III. Verwandlung von weiß in schwarz.

[58] 1. Aus Frankreich.


Gott schuf einst zwei schöne Vögel mit herrlich weißem Gefieder und sagte zu ihnen: »Ich nenne euch Schwalben. Ihr und eure Nachkommen sollt meinen Segen überall hintragen und den Menschen die schöne, warme Jahreszeit verkünden, die Blumen und Früchte bringt. Baut eure Nester unter den Dächern der Wohnungen, sie sollen Zeichen des Glückes sein.«

Die Schwalben breiteten ihre Flügel aus und flogen auf die Erde.

Da wurde dort alles ganz anders als zuvor. Der kalten, öden Zeit folgten helle, freundliche Tage mit warmen, linden Lüften, und wo die Schwalben einkehrten, verschwanden auch die Krankheiten.

So blieb es mehrere Jahre. Die Menschen waren glücklich, und der schönen weißen Vögel wurden mehr und mehr.

Da zerstörte eines Tages ein finsterer, böser Mann das Schwalbennest unter dem Dach seines Hauses; andere Taugenichtse waren auch dabei, und sie lachten, wie die eben ausgeschlüpften Jungen herunterfielen.

Als den Gottesvögeln solche Grausamkeit widerfuhr, entflohen sie zum Himmel. Aber indem die letzte Schwalbe verschwand, wurde es wieder Winter, und die[58] Menschen wurden bald ihr Unglück gewahr. Da baten sie Gott, er möge sie nicht alle für das Verbrechen dieses einen bestrafen, und Gott erhörte ihre Bitte, und mit den Schwalben kam auch die schöne Jahreszeit wieder.

Es gab aber ein paar schlechte Menschen, die fürchteten, daß die Boten des Frühlings doch noch einmal wegfliegen würden, und eines Nachts, als die Schwalben schliefen, fingen sie sie und zerrten sie in einen großen Turm.

Am nächsten Morgen sahen die armen Schwälbchen, daß sie gefangen waren, stießen jämmerliche Schreie aus und schlugen mit Flügeln und Schnäbeln an die Wände, um ihre Freiheit wieder zu gewinnen. Doch es kam noch schlimmer. Die Wächter, die die Vögel bewachen sollten, wurden ihres Geschäftes überdrüssig und rissen den Vögeln die Flugfedern aus. Die armen Tiere klagten, wie sie ihre weißen Federn vom Turm herunterfliegen sahen, aber die Wächter lachten dazu.

Da verwandelten sich die Federn auf einmal in dichte, weiße Flocken, die die Wächter einhüllten. Der Nordwind blies, Gras und Blumen verwelkten, die Bäume verloren ihre Blätter, und die Erde gefror. Die Menschen wurden voll Schnee und flüchteten in ihre Wohnungen.

Plötzlich brach ein Orkan aus, der rüttelte an dem Turm, bis sich ein Spalt öffnete. Den Schwalben aber waren die Federn wieder gewachsen, und sie flogen zum Himmel.

Zum zweiten Mal baten die Menschen Gott um Gnade, und er verzieh ihnen, doch durften die Schwalben seitdem nur sechs Monate bei ihnen bleiben, und ihr Gefieder wurde schwarz zur Erinnerung an die Bosheit der Menschen.


  • Literatur: Ledieu, Nouvelles et légendes rec. à Démouin p. 157.
    Eine Sage von dem seit Christi Tod angelegten Trauergewand der Schwalbe s. Naturs. 2, 221.

2. Rumänische Sage.


Da der Störchin ihr Gatte gestorben war, verwandelte Gott die weißen Federn in schwarze.


  • Literatur: Şezătoarea 8, 53. Vgl. hierzu Natursag. 1, 170, 2, 102.

3. Aus Kärnten.


Ein Held tötete einst einen unreinen Geist und dessen Geliebte Ihre zerstückelten Körper zerstreute er auf dem weiten Felde. Ein Rabe und eine Krähe kamen herbeigeflogen und begannen die Leichen aufzufressen. Der Rabe fraß nur vom Teufel, und dafür ist er am ganzen Körper schwarz, die Krähe aber ist weiß und schwarz, denn sie fraß sowohl vom Teufel als auch von seiner Geliebten.


  • Literatur: Etnograf. Obozrěnie 2, 1, 67. Vgl. Afanasiev, Poet, vozzr. 1, 527.

4. Sage der Berbern (Nordafrika).


Als Gott den Raben schuf, war er weiß. Der Herr der Welt strafte ihn, weil der Bösewicht seine Befehle nicht befolgt hat. Eines Tages sagte er ihm: »Hier sind zwei Säcke; der eine ist mit Geld gefüllt, der andere mit Läusen. Bringe den Geldsack den Muselmännern und den andern den Christen.« Der Rabe machte sich auf den Weg; doch da er den Geldsack zu schwer fand, gab er ihn den ersten, die ihm begegneten; das waren Christen. Den Sack mit Läusen brachte er den Muselmännern. Seitdem haben die Christen Geld und die Muselmänner Läuse Der Herr aber sprach deshalb zum Raben: »Weil du meine Befehle nicht befolgt hast, wirst du schwarz werden


  • Literatur: Basset, Contes berbères Nr. 11. Andere Sagen vom Schwarzwerden des Raben s. Natursag. 1, 64. 283 ff.; 2, 51. 77; vgl. auch die Sage von der Färbung der Elster 2, 220.
Quelle:
Dähnhardt, Oskar: Natursagen. Eine Samlung naturdeutender Sagen, Märchen, Fabeln und Legenden, 4 Bände, Leipzig/Berlin, 1907-1912, S. 58-59.
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