Achtundfünfzigstes Capitel.
Vom Beichten.

[86] Es herrschte einst ein gewisser König, mit Namen Asmodeus, der festsetzte, daß, was für ein Missethäter auch ergriffen und vor den Richter geführt wäre, er doch, wie groß auch sein Vergehen wäre, sein Leben und sein ganzes Eigenthum retten könne, wen er im Stande wäre, drei Wahrheiten zu sagen, die jedoch so wahr seyn müßten, daß Niemand etwas gegen dieselben einwenden könne, sie dürften jedoch nicht anders als ohne Falschheit seyn. Nun trug sich aber der Fall zu, daß sich ein gewisser Soldat gegen den König verging, entfloh und sich in einem Walde verbarg, in welchem er vieles Böses beging. Wie das der Richter gehört hatte, ließ er einen Hinterhalt in den Umkreis des Waldes legen, ihn ergreifen und mit auf den Rücken gebundenen Händen vor sich führen. Der Richter aber sprach zu ihm: mein Lieber, Du kennst doch das Gesetz? Jener aber versetzte: ja,[86] mein Herr. Wenn ich gerettet werden soll, muß ich drei Wahrheiten sagen oder ich kann dem Tode nicht entgehen. Da sagte der Richter: erfülle also die Wohlthat des Gesetzes oder Du mußt noch heute sterben. Jener aber sprach: Herr, laß Alle schweigen und still seyn. Hierauf sagte er: Herr, siehe das ist die erste Wahrheit! Ich sage Euch allen, daß ich mein ganzes Leben hindurch ein schlechter Mensch gewesen bin. Wie das der Richter hörte, sagte er zu den Umstehenden: ist das wahr was der da sagt? Jene aber sprachen: wenn er nicht ein Missethäter wäre, stünde er jetzt nicht hier. Da fuhr der Richter fort: sage jetzt die zweite Wahrheit. Der aber versetzte: die zweite Wahrheit ist folgende: es mißfällt mir sehr, daß ich in dieser Gestalt hierher gekommen bin. Da sprach der Richter: Gewiß, das glauben wir Dir. Sage also auch die dritte Wahrheit und Du hast Dich dann vom Tode gerettet. Jener aber sprach: Sehet, das ist die dritte Wahrheit. Wenn ich einmal von hier werde entschlüpfen können, werde ich niemals freiwillig wieder in solcher Gestalt hierher kommen. Da versetzte der Richter: Amen, ich sage Dir Du hast Dich auf recht kluge Weise freigemacht, gehe hin in Frieden: und also wurde jener gerettet.

Quelle:
Gesta Romanorum, das älteste Mährchen- und Legendenbuch des christlichen Mittelalters. 3. Auflage, Unveränderter Neudruck Leipzig: Löffler, Alicke 1905, S. 86-87.
Lizenz:
Kategorien: