Einundfünfzigstes Capitel.
Von den ungerechten Einnehmern.

[73] Josephus berichtet, daß der Kaiser Tiberius, als man ihn fragte, warum er die Statthalter in den Provinzen so lange in ihren Aemtern ließe, durch ein Gleichniß antwortete. Ich sah, sprach er, einst einen kranken Mann, der voller Geschwüre war und von Fliegen belästigt wurde. Als ich nun vermittelst einer Peitsche die Fliegen von demselben wegtrieb, sprach er zu mir: Du marterst mich auf doppelte Weise, während Du mich zu trösten meinst, indem Du die mit meinem Blute angefüllten Fliegen wegtreibst und mir dafür leere und hungrige zurückschickst. Wer könnte denn zweifeln, daß der Stachel einer hungrigen Fliege zweimal mehr Schmerz verursacht, als der einer gesättigten, wenn er nicht ein Mensch ist, der ein Herz von Stein und nicht von Fleisch hat.

Quelle:
Gesta Romanorum, das älteste Mährchen- und Legendenbuch des christlichen Mittelalters. 3. Auflage, Unveränderter Neudruck Leipzig: Löffler, Alicke 1905, S. 73-74.
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