Funfzehnte Erzählung.
† (21).
Von einem Bilde und einem Apfel und der Welt Reich.

[189] Es sagt uns ein Meister von der Natur, Alexander geheißen, daß Virgilius in der Stadt Rom einen edlen und schönen Palast gebaut hatte, in der Mitte desselben aber stand ein Bild, das hieß der Römer Göttin, und hatte einen goldenen Apfel in der Hand. In dem Umgange aber inwendig im Palaste stand das Bild eines Abgottes eines jeglichen Landes, das dem römischen Reiche unterthänig war, und ein jegliches Bild hatte eine Glocke in der Hand, die war von Holz, oder eine Tafel. Wenn nun aber eines der Reiche, deren Abgott zu Rom war, sich wider die Römer setzen wollte, alsbald läutete desselbigen Landes Abgott an der Tafel und kehrte dem Abgotte der Römer den Rücken zu. Darnach kam dann noch ein Ritter auf einem ehernen Rosse oben auf der Höhe des Palastes, der der Tempel der Römer war, und schüttelte einen Speer und lugte nach dem Reiche oder Lande des Abgottes, der sich bewegt hatte. Dabei erkannten die Römer, daß dasselbe Land wider sie sey und die Leute in Untreue wider sie dächten, und machten sich dann auf mit einem starken Heere und verwüsteten das ganze Land und brachten es unter sich.

Quelle:
Gesta Romanorum, das älteste Mährchen- und Legendenbuch des christlichen Mittelalters. 3. Auflage, Unveränderter Neudruck Leipzig: Löffler, Alicke 1905, S. 189-190.
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