2. Noah und die Fliege.

[267] Mit dem Eintritt des Teufels in die Arche wird die Fliege in Verbindung gebracht. In Ungarn heißt es1: Als Noah von jeder Tierart ein Paar mitnahm, wollte er nur die Fliege nicht mitnehmen. Diese[267] flehte vergebens. Noah trieb sie hinaus und sprach: Bleib du nur draußen! Sprach der Satan: Herr, wenn die Fliege in die Arche nicht hineingeht, so gehe ich statt ihrer. Sprach Noah: Bleib weg! Aber Satan betrog ihn, indem er sich im Schatten der Gattin Noahs verbarg und so hineingelangte. – Eine zweite ungarische Fassung2 berichtet: Noah trieb die Fliege weg; diese aber kroch ins Ohr der Tiere, stach sie und ward auch von da weggetrieben. Als Noah hinausblickte, hatte sie sich im Trocknen, unter dem Firste niedergelassen. Da sagte er: Fliege, sei hier! (légy, itt légy; im Ungarischen heißt légy = Fliege, aber auch: sei, bleibe!) Seit dieser Zeit hat sie diesen Namen (légy). Auch der Teufel trat heran, damit er ihn einlasse. Noah aber wollte ihn nicht hineinlassen, und so schlich er sich hinein. Unter dem Ohre des Elefanten3 schlich er in der Gestalt der Schlange hinein.

Die erste Fassung befriedigt offenbar nicht. Wozu der umständliche Apparat, die Erzählung von der Fliege, deren am Schluß gar nicht wieder gedacht wird! Der Satan gelangt in die Arche auf eine Weise, die mit dem vorher Erzählten gar nichts zu tun hat. Es fehlt der Geschichte an innerem Halt. Die zweite Fassung dient dazu, diese erste zu korrigieren, in der offenbar das Wortspiel verloren gegangen ist. Sie hat ursprünglich so gelautet: Noah sagte zur Fliege: Bleib draußen! Der Teufel sagte: Entweder geht die Fliege hinein oder ich (wobei man wissen muß, daß die Fliege des Teufels Geschöpf ist). Rasch entschlossen wählte Noah das kleinere Übel und sprach, wie in der zweiten Fassung: Fliege, bleibe hier! Da das aber auf ungarisch gleichlautet mit Bleibe, bleibe hier! so bezog der Teufel das auf sich und blieb. So erst erhält die erste Fassung ihren guten Sinn. Und ohne weiteres wird zugleich ihr Zusammenhang mit den oben erörterten Erzählungen vom Eintritt Satans in die Arche klar. Auch dort nutzte der Teufel ein Wort Noahs, das gar nicht ihm galt und dennoch tückischerweise auf ihn bezogen werden konnte, zu seinem Vorteil aus und gelangte dadurch in die Arche. Der Kern der Sage ist beide Male derselbe. Alles übrige änderte sich in der ungarischen Sage um des Wortspiels willen, das übrigens sehr nahe lag und auch in einer andern Sage wiederkehrt, vermutlich sogar aus dieser in die Noahsage eingedrungen ist. Ich erinnere an die oben S. 167 mitgeteilte Sage, daß der Teufel, als Gott die Biene erschaffen hatte, es ihm gleichtun wollte, aber nichts weiter als die Wespe zustande brachte, – eine von den vielen dualistischen Sagen, in denen der Teufel als unfähiger Nachahmer Gottes erscheint. In Ungarn heißt es nun auch, daß der Teufel bei diesem Versuche[268] die Fliege erschuf. Und in einer der Varianten4 wird erzählt, er habe, während er sich abmühte, die Biene nachzuschaffen, das Wort légy (hier = sei! werde!) gerufen, und alsbald sei die Fliege als sein Geschöpf dagewesen.

Fußnoten

1 Herrmann, Globus 63, 335 Nr. 3.


2 Ebd. 334, Nr. 2.


3 Vgl. oben die Sagen vom Sündenfall: der Teufel verbirgt sich, zwischen den Zähnen der Schlange und kommt so ins Paradies.


4 Kálmány, Világunk alakulásai nyelvhagyományainkban (Szegedin 1893), S. 13. Vgl. Magyar Nyelvör 23, 282.


Quelle:
Dähnhardt, Oskar: Natursagen. Eine Samlung naturdeutender Sagen, Märchen, Fabeln und Legenden, 4 Bände, Leipzig/Berlin, 1907-1912, S. 269.
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