F. Der Hund hat ein Vorrecht vor der Katze.

[127] Schon bei Montanus (s. oben S. 110) meinen die Hunde in allen Dingen und besonders beim Essen den Vortritt vor den Katzen zu haben, und als ihnen die Katzen das bestreiten, lassen sie sich von ihrem König mit weitgehenden Privilegien ausstatten. Variiert erscheint dieses Motiv in den beiden folgenden Fassungen, die auch den gemeinsamen Zug vom Diebstahl des Dokuments durch die Katze enthalten.


1. Aus Böhmen.


Von dem Menschen, dem Herrn aller Erdengeschöpfe, bekamen die Hunde das Privilegium, ihn auf seinen Wegen zu begleiten, sein Haus und Eigentum zu bewachen und ihm bei seinen verschiedenen Geschäften behilflich zu sein. Durch, solchen Vorzug wurden die Hunde nicht wenig stolz, die Katzen aber beneideten sie. Daher hielten die Katzen einen Landtag und beschlossen, den Hunden ihr Privilegium zu nehmen. So geschah's. Die Katzen stahlen bei der ersten Gelegenheit das besagte, auf Pergament geschriebene Hundeprivilegium und schleppten es in eine Kammer unter altes Rumpelwerk. Dort fand es eine Maus, als sie Nahrung suchte, lief sogleich voll Freude zu ihren Schwestern und zeigte ihnen an, welch rare Sache sie gefunden. Die Mäuse hielten Bat, was sie tun sollten, damit das kostbare Privilegium in ihrer Gewalt bliebe. Lange konnten sie nicht recht einig werden, bis sich die älteste von ihnen erhob und sprach: Schwestern, mich bedünkt, es wird das beste sein, wenn wir das Privilegium auffressen. So bemächtigen wir uns seiner vollkommen und brauchen nicht, zu fürchten, daß es uns jemand wieder entreiße! Der Vorschlag gefiel allen; sie begaben sich ohne Verzug zu dem Festschmaus und aßen das Privilegium auf, daß nicht das kleinste Stückchen übrigblieb. Nach einiger Zeit hatten die Hunde eine Versammlung und befahlen ihrem Archivar, das Privilegium zu holen, damit die erlauchte Versammlung Einsicht nehmen könnte. Der Archivar mußte wider Willen mit der Sprache heraus, die Katzen hätten es gestohlen; denn das hatte er inzwischen schon in Erfahrung gebracht. Die Hunde fuhren sogleich auf die Katzen los, sie möchten ihnen, wenn sie wollten, im Guten das Privilegium herausgeben. Die Katzen leugneten zuerst; als sie jedoch von den Hunden sehr gedrängt wurden, beschlossen sie, es ihnen auszuliefern. Nun fuhren die Katzen wieder auf die Mäuse los, indem sie sagten, in die Kammer zu dem alten Rumpelwerk, wo sie das Privilegium aufbewahrt hätten, habe niemandem der Zutritt freigestanden als den Mäusen; sie sollten also Rede stehen. Die Mäuse aber konnten das Privilegium nicht herausgeben, weil sie es nach dem Rate ihrer ältesten Schwester aufgegessen hatten. Und von dieser Zeit wurden die Katzen[127] von den Hunden entsetzlich gehaßt und furchtbar verfolgt. Die Katzen jedoch schworen des Hasses und der Verfolgung wegen, die sie von den Hunden zu erleiden hatten, unaufhörlichen Krieg gegen die Mäuse zu führen. Darum knurren die Hunde die Katzen an, und darum sind die Katzen den Mäusen feind.


  • Literatur: Wenzig, Westslawischer Märchenschatz S. 44. Aus Kulda, Moravské národ. pohádky 2, 114, Nr. 93 (Prag 1875) = Zeitschrift für deutsche Mythol. 4, 384.

2. Polnische Variante.


Die Feindschaft zwischen Hund, Katze und Maus rührt daher, daß der Hund vom Vater ein Vermächtnis hatte, welches ihm von der Katze gestohlen wurde, während die Maus es der Katze wegfraß. Daher verfolgt der Hund, indem er sein Vermächtnis reklamiert, Katze und Maus, und die Katze die Maus.


  • Literatur: Swięsek Lud nadrabski S. 583.
Quelle:
Dähnhardt-Natursagen-4, S. 127-128.
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