Bleib in der Grube, bleib eben in der Grube!

[289] Ein Panther, der umherstreifte, fiel in eine Grube, die ein Jäger gegraben und mit Gesträuch und Laub bedeckt hatte, daß irgend ein Tier hineinfalle und ihm zur Beute werde. Der Panther lag in der Grube und hatte niemand, der ihm heraushülfe. Wenn irgend ein Tier an die Grube kam und der Panther das hörte, rief er es an. Wenn dann das Tier fragte: »Wer bist du, der du mich rufst?« So sagte der Panther: »Ich bin es, der Panther! Ich bin in die Grube gefallen, deswegen bitte ich dich, komm und hilf mir aus dieser Grube, und ich werde dir nichts thun.« Dann antwortete ihm das betreffende Tier: »Bist denn nicht du es, der uns immer verfolgt und uns zu fangen und zu fressen sucht? Heute aber hast du dich absichtlich verstellt und dich, um uns zu überlisten, in die Grube gelegt, suchst aber nur uns zu fangen! Wir kommen gewiß nicht!« Mit solchen Worten ließen sie den Panther, wo er war, und gingen.

Nun lag der Panther in der Grube, hatte niemand, der ihm helfen konnte, auch quälte ihn der Hunger. Einstmals kam eine Ratte daher und nahte sich von ungefähr[289] der Grube, wo der Panther lag. Der Panther hörte etwas und fragte: »Wer bist du, der du da vorbeikommst?« Die Ratte antwortete: »Ich, die Ratte, bin's.« Da sagte der Panther: »Frau Ratte! Ich bitte dich, komm und hilf mir aus dieser Grube! Ich werde dir nichts thun!« Die Ratte sagte: »Du? Dein Brauch war es ja, schon unsere Voreltern wegzufangen, und wenn du heute uns den Gefallen gethan hast, in die Grube zu fallen, so soll ich dir heraushelfen?« Da sagte der Panther: »Ich schwöre bei deinem Fuß, ich schwöre bei meinem Unglück, das mich getroffen hat, in dieser Grube zu liegen, daß, wenn du mir heraushilfst, ich dir und deinen Nachkommen nichts zu Leide thun werde!«

Dieses Wort bewog die Ratte zum Erbarmen; sie ging und riß eine Schlingpflanze ab für den Panther, daß er sich daran hielt und herauskam. Sobald aber der Panther heraus und frei war, sagte er zu der Ratte: »Es ist zwar richtig, daß ich geschworen habe, ich werde dir und deinen Nachkommen nichts thun; aber, vor Hunger fast ohnmächtig, kann ich nicht mehr umherstreifen und ein anderes Tier suchen, und wenn ich dich laufen lasse, bringt mich der Hunger um; deshalb werde ich dich fangen und fressen.« Da antwortete die Ratte: »O Panther, habe ich damit Böses gethan, daß ich dir aus der Grube half?«

Während sie noch redeten, kam eine Spinne daher und fragte sie: »Was für eine Sache habt ihr da zu verhandeln?« Die Ratte berichtete der Spinne ihre ganze Sache, und der Panther erzählte die seinige. Da sagte die Spinne: »War denn das möglich, daß diese Ratte[290] da dir aus dieser Grube heraushalf?« Der Panther sagte: »Ja, die Ratte war es, die mir heraushalf.« Die Spinne sagte: »Das glaube ich nicht, daß diese kleine Ratte dich aus der Grube herausholen kann; deshalb geh und leg dich noch einmal hinein, und die Ratte soll dich herausbringen, daß ich's sehe; dann erst kann ich in eurer Sache einen Bescheid geben.« Da sprang der Panther hinab in die Grube, und alsbald zog die Spinne die Schlingpflanze aus der Grube und sagte zu dem Panther: »Lieg in der Grube, lieg eben in deiner Grube dort! Wenn dein Genosse dir Gutes thut, thue du ihm nicht Böses dafür!«

Die Ratte dankte der Spinne und ging mit Freuden ihres Weges, aber der Panther lag in seiner Grube. Deshalb hat man das Sprichwort: »Lieg in deiner Grube, bleib eben in deiner Grube.«

Quelle:
Seidel, A. (Hg.): Geschichten und Lieder der Afrikaner. Berlin: Verein der Bücherfreunde, Schall & Grund, 1896, S. 289-291.
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