I. Schöpfungsschwänke (Bd. 1, S. 163. 345).

[184] 1. Aus Dänemark.


a) Auf Gjöl [Insel in dem Limfjord] waren viele Schweineherden. Da der Heiland und St. Petrus einst die Insel besuchten, entdeckten sie keine Menschen; der Heiland sammelte etwas Schweinedreck auf und sprach: »Werde du ein Gjölbo!« Darum sind die Bewohner Gjöls [Gjölboer] braun.


  • Literatur: Kristensen, Sagn 2, 259, 38.

b) Der Heiland und St. Petrus besuchten einst Fünen, und St. Petrus meinte, es wäre Unrecht, daß ein so schönes Land unbewohnt wäre. Der Heiland aber bemerkte, daß die kommenden Leute böse fluchen würden. St. Petrus drang jedoch auf den Heiland ein, und dieser gab am Ende nach, er stieß mit dem Fuß in einen Haufen Roßäpfel und rief: »Fynbo, heraus!« – Augenblicklich sprang ein Fynbo heraus, indem er rief: »Hier bin ich, hol mich der Teufel!« »Siehst du,« sagte der Heiland, »er beginnt gleich.«


  • Literatur: Kristensen, Sagn 2, 260, 39.

2. Aus Deutschland.


Daß die Westfalen unsern Herrn Jesum Christum gekreuzigt hätten, dessen werden sie mit Unrecht beschuldigt, denn sie waren damals kaum erst erschaffen. Mit dieser Schöpfung ging es aber so zu: Als unser Herr mit seinen Jüngern noch auf Erden wandelte, da kam er einst in das Land der roten Erde, das damals noch nicht von Menschen bevölkert war, denn seine derzeitigen Einwohner liefen auf allen Vieren und grunzten. »Es ist ein wüstes Land,« sagte St. Peter, »das muß wahr sein; aber in dem stinkenden Nebel dieser Heiden könnten doch vielleicht Menschen leben: der Mensch ist gar ein zähes Geschöpf; was läßt er sich nicht alles gefallen! Und schade wäre es doch um die Schinken dieser Borstentiere, wenn sie niemand in den Rauch hinge!« Der Herr aber meinte, viel Gescheidtes könne doch aus dem Menschengeschlecht nicht werden, das hier sein Leben zu fristen bestimmt wäre; besser bliebe es also unerschaffen. St. Peter ließ indes zu bitten nicht nach, der Herr solle es doch nur einmal damit versuchen: »batt es nicht, so schadt es nicht,« meinte er, und es müsse auch solche Käuze geben; der Herr habe doch Ratten und Mäuse und anderes Ungeziefer erschaffen, warum nicht auch Westfalen? Endlich ließ sich der Heiland erweichen und sagte: »Dir zuliebe will ich es denn tun, du wirst aber sehen, was unser Dank sein wird.« Darauf stieß er mit den Füßen nach etwas, das im Wege lag und einem[184] der Ureinwohner des Landes entfallen war, und sprach: »Werd ein Westfale!« Und alsbald stand da ein ungeschlachter Gesell, der auch gleich die Arme in die Seite stemmte und unsern Herrn Jesum anfuhr: »Na, wat stött he mik.« Da sagte der Heiland: »Siehst du nun, St. Peter, was unser Dank ist?«


  • Literatur: Simrock, Deutsche Märchen S. 199.

3. Aus den Niederlanden.


a) Unser lieber Herr hatte schon alle Arten Völker gemacht, nur Franzosen gab es noch nicht. St. Peter wünschte auch diese noch zu sehen und sprach darüber mit seinem Meister. Dieser war aber sehr wenig dazu aufgelegt und sagte, daß das französische Volk ein böswilliges, aufrührerisches Volk sein würde, das ihm nichts als Ungemach und Verdruß antun würde, doch St. Peter drang so lange in ihn, bis er endlich zustimmte. Sie waren nun ins offene Feld gekommen, da sah unser Herr am Grabenrande einen großen Maulwurfshaufen liegen. »He, Petrus«, sprach er, »rühre den Maulwurfshaufen einmal auf!« Als der Apostel das getan hatte, nahm unser Herr eine Handvoll Erde und machte den ersten Franzosen daraus, dann legte er ihn in die Sonne zum Trocknen. Eine Weile darauf gebot er St. Peter, das neugeborene Menschlein umzukehren. Aber kaum hatte St. Peter ihn angerührt, als der Franzose aufsprang und fluchte: »Laisse-moi tranquille, nom-de-tonnerre!« »Siehst du wohl, Petrus«, sagte unser Herr, »ich hatte es ja gesagt. Der Kerl ist erst halb gebacken, und schon fängt er an zu fluchen! Da werd' ich noch ein Ei mehr zu pellen haben.« Und die Geschwollenheit des Menschleins ist allen Franzosen eigen geworden.


  • Literatur: Mont en Cock, Vlaamsche Vertelsels S. 449.

b) Christus schlägt mit seinem Wanderstock einen Pferdedreck auseinander, und im selben Augenblick springt ein Waal heraus, »vloekend en tierend gelijk een zackdrager.«


  • Literatur: Mont en Cock, ebd. S. 449.

c) Christus und Petrus waren einmal bei der Arbeit, Menschen zu schaffen. Da kam es dem Herrn in den Sinn, daß er irgendwohin zu gehen habe, und er sprach zu St. Peter: »Fahr nur inzwischen fort, bis ich zurückkehre. Aber paß gut auf, hörst du, daß du immer ›reine beenen en juiste voeten‹ (fehllose Beine und richtige Füße) machst.« – Als der Herr zurückkam, fand er, daß alle die, die St. Peter geschaffen hatte, schrecklich lang und dünnbeinig und dabei klumpfüßig waren. »Aber Peter!« rief er. »Wo hast du das her? Sind das Menschen?« St. Peter erwiderte: »Ich habe gemacht, was Ihr mir gesagt habt: ›reigersbeenen en knuistevoeten‹ (Reiherbeine und Klumpfüße).« Infolge dieses Mißverständnisses gibt es noch heute Menschen solcher Art.


  • Literatur: Mont en Cock, ebd. S. 132 (aus Westflandern).

4. Aus der Normandie.


Die Normannen sind dafür bekannt, daß sie stets prozessieren, und in der Picardie erzählt man sich darüber folgendes: Es ist schon sehr, sehr lange her, als Christus und Petrus durch Frankreich wanderten, das damals noch ganz unbewohnt war. Vielleicht war es kurz nach der Sündflut, Als Petrus nun eines Tages ein wunderbares und fruchtbares Land erblickte, fragte er den Herrn: »Was für ein herrliches Land ist denn dies, wo man keinen Menschen sieht?« »Das ist die Normandie,« sagte Jesus, »ihr Boden ist der fruchtbarste von ganz Frankreich.«

[185] »Warum läßt du solchen Überfluß umsonst gedeihen, nur weil das Land keine Bewohner hat? Ein Wort von dir genügt, um dies schöne Land zu bevölkern.«

»Es sei,« sprach Christus, »bohre deinen Stock in die Erde, und wenn du ihn zurückziehst, so wird der erste Normanne entstehen.« Petrus gehorchte. Er bohrte seinen Stock in die Erde, und aus dem Loch, das er so gemacht hatte, kam ein Schelm mit kupferrotem, verschmitztem Gesicht und baumwollener Mütze, und seine ersten Worte waren: »Halt, ihr lieben Leute Gottes, könnt ihr mir nicht sagen, wo der Friedensrichter wohnt?«


  • Literatur: La Tradition 15, 1901, p. 36.

5. Aus Venetien.


Eines Tages ritt unser Herr mit St. Peter spazieren, und im Laufe des Gesprächs sprach St. Peter zum Herrn: »Du hast nun von allen Völkerarten erschaffen, aber es fehlt noch das Volk der Furlaner.« Da antwortete der Herr: »Dieses Volk ist ein schlechtes, das nichts weiter tut als fluchen. Willst du sehen, ob es wahr ist?« Und er stieg vom Pferde. Da lag ein großer Haufen Hundedreck, an den stieß er mit dem Fuße, und es sprang ein Furlan heraus und rief: »Gott verdamm' mich, da bin ich auch!« Der Herr sprach zu St. Peter: »Hast du's nun gesehen, ob's wahr ist, daß er flucht? Und so werden auch die andern sein.« So entstand das Volk der Furlaner.


  • Literatur: Bernoni, trad. pop. Veneziane p. 8.

6. Aus Österreich.


Unser Heiland Jesus Christus und sein Jünger, der heilige Petrus, machten einst eine Reise durch viele Länder und kamen auch nach Böhmen, das aber damals ganz öd und menschenleer war.

»Könntest du, Meister, hier nicht Menschen erschaffen, daß dieses schöne Land bevölkert und angebaut wird?« sagte Petrus im Gehen. »O nein,« antwortete der Heiland, »dazu habe ich keine Lust; ich sehe voraus, die Menschen, die aus der Erde dieses Landes entstehen, sind schlimm; denen ist nicht zu trauen.« Dem Petrus aber wollte doch nicht der Gedanke aus dem Kopf kommen, in dem schönen Lande Menschen zu sehen; daher, als er mittags mit seinem Meister wegen der Sonnenhitze und um auszuruhen in den Schatten einiger Bäume sich gelegt hatte, fing er wieder davon an. Der Heiland schüttelte aber nochmals mit dem Kopf. »Nun,« sagte Petrus, »wenn du nicht gern aus der Erde dieses Landes einen Menschen machen willst, so laß ihn aus einem andern Ding entstehen. Ich weiß, du hast in dir die Macht dazu. Wie wäre es, wenn du ihn aus dem Baumstock da machtest, worauf du deinen Mantel gehängt hast?« Da sagte Christus: »Als dieser abgehauene Baum noch grün war, zog er sein Leben aus dem Boden des Landes durch die Wurzeln. Es ist daher einerlei, ob ich aus Lehm oder aus diesem Holz einen Menschen mache. Damit du aber siehst, Petrus, welcher Art die Menschen in diesem Lande sein werden, so will ich deinen Wunsch erfüllen.«

»Stock, werd' ein Mensch!« rief der Herr mit lauter Stimme.

Da regte es sich mit Macht darin, hob sich hoch und höher, und aus dem Baumstock ward ein Stockböhm. Kaum war er aber entstanden, als er sich hurtig bückte, des Herrn Mantel aufraffte und damit davonlief.

»Siehst du,« sprach der Herr zu seinem Jünger, »wie die Menschen in diesem Lande sind?«

[186] Da schlug Petrus die Hände über dem Kopfe zusammen und rief: »O Undank! Da geht es nach dem Sprichwort:


Trau, schau, wem?

Nur nicht einem Böhm!«


Darauf setzten sie die Reise weiter fort und kamen in das Slowakenland, wo damals ebenfalls noch keine Menschen lebten.

Da wünschte Petrus wiederum, sein göttlicher Meister möchte hier Menschen entstehen lassen, damit das Land doch nicht so öde daläge. Allein Christus war nicht dafür. Erst als Petrus gar zu dringend anhielt, beschloß der Herr, aus dem Staube auf der Straße einen Menschen zu ma chen. Er hob den Fuß, um mit der Zehenspitze den Staub zu berühren und sein Schöpfungswort darüber zu sprechen; da stieß er zufällig wider einen großen Kuhfladen auf der Straße, gerade als er sprach: »Werde ein Mensch!« Und siehe! In dem Kuhfladen regte sich Leben; er streckte und dehnte sich und ward ein Mensch, Slowak genannt.

Kaum aber stand er in Lebensgröße da, als er schon die Hand ausstreckte und rief: »Herr, gib mir Brot!« –

Da konnte sich Petrus vor Zorn nicht länger halten; er hob seinen Wanderstab, gab dem Slowaken eins auf den Rücken und rief: »Unverschämter, fauler Schlingel! Kaum hat dich die Langmut des großen Gottes aus weniger als nichts erschaffen, da schreist du schon: Gib mir Brot! Geh hin auf den Acker, sei fleißig und arbeitsam, so wirst du Speise in Fülle finden. Es heißt bei ordentlichen Leuten: Erst arbeiten, dann essen! Merk' dirs, du Schlingel!«

Als der Slowak nun zur Arbeit ins Feld gejagt war, wanderte Christus mit seinem Jünger weiter fort und kam ins Krawatenland. Da sprach Petrus: »Dies Land ist gar nicht übel, aber Menschen sind noch nicht darin! Wie wäre es, lieber Meister, wenn du Menschen hier schüfest, die das Land anbauen und bevölkern?«

Christus, der Herr, schüttelte aber den Kopf bei den Worten Petri. Da sprach dieser weiter: »Wenn du, lieber Herr und Meister, nicht gerne mehr Menschen erschaffen willst, so kann ich es dir eigentlich nicht übel nehmen, mit dem Stockböhm und Slowaken ist es gar nicht gut abgegangen. Allein der Stoff war auch darnach. Nun seh ich aber hier einige Blutstropfen auf der Erde, die vielleicht ein verwundeter Mensch verlor; wenn du daraus Menschen machtest, so müßte doch was Besseres daraus werden, als aus einem Baumstock und einem Kuhfladen.«

Da antwortete der Herr und sprach:

»Petrus, du sprichst, wie du es verstehst! Das Blut, das du für Menschenblut ansiehst, kann ebenso ein verwundeter Wolf verloren haben. Wie werden nun die Menschen sein, die aus dem Blute eines so wilden und gefährlichen Raubtieres entstehen? Allein, da du so sehr um Menschen bittest, so soll dein Wille geschehen. – Werdet Menschen!« rief der Herr die Blutstropfen an. Da standen auf einmal mehr als zwanzig wild aussehende Kerle vor den beiden Wanderern. Ihre Köpfe waren mit roten Mützen bedeckt, auf den Schultern hingen rote Mäntel, und in den Gürteln trugen sie Pistolen, Dolche und an der Seite krumme Säbel. Kaum hatten sie sich ausgestreckt und konnten die Augen ordentlich aufmachen, da zogen sie auch schon ihre Mordmesser, gingen auf die Reisenden los und sprachen: »Geld her, liebe Herren! oder wir schneiden euch den Bauch auf!« Da ergrimmte Petrus über die Maßen. Seine Augen leuchteten ihm wie einem furchtbaren Kriegshelden. Er griff hurtig unter seinen Mantel, wo er ein langes Schwert verborgen trug, nahm dies in seine beiden Hände und hieb links und rechts auf das Raubgesindel,[187] daß es auseinanderstob. »Ist dies der Dank,« rief er, »welchen ihr eurem hohen Herrn dafür schuldet, daß er euch Leben gab? Nun soll euch mein Schwert verzehren und das Feuer vom Himmel, ihr verdammten Rotmäntel!« Da rief der Herr: »Petrus! Petrus! Halt ein! Fluche nicht wie ein Türke! Du siehst nun, aus was für Blute dieses Volk ist. Wenn es im Laufe der Zeiten sich bessert und meine Stimme hört, wird es ihm wohl gehen! Hört es aber nicht darauf, so wird Schwert und Feuer in sein Land kommen, daß es wüste wird, wie im Anfang der Zeiten. Und so wird es auch ergehen dem Stockböhmen und dem Slowaken. Nun aber laß uns weiter ziehen! Mit diesen meinen drei Schöpfungen werden die Völker der Erde nicht befriedigt sein; in anderen Ländern aber, die jetzt noch öde sind, will ich Menschen erschaffen, die Gottes Bilde ähnlicher sind als diese.«


  • Literatur: Zeitschr. f. deutsche Myth. 2, 157.
Quelle:
Dähnhardt, Oskar: Natursagen. Eine Samlung naturdeutender Sagen, Märchen, Fabeln und Legenden, 4 Bände, Leipzig/Berlin, 1907-1912, S. 184-188.
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