Die alte Frau, welche die Kinder in den Sack steckt1

[149] Es gab eine alte Frau, welche die Kinder in den Sack steckt. Eines Tages waren viele Mädchen beisammen, und sie gingen an den Teich, um darin zu spielen. Sie legten ihre Gewänder ab, die omitombe2 und die Schürzen und die Perlen und die Halsschnüre und stiegen ins Wasser. Danach sah ein Mädchen in die Ferne und erblickte eine alte Frau mit langem Stock in der Hand und einem Sack auf dem Rücken. Und das Mädchen sagte zu den übrigen: »Kommt, laßt uns weglaufen, die Alte ist dort, welche die Kinder in den Sack steckt.« Als sie das gesagt, gingen alle aus dem Teich hinaus und liefen, und jede faßte die Schürze der anderen und die omitombe der anderen, wie sie so eilig am Flüchten waren, und so liefen sie zum Dorfe.

Und ein Kind hatte die etanda3 auf der Erde liegen gelassen. Und da kam auch schon die Alte über diese etanda und nahm sie und steckte sie in den Sack. Und jenes eine Kind sagte: »Ich gehe zurück, ich will meine etanda von jener Sklavin, der Alten, zurückfordern; gewiß, ich lasse sie ihr nicht.« Die anderen sagten: »Kind,[149] erbarme dich, von jener Frau, heißt es ja, daß sie die Kinder in den Sack steckt und davongeht.« Und sie sagte: »Nein, ich werde mir die etanda meiner Mutter von dem alten Sklavenweibe holen gehen.« Die anderen gingen nun zum Dorfe, und sie kehrte um und ging und weinte und hielt die Arme am Kopf. Und als sie noch weit ab auf dem Wege war, da schrie sie schon, rief und sprach: »Du altes Mutyimbaweib!4 gieb mir die etanda meiner Mutter her, welche du genommen.«

Und die Frau sagte: »Komm, nimm sie nur.« Und sie lief nahe heran und sagte zu der Alten: »Gieb mir die etanda meiner Mutter her.« Und sie sagte wieder: »Nimm sie nur.« Und da kam sie nahe heran und sie gab ihr eine Ohrfeige auf die Wange. Und die Alte stürzte sich eilends auf sie und bog sie in den Sack hinein und dann schnürte sie den Sack mit einem Riemen zu. Dann band sie sich den Sack auf den Rücken, trug ihn so und folgte der Spur, dort, wo die Kinder zum Dorfe gegangen waren.

Und als das Dorf erreicht war, da hatte man gerade geschlachtet, und die Leute schmausten. Und sie kam am Abend und blieb hinter dem Dorfe im Buschfeld. Und nachher sahen sie die Kinder und erzählten es dem Vater und sagten: »Jene Frau, das ist die Alte, welche die Kinder tot macht, und die auch unser Kind in den Sack gesteckt hat.« Und sie fragten den Vater und sagten: »Was sollen wir mit ihr thun?« Und jener sagte: »Überfallt sie des Abends, wenn alles zu schlafen anfängt.«

Und als man des Abends schlafen ging, gingen die[150] Kinder zu der Alten und sagten: »Du altes Mütterchen, was willst du, daß wir dir geben sollen?« Und sie sagte: »Was soll ich mir denn nun wünschen, meine lieben Kinder, sucht mir nur ein tüchtiges Stück Brennholz, ich sterbe vor Kälte.«

Und da holten sie ihr einen großen dürren Baum, den sie schon längst gesehen und nahmen ihn alle zusammen auf die Schultern und brachten ihn und sagten zu der Alten: »Wir haben dir ein ordentliches Stück Holz gebracht, das nachts über für eine solche alte Frau, wie du bist, genügend ist, dabei kannst du ruhig auf dem Rücken liegen.« Und so brachten sie ihr Holz.

Und als sie nun in der Nacht schlief, da banden die Kinder den Sack auf und nahmen das Kind heraus und die Geräte. Und in den Sack sammelten sie allerlei böses, beißendes Getier hinein. Und dann banden sie den Sack wieder zu und gingen zum Dorfe und nahmen das Kind und die Sachen, die sie aus dem Sack herausgenommen hatten und brachten sie zu ihrem Vater. Und der Vater ließ schlachten, und es gab ein Festmahl, und so reinigte er das Kind.

Und als dann die alte Frau aufstand, da befühlte sie den Sack und dachte, das Kind wäre noch darin. Sie machte den Sack auf, aber sie wollte vor Zorn vergehen, weil die Kinder ihr alles aus dem Sack herausgenommen hatten. Und da krochen die Tiere auf sie hinauf und krochen ihr überall in den Leib hinein, in den Mund und in die Nase und in die Augen.

Da starb sie.

Nun ist es genug.

1

Aufgezeichnet und übersetzt von C.G. Büttner.

2

Korsett aus Straußeneierschalenstückchen.

3

Hüftriemen, unten an die omitombe genäht.

4

Verächtliche Bezeichnung für die von Feldkost lebenden Herero.

Quelle:
Seidel, A. (Hg.): Geschichten und Lieder der Afrikaner. Berlin: Verein der Bücherfreunde, Schall & Grund, 1896, S. 149-151.
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