Hinrich Lichtenstein

[350] Es war dieß zunächst der später so berühmt gewordene Zoologe, Hinrich Lichtenstein, dessen, in Weimar flüchtig gemachte Bekanntschaft, Weber durch den oben erwähnten Dr. Flemming erneuerte. Lichtenstein, damals in der Blüthe des ersten Mannesalter, sechs Jahre älter als Weber, war vor fünf Jahren von der für damalige Zeiten höchst bedeutenden Reise ins südliche Afrika, zurückgekehrt, die seinen Ruhm begründete und das Jahr zuvor Professor der Zoologie zu Berlin geworden.

Klein, breitschultrig, kräftig von Gestalt, mit geistvollen, etwas jüdisch geschnittenen Zügen, beweglich und enthusiastisch in seinen Lebensformen, besaß Lichtenstein, ohne anziehendes Aeußere, eine unvergleichliche Anmuth der Individualität und das nicht hoch genug zu schätzende Talent, abweichende Meinungen, ohne Menschenfurcht und sogar oft derb, aber immer in solcher Form, mit einem solchen Tonfall der Stimme, dem Ausdrucke solcher Bonhommie in seinem ganzen Wesen zu äußern oder zu vergleichen, daß selbst der Gegner sich nie verletzt, oft aber die Parteien unwiderstehlich zur Einigung getrieben fühlten. Lichtenstein besaß das Geheimniß, in Bezug auf Freundschaft, welches manche Frauen im Geschlechtsleben haben, nämlich für jeden unwiderstehlich zu sein, den sie zu erobern der Mühe werth halten. Dabei guter Musiker, hochgeachteter Gelehrter, jovialer Gesellschafter, war dieser herrliche Mann eine unschätzbare Ergänzung für Weber's oft scharfes und schroffes Wesen und sein mildernder, ausgleichender, zurechtrückender Einfluß, der, wie Weber sich ausdrückte:[350] »allen ohne Umstände die Leidenschaftsbrillen von den Nasen nahm«, ist für Weber's ganzes künstlerisches und bürgerliches Leben von hohem Werthe gewesen.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 1, Leipzig: Ernst Keil, 1864, S. 350-351.
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