V. Der Storch als Froschkönig.

[271] Ein interessantes Beispiel für willkürliche Ätiologie bietet die bekannte Fabel vom Storch als Froschkönig (Halm Nr. 76), die eine weite literarische Verbreitung erlangt hat1 und auch aus dem Volksmunde in folgender Form aufgezeichnet ist:


Aus Rumänien.


Die Frösche baten Gott, auch ihnen einen König zu geben. Gott nahm einen Holzklotz, warf ihn in den Froschteich und sprach: »Da habt ihr einen König.« Die Frösche ergriffen vor Schreck die Flucht, kamen aber bald wieder aus ihren Verstecken hervor, und als sie den Holzklotz sahen, fingen sie an, sich darüber lustig zu machen. – Als nun Gott wieder vorüberkam, baten sie ihn, ihnen doch einen richtigen König zu geben, der sich wenigstens bewegen und sie nach Gesetzen regieren könne. Da gab ihnen Gott, der nicht gerade bester Laune war, den Storch als König der Frösche, der nun über sie herrscht.


  • Literatur: Marianu, Ornitologia 2, 314.

Die ätiologische Fortsetzung berichtet aber, daß die Frösche seitdem immer aufs neue um einen anderen Herrscher bitten; das ist es, was wir quaken nennen. So heißt es bei Erasmus Alberus Nr. 5 (herausgegeben von W. Braune S. 29):


Sie schreien auff den heutgen tag,

Das jhn kein ander werden mag,

Dann wann der Storck ist schlaffen gangen,

So pflegen sie dann anzufangen

Mit heiser stimm zu gecken sehr,

Ihn wird kein ander nimmermehr,

Der Jupiter fragt nichts darnoch,

Wenn sie schon schrien noch so hoch ...

Der Storck muss nun jhr König bleiben.


Ebenso führt Burkhard Waldis (1, 17) diesen Gedanken aus. Beide Dichter fanden ihn bereits in ihrer Quelle, einer Fabel des Goudanus2, die[271] ihrerseits auf dem sog. Anonymus Neveleti beruht, der wiederum auf Romulus (2, 1) zurückgeht. Die Ätiologie ist eigene Zutat des Goudanus. Es heißt dort: »Nam et hodie adhuc queruntur. Vesperi enim ciconia cubitum eunte ex antris egressae rauco ululatu murmurant, sed surdo canunt« etc. Dieser naturdeutende Zusatz ist zweifellos nach dem Vorbild entsprechender Volkssagen gemacht worden.

(Zwei Gegenstücke solcher literarischen Ätiologie liefert uns Hans Sachs, wenn er die Fabel von dem Manne mit den zwei Frauen, von denen die eine ihm die schwarzen, die andere ihm die weißen Haare auszupft, benutzt, um davon die Kahlheit der Männer herzuleiten, und wenn er den Schwank von Petrus als Drescher, der zweimal von der Bäuerin gerauft wird, mit dem Einfall schließt, daß Petrus seitdem jene Glatze hatte, mit der er immer abgebildet ist.)

Fußnoten

1 Oesterley zu Kirchhof, Wendanmut 7, 157. Kurz zu Waldis 1, 17. Jacques de Vitry, Exempla ed. Crane Nr. 24. Wickram, Werke 4, 92. Anzeiger f.K.d. deutschen Vorzeit 1859 S. 368.


2 In dem Buch: Fabularum quae hoc libro continentur interpretes atque autores 1516, fab. 17.


Quelle:
Dähnhardt-Natursagen-4, S. 272.
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