verlangen nach Beruhigung empfinden läßt; sie schließt in der Haupttonart F. Dann folgt noch eine langsame nachdenkliche Figur unisono in Vierteln, die weiterhin auch gestaltend auftritt, diese führt dann durch eine kurze Periode mit hübschen Imitationen zu einem Thema in F, welches wir nach gewöhnlichem Gebrauche als das erste Thema ansprechen möchten. Ehe dasselbe auftritt, sind also mehrere der wichtigsten gestaltenden Motive des Satzes schon festgestellt. Jenes F-Dur-Thema entwickelt sich in hübscher Imitation in kurzen Rhythmen – wie alles in diesem Satze – und führt durch empfindungsvolle Melismen nach C-Dur, worin gleich ein zweites Thema eintritt, in einfachen Achtelgängen bewußt zur Höhe schreitend, mit bewegten Sechzehnteltriolen als Begleitung; es ist als wenn er neuen Mut fasse. Meisterhaft ist hier die selbständige Führung der einzelnen Stimmen, aus deren Zusammenspiel der einheitliche Eindruck hervorwächst; hübsch auch der zarte, in seinem Anfange fast elegische Schluß des Themas, der noch [399] einmal zu einem freundlichen kleinen Schlußmotiv in C führt, welche Tonart aber nicht festgehalten wird; es wird gleich weiter moduliert, das getragene Viertelmotiv aus der Anfangsperiode tritt wieder auf, gleich darauf das allererste, einleitende und Ruhe suchende Motiv des Satzes, beide werden in geistreicher Polyphonie miteinander verflochten, Triolenbewegung gesellt sich dazu und in längerer Periode wird nach A-Moll moduliert. Hier tritt in Sechzehnteltriolen ein neues Element ein (S. 3 [191] der Partitur) in welchem auch das kleine Motiv mit dem Vorschlage aus dem Anfange (T. 1, 2) zu seiner Verwendung kommt; die Stimmung erhält eine gewisse Bewegung, fast Unruhe, doch die Ruhe suchenden Elemente gewinnen die Oberhand und wir befinden uns bald wieder in der Entwicklung des ersten Teils, der dann mit der nötigen Modifikation wiederkehrt. Die nachdenkliche Figur mit den Vierteln ist hier zu Achteln erweitert, sie verbindet sich wieder mit dem ersten, Ruhe suchenden Motiv, die Hauptthemata kehren in analoger Weise wieder. Bemerkenswert ist noch in der Schlußentwicklung das kräftige unisono-Herabsteigen der kleinen Figur mit dem Vorschlage, wie ein Triumph der zur Heiterkeit aufrufenden Elemente. Statt einer ausgeführten Koda klingt der Satz mit den beruhigenden Motiven aus. Das ganze Stück zeigt bei aller Einfachheit des Baues eine überraschend große Zahl selbständiger Motive und dabei große Meisterschaft in der thematischen Verarbeitung und Verknüpfung derselben; kein Keim bleibt verloren stehen; ein echter Quartettsatz, sicherlich eine der saubersten, geistvollsten Arbeiten des Meisters.227

[400] Der zweite Satz (Vivace, nicht ausdrücklich Scherzo benannt) ist nun voll kühnen, ausgelassenen Humors, der nur am Anfang noch etwas verhalten, wie unmutig auftritt. Die drei Oberstimmen sind zunächst in Noten von der Dauer von drei Vierteln gehalten, bringen dieselben aber nacheinander mit einem Viertel Abstand (komplementärer Rhythmus); nur das Cello bewegt sich sogleich munter in gestoßenen Noten, die Gegenmelodie der ersten Violine kapriziert sich auf drei Töne. Durch Versetzung der Stimmen bringt dieser achttaktige Satz überraschende Veränderungen der Wirkung hervor. Bemerkenswert ist das unisone, eigensinnige [401] Es am Anfang des zweiten Teiles, auch gegen den Takt in Beibehaltung des Rhythmus; dasselbe eröffnet aber nicht als Anfang eine reichere Entwicklung, wie man es bei Beethoven erwarten möchte; mit einer einfachen Rückung nach E läßt er den Anfang wiederkehren, den er nun harmonisch etwas reicher ausstattet; sonst aber verschmäht er alle komplizierten Mittel. Der Schluß des Scherzos ist wieder munter und echt beethovenisch. Anstatt eines Trio bringt der Satz in der Mitte einen Durchführungsteil, der die Instrumente von dem komplizierten komplementären Rhythmus erlöst und in ausgesprochenster Homophonie einhergeht, dafür aber der Melodie volle Freiheit gibt, die den drolligsten Kontrast gegen deren Gebundensein im Hauptteile bildet. Daß es sich nicht um ein neues Thema, sondern um eine Umgestaltung des Hauptthemas handelt, beweisen die beiden Schlußtakte. Die Voranstellung eines kräftigen Schleifers


3. Kapitel. Das Jahr 1826 bis zum Dezember

verrät gleich, was wir zu erwarten haben; die Melodie springt zunächst vom Cello zur ersten Violine über, wird aber dann dauernd von dieser in Anspruch genommen, ein übermütiger Tonleitergang staccato durch mehr als zwei Oktaven, zuerst in F-Dur, dann in G-Dur, zuletzt in A-Dur. Schließlich setzt sich der Schleifer, der sich allmählich immer mehr bemerkbar macht, in den drei tieferen Instrumenten in ganz eigensinniger Weise durch nicht weniger als 47 Takte nacheinander gleichlautend fest, während zu demselben die erste Violine in der Höhe eine triumphierende Melodie aus den Schlußtakten des Hauptthemas entwickelt, in deren Schlußfigur sie sich gleichsam siegesgemäß wiegt.228 Gewiß spricht ein trotziger, sieghafter Humor aus der Stelle; aber um alles zu sagen, was uns wenigstens hier auf dem Herzen liegt: die tonliche Wirkung ist nicht die, welche sich Beethoven vermutlich vorgestellt hat. Die erste Violine kann, zumal für die ganze Stelle ff verlangt wird, gegen die übrigen drei Instrumente nicht hinreichend sich geltend machen; wir vermissen eine stärkere Besetzung der Stimme. Es ist das einer der immerhin wenigen Fälle, in denen sich Beethoven infolge des Gehörverlustes über die Wirkung [402] getäuscht hat. – Die Tonstärke nimmt allmählich ab bis zum leisesten pp, ein rascher Wechsel der Tonart wird vollzogen, die Instrumente nehmen die synkopierte Taktbewegung wieder an, ergehen sich in weiten Schritten unisono und leiten zum Hauptthema zurück. Zu bemerken ist ganz am Schlusse, nach eingetretenem pp, der kräftig schließende F-Dur-Akkord, wie als sollte der Humor des ganzen Stückes bestätigt werden.

In dem folgenden kurzen Satze, Lento assai, cantante e tranquillo (Des-Dur 6/8), haben wir einen der innigsten, ergreifendsten Ergüsse des Meisters; er kehrt hier ganz in sein Inneres zurück mit seinem Schmerz, den er mit demütigster Ergebung trägt, und blickt hoffend auf eine Erlösung aus demselben. Musikalisch ist das Stück ganz einfach gestaltet; die tief empfundene Melodie bewegt sich anfangs nur in den Tönen der Tonleiter und blickt in der wiederholten Schlußwendung sehnsuchtsvoll auf. Wir stehen ganz auf der Höhe der letzten Beethovenschen Enthüllungen; nur ist alles knapper und konziser. Es folgen dem Thema vier freie Variationen, in denen sich die Stimmung noch steigert; eindrucksvoll ist besonders die zweite in Cis-Moll, in ihren abgebrochenen Akkorden tief schmerzlich, auch hier dem Gemütszustande des Meisters ganz entsprechend; dann die letzte, in welcher die gesteigerte Bewegung mit den gebrochenen Violinfiguren dem Ganzen einen flehentlich rührenden Ausdruck gibt. In dem Stücke waltet demütige Ergebung in das schmerzlich empfundene Geschick, nicht ohne hoffenden Aufblick.

Daß das Stück in Vorahnung des nahen Todes geschrieben ist, wie irgendwo gesagt wurde, möchten wir kaum behaupten, da er diesen nicht so nahe dachte und an anderen größeren Plänen noch festhielt. Auch ist er ja, wie wir sehen werden, noch zu heiteren Ergüssen zurückgekehrt. Die Frage aber darf aufgeworfen werden, ob das Stück von Anfang an für dieses Werk bestimmt war. Das Quartett war, wenn wir den Konversationen glauben, anfangs nur auf drei Sätze angelegt; der langsame Satz läßt sich mit den übrigen schwer in psychologische Verbindung bringen und tritt aus dem vorwiegend humoristischen Charakter des Werkes ziemlich heraus. Daß Beethoven mit dem Satze den übrigen nachträglich ein ernstes Gegengewicht geben wollte, ist denkbar. Wir neigen zu der Ansicht, daß die Beifügung dieses Satzes ein nachträglicher Entschluß Beethovens war. Doch sehen wir sehr wohl ein, daß in dieser Frage heute nichts mehr entschieden werden kann.

Der vierte Satz trägt, wie bekannt, die Überschrift: »Der schwer [403] gefaßte Entschluß. Muß es sein? Es muß sein«, mit Notierung der beiden Hauptmotive des Satzes für diese Frage und Antwort.229 Über die Veranlassung des Kanons über dieselben Motive ist oben S. 301f. gehandelt. Die beiden Motive sind also die Grundlage des letzten Satzes, der Introduktion und der Ausführung, geworden; der Satz ist mit glücklichstem Humor konzipiert und ausgeführt. In einem wuchtigen Grave wird die ängstliche Frage »Muß es sein?« von den tieferen Instrumenten gestellt, von imitierenden Gängen der oberen in Achteln aufgenommen, welche dem kräftigen Andringen der Frage heftig widerstrebende Akkorde entgegensetzen; der Widerspruch sinkt allmählich in sich zusammen und es entwickelt sich daraus der heitere Allegrosatz mit dem »Es muß sein«. Dieses tritt zuerst in den Violinen mit seinen entschiedenen, Kraft atmenden Quartenschritten auf, von einfachen aber nachdrücklichen staccato-Viertelgängen begleitet (man achte in dem ganzen Stücke auf die große Einfachheit der Mittel), die dann von den Geigen legato aufgenommen werden und am Schlusse zu kräftigen sieghaften Figuren leiten; wir fühlen die Kraft und Freude des festgewonnenen Entschlusses. Es folgt, mit einer erwartungsvollen Pause, ein rascher Wechsel der Tonart, und nach Wiederholung der sanfteren Gänge ein zweites Thema, zuerst im Violoncell, dann in den Violinen, von einfachen harmonischen Figuren begleitet; es ist, als wolle er die innere humorvolle Freude an dem gefaßten Entschlusse ausdrücken; der Teil schließt dann mit dem durch die Instrumente gehenden »es muß sein«, worauf der erste Teil wiederholt wird. Der zweite Teil bringt in etwas unfreundlicher Hast das Thema »es muß sein«, welches dann weiter mit den Viertelgängen polyphon (aber nicht kanonisch) verarbeitet wird; ein etwas weicherer Ton macht sich geltend. Das zweite Thema tritt in D auf, steigt in seiner Entwicklung abwärts, und in den lang ausgehaltenen Tönen, den getragenen Gängen, neben welchen wir auch die Bewegung des zweiten Themas wie aus der Erinnerung vernehmen, und in dem Übergang zur Molltonart (F-Moll) fühlt man, wie die Stimmung dunkler wird, die Schritte unsicherer werden, der Faden des Entschlusses der Hand zu entgleiten droht. Nach einem kräftigen Aufstieg der Violinen ringt sich die Frage »muß es sein?« wieder hervor, der [404] Einleitungssatz wiederholt sich zu schwirrender Sechzehntelbewegung der Geigen leidenschaftlicher; vor dem Schlusse erklingt, gleichsam sanft mahnend, das Thema des Entschlusses zu dem der Frage. Dann, nach kurzem Zögern und Besinnen, wird kurzer Prozeß gemacht; das »es muß sein«, jetzt zu einer vollen Melodie erweitert, setzt fröhlich und allen Zweifel vergessend ein. Nun wiederholt sich der erste Teil, das zweite Thema kommt in F, kräftig wie vorher wird geschlossen. In einer interessanten kurzen Koda setzt in gleichsam zweifelnden Harmonien, zuletzt langsam, das »es muß sein« leise nochmals ein; er scheint sich zu vergessen; soll der Entschluß wieder verschwinden? Doch nein – da alles still ist, da erklingt pizzicato, pp, das triumphierende zweite Motiv, als bedürfe es keines Zweifels mehr; zu ihm gesellt sich eine lebhaft auftretende Figur der Geigen, die zweite Geige nimmt das »es muß sein« in mehrmaliger Widerholung des Motivs auf, alles pianissimo, bis endlich alle Instrumente unisono und ff dasselbe bringen und siegreich schließen. Der Wille hat über alle Schwächen und Zweifel gesiegt.

Beethoven entrollt uns hier einen ganz innerlichen, seelischen Prozeß, den ihm auch jeder nachzufühlen imstande ist. Das ist ein durchaus musikalisches Objekt; hinsichtlich der formellen Gestaltung, der musikalischen Logik wird man neben anderen Werken Beethovens nichts vermissen. Wir dürfen also hier das Wort Programmusik, wie man es heute hört, nicht anwenden. Beethoven kannte sehr wohl die Aufgaben und Grenzen seiner Kunst. –

Dieses Quartett war aber nicht das Hauptergebnis des Aufenthaltes in Gneixendorf, wo höchstens die letzte Hand an dasselbe gelegt wurde. Das eigentliche Gneixendorfer Werk ist der neue letzte Satz für das B-Dur-Quartett, den er, wenn auch mit innerem Widerstreben, auf den besonderen Wunsch des Verlegers Artaria an die Stelle der großen Fuge setzte. Die Arbeit an demselben begann schon, als er noch am F-Dur-Quartett arbeitete,230 auch diesen Satz brachte er, soweit die Anzeichen gehen, im Entwurf nach Gneixendorf mit. Dort arbeitete [405] er ihn aus; im November war er fertig, am 25. November zahlte ihm Artaria für dasselbe das Honorar von 15 Dukaten.231

Dieser Satz ist nun ein frisch und humorvoll konzipiertes, einheitlich doch frei gearbeitetes Rondo (2/4 B-Dur, Allegro). Das Hauptmotiv (vorbereitet und begleitet von einem sogenannten Murky-Baß) ist heiter und neckisch, die Fortsetzungen aus der Bewegung des Themas heraus klar und lebendig gestaltet. Deutlich hebt sich zunächst im Hauptthema selbst ein in Achteln gehaltener Zwischensatz ab (S. 28 1.–2. System), der leicht zur Dominante lenkt, weiterhin aber durch »dolce« hervorgehoben ein weitausgeführtes zweites Thema in F mit stark mixolydischer Färbung mit längerem Epilog bis zur Reprise. Der zweite Teil bringt als Trio eine sehr schöne, im Gegensatze zum früheren ernst getragene Melodie in As-Dur, ähnlich wie wir sie auch früher bei Beethoven finden (man denke an das Oktett); dann ein polyphones Spiel mit Elementen des Hauptthemas und einem Kontrapunkt in staccato-Sechzehnteln, geht aber, nachdem das eine zeitlang lustig fortgesetzt ist, in ein mächtigesunisono in Achteln aus, trotzig und eigensinnig; daraus entwickelt sich in G-Moll, dann in C-Moll das Anfangsthema wieder, begleitet von den Oktavenachteln. Hier haben wir den Beethoven der späteren Werke, ebenso nach dem neuen Ablauf des Stückes, gegen den Schluß, in den Verarbeitungen der Hauptfigur des Themas, welches die Instrumente in gegensätzlicher Bewegung und durch verschiedene Tonarten sich bewegend, mit dem Ausdrucke glücklichen Humors bringen. Auch das getragene Triothema kommt noch einmal wieder (in Es). In lebendiger nachdrücklicher Weise schließt das Stück, nachdem noch einmal die leise gewordene rasche Bewegung durch eine ausdrucksvolle Fermate aufgehalten wird, ehe die Schlußakkorde einfallen.

Abgesehen von wenigen Stellen, in denen der spätere Beethoven sich geltend macht (2. Thema), erinnert der Satz durchaus an Beethovens frühere Zeit; das Hauptthema und das des Trio könnten in seinen frühesten Werken stehen. Es ist, als wollte er in seine Jugendjahre zurückkehren – war das vielleicht der Eindruck der Gegenden, in denen er gerade lebte und die ihn so sehr an die Heimat erinnerten? Jedenfalls stimmt das Stück, das ja jedenfalls in Gneixendorf vollendet wurde, nicht zu dem [406] Drucke, unter dem er, wenigstens in der ersten Zeit, dort gelebt haben soll. Das Ideal, welches er im B-Dur-Quartett sieht (s.o. S. 295) war jedenfalls hier nicht verkörpert; Jugend und inneres Glück war es, was er ersehnte. Das fühlen wir mit ihm, wenn wir auch eingestehen müssen, daß der Satz in den Rahmen des B-Dur-Quartetts nicht ganz paßt.

Der Satz wurde noch im Dezember von Schuppanzighs Quartett probiert, wie dieser Beethoven erzählte, und fand gleich großen Anklang; sie fanden es »ganz köstlich, und Artaria war in seinem größten Vergnügen, als er es hörte«. –

Dieser letzte Satz war aber nicht die einzige Arbeit, die Beethoven in Gneixendorf beschäftigte. Schon früher hatte er von Diabelli den Auftrag erhalten, für ihn ein Quintett zu schreiben, und hatte sich mit dem Auftrage und dem Honorar einverstanden erklärt. In der Korrespondenz mit Diabelli ist von einem »Quintett für Flöte« die Rede; ob dies dasselbe bezeichnen soll, läßt Nottebohm unbestimmt, da in den vorhandenen Skizzen keine Flöte vorkommt.232 Skizzen befinden sich in einem auf der Berliner Bibliothek befindlichen kleinen Skizzenbuche (früher bei Schindler), und auf einem von Nottebohm eingesehenen Blatt, auf welchem anfangs mit Tinte der Anfang des Finales zum B-Dur-Quartett stand, dann mit Blei der erhaltene Quintettsatz, der also später entstand. Unter diesem steht ausdrücklich: »5tett«. Aus einem Taschenskizzenhest aus dem Jahre 1826 führt Nottebohm (II. Beeth. S. 522) noch eine Skizze zu einem G-Dur-Stück an mit Beethovens Aufschrift: »Andante zum 5tett«. Es war ihm also Ernst mit der Sache. Holz erzählte O. Jahn: »im Kopfe fertig war zu einem Quintett für Streichinstrumente, das Diabelli für 100 ⌗ bestellt hatte, der erste Satz in C, auch die erste Seite schon aufgeschrieben.«

Im Auktionskataloge war unter Nr. 173 aufgeführt: »Bruchstück eines neuen Violinquintetts vom November 1826, letzte Arbeit des Compositeurs« (Thayer, chron. Verz. S. 179). Dies kaufte Diabelli aus dem Nachlasse233 und gab den kleinen fertig entworfenen C-Dur-Satz in [407] doppeltem Arrangement (zweihändig und vierhändig) für Klavier heraus.234 Der Anfang des Themas kommt auch unter den Skizzen vor (Nottebohm I. Beeth. S. 81), die Angabe ist also richtig. Es ist ein kurzer zweiteiliger Satz mit einem kräftigen festlichen Thema (Andante maestoso 3/4, Rhythmus der Polonaise), ein pompöser Eingang für ein größeres Gebilde; die breite, selbstbewußt einherschreitende Melodie, die einfache Weiterführung mit ihren prägnanten Motiven und entsprechenden Abschlüssen, alles zeigt den großen und edlen Beethovenschen Zug; das Stück könnte kein anderer geschrieben haben. Das ist also in der Tat das letzte Stück, welches wir von Beethoven besitzen, und wir sollten es als solches mehr in Ehren halten, als tatsächlich der Fall ist. Dieses Quintett ist das Werk, an dessen Vollendung ihn Krankheit und Tod verhindert haben.235

Als die allerletzte Komposition Beethovens wird neuerdings ein Kanon bezeichnet, den er mit dem neuen letzten Satze des B-Dur-Quartetts an Holz, schickte mit dem Auftrage, 12 Dukaten dafür zu verlangen mit den Worten: »Hier ist das Werck, schafft mir das Geld!« So hörte Lenz von Holz (vgl. Lenz, Beethoven V S. 219). Nach einer mir vorliegenden Anzeige, welche Thayer im April 1889 aus Wien erhielt (ich finde die in seinem Nachlasse), hat die Beethoven-Sammlung in Heiligenstadt dieses angeblich letzte Werk von dem Sohne Karl Holzs erworben; folgendes war der Text: »Hier ist das Werk, sorgt für das Geld! 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. Ducaten.« »Liniensystem und Noten dieser heiteren Komposition sollen von Beethoven sein,« heißt es weiter, »während die Worte der Meister seinem Freund in die Feder dictirte.« Das ist etwas zweifelhaft, da Beethoven den Satz noch in Gneixendorf vollendete und Artaria noch im November das Honorar zahlte, und nicht 12, wie es dort hieß, sondern 15 Dukaten. Das Schriftstück sollte dann in einem Beethovenkonzert bei Bösendorfer in [408] Wien ausgestellt werden. Das ist alles, was wir über diese Sache mitteilen können.236

Unterdessen nahm der Aufenthalt in Gneixendorf seinen Fortgang; die vorrückende Jahreszeit machte sich fühlbar. Mehrfach ist von Ausflügen im Wagen die Rede, so nach dem nahen Krems, wo noch etwas städtisches Leben war, doch konnte man nicht immer fahren, weil, wie es einmal hieß, der Wagen schadhaft war. Johann hatte seine Geschäfte, die ihn auch zuweilen nach Wien führten, und die wir hier nicht weiter verfolgen. Er mußte für Geld sorgen, und schreibt einmal nieder: »sobald mir Geld eingeht, will ich für ihn schon etwas thun« und weiter: »mir sollten gestern 400 fl. eingehen, statt dessen sind mir 7 fl. eingegangen.« Der Neffe erzählt, daß er am Gut noch zwei Jahr zu zahlen habe. Karl besorgte Beethoven aus Krems Rastrum und Schreibzeug, hatte aber dort auch Gelegenheit, seiner Neigung zum Billardspiel nachzugehen; dann fehlte ihm Zeit und Luft, mit Beethoven auszugehen. Zuweilen nimmt auch die Frau an den Gesprächen teil. Schindler führt unter den Gründen der Abneigung Beethovens gegen den Gneixendorfer Aufenthalt auch die zu große Intimität des Neffen mit der Tante an, wogegen Thayer entschieden Einspruch erhebt.237 Dabei hat Schindler, wie wir gegen Thayer bemerken möchten, sicherlich nur auf ein besonders freundliches Verhältnis hindeuten wollen, wie es an sich natürlich war, aber Beethoven, der die Schwägerin haßte, ein Dorn im Auge sein mußte. Wie Karl wirklich dachte, schreibt er einmal so auf:


»Das ganze ist, daß er zu wenig Energie besitzt, sein Hauswesen selbst zu regieren. Wenn ich eine solche Frau hätte, ich wollte sie schon zähmen, dazu ist er eben zu schwach und zu furchtsam, – Theoretisch ist sie nicht zu zwingen, aber durch practische Applicirung gewisser unschädlicher Hausmittel.«


Johann trifft in Wien mit Holz und Linke zusammen; letzterer bittet dringend um den Schluß des letzten Quartetts [B-Dur] zum Zwecke einer Akademie. Von Obermayer in Wien (dem Bruder der Frau) wird Geld erwartet. Die Frau erbietet sich, selber hinzufahren und es zu holen; [409] aber Beethoven muß die Kosten tragen; es handelte sich also um Geld für Beethoven, für das Quartett. Die Frau fuhr tatsächlich nach Wien und kam mit dem Geld zurück.

Karl versäumt auch das Klavierspiel nicht; er hatte sich vierhändige Märsche von Lannoy mitgebracht, um sie mit Beethoven zu spielen. »Der Karl spielt sehr gut« schreibt einmal die Frau auf. Es kamen aber auch wieder heftige Szenen zwischen Onkel und Neffen vor, wie es bei Beethovens erregbarer Natur erwartet werden konnte; Karl hatte öfter Vorwürfe von ihm zu hören, gegen die er sich in den Unterhaltungen zur Wehr setzt.238

Von Beethovens Krankheit, die er ja schon mitgebracht, ist in den Unterhaltungen wenig die Rede. Die Besserung seiner Augen betont Johann (»deine Augen sind seit der Zeit daß du hier bist gut, ohne Rosenwasser, Folge der guten Luft«), sonst lesen wir nichts von besonderen Erscheinungen. Doch hatte schon St. v. Breuning auf Grund eines früheren Briefes die Befürchtung ausgesprochen, Beethoven sei in Gefahr sehr krank, wenn nicht gar wassersüchtig zu werden.239 Johann, in einer noch weiter zu nennenden Aufzeichnung, erzählt: »Bei schlecht zubereiteten Speisen aß er nichts als Mittags einige weiche Eyer, trank aber dann mehr Wein, so daß er öfters an Durchfällen litt; dabei wurde sein Bauch die letzte Zeit immer größer, dagegen er auch längere Zeit Binden trug.« Das bezieht sich also auf die vorherige Zeit. Dann gibt er an, daß er Anfangs Dezember seine Eßlust verloren und über Durst und Bauchbeschwerden geklagt habe; in den folgenden Tagen war kein Zweifel an der Bauchwassersucht mehr.240 Auch von »ödematösen« Füßen war schon früher die Rede gewesen. Das waren offenbar Wirkungen der schon vorhandenen Lebererkrankung.

Wir können also denken, daß seine Krankheit, die er längst in sich trug, in der Gneixendorfer Zeit ihren Fortgang nahm, daß ihm gerade dadurch die kälter gewordene Witterung empfindlicher wurde; wir würden[410] es verständlich finden, daß er Sehnsucht nach den häuslichen Lebensgewohnheiten fühlte. Ob er nun selbst das Verlangen nach der Rückkehr laut werden ließ, oder ob der gleich zu erwähnende Brief Johanns dazu den ersten Anstoß gab, ist aus den Konversationsbüchern nicht auszumachen. Ende November schrieb ihm Johann einen Brief, worin er auch Karls Zukunft zur Sprache brachte; der mußte ja jedenfalls nach Wien zurückkehren. Er wählte diesen Weg wohl darum, um gereizte Erörterungen zu vermeiden. Der Brief lautet so:241


»Mein lieber Bruder!


Ich kann unmöglich länger mehr ruhig sein über das künftige Schicksal des Karl, er kommt ganz aus aller Thätigkeit, und dieses Leben so gewohnt, wird er mit größter Mühe nur wieder zur Arbeit zu bringen sein, je länger er hier so unthätig lebt. Breuning gab ihm beim Weggehen nur 14 Tage Zeit um sich zu erholen, und jetzt sind es 2 Monat,242 – Du siehst aus dem Breuning seinem Schreiben, daß es durchaus sein Wille ist, daß Karl zu seinem Beruf eilen soll, je länger er hier ist, desto unglücklicher für ihn, denn desto schwerer wird ihm die Arbeit ankommen, und so kann es denn kommen, daß wir noch etwas übles erleben.

Es ist ewig schade, daß dieser talentvolle junge Mensch so seine Zeit vergeudet, und wem wird man es einst zur Last legen, uns beiden nur, denn er ist noch zu jung um sich selbst zu leiten, daher ist es Deine Pflicht, willst Du Dir nicht später selbst und von andern Vorwürfe machen lassen, ihn recht bald zu seinem Beruf zu bringen, ist er nur einmal dabei, dann läßt sich vieles für ihn und seine Zukunft thun, so wie es aber jetzt ist, läßt sich nichts thun.

Ich sehe aus seinem Benehmen, daß er gern bei uns bleiben möchte, allein dann ist seine Zukunft dahin, daher ist dieses unmöglich, und je länger wir zaudern, desto schwerer wird ihn das Weggehen ankommen, daher beschwöre ich Dich, fasse festen Entschluß, laß Dich nicht darin von Karl abhalten, ich glaube daher bis nächsten Montag,243 denn auf mich kannst Du auf keinen Fall warten indem ich nicht ohne Geld von hier weggehen kann, und es noch lange hergeht bis ich soviel einnehme daß ich damit nach Wien gehen kann.«


Mit Bleistift ist dazu geschrieben, vielleicht nach mündlicher Unterredung:


»Lassen wir dieses bis zum Tag wo Du abreisest – altes Weib – Sie hat ihr Theil mehr bekömmt sie nicht.«


Zu diesem Briefe schrieb Schindler folgende Bemerkung:


[411] »Vorstehendes Schriftstück zeigt, daß Johann van Beethoven doch eine oder dir andere gute Seite gehabt, und dürfte es geeignet sein sich mit ihm in etwas zu versöhnen. Ich kann mit Gewißheit versichern, daß Ludwig van Beethoven die Bitte seines Bruders sehr unwillig aufgenommen hat und daß es vor der Abreise von Gneixendorf zu einer höchst erbitterten Szene zwischen den beiden Brüdern gekommen ist, und zwar über die Erbschaft nach Ableben des Johann van Beethoven zu Gunsten des Neffen Carl. Die letzten hier oben mit Bleistift geschriebenen Worte, die sich auf seine Frau beziehen, deuten schon darauf hin. Der tödtende Haß Beethovens auch gegen diese seine Schwägerin, die ebenso moralisch nichtsnutzig gewesen wie die andere, verfolgte ihn fortan wie ein böser Dämon. Er verlangte daher von seinem Bruder Johann, seine Frau zu verstoßen und zu enterben, wozu sich dieser nicht verstehen wollte. Dies die Hauptquelle dieses Bruderzwistes in den letzten 5 bis 6 Jahren von Ludwigs Leben. Frägt man, auf wessen Seite die Hauptschuld gelegen, so muß der Wahrheit gemäß geantwortet werden: auf Ludwigs Seite. Im steten Widerspruch mit sich und der Welt mußte Ludwig van Beethoven fortan Personen mit Haß und Liebe in meist unvernünftigem Grade verfolgen. Diese fand er allein schon in seiner durch und durch unwürdigen Familie. Jedoch vergrößerte er selbst diese Übel zunächst zu seinem Nachtheile.


A. Schindler.«


Hätte Schindler immer so unbefangen gedacht und gesprochen! Seine Auslassung entkräftet manches, was er sonst über diese Dinge geschrieben hat. Bei den zugefügten tatsächlichen Angaben müssen wir uns gegenwärtig halten, daß Schindler nicht mit in Gneixendorf war, seine Quelle also nur spätere Erzählungen des Kranken sein konnten. Daß Johanns Eingreifen in die Verhältnisse des Bruders und seine unerwartete Aufforderung zunächst dessen Unwillen erregte, mögen wir uns denken; er hat aber ja gleich Veranlassung genommen, mit Karl über die Abreise zu sprechen.244 Auch daß es über die Frage der Erbschaft zu einer erbitterten Szene kam, können wir Schindler immerhin glauben, dürfen aber nicht versäumen, gegenüber den später mutmaßlich durch Gedächtnisfehler entstandenen Angaben über Johanns Vermögenslage, nach welcher den Erben nichts habe verbleiben können,245 die aktenmäßige Feststellung Thayers246 hervorzuheben, daß Johann seinen Neffen Karl zu seinem Universalerben eingesetzt und daß die Erbschaft über 42000 Gulden betragen [412] hat. Näheres hierüber gehört wohl nicht mehr in die Biographie Beethovens.

Die Frage der Rückkehr nach Wien wurde nun angeregt, wir können nicht entscheiden, ob zuerst von Beethoven selbst, oder ob infolge von Johanns Brief. Jedenfalls hat er (wie die Unterhaltungen erkennen lassen) die Sache mit dem Neffen besprochen. Dieser war gar nicht einverstanden; er fühlte sich in Gneixendorf wohl und wäre gern noch länger geblieben.


»Ich kann mich nicht darüber aufhalten, da wir ohnehin länger hier waren, als es vorauszusehen war; aber selbst Breuning sagt, daß ich nicht eher zu dem Feldmarschall gehen kann, bis ich so aussehe, daß man kein Zeichen des Geschehenen an mir sieht, weil er das Ganze ignoriren möchte. Fast ist nun dies erreicht, bis auf weniges, was aber nicht mehr lange dauern kann; ich glaube daher wir sollten wenigstens bis nächste Woche bleiben. Hätte ich die Pommade hier gehabt, so wäre auch das unnöthig. Ueberdies je länger wir hier bleiben, desto länger sind wir noch beisammen, da ich sobald wir in Wien sind, natürlich bald weg muß.«


Dann kommt noch die oben schon angeführte Äußerung wegen der Kosten des Holzes, und gleich darauf Johanns Anerbieten wegen eines eventuellen längeren Aufenthaltes. Aus ersterem dürfte man vielleicht schließen, daß Beethoven damals für das Zimmer bezahlte.

Nachdem ihn Beethoven gefragt, was ihm fehle, und weshalb er den Kopf hänge (»ist die treueste Ergebenheit bei, wenn auch Mängeln nicht genug?«) und nach einer kurzen Unterbrechung ihm gesagt: »Dich schmerzt es immer von hier gehen zu müssen und ich habe auch hierauf Rücksicht genommen,« wird Karl, wie es scheint nach starken Vorwürfen, sehr unwirsch und schreibt auf:


»Hast Du gesehen, daß ich ein Wort gesprochen habe? Schwerlich – denn ich war gar nicht zum Reden disponirt, alles was Du von Intriguen sprichst bedarf keiner Widerlegung. Ich bitte Dich also, mich endlich einmal ruhig zu lassen. Willst Du abreisen gut, – willst Du nicht, auch gut – nur bitte ich Dich nochmahl mich nicht so (zu) quälen wie Du es thust, Du könntest es doch am Ende bereuen, denn ich ertrage viel, aber was zu viel ist, kann ich nicht ertragen. So hast Du es auch dem Bruder heute ohne Ursache gemacht; Du mußt bedenken, daß auch andere Leute Menschen sind. – Diese ewigen ungerechten Vorwürfe. – Weswegen machst Du aber heute ein solches Spektakel? Wolltest Du mich nicht jetzt ein wenig gehen lassen? Ich bedarf es wirklich zu meiner Erholung. Später komme ich wieder. – Ich will nur in mein Zimmer. – Ich gehe nicht aus, nur wünsche ich jetzt ein wenig allein zu sein – willst Du mich nicht in mein Zimmer gehen lassen?«


[413] Wir bedauern den Ton, den der junge Mensch Beethoven gegenüber anzuschlagen sich erlaubt, wobei er sogar verblümt zu drohen scheint, daß der Versuch, Hand an sich zu legen, sich wiederholen könnte.247 Von der anderen Seite gewinnen wir einen Einblick in Beethovens gereizte und ungeduldige Stimmung, der zwar gewiß Grund hatte über die Lebensweise des Neffen zu klagen, aber zweifellos unter dem Einfluß fortschreitender Krankheit stand.

Der Tag der Abreise wurde nun ernstlich ins Auge gefaßt. Johann hatte einen Montag genannt, wohl den 27. November; darauf wurde jetzt zurückgekommen. Im Konversationsbuch schreibt Johann: »Wenn am Montag soll gereißt werden, so muß am Sonntag der Wagen bestellt werden.«248 Die Reise verzögerte sich aber noch mehrere Tage; erst Samstags (2. Dez.) kam Beethoven nach Wien. Es ist in dem Gespräche, vielleicht nach einer Frage Beethovens, von der Zeit der Abreise der Familie die Rede.249 Es ist zu bedenken, daß der Ort für die vorgerückte Jahreszeit kein Aufenthalt für die Familie war. »Bis Ende dieser Woche« soll nach Johanns Bemerkung die Frau fortgehen; welche Woche das gewesen sein mag, jedenfalls scheint es, daß sie vor Beethoven abreisen wollte. Daraus also dürfen wir vermuten, daß die Frau kurz vor Beethoven abreiste. Dann mochte für Johann noch eine weitere Schwierigkeit für die Heimbeförderung entstehen; denn Beethoven konnte bei seiner Stimmung gegen die Frau nicht wohl mit dieser reisen, Johann aber konnte aus Gründen, die er selbst früher angegeben, noch nicht reisen.

Beethoven hielt es jetzt nicht länger – außer der Notwendigkeit für den Neffen war es doch wohl die zunehmende Krankheit, was ihn forttrieb; er machte sich auf den Rückweg und unternahm die Reise, [414] bezüglich welcher uns die Konversationsbücher im Stich lassen, in einem ungeeigneten Fuhrwerke, mußte unterwegs in einem Dorfe übernachten und kam am 2. Dezember, einem Samstag, in Wien an. Die Reise war für ihn unheilvoll. Er benutzte, wie sein späterer Arzt Dr. Wawruch in seinem noch anzuführenden ärztlichen Rückblicke erzählt, »nach seiner jovialen Aussage das elendeste Fuhrwerk des Teufels, einen Milchwagen zur Heimkehr. Der December« erzählt Wawruch weiter, »war rauh, naßkalt und frostig, Beethovens Bekleidung nichts weniger als der unfreundlichen Jahreszeit angemessen und doch trieb ihn eine innere Unruhe, eine düstere Unglücksahnung fort. Er war bemüßigt, in einem Dorfwirtshause zu übernachten, worin er außer dem elenden Obdach nur ein ungeheiztes Zimmer ohne Winterfenster antraf. Gegen Mitternacht empfand er den ersten erschütternden Fieberfrost, einen trockenen, kurzen Husten von einem heftigen Durste und Seitenstechen begleitet. Mit dem Eintritte der Fieberhitze trank er ein Paar Maß eiskalten Wassers und sehnte sich in seinem hilflosen Zustande nach dem ersten Lichtstrahl des Tages. Matt und krank ließ er sich auf den Leiter wagen laden und langte endlich kraftlos und erschöpft in Wien an.« Wir haben keinen Grund, dieser Mitteilung Wawruchs, die auf Beethoven selbst, oder aber auf den Neffen zurückgehen dürfte, den Glauben zu versagen.

Diese Rückreise begleitet Schindler mit einem schweren Vorwurf gegen Johann; derselbe habe ihm seinen geschlossenen Stadtwagen zur Reise bis zu dem nahen Krems verweigert, daher er diese in einer offenen Kalesche gemacht. Die Folge sei eine heftige Unterleibserkältung gewesen.250 Schindler spricht in der früheren Auflage allgemein von der Rückreise, erst in der 3. Auflage wird es auf die Reise nach Krems eingeschränkt. Er beruft sich auf Beethovens eigene Mitteilung hinsichtlich der Verweigerung des Wagens. Thayer (Krit. Beitr. S. 40), der die Tatsache selbst nicht anzweifelt, erhebt Einspruch dagegen, daß man dieses dem Bruder als ein so großes Verbrechen anrechne, da Johanns Abreise ebenfalls nahe bevorstand, und wir bei dem Fehlen anderer Nachrichten keinen Maßstab zur Beurteilung der Äußerungen des kranken Beethoven haben.

Wir halten uns nicht für berechtigt, die Tatsache anzuzweifeln; was freilich Beethoven selbst Schindler mitgeteilt hat, kann nach obigem nicht bestimmt gesagt werden. Immer ist festzuhalten, daß Schindler nicht in [415] Gneixendorf, also nicht Zeuge der Ereignisse war. Auch die Kontrolle der Konversationshefte haben wir hier nicht.

Wir sind nicht imstande, die Schwierigkeiten zu beurteilen, unter welchen Johann damals stand. Daß er die Absicht hatte, für Beethoven einen Wagen für die Reise zu bestellen, wurde aus dem Konversationsbuche mitgeteilt. Nun wollte Johanns Frau, wie wir sahen, ziemlich gleichzeitig mit Beethoven, vielleicht etwas vorher, abreisen; Johanns eigene Abreise stand nahe bevor (er kam tatsächlich acht Tage nach Beethoven nach Wien), und so hätte Beethoven, meint Thayer, wenn er noch wenige Tage gewartet hätte, mit dem Bruder zurückkehren können. Daß er die Rückkehr beschleunigen wollte und ungeduldig nach Hause verlangte, wie der Bericht des Dr. Wawruch erkennen läßt, lag außer dem Bedürfnisse für den Neffen an seiner fortschreitenden Krankheit. Wenn nun der Bruder seinen Wagen für sich aufhob und für die kurze Strecke bis Krems – um diese handelte es sich nach Schindler – für Beethoven einen anderen bestellte, so war das, soweit man überhaupt die Verhältnisse beurteilen kann, ein beklagenswerter Ausfluß von Johanns Egoismus, den wir ja kennen und nicht beschönigen wollen. Ein herzlich beanlagter und wirklich liebender Bruder hätte gewiß anders gehandelt. Daß er aber mit klarer Erkenntnis der möglichen Gefahr so gehandelt hätte, mögen wir nicht annehmen. Für das weitere Ungemach auf der Reise, von welchem Wawruch erzählt, wo Beethoven auf sich selbst und den Neffen angewiesen war, kann Johann nicht verantwortlich gemacht werden.

Fußnoten

1 Am 8. Januar das F-Dur-Quartett Op. 18 u.a.


2 Am 19. Februar die D-Dur-Symphonie.


3 Z.B. beim Eintausch von Wertpapieren.


4 Wir bemerken, daß hier eine völlige chronologische Genauigkeit nicht zu erreichen ist.


5 N.Br. Nr. 297. Das Original besaß nach Nohl Julius Rietz in Dresden. Nach Vergleichung mit dem folgenden Briefe ist dieser in den Februar zu setzen, nicht später.


6 Dieses Heft gehört nach bestimmten Andeutungen in den Februar.


7 Den Brief gebe ich nach einer Abschrift bei Thayer, nach welchem das Original sich in den Händen des H. v. Baier befand.


8 Auf das betr. Heft schreibt Schindler: »vom Jahr 1826 Januar oder Februar.« Bestimmte Andeutungen weisen nach Thayer auf Ende Februar (26.) und Anfang März (5.).


9 Wurde an einen nochmaligen Umzug gedacht?


10 In der folgenden Zeit äußert er sich noch gegen Schott über seine leidende (20. Mai) und wankende (26. Juli) Gesundheit.


11 Schindler II S. 114, der den Bericht der Allg. Musik. Ztg. (S. 310) anführt.


12 In dem Briefe an den Neffen vom 24. August (Nr. 26) schreibt Beethoven: »das 3te Quartett erhält auch 6 Stücke.« Das »auch« kann sich hier nur auf das A-Moll-Quartett beziehen; danach hätte Beethoven die kurze Einleitung zum 1. Satze als besonderes Stück angesehen.


13 Das »rufende« Motiv nennt es Helm, auf dessen Darlegung (Quartette S. 130 ff.) wir verweisen.


14 Anm. des Herausgebers. Zur Erleichterung des Verständnisses des formalen Aufbaues seien der warmen Würdigung dieses Satzes nur ein paar kurze Hinweise beigefügt. Das Motiv, mit welchem nach den beiden Einleitungstakten die Bratsche beginnt:


3. Kapitel. Das Jahr 1826 bis zum Dezember

beherrscht den ganzen Satz, besonders muß die bis zum dritten Achtel reichende Endung, die vielfach noch die Harmonie verschiebt, dauernd im Auge behalten werden. Der thematische Aufbau ist: Takt 1–2 Einleitung (Vorhang), Takt 3–101. Thema (mit mehrmals bestätigtem Schluß in Des-Dur). Takt 11–252. Thema durchaus in As-Dur stehend, der letzte Schluß bis zum 4. Viertel von Takt 25 reichend, Takt 26 (mit 3/16 Auftakt) bis 37 Epilog, der anstatt Takt 38 in As-Dur zu schließen schon auf das letzte Viertel von Takt 37 den As-Durakkord mit ges in der Bratsche bringt und dadurch zur Haupttonart zurückleitet. So folgt nun Takt 38–44 verzierte Wiederholung von Takt 3–9; Takt 45 reproduziert Takt 10 derart verändert, daß er statt zur Dominante zu führen, die Festhaltung der Haupttonart ermöglicht, und Takt 46–62 reproduzieren nun Takt 11–27 in der Haupttonart, dann erfolgt der den nahen Schluß andeutende Übertritt zur Subdominanttonart, der zunächst Takt 28–30 nachahmt, dann aber (nach der Fermate auf dem Des-Durakkord) zu einer wirklichen Coda umschlägt, welche auf das erste Thema zurückkommt (Takt 66–67 – Takt 7–8) und dessen Motive durchführungsartig frei verarbeitet, ein schnell bunt modulierendes Wesen annimmt (vgl. die Enharmonik Takt 30–81) und erst Takt 94–95 wieder die Bildungen des Epilogs (Takt 29–30) nachahmt. H. R.


15 Nottebohm, I. Beeth. S. 53. Schindler scheint diese Niederschrift in A besessen zu haben, Biogr. II S. 116.


16 Die Gattung war ihm auch in späteren Jahren nicht fremd; er hatte ja, wie wir sahen, nicht lange vorher Tänze für größere Sammlungen niedergeschrieben.


17 Nohl, »Beethoven, Liszt und Wagner« S. 112. Lenz, Beethoven V S. 217. – (Die innige Verwandtschaft der pausendurchsetzten schluchzenden Stellen mit dem Arioso dolente der Sonate Op. 110 sei nicht übersehen; es sind das Wirkungen, die noch niemand Beethoven nachgemacht hat. Die im Hauptteile wiederholt eingeschalteteten eintaktigen Schlußbestätigungen (vgl. Takt 9, 16, 22, 31 und Takt 2 vorm Schluß) bedingen mit den Frieden, den der Satz atmet. Brahms hat diese Wirkung zu schätzen und nachzubilden gewußt. H. R.)


18 Helm, Quartette S. 217. – Wir bemerken, daß wir es an dieser Stelle nur mit der Fuge als dem von Anfang geplanten Schlußstücke des Quartetts zu tun haben. Das jetzige Finale ist später hinzukomponiert.


19 Nottebohm II. Beeth. S. 550 macht aus den Skizzen wahrscheinlich, daß beides auf demselben Boden erwachsen, daß aus den allmählich konsolidierten Skizzen des Fugenthemas auch der Anfang des A-Moll-Quartetts geschöpft sei.


20 Der Ausdruck bezieht sich nicht auf das Ganze, sondern stand schon darauf, als es noch zweifellos als letzter Satz des Quartetts galt. Noch im März, während der Proben, fragt ihn Holz: »Bleibt der Ausdruck Ouvertura?«


21 Holz fragt ihn naiv, warum er nicht einfach Viertel statt der beiden Achtel geschrieben habe. Beethoven, dessen Antwort natürlich fehlt, wird ihn wohl gebührend zurechtgesetzt haben.

Zusatz des Herausgebers. Vgl. IV. Bd. S. X. Da in der Fuge selbst diese Doppeltöne nur f, ff und sf gefordert sind, so ist diese Vergleichung mit der Bebung des Klavichords schwerlich berechtigt, vielmehr ein starkes zweimaliges Angeben des Tones aber ohne Lücke (mit Bogen auf der Saite) sicher gemeint. Daß die Geiger Beethovens Absicht ebensowenig verstanden wie die Klavierspieler die analogen Fälle in Op. 69, 106 und 110, beweist Holz' Frage. Übrigens sei auf den anscheinend bisher unbemerkten Fehler hingewiesen, daß 3. Takt 4. Viertel in der Viola statt hh vielmehr hc stehen muß, wie der Fortgang ausweist (auch die Gesamtausgabe hat den Fehler, der auch in dem vorausgeschickten Einzelvortrage der 1. Violine zu korrigieren ist), die Zahl der Fehler ist damit schwerlich erschöpft. H. R.


22 Noch später sprechen sie über diese Bezeichnung. Karl schreibt ihm (etwa im Dezember) auf: »Es ist aber französisch. – Grande fugue tantôt libre tantôt recherchée« und schreibt noch darunter: »de part libre de part recherchée«. Ersteres blieb also. Das war wohl für die besondere Ausgabe bestimmt.


23 Anm. des Herausgebers. Da Beethoven bereits in der Einleitung die drei Formen vorgestellt hat, in welchen das Thema auftreten soll (nach B-Dur versetzt):


3. Kapitel. Das Jahr 1826 bis zum Dezember

von denen c) zuerst (3. Kapitel. Das Jahr 1826 bis zum Dezember), b) an zweiter Stelle (2/4) und a) zuletzt (6/8), alsdann aber die Form des Anfangs der Einleitung (nach B-Dur versetzt):


3. Kapitel. Das Jahr 1826 bis zum Dezember

im Verlaufe des Allegro molto (6/8) ebenfalls eine ausführliche Durchführung erfährt, so kann doch von einem Aufgeben des Fugencharakters nicht gesprochen werden. Teile in anderer Taktart und mit rhythmischer Belebung des Themas kommen schon in Ricercari um 1600 vor und für Verlängerungen eines Fugenthemas durch Hinausschiebung des Schlusses enthält das wohltemperierte Klavier frappante Beispiele. Jede der drei oder vier Formen des Themas erhält natürlich neue Kontrapunkte, die aber ebenfalls durchgeführt werden; daß aber sogar auch der Kontrapunkt (das Gegenthema) des Anfangsteiles wohl erkennbar in dem 6/8 Teile eine Rolle spielt, hebt ja Deiters selbst hervor. Eine auffällige Veränderung des Themas ist, daß dasselbe in den Formen c) und d) am Ende schnell und unerwartet moduliert, in den Formen a) und b) dagegen nicht; man empfindet aber ina) und b) diese Veränderung nicht als einen Verlust sondern als Befreiung von einem gewissen Zwange. Erkennt man die Identität der vier Formen des Themas an, so wird man dem ganzen Satze den Namen einer ganz gewaltigen richtigen Fuge nicht absprechen können. H. R.


24 Schindler II S. 214.


25 Artaria sagt im K.B. um den 11. April (wie es scheint, ist die Unterhaltung bei Artaria): »Es ist schon viele Nachfrage um die Fuge zu 4 Händen für Pianoforte arrangirt, erlauben Sie daß ich sie so herausgebe? – Partitur, in Stimmen, die Fuge à 4 Mains von Ihnen arrangirt, auf einmahl herauszugeben.« – Holz: »Er wird ihn zu Ihnen schicken, damit Sie ihm das beste rathen.« Das bezieht sich vielleicht auf jemanden, der das Arrangement vorbereiten sollte.


26 Er tat es aber nicht gern. Holz erzählte O. Jahn: »Er hielt viel darauf und war nur mit Mühe zu bewegen sie davon zu trennen.«


27 Der Brief in Schindlers Nachlaß in Berlin, Abschrift hatte Thayer. Eine genaue Abschrift verdanke ich der Güte des Herrn Dr. Kopfermann in Berlin.


28 Nottebohm, II. Beeth. S. 365.


29 Holz im K.B. vom Mai 1826: »Artaria hat den Halm schon bezahlt« und kurz nachher: »Die Herausgabe der Fuge macht er sehr dringend.«


30 Der Brief ohne Adresse und Datum, ebenfalls in Berlin befindlich; dort von mir abgeschrieben. Bei Kalischer N. B. Br. Nr. 80 d. Es verfloß etwas längere Zeit bis zu diesem Brief; noch im Juli fragt Holz: »Von der Fuge ist jetzt keine Rede mehr. Wird sie Halm machen? Oder läßt es Artaria ganz fallen?«


31 Dem Inhalte nach kann das nur Artaria sein; s. auch das Spesenbuch. Der Buchstabe ist nicht ganz deutlich.


32 Die in + + eingeschlossenen Worte sind unten beigefügt.


33 In den Mitteilungen von Holz an O. Jahn finde ich folgende Aufzeichnung: »Die große Quartettfuge soll B. selbst mit Quatrini arrangirt haben, weil Halms Arrangement ihm nicht genüge. Von Czernys Arrangement sagte B.: Er gebraucht mir das Piccolo zu viel.« Der hier genannte Naine kommt unseres Wissens unter den Wiener Musikern zu denen Beethoven Beziehungen hatte nicht vor, doch scheint danach, daß er sich bei dem Arrangement eines Gehülfen bediente. – Auf einem abgeschnittenen Zettel (in Berlin) findet sich noch Folgendes: »So finde ich's für's beste, auf Discretion will ich mich auch nicht einem Menschen ergeben, der schon einmal so wortbrüchig gegen mich gehandelt hat. – – Das ist das ultimatum – durchaus keine Modification – entweder das eine oder das andere – zu Mittag bitte ich sie zu mir zu kommen – übrigens keinen Aufschub in dieser Sache, als den des Geldes, er kann nach 6 Wochen und noch länger das honorar bezahlen.« Ob dies für Holz oder Schindler bestimmt war entscheide ich nicht. In letzterem Falle würde es in frühere Zeit fallen.


34 Joseph Merk war Violoncellist bei der Hofkapelle und Professor bei der Gesellschaft der Musikfreunde.


35 Bd. III H. 1 S. 133. »Eine Original-Anecdote von Beethoven, mit einem Canon des Meisters in Facsimile, mitgetheilt von C. H.« und unterschrieben »Wien 1842. C. H.« Holz war eben der vermittelnde Freund gewesen; auch wissen wir daß er mit dem Redakteur Gaßner befreundet war und ihm das Recht Beethovens Biographie zu schreiben abtrat.


36 Der Überbringer des Billets war Holz, der im K.B. (aus dem Juli, wie andere Andeutungen nahelegen) Beethoven erzählte: »Dem Dembscher habe ich das Billet gegeben, er lachte recht und fragte, ob es sein muß? Ich antwortete: Das ist die einzige Bedingung um alles zu verzeihen.« Die Entstehung des Scherzes hängt also mit den Anfängen des F-Dur-Quartetts nahe zusammen. – Wenn aber Holz diesen Scherz einen Kanon nennt, so beabsichtigte vielleicht Beethoven einen solchen daraus zu machen; das Vorhandene ist kein Kanon, und auch der letzte Satz von Op. 135 zeigt nichts von kanonischer Bearbeitung.

Zusatz des Herausgebers. Daß das Scherzstück doch wohl als Kanon gemeint ist, mag die folgende Deutung desselben beweisen:


3. Kapitel. Das Jahr 1826 bis zum Dezember

37 Schindler, 2. Aufl. S. 263, 3. Aufl. S. 157. Er erwähnte auch die andere Tradition, die er aber nicht genau kannte, und bezieht sich auf das Quartett Op. 127. Thayer hatte auch die Holzsche Tradition, ohne bestimmte Bezeichnung des Quartetts, sich aufgezeichnet, wie er meinte, nach einer Erzählung von Al. Fuchs.


38 Noch später spielt Beethoven auf einem Bleistiftzettel für Holz (nach Jahns Abschrift in Thayers Nachlaß, vgl. Nohl N. B. Nr. 305) auf die Sache an:

sfsf

»Holz! – schaffe Holz! morgen in aller Frühe kann die Ungefährlichste aller Personen das Geld dazu bringen. Der L k–l v. Agent muß es sein? Es muß sein –!

Thut das Eurige, wie wir das Unsrige.


Amicus Beethoven

Auch sonst kommt in den Gesprächen noch die Rede darauf.


39 Schindler 2. Aufl. S. 262 (3. Aufl. S. 189 ist die in der 2. Auflage enthaltene Erzählung nur wenig ergänzt, insbesondere der Ausfall gegen Holz weggelassen).


40 S. oben S. 298 f.. Halm schickte es am 24. April und ging folgenden Tags zu ihm.


41 Nach Jahns Abschrift bei Thayer. Gedruckt bei Nohl, N. Br. Nr. 296, seiner Angabe nach aus der Autographensammlung von Gwinner in Frankfurt a. M. Nur die Unterschrift war »Wie immer« von Beethovens Hand, das übrige von der des Neffen.


42 Diese von Hoffmann gesungen, wird einmal im K. H. erwähnt. Thayer bezog dies auf die Akademie vom 21. März.


43 Abschrift bei Thayer nach Schindlers Nachlaß.


44 Zusatz des Herausgebers. In der Frankfurter Zeitung vom 25. Sept. 1907 veröffentlicht Hermann Knispel (Darmstadt) Auszüge und Aufzeichnungen des 1884 in Darmstadt im hohen Alter gestorbenen Tenoristen Ludwig Cramolini, deren Inhalt wenigstens teilweise durch das K.B. bestätigt wird. Den obigen Worten geht unmittelbar voraus die Eintragung Schindlers: »Das ist H. Cramolini, 1ster Tenor der deutschen Oper«, was Cramolinis Angaben, daß Schindler ihn und seine damalige Braut, die Nanette Schechner, bei Beethoven eingeführt habe, bestätigt. Falsch ist dagegen zweifellos Cramolinis Angabe, daß der Besuch am 15. oder 16. Dezemb. 1826 stattgefunden habe, da um die Zeit der Benutzung dieses Konversationsheftes bereits Dr. Malfatti die Behandlung des Kranken mit übernommen hat (Schindler spricht darin bereits von ihm), so daß die Datierung Schindlers, die Thayer bestätigt (vom Februar) jedenfalls richtig ist. Ein Widerspruch ist auch, daß Schindler die Bemerkung über die Adelaide der Schechner zuschreibt, während sie nach Cramolinis Bericht diesem gehören würde. Ob die Schechner und Cramolini wirklich, wie letzterer erzählt, an Beethovens Krankenlager gesungen haben, muß dahingestellt bleiben. Das K.B. verrät davon nichts. H. R.


45 Holz im K.H. »Haben Sie es dem Steiner auch mit Orchester verkauft? – Haben Sie das Werk mit einem eigenen Titel verkauft. – Sie werden schon sehen, sobald Sie keinen Titel dazu gegeben haben, als Sie es verkauften, haben Sie Unrecht. – Wer hat den Klavierauszug gemacht. – Es wäre doch besser gewesen, wenn der rechte Titel gleich anfangs auf der Partitur gestanden wäre. – – – Jetzt sehe ich wohl, warum Steiner läugnete, daß er den verbesserten Titel empfangen hat. – – Es scheint mir, daß er es so gemeint hat, weil er sagte – man müsse sich bei Beethoven sicher stellen. – – – Wahrscheinlich wollte Steiner absichtlich das Publikum nicht wissen lassen, daß das Terzett mit ganzem Orchester geschrieben ist, um desto mehr Abnehmer für den Clavier-Auszug zu finden; daher erkläre ich mir jetzt sein Läugnen, daß ich ihm die verbesserten Titel gegeben habe. – Ich weiß mich noch keines Falles zu entsinnen, daß von irgend einem Werke, bevor es in seiner ursprünglichen Form erschien, ein Auszug sei geliefert worden; es ist genau betrachtet höchst lächerlich. Tobias gestand später ein, daß der unrichtige Titel nicht von ihm [Ihnen] herrühre« (K.B.) Noch im September sagt ihm Holz: »Tobias zeigte heute den Probeabdruck des neuen Titels zu dem Terzett: ich entdeckte gleich einen neuen Fehler; der Stecher setzte wohl vor tutti orchestra; aber estratto per il cembalo hat er ausgelassen. – Bis übermorgen wird es schon dazu gemacht sein. – So würde man glauben die ganze Partitur zu kaufen.« Hier ist also der Klavierauszug gemeint.


46 Nach Jahns Abschrift nach Fuchs. Thayer nach einer andern Abschrift, (auch bei Thayer, aus Graßnicks Sammlung). Auf der Rückseite: Beethoven 1826 angek. 9. 12. Septbr. beantw.


47 Regierungsrat Sartori, der die Sache bei der Polizei in der Hand hatte.


48 Solche Manipulationen nutzten nichts. Wie Holz später erzählte, waren die Exemplare von Op. 127, welche Schott an Steiner geschickt hatte, schon nach 14 Tagen vergriffen.


49 Bei Nohl N. Br. Nr. 295, doch ungenau. Von fremder Hand (wie Nohl meint, Schindlers), von Beethoven unterschrieben.


50 Vgl. den Brief Galitzins vom 16. Juni 1824 in Anhang II.


51 Das deutet Nohl auf Gottfried Weber.


52 »hier« bei Nohl. Das betreffende Wort ist nicht mehr zu lesen.


53 Nohl N. Br. Nr. 298. Von mir verglichen.


54 Das Haus hatte falliert.


55 Man findet ihn bei Nohl Br. B. Nr. 375. Das »neue Quartett« war wohl nicht das F-Dur, wie Nohl (N. Br. S. 284) meint. Er meinte wohl wieder das Cis-Moll.


56 Nohl, N. Br. Nr. 299.


57 Das war das Cis-Moll-Quartett.


58 Zu dieser Reise kam es nicht. Den Landaufenthalt beim Bruder konnte er hier noch nicht meinen, daß er aber einen solchen schon früher beabsichtigte, sehen wir hier.


59 Nohl, N. Br. Nr. 300.


60 Nohl, N. Br. Nr. 301.


61 Das war wohl die Frage der Gesamtausgabe.


62 Abschrift dieses Briefes, welchen Nohl nicht hat, erhielt Thayer von seinem Freunde Jos. J. Mickley in Philadelphia, aus dem Besitze von dessen Freund F. J. Dreer.


63 Nottebohm im them. Verzeichnis S. 125.


64 Davon erfahren wir nichts.


65 Lenz, 5. Bd. S. 217. Er gibt hier Erinnerungen von Holz wieder.


66 Nottebohm II. Beeth. S. 7 ff.


67 Helm, Beethovens Streichquartette S. 223. R. Wagner, Beethoven S. 40.


68 Helm macht darauf aufmerksam, wie Beethoven im Verlaufe der Bewegung auch harmonische Härten nicht vermeidet.


69 Wie sehr es ihm bei diesem Schlusse auf die Klangwirkung ankam, zeigen die verschiedenen Versuche, die er der Stelle widmete; vgl. Nottebohm I. Beeth. S. 54 ff.


70 Vgl. Helm a. a. O.


71 Etwas anders Holz in seinen Mitteilungen für Frau Linzbaur bei Nohl »Beethoven, Liszt und Wagner« S. 112: Beethoven habe mit Rücksicht auf die letzten Sonaten, die er für das letzte, aber auch das Beste erklärt, was er für Klavier geschrieben habe, gesagt; »Es ist und bleibt ein ungenügendes Instrument. Ich werde künftig nach der Art meines Großmeisters Händel jährlich nur ein Oratorium und ein Concert für irgend ein Streich- oder Blasinstrument schreiben, vorausgesetzt, daß ich meine zehnte Symphonie (C moll) und mein Requiem beendet habe.« Dabei steht nach Nohl: »Beethovens Worte.«


72 In den Aufzeichnungen von O. Jahn.


73 Der Text sei von Aßmayer komponiert worden; wollte er sagen verfaßt? Das wäre dann ein Irrtum gewesen. [Nach Fetis schrieb Ignaz Aßmayer ein Oratorium »Sauls Tod« Op. 50, nach Mendel-Reißmann sogar zwei [wohl Teile desselben]: »Saul und David« und »Sauls Tod«. H. R.]


74 Daß Beethoven noch an die Sache denkt, schließen wir aus der von Holz im Juli gestellten Frage: »Haben Sie den Klavierauszug von Händels Saul schon durchblättert?« Noch im September findet sich im K.B. eine Erwähnung; Beethoven hatte gewünscht, den Händelschen Saul zu erhalten.


75 »Von Saul war der erste Teil im Kopfe fertig«, Holz in O. Jahns Notizen.


76 Auch Schickh und die Unger (vgl. Bd. IV S. 413). H. R.


77 Ich finde diese Notiz in Thayers Materialien. Im Frühjahr 1820 fragt jemand im K.B.: »Wann machen Sie das Requiem?« (Nohl »Beethoven, Liszt und Wagner« S. 111.)


78 »Beethovens Ansichten über das Requiem zeigen dahin, daß es eine ruhige Musik sein solle, keine Weltposaune nöthig sei; die Erinnerung an die Todten verlange kein Getöse. Die Richtung in Cherubinis Requiem Nr. 1 schätze er am meisten –«. Holz bei Nohl »Beethoven, Liszt und Wagner« S. 111.


79 Ich entnehme die Mitteilung dem Nachlasse Thayers und kann über den Verfasser nichts näheres angeben.


80 Bd. IV S. 414. Die Notiz über diesen Brief und den Anfang desselben finde ich in Thayers Materialien in der Abschrift eines Briefes an O. Jahn aus Berlin, dessen Schreiber nach Thayer ungewiß ist. Den Brief veröffentlichte Altmann in der Zeitschrift »Die Musik«, III. Jahrg. 1903/04 H. 12 S. 437.


81 Wir nehmen Bezug auf die Veröffentlichung von Kalischer in dem Aufsatze »Grillparzer und Beethoven« in der Zeitschrift »Nord und Süd« LVI S. 90 ff.


82 Grillparzers Werke (4. Ausg. 1887) 1. Bd. S. 234. Wann dies geschehen, sagt Grillparzer nicht näher.


83 Nach Grillparzers Mitteilung an O. Jahn hat das Beethoven wiederholt gesagt.


84 Vgl. Bd. IV S. 286.


85 Nottebohm II. Beeth. S. 11. 12.


86 Bd. V S. 368.


87 S. auch die erwähnte Außerung Beethovens, o. S. 326 Anm. 1.


88 Nohl, Musik. Skizzenbuch S. 281. 282.


89 Nach Schindlers Mitteilung (Lenz V S. 368) sollen die Skizzen aus den Sommermonaten 1824 stammen. – Nach dem Zusammenhang, in welchem sie stehen (neben den Quartetten) ist das wohl nicht anzunehmen.


90 Vossische Zeitung 1879, 5. Jan., Sonntagsbeil. 1.


91 Nottebohm II. Beeth. S. 163. Diese Symphonie sollte, ehe der ganze Plan festgestellt war, Singstimmen erhalten, vielleicht schon im Adagio. »Oder dasAdagio wird auf gewisse Weise im letzten Stücke wiederholt wobei alsdann erst die Singstimmen nach u. nach eintreten – im Adagio Text griechischer Mithos Cantique Ecclesiastique – im Allegro Feier desBachus.« S. auch oben S. 19, Absatz 2. Nach Nottebohm ist diese Bemerkung ins Jahr 1818 zu setzen.


92 Die Skizzen, aus dem Berliner Skizzenbuch (Nr. 9, Bl. 1 Rückseite und Bl. 3; vgl. Kalischers Aufsatz über die Berliner Autographe) hat Herr Oberbibliothekar Dr. Kopfermann die Güte gehabt für mich nochmals zu vergleichen.


93 Die 4. Note ist bei Nottebohm c.


94 Nottebohm, II. Beeth. S. 13.


95 Auf das auch in dieser Zeit schon begonnene F-Dur-Quartett kommen wir nach dessen Vollendung zurück.


96 Im Februar erzählt ihm Holz, mutmaßlich von Stadler: »Gestern ist er wieder bei der Ouvertüre fortgegangen. – Er ist zu alt. – Bei Mozart sagt er immer: ›Mehr kann ich nicht verstehen.‹« – Als aber am 5. März das Trio in G (Op. 9) gespielt wurde, blieb auch Stadler und lobte es. Holz erlaubt sich den Scherz: »Man könnte auch sagen: A B C D (Abbé cédait)


97 Cäcilia III S. 205 ff. – Vgl. über die Angelegenheit O. Jahn, Mozart II 4. Aufl. S. 833 ff.


98 Das Faksimile dieses Briefes wird mitgeteilt in Schlossers kleiner Biographie (1838); hiernach bei Nohl, Br. B. Nr. 373.


99 Die Singnoten des Basses stehen im Kyrie des Requiem, Part. S. 15. – Weber (a.a.O.) möchte nicht glauben, daß Mozart den Sängern solche »Gurgeleien« zugemutet hätte, wie sie sich im Kyrie finden, und druckt die Stelle ab. Beethoven schrieb mit Blei an den Rand seines Exemplars: »o du Erz Esel«. Dann meint Weber: vielleicht sei bei der Prüfung der vorgefundenen Brouillons eine Verwechslung der Instrumentalstimmen der Zwischenspiele mit den Singstimmen vorgefallen. Dazu schreibt Beethoven wieder: »doppelter Esel«. Das Exemplar der Cäcilia mit Beethovens Bemerkungen besitzt Dr. E. Prieger in Bonn.


100 Ein undeutlicher Name (Naweyer oder ähnlich). Beethoven hat sich wohl selbst verschrieben.


101 Hier mag die Erzählung stehen, welche wir bei Castelli, Memoiren III S. 119 lesen: »Eines Nachmittags befanden sich Stadler und Beethoven bei Steiner, und als der Letztere wegging, kniete er vor Stadler nieder und sprach: ›Ehrwürdiger Herr, geben Sie mir Ihren Segen!‹ – Stadler darüber gar nicht verlegen, machte das Kreuz über ihn und murmelte im Tone, als ob er ein Gebet dazu spräche: ›Nutzt's nix, so schadts nix.‹ Beethoven küßte ihm die Hand und wir Uebrigen lachten.« Dieselbe Geschichte hörte O. Jahn von Prof. Fischhoff.


102 »Der Mosel war heute auch da,« erzählt Holz, wohl im Konzert. – »Herr Hofrath v. Mosel war auch einer von denen die das Quartett nicht verstanden.«


103 »Dem Mosel sagte ich, daß ich die Briefe heute bringen werde.« Holz im Mai 1826. Einige Zeit vorher erzählt Holz, er habe Mosel gesagt, daß er die Antwort an Baron Klein bringen werde.


104 Der Brief abschriftlich bei Thayer nach O. Jahns Nachlaß. Er ist auch veröffentlicht von Kalischer, Neue Beeth. Br. S. 67.


105 Biogr. II S. 176.


106 Kreißle, F. Schubert S. 261 ff.


107 Vgl. Bd. IV S. 293. Vgl. auch Kreißle S. 262.


108 Derselbe Ferdinand Schubert sagte in der N. Ztschr. f. M. Bd. 10 Nr. 34 über Schubert: »Mit Beethoven, den er heilig hielt und der sich oft in großer Anerkennung namentlich über seine Lieder aussprach, kam er öfters zusammen, ohne daß man ihn deshalb, wie oft geschehen, einen Schüler Beethovens nennen dürfte.«


109 Nach dem Zusammenhang könnte das Artaria, vielleicht auch Mosel gewesen sein.


110 »Wenn die Gelder kämen, könntest du wohl aufs Land«, schreibt Karl.


111 Von Beethovens Hand lesen wir im K.B. (im Mai): »Nach Ischl c'est le meilleur.« Und etwas später (Juni): »Schlammbad zu Gmunden für gichtische Leiden etc. in der Beschreibung Ischls erwähnt.« »Wegen Ischl habe ich gefragt,« sagt Karl im Juni, »es ist 32 Meilen von hier.«


112 In den eigenen Notizen Beethovens ist zu lesen: »Manchmal in einem Wirthshaus in Dornbach, in Schönbrunn essen, übernachten, oder auch ein Zimmer miethen in dieser Gegend.« Wenn er weiter das Wort Döbling hinschreibt, mag sich das auch auf diese Gedanken beziehen.


113 Wie müssen hier überall unbestimmt sprechen, da wir natürlich nirgendwo Beethovens Antworten haben.


114 Beethoven schreibt sich einmal auf: »Lege die V–t nieder.... es geht nicht so an.« Eine Unterhaltung mit Breuning war vorhergegangen, der nach den Vermögensverhältnissen gefragt hatte. Nohl deutete das »V–t« wohl richtig auf »Vormundschaft«. Beethoven hatte ja schon früher an eine Veränderung des Verhältnisses gedacht.


115 An das spätere Wort des Neffen darf hier erinnert werden: »Ich bin schlechter geworden, weil mein Oheim mich besser haben wollte.« Vgl. auch Vancsa S. 16.


116 Denkt der Bruder an Ausschweifungen?


117 Karl fährt auch fort, für ihn Besorgungen zu machen. Bei Artaria erkundigt sich ein Fräulein Zizius nach Beethoven.


118 Nur als Beispiel: »Die Professoren geben über die Feiertage immer so viel zu machen, daß man kaum fertig werden kann. Das Reinabschreiben ist am unangenehmsten, weil es sehr viel Zeit nimmt.«


119 Diese Frau Passy war, wie es scheint, eine Bekannte der Frau Schlemmer, von der wir sonst nichts wissen.


120 Vgl. auch Vancsa S. 16.


121 Es kommt eine Differenz wegen des Wäschelohns, wo auch Holz eingeweiht scheint. »Der ganze Verdruß,« schreibt Karl, »ist überflüssig, denn es kostet nichts weiter, als daß Du Dich bei Schlemmer erkundigst und Dir die Quittung vom Mai nochmahl geben läßt. – Gesehen hast Du sie, sollte sie aber noch bey mir liegen, was ich aber nicht glaube, so wirst Du sie bekommen. Das Waschgeld ist übrigens immer nachbezahlt worden, wenn auch das Monathgeld voraus bezahlt wurde. Vom Waschgeld ist kaum Erwähnung geschehen, daher für den Mai noch die 10 fl. zu zahlen waren.«


122 Wir müssen hier unsere Mitteilungen auf das Notwendigste beschränken. Auch die Zeitbestimmungen sind hier nicht auf den Tag oder den engeren Bereich der Zeit zu geben.


123 Das Original des Briefes, mit Bleistift geschrieben, befindet sich jetzt im Besitze des Herrn M. Kalbeck in Wien, dessen Güte ich eine genaue Abschrift verdanke. Der Brief ist nach einer Abschrift O. Jahns veröffentlicht von Kalischer N. B. Br. S. 72; früher schon, wie ich aus dessen Anmerkung ersehe, von La Mara Musikerbriefe II S. 16.


124 Ohne Zweifel ist Holz gemeint, wie auch Kalischer richtig sah.


125 Der Kopist hieß Angermeyer. So hieß nach Zieglers Adressenbuch für Wien von 1823 ein Sänger in Wien. Ob es derselbe war, können wir natürlich nicht wissen.


126 Der Freund Beethovens hieß Karl Holz, nicht Ferdinand. Übrigens ist von einer Verhinderung der Tat durch diesen sonst nichts bekannt.


127 »Diese beiden Monate müssen in Gottes Namen abgewartet werden, bis die Prüfung vorüber ist,« sagt Holz, nachdem vorher von der Gewinnung einer Stelle die Rede war.


128 Bestimmt ist von der Leidenschaft fürs Billard die Rede. Nach Schindler. (K.B.) sah man ihn in Kassehäusern mit Kutschern und lauter Pöbelvolk spielen, »denen er im Spiel oft nicht ehrlich zusetzte.«


129 Ein Fremder schreibt ins K.B.: »Ich weiß er war auch in Baaden mit H. Schlemmer. – Er war nur einen halben Tag bei ihm und der Nachmittag war für ihn die Zeit zu schreiben.«


130 Nach Thayers Notizen.


131 Beethoven schreibt sich einmal auf: »Karl die Prüfungsbogen mitbringen.« Das war etwa im Juli.


132 Im Juli schreibt Karl: »– es sind nur mehr ein paar Wochen Zeit und sehr viel zu thun, man kann kaum mit den Aufgaben fertig werden, um so schwerer für die Prüfung lernen, und ich bin unter den ersten, die geprüft werden, da es nach dem ABC geht.« Weiter: »In wenig Wochen ist schon die erste Prüfung; es ist also die höchste Zeit, daß ich jede Stunde benutze.« (Damit ist wohl die schriftliche Prüfung gemeint.) Und wiederum: »Mittwoch ist meine erste Prüfung.«


133 »Was wird der gute Niemetz dazu sagen?« sagt die Mutter später, nach der Tat zu Holz (K.B.).


134 Nach O. Jahns Abschrift in Thayers Materialien. Veröffentlicht von Kalischer N. B. Br. S. 75.


135 »Als es einmal bei den Prüfungen besonders schief ging« lese ich bei Frimmel S. 73. Ich weiß nicht, ob das auf eine Tradition zurückgeht.


136 Auch Holz spricht da die Meinung aus, daß Karl die Prüfung nicht brauche.


137 Hatte sich vielleicht schon früher Unzufriedenheit mit dem gewählten Berufe entwickelt?


138 Beethoven fragt einmal Schlemmer, ob Karl geschimpft habe. Schlemmer antwortet: »Geschimpft nicht, aber geklagt, daß er immer Verdruß habe.« Holz erzählte später O. Jahn: »B. war übermäßig rigorös gegen seinen Neffen und gestattete ihm nicht die geringste Extravaganz. Seine Mutter war lüderlich. In dieser unnatürlichen Lage machte er im Sommer 1826 den vergeblichen Versuch sich zu erschießen bei Rauhenstein – –.«


139 Den Herren vom polytechnischen Institut, welche ihn ermahnten und u.a. an die Pflicht gegen den Onkel erinnerten, soll er (Schindler im K.B.) geantwortet haben! »Mein Onkel! mit dem kann ich machen was ich will, einige Schmeicheleien und freundliche Mienen machen ihn gleich wieder gut«. Ähnlich berichtet Holz, Karl habe gesagt, daß er seinen Onkel um den Finger wickeln könne; er dürfe machen was er wolle, er dürfe sich doch auf ihn verlassen. An den Niemetz schrieb er, wie man nachher fand: »Ich mußte in so großer Eile schreiben aus Angst und Furcht von dem alten Narren entdeckt zu werden.«


140 »Eine Nacht im Prater, Ball, 2 Nächte nicht zu Hause geschlafen« notiert sich Beethoven einmal nach dem Vorfalle. Andern Vermutungen, zu denen das K.B. (Holz) Anlaß geben könnte, gehen wir hier nicht nach.


141 Wie die K.B. sagen, war das Geld für den Hauswirt bis Ende Juli bezahlt, doch hatte der Korrepetitor noch zu fordern.


142 Sie wurden an Niemetz adressiert. Etwa 2 Tage nach der Tat schrieb jemand, wahrscheinlich Schlemmer, im K.B.: »Niemetz war gestern Nachts um 10 Uhr bey mir mit mehreren Briefen, auch an Ihnen, die er selbst heute bringen wird – er hat sie von Baden erhalten.«


143 Nohl, Beeth. III S. 701 fg., wo auch die Konversationen benutzt sind.


144 Die Konversationen sind hier lückenhaft, es sind (nach Thayers Angabe) in den ersten Unterhaltungen nach dem Ereignisse mehrere Blätter aus dem Konversationshefte entfernt. Was den früheren Besitzer (Schindler) dazu veranlaßt haben mag, können wir nicht wissen. Infolgedessen bleibt die Zeitbestimmung im Folgenden teilweise unsicher.


145 Karl kaufte sich später, wie sich Holz ausdrückt, neue Pistolen.


146 Die Reihenfolge der Ereignisse ist hier nicht sicher festzustellen, insbesondere nicht, wievielmal sie bei Karls Mutter vorfuhren.


147 Das Original des Briefes befindet sich in der Sammlung des Beethovenhauses in Bonn; abgedruckt ist er in dem »Führer«, Nachtrag S. 11, sowie in der Schrift »Verein Beethovenhaus«. Bericht über die ersten 15 Jahre seines Bestehens [1889–1904], S. 77.


148 S. oben S. 356. – Die Unterhaltung fand also noch am Tage der Tat selbst statt. – Das weiter Folgende vielleicht etwas später. Es fehlt hier wieder einmal ein Blatt, daher bleibt die Zeitfolge ungewiß.


149 Der Gedanke an die Ergreifung des Militärberufes taucht also früh auf. Holz befürwortet ihn.


150 Nach Holz' Mitteilung sagte Karl einmal, »es sei nicht Haß, sondern ein ganz anderes Gefühl, das ihn gegen Sie ergreife.« – Meinte er Furcht? wir wissen es so wenig, als es Holz wußte. –


151 Wir verzichten natürlich auch hier darauf, Holz' Äußerungen alle wiederzugeben.


152 Karl war also noch bei der Mutter, wie wir aus diesen Worten entnehmen dürfen.


153 Das war die Wohnung der Mutter.


154 Thayer hat sie »Ende Juli, nicht August« angesetzt (Krit. Beitrag S. 37), ebenso Frimmel S. 73, während Vancsa (S. 18) dies bestreitet und »Mitte August« sagt. In Folgendem benutze ich eine Aufzeichnung Thayers.


155 Vgl. Schindler II S. 127, der Beethovens veränderte Haltung in der nachfolgenden Zeit beschreibt. »Dahin war das immer noch Feste, Stramme in allen seinen Körperbewegungen, ein Greis von nahezu siebenzig Jahren stand vor uns, willenlos, fügsam, jedem Luftzuge gehorchend.«


156 Aus dem Schwarzspanierhaus S. 79 (neue Ausg. S. 120).


157 In diesem Zusammenhange (jedenfalls im Hospital) schreibt eine unbekannte Hand im K.B. auf: »Ich kann mir Ihren Schmerz denken. Haben Sie die Güte mir Ihren Karl zu grüßen, ich wollte ihn besuchen, es ist aber nach 5 Uhr kein Einlaß. – H. v. Betthofen wir sind versöhnt.« Und weiter. »Sie verwöhnen die Wärterin, indem Sie ihr zu oft geben, – solche Leute sind eigennützig. – Ich habe Sie H. v. Betthoven wie ein Bruder geliebt, ich wollte für Kost und Quartier der Führer ihres Karls werden, ich habe nie von Ihnen etwas Nachtheiliges gesprochen, wer könnte das auch, ohne sich selbst zu schänden? ich bewundere Ihren Geist und Ihr Herz. – Niemetz, so weit ich ihn kenne, ist ein unverdorbener Jüngling, sie lieben sich vom Institut aus. – [Hier folgt noch ein unlesbarer Name.]« Die Annahme Nohls, das rühre von der Mutter her, ist unmöglich, sie konnte doch wohl ihren Namen richtig schreiben, auch zeigt das Weitere, daß es von einem Mann herrührt. Beethoven schreibt hier selbst darnach: »Hast du einen verborgenen Kummer, entdecke ihn mir durch die Mutter


158 »Ich bitte meinen Rath mit mehreren zu besprechen; freylich fragt sich sub qua forma er Wien verlassen soll. – Das wird sich finden.« –


159 Die Mitteilungen aus dem Gespräche mit Klaps übergehen wir hier, es ist in ihnen nicht alles verständlich. Jenes entnehmen wir daraus, daß er für den Juni noch nicht bezahlt war; vielleicht ist ein anderer einmal glücklicher in der Erläuterung dieser Unterhaltungen.


160 D.h. in Wien zu bleiben, wie der Zusammenhang ergibt. Beethoven scheint dies zu wünschen.


161 »Ihr Bruder hatte doch Recht, als er sagte, Karl kenne alle liederlichen Dirnen; jetzt bestätigt es sich von anderer Seite« – – Holz.


162 Schindler sagt im Konversationsheft: »Schreiben Sie, mein großer Meister, nur nicht mehr solche Briefe, als dieser hier ist. Denn obwohl sich Ihr edles Gemüth darin ganz herrlich zeigt, so zeigen Sie wieder, daß Sie diese entsetzliche That entschuldigen, und dann ist nicht abzusehen, wohin das in der gegenwärtigen Lage führen soll, gewiß zu keinem günstigen Resultat für Beide, vielmehr zeigen Sie, wie sehr Sie alles Geschehene verabscheuen, und lassen Sie ferner Ihm Wohlthaten zufließen, so muß es nicht geschehen, als geben Sie es gern, sondern nur weil Sie die Verpflichtung übernommen ihn zu unterhalten. – Auf ihn wirkt nichts mehr ein, so sagt auch Holz.« Beethovens idealer Standpunkt leuchtet auch aus seiner an sich selbst gerichteten Notiz im K.B. hervor: »Ich will nur seine Besserung bezwecken, wenn er jetzt preisgegeben wird, könnte noch Schreckliches geschehen.«


163 Holz: »Darum glaube ich auch, daß der Klavierauszug der Cavatine in Es am schwierigsten zu machen sein wird. – Doch wird er weniger Absatz finden, wer hat zwei Klaviere?«


164 Von uns Bd. IV S. 472 bei Gelegenheit des Bundeslieds erwähnt. Schindler schreibt in dieser Zeit ins K.B.: »Wo ist denn jetzt Ehlers? Wenn er nun doch eine feste Anstellung hätte.«


165 Das Original besaß nach Nohl Stadtpfarrer Körner in Mainz. Thayer hatte Abschrift von einer Abschrift Stumpffs. Veröffentlicht ist es von Nohl (Mosaik S. 334) und Kalischer (N. B. Br. S. 190). Ich folge einem Faksimile im Besitze von Herrn Dr. Prieger in Bonn.


166 Ohne Zweifel Verwechselung statt Meislsche.


167 Die Ouvertüre zu den Ruinen beginnt allerdings mit einem G-Moll-Satze.


168 Die hier gemeinte Ouvertüre ist Op. 124. Der erwähnte Bearbeiter des Klavierauszugs war Henning, s. S. 177, sowie Bd. IV S. 307.


169 Das fühlte auch Nohl (Biogr. III S. 947, Mosaik S. 334), welcher die Tat allgemein »Anfang August« ansetzt. (Der Herausgeber glaubte Deiters' Darstellung nicht verändern zu sollen, will aber doch nicht unterlassen anzumerken, daß mancherlei Gründe für den 6. August sprechen und gerade Schlemmers Aussage die Annahme zu stützen geeignet ist. H. R.)


170 In einer kurzen Zuschrift an Tob. Haslinger, mit der Aufschrift »erhalt. 27. Sept. 1826« schreibt Beethoven: »Ich danke – ich bitte mir anzuzeigen wie es gehen soll mit der Dedication – können Sie selbige dem Dr. Spiker übermachen – ich geh morgen von hier – u. bleib wohl so lange aus, daß ich ihn nicht mehr treffen werde. – Haben Sie nicht vernommen ob die Gesandtschaft damit einverstanden ist?

Ihr ergebenster

Beethoven.«


Nach Nohl N. Br. Nr. 309. Vgl. S. 384.


171 Der Brief, der sich abschriftlich in Thayers Nachlaß befindet, war in einer Anmerkung dem Berichte Spickers über seinen Besuch bei Beethoven beigefügt. – Nohl, Br. B. Nr. 381.


172 Dasselbe befindet sich in Schindlers Nachlaß auf der Berliner Bibliothek.


173 Im K.B. findet sich folgendes Briefkonzept von Karls Hand: »E.W. Indem ich Ihnen für die mir überschickten Briefe meinen größten Dank abstatte, muß ich Sie um die Gefälligkeit bitten, mir den von S. M. dem K. v. Pr. zugedachten Ring gütigst zu übermachen. – Ich bedauere sehr daß eine Unpäßlichkeit mich hindert dieses (mir so werthe Zeichen von der Liebe S. M. zur Kunst) selbst in Empfang zu nehmen. Fremden Händen aber möchte ich sehr ungern vertrauen. – Zugleich bitte ich, mich in einigen Zeilen zu belehren, ob wohl die hochl. Gesandtschaft ein Danksagungsschreiben für S. M. den König anzunehmen und zu besorgen die Güte haben würde.« – – – Breuning hatte vorher geschrieben: »Du kannst ja auch an den Gesandten schreiben daß Du krank seyst; er möge Dir den Ring schicken. – Er schickt Dir ihn durch einen Sekretär.«


174 Zu vergleichen ist noch über die Angelegenheit Kalischer, Beethoven und der preuß. Königshof, Nord und Süd Bd. XLIX Nr. 47 S. 377 ff.


175 Vgl. über ihn Castellis Memoiren III S. 50.


176 Der Bericht steht bei Seyfried, Beethovens Studien S. 93, wo die »Berliner Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen« Nr. 96 vom 5. April 1827 als Quelle angegeben sind. Abschrift der Hauptsache im Nachlasse Thayers, wo der 25. April als Datum angegeben ist.


177 Breuning schreibt einmal am Namenstag seines Gerhard, das war nach einigen Kalendern der 11. September, nach andern der 24. Aus dem sonstigen Zusammenhang geht übrigens auch dieser Monat hervor.


178 Schindler schreibt zu einer Zeit, als der Aufenthalt im Spital noch nicht lange gewesen sein kann: »Ich kann die Blätter des Gesprächs mit Dr. Spicker und Tobias nicht finden, wo sind sie denn?« und mahnt dann zur Eile, damit Spicker die Symphonie mitnehmen könne. Das könnte auch auf etwas spätere Zeit gehen. Ich möchte aber chronologisch nicht auf Schindlers Angaben bauen; auch ist die obige selbst zu unsicher.


179 Das Original befindet sich auf der Stadtbibliothek in Trier, wo ich es abgeschrieben habe. Der Güte des Herrn Zeichenlehrers Deuser in Trier verdanke ich ein Faksimile.


180 In dem Datum ist in 28 die 8 über eine ursprüngliche 6 geschrieben.


181 Abschrift des Briefes nach O. Jahn in Thayers Nachlaß. Gedruckt ist der Brief bei Kalischer (auch nach Jahn) N. B. Br. S. 83.


182 Der Brief (nach Nohl im Besitze von W. Künzel in Leipzig) ist mit Bleistift geschrieben. Abschrift (nach Jahn) im Nachlaß Thayers, der gleichfalls Breuning als den Adressaten vermutete.


183 Abschrift des Briefes erhielt Thayer von Dr. Schebeck in Prag. Nach Schebecks Original veröffentlichte ihn Nohl N. Ztschr. f. Musik 1870 S. 375, der aber in Zmeskall den Adressaten vermutet, was ganz unmöglich ist; Zmeskall war krank und ohne fortgesetzte Verbindung mit Beethoven. Wieder veröffentlicht ist der Brief von Frimmel, Neue Beeth. S. 149.


184 Abschrift (nach O. Jahns Abschrift) bei Thayer. Veröffentlicht von Kalischer N. B. Br. S. 80.


185 In einem Konversationsbuche aus jener Zeit, genauer nicht zu bestimmen steht von Beethovens Hand: »Auf den Tod von dem verstorbenen Beethoven.« Das sind wohl Andeutungen, daß er sich krank fühlte und ein baldiges Ende nicht für unmöglich hielt.


186 Aus dieser Zeit der Krankheit Karls, in welcher Holz dem Meister die wertvollsten Dienste leistete, stammt auch (30. August) die Autorisation Beethovens für Holz, daß dieser dereinst seine Biographie schreibe. S. oben S. 188 f.


187 In den Unterhaltungen bei Beethoven wird einmal gesagt: Heute geht der Monat zu Ende. Das kann nur der August gewesen sein.


188 Eine neue Erläuterung zu Schindlers unrichtiger Behauptung, der bekannte Klavierauszug sei von Halm.


189 Wie wir aus den Konversationsheften sehen, eröffnete sich für Beethoven eine Hoffnung, daß Karl in ein Regiment des Generals von Ertmann komme, der damals in Wien anwesend war. Auch Karl scheint diese Hoffnung geteilt zu haben. Sie wurde nicht erfüllt; es blieb bei Stutterheim. Vgl. Kalischer, Deutsche Musikerzeitung 1904, S. 498.


190 Schindler (S. 130) fügt hinzu: mit der ausdrücklichen Weisung, ihn nicht länger als einen Tag in Wien zu belassen. Das muß ungenau sein; er blieb noch mehrere Tage in Wien.


191 An einer Stelle des K.B. sagt Holz einmal: »Ich werde heirathen.« Ein bestimmtes Datum ist da natürlich nicht zu entnehmen. (Das Ganze fällt in den September.)


192 Das war wohl der 28. September.


193 Die Sache verzögerte sich länger. Kurz vor der Abreise schreibt Karl auf: »So lange noch äußere Zeichen da sind, kann ich dem General nicht aufgeführt werden.« – »14 Tage, da auch« – (gehört vielleicht dazu.)


194 Die beiden Briefe veröffentlichte zuerst Gerhard von Breuning in der Neuen Freien Presse vom 30. Dezember 1887. Nach ihm Kalischer N. B. Br. S. 196. 197.


195 Diesem Schreiben muß eine mündliche Verhandlung vorher gegangen sein. Karl schreibt im K.B.: »Er wird müssen ins Spital gehen. – Du mußt mit ins Spital gehen, ihm allein geben sie das Geld nicht.« – Anderweitig schreibt er, die Mutter habe ihm Geld gegeben, um Essen holen zu lassen.


196 Diese Worte, deren nähere Beziehung wir nicht kennen, zeigen doch, daß es anfangs nur auf einen kurzen Aufenthalt abgesehen war, da ja Karl zum Militär abgehen sollte. Dann erfolgte nur durch sein Aussehen noch Aufenthalt: »So lang noch äußere Zeichen sind, kann ich dem General nicht aufgeführt werden.«


197 Der Brief gelangte am 27. Sept. in Haßlingers Hand, s. Nohl N. Br. Nr. 309. Er war also unmittelbar vorher geschrieben. In demselben heißt es: »ich gehe morgen von hier.« War das der 27. oder 28? Es bleibt bedenklich, aus dem K.B. chronologische Schlüsse zu ziehen. Wir kommen darauf zurück.


198 Der Brief bei Nohl N. Br. Nr. 310. Er ist von der Hand des Neffen, von Beethoven nur unterschrieben. (Nohl.)


199 Davon spricht Karl noch kurz vor der Abreise.


200 Davon erfahren wir weiter nichts.


201 Auf dem Wege nach Krems.


202 Beethoven schreibt hier einmal nieder: »Breuning sollte mich nicht mitgehen lassen« (bei »mitgehen« nach Thayer ein Fragezeichen). Die Abneigung, zum Bruder zu gehen, scheint also noch nachzuwirken, als es schon zu spät war.


203 »Morgen ist nichts auf dem Feld zu thun weil Sonntag ist,« sagt Karl. Sonntag war der 1. Oktober. Vorher hatte Karl gesagt: »Ich war, nachdem ich den Bruder ins Schloß zurückgeschickt hatte, bald wieder hier, ohne dich zu finden; man sagte, du seyst spazieren gegangen; die Frau stand später auf und führte mich in dem Weingarten herum. Jetzt habe ich drüben Kaffeh getrunken. – Sie hat einen Blumenstrauß für dich gepflückt vors Fenster zu stellen.« (Hier ist eine kleine Lücke im K.B.) »Du kannst zu jeder Stunde frühstücken. Sie hat geglaubt, du wolltest nicht vor 8 Uhr da sein?«


204 Wenn Schindler (II S. 130) die ganze Reise Ende Oktober vor sich gehen läßt, so zeigt er wieder die Unsicherheit seines Gedächtnisses.


205 In diesen Tagen (30. Sept.) schreibt sich Beethoven einmal auf: »Freu dich des Lebens« in Erinnerung an den kurz vorher geschriebenen Kanon, wie wenn er sich aufmuntern wollte. – Auch scheint eine sehr unehrbietige Antwort Karls zu zeigen, daß die Gefahr der Verstimmung zwischen Onkel und Neffen auch hier nicht fernlag.


206 Die Beschreibung weicht etwas von der ab, die Frimmel (Beethoven S. 74) entwirft. Das muß ungewiß bleiben.)


207 Eine Abbildung des Hauses gibt Frimmel Beeth. S. 74.


208 Auch die Klagen über mangelhafte Nahrung finden in den Konversationen keinen Anhalt. Wenn Beethoven einmal aufschreibt: »kein gutes Rindfleisch und noch dazu eine Ganß. Der Himmel stehe meinem Hunger bei,« so kann ich daraus keinen Vorwurf herauslesen. Da paßte ihm also die Art des Essens nicht, aber von Mangel ist nicht die Rede. »Willst du Eyer oder Bratwürste?« fragt der Bruder und setzt dazu: »Malaga«. Er läßt ihm also die Wahl.


209 Deutsche Musikzeitung (Bagge) 1862 (3. Jahrg.) S. 77 ff. Der Bericht beruht auf Mitteilungen von Personen, die der Örtlichkeit nahe standen, darunter der Nachfolger im Besitze des Gutes.


210 Dr. B. wirst bei dieser Geschichte dem Bruder Johann Mangel an Ehrerbietung gegen den Bruder vor; er habe nur den Mund zu öffnen brauchen, um Ludwig diese Demütigung zu ersparen.


211 Irrtum, es waren nur die Monate Oktober und November.


212 Diese Angabe begleitet B. mit einem Fragezeichen. In der Tat wissen wir davon sonst nichts. (Vgl. aber S. 425 die Bemerkung über Thekla. H. R.)


213 S. o. S. 277 ff.


214 Der Brief ist von fremder Hand (wohl des Neffen) geschrieben, von Beethoven nur unterschrieben. Daß er aus Wien datiert ist, wo Beethoven nicht war, darf uns nicht irren oder einen Zweifel am Datum hervorrufen. Die Zeit steht außerdem durch die Erwähnung des Dr. Spicker fest. – Nohl Br. B. Nr. 382.


215 Das stimmt zu den Äußerungen im K.B.


216 Muß wohl heißen d'Achâts. Vgl. IV S. 369.


217 Dieser Brief war in den Signalen von 1856 Nr. 35 abgedruckt. Thayer hatte eine Abschrift in O. Jahns Nachlaß zur Grundlage; seine Abschrift liegt mir vor. Außer der Unterschrift und den Noten mit den dabei stehenden Worten ist er von anderer Hand, jedenfalls der des Neffen. – Nohl Br. B. Nr. 384.


218 Die Noten standen nicht in den Signalen. In Jahns Abschrift, doch nicht von seiner Hand, steht darunter: »Sehr undeutlich und wohl nur für einen philologischen Musikanten zu entziffern. Hertz.« Ich gebe die Noten wie sie mir vorliegen, und enthalte mich einiger, wie mir scheint naheliegender Änderungen. – Der Schlüssel soll doch wohl Baßschlüssel sein.


219 Veröffentlicht von Nohl N. Br. Nr. 311.


220 Diese Übersicht war schon vor der Abreise aufgestellt; sie findet sich, in den Zahlen meist übereinstimmend, von des Neffen Hand in den Konversationen aus den letzten Tagen vor der Abreise. In den Noten begegnet auch Beethovens Hand (Thayer). Nach dem Schlusse bemerkt Karl: »132 ist dasselbe Tempo, nur in halben Noten (in 2 Schlägen), was besser wäre« und weiter: »Du nimmst es geschwinder als 126, 132. – So hatten wirs Vormittag. Hast Du nicht irgend ein Werk worauf das Metronom angemerkt ist? Man könnte die Form am besten sehen.«

Schindler macht zu dem Worte von der Abweichung von Vormittag auf Nachmittag die Bemerkung: »Den andern Tag wäre sie wahrscheinlich wieder anders ausgefallen. Beweis der Unzuverlässigkeit der von Beethoven selbst gemachten Metronomisirungen.« Nach dem Zusammenhang ist das doch eine sehr willkürliche Folgerung.

Zusatz des Herausgebers. Ein Schwanken bezüglich der Zahlenangaben für den Metronom bedeutet natürlich nicht irgend welche Unsicherheit bezüglich des gewünschten Tempo sondern eben nur eine Unsicherheit in der Zahlenbestimmung für das Instrument. H. R.


221 Den Brief, der von der Hand des Neffen und nicht unterschrieben ist, teilt Nohl (N. Br. Nr. 313) mit.


222 In die Zeit der zuerst mitgeteilten Briefe fällt auch der Brief von Schnyder von Wartensee vom 12. Oktober 1826, dessen wir früher (IV S. 45 Anm. 3) Erwähnung taten, den aber Beethoven nach einer beigeschriebenen Bemerkung Schindlers nicht beantwortet hat.


223 Abschrift bei Thayer nach dem Original bei Frau v. Beethoven. Von Beethoven nur unterschrieben. Gedruckt bei Nohl N. Br. Nr. 312.


224 Dasselbe Datum tragen auch die von Beethoven selbst ausgeschriebenen Stimmen, nach Nottebohms themat. Verzeichnis.


225 Vgl. oben S. 301 Anm. 3.


226 In Holzs Mitteilungen an O. Jahn heißt es: »Schlesinger hatte es für 80 Duc. gekauft und schickte 360 fl. in Banknoten, worüber Beethoven empört sagte: Schickt ein Jude beschnittene Ducaten soll er auch ein beschnittenes Quartett haben. Daher ist es so kurz.« – Daher wohl nicht.


227 Auch hier sei es dem Herausgeber gestattet, durch ein paar formal-technische Hinweise den Aufbau des Satzes klarzustellen. Takt 1–10, der durch 2 Takte Schlußbestätigung erweiterte Kopfsatz, steht ganz in F-Dur (mit Ganzschluß); die nächsten beiden Sätze Takt 11–25, ebenfalls noch dem ersten Thema angehörig, spannen zusammen einen großen Bogen, der unisono anhebende erste Satz Takt 11–17 zur Dominante C-Dur schließend (der 5 Takt ist elidiert), der zweite durch Zwischenkadenzen in G-Moll, D-Moll und C-Dur belebt (Takt 18–25) führt zum abermaligen Abschlusse in F-Dur. Erst jetzt folgt der ernstlich nach C-Dur modulierende zum zweiten Thema überleitende Satz Takt 26–34, bekräftigt durch einen abermaligen Nachsatz von 4 Takten (Takt 35–38), einmündend in den Anfang des zweiten Themas, was durch Unterdrückung der Schlußnoten des Cello deutlich gemacht ist. Das eigentliche zweite Thema bilden die Takte 38–47 (mit Takttriole für den 7.–8. Takt und hinüberragen in den 9. Takt durch den Vorhaltdis–e im Baß). Nun folgen eine Reihe echt Beethovenscher Schlußanhänge, von deren Verständnis natürlich alles abhängt, zuerst ein viertaktiger, dann ein zweitaktiger Anhang, sowie noch 4 eintaktige und endlich wieder weiter ausholend ein dreitaktiger und ein zweitaktiger (sämtlich den C-Dur Abschluß bestätigend). Als charakteristisches Beispiel, wie Beethoven solche gehäufte Schlüsse bis zur Mißverständlichkeit auszuzieren pflegt, stehe die Oberstimme von Takt 48 ff. hier:


3. Kapitel. Das Jahr 1826 bis zum Dezember

Mit Unterdrückung dieses 10. Schlusses folgt nun eine regelrechte Durchführung Takt 68–100, worauf die Themen mit der selbstverständlichen veränderten Modulationsordnung (Takt 101–163 = Takt 1–63) wiederkehren. Takt 164–194 bilden eine streng motivisch gearbeitete Coda. Alles ist in schönster Ordnung, absolut normal, aber freilich nicht ohne eingehendes Studium direkt verständlich. H. R.


228 Helm (S. 232) vergleicht die Stelle mit einem recht populären Marsch- und Sturmliedchen, oder mit der militärischen Weise einer altertümlichen Sackpfeife, die den fort und fort nachrückenden Kolonnen aufspielt und sie dadurch zum Angriffe anfeuert.


229 Sie stehen auf einer Partiturskizze bei Artaria, und auf einem Teile des Originals (früher bei Ascher in Wien), auf letzterm, wie es nach Thayer (chron. Verz.) scheint, nicht vollständig. Man sehe auch das Faksimile bei Marx im 2. Bande, der die Worte auf jeder der 4 Stimmen selbst gesehen hatte (Bd. II S. 448).


230 Nottebohm II. Beeth. S. 524. N. teilt dort eine Skizze mit, die aber keine Ähnlichkeit mit dem bekannten letzten Satz hat. Holz schreibt im K.B., im September, vor der Reise: »Auch noch der Schluß zum B Quartett, in einer Stunde sind Sie fertig. – Er möchte es gern abschicken; Pleyel muß es erst sehen, die hiesige Auflage erfordert auch wenigstens 12 neue Platten.« Das kann sich nur auf unsern letzten Satz beziehen, welcher demnach schon weit vorgerückt war.


231 Nottebohm II. Beeth. S. 365 (»ein Spesenbuch«). Johann schreibt im K.B., spätestens im November: »Bist Du schon fertig mit dem letzten Stück von dem Quartett, so kann gleich dem Artaria geschrieben werden, daß er 15 ⌗ vorstrecke.«


232 Vgl. über das Ganze Nottebohm, Allg. Musik. Ztg. 1870 S. 03, I. Beeth. S. 79, II. Beeth. S. 522.


233 Thayer chronolog. Verz. S. 179. – Die Allg. Musik. Zeitung 1828 S. 25 (ich entnehme dies Nottebohm) berichtet darüber: »Der Compagnon des Hrn. Diabelli kaufte Beethovens letzte Arbeit, ein im November 1826 angefangenes Quintett, von welchem jedoch leider kaum 20 bis 30 Takte im Entwurfe zu Papier gebracht sind.«


234 Das Stück steht in den von A. Diabelli herausgegebenen »Wiener Lieblingsstücken« (Nr. 13) und hat wiederum die Überschrift: »Ludwig van Beethovens letzter musikalischer Gedanke, nach dem Original-Manuskript vom November 1826«; dazu als Bemerkung: »Skizze des Quintetts, welches die Verlagshandlung A. Diabelli u. Comp. bei Beethoven bestellt und aus dessen Nachlasse käuflich mit Eigenthumsrecht an sich gebracht hat.« Vgl. Nottebohm themat. Verz. S. 152.


235 Im Dezember schreibt ihm Schuppanzigh auf: »Auf das Quintett freue ich mich. – Ich habe ihm gesagt, daß es schon angefangen ist. Er war darüber sehr vergnügt« (sicher auf Diabelli bezüglich).


236 Zu einer Skizze von 2 Takten in dem früher erwähnten Berliner Skizzenbuche, worin die Skizzen zu dem Quintett stehen, doch wie es scheint nicht zu diesem gehörig, schreibt Schindler: »Dies hier auf dieser letzten Seite sind die letzten Noten, die Beethoven ungefähr 10 bis 12 Tage vor seinem Tode in meinem Beisein geschrieben.« S. Nottebohm II. Beeth. S. 523.


237 Schindler II S. 131. Thayer im kritischen Beitrag S. 44.


238 Da sagte er z.B.: »Man fragt mich, warum ich nichts rede. – Weil ich genug habe. – Du hast das Recht mir alles zu sagen, und ich muß es ertragen.« Und wieder: »Ich kann nur wiederholen, daß ich auf alles was Du mir heut gesagt hast, nichts antworten kann, da ich nichts besseres zu thun weiß, als es schweigend anzuhören, wie es meine Pflicht ist. Dies mußt Du nicht für Trotz halten.«


239 G. v. Breuning, Aus dem Schwarzspanierhaus S. 84.


240 Johanns Aufzeichnung war im Besitz von Frau van Beethoven. Ich habe die Abschrift von Thayer vor mir.


241 Der Brief befindet sich in Schindlers Nachlaß auf der Berliner Bibliothek. Abschrift bei Thayer.


242 Die Abreise war am 29. September, wir befinden uns also Ende November.


243 Der 27. November war ein Montag.


244 Nohls Behauptung (III S. 742), Beethoven habe den eigentlichen Zweck seines Aufenthalts nicht erreicht, sondern sich zuguterletzt von dem Bruder »vor die Thür gewiesen« gesehen, ist ganz schief und ungerecht. Johanns Gründe waren gute, was Beethoven gewiß nicht verkannt hat.


245 Karls Witwe bei Nohl III S. 952, Anm. 313.


246 Thayer krit. Beitrag S. 36.


247 In dieser Zeit schreibt anscheinend Johanns Frau einmal auf: »Sind Sie außer Sorgen. Er kommt gewiß bis 1 Uhr nach Haus. Es scheint daß er ihr hastiges Blut hat. Ich habe ihn nicht aufgebracht gefunden. Er liebt nur Sie, bis zur Verehrung. – Scham.« Das bezieht sich wohl auf den Neffen.


248 Dann war also ein geeigneter Wagen gar nicht so schnell zur Verfügung. Jedenfalls will also Johann für einen solchen sorgen. Dachte Beethoven auch an eine Postfahrt? Karl schreibt: »Von hier geht keine Post nach Wien, sondern bloß nach S. Pölten. Von hier ist keine andere Gelegenheit als Landkutsche.«


249 Die Frau schreibt auf: »Es ist nicht mehr nöthig daß wir bald fortgehen, und müßten wir wieder Schalen (?) einmachen, sonst schlägt der Hagel im Frühjahr die Fenster ein.« Und später Johann: »Die haben letzten Abend die Schalen schon eingepackt, weil die Frau bis Ende dieser Woche fortgeht. – Ich schreibe nach Linz, bei mir ist es zu unruhig.«


250 Schindler 2. Aufl. S. 179. 3. Aufl. S. 131. G. v. Breuning »Aus dem Schwarzspanierhause« S. 83, gewiß nach Schindler.

Quelle:
Thayer, Alexander Wheelock: Ludwig van Beethovens Leben. Band 5, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1908..
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