99. Der Räuber Nuß.

[135] Es war einmal ein Alter und eine Alte, denen Gott keine Kinder gegeben hatte. Sie befragten sich hier und befragten sich dort; da sagte man ihnen: Wenn ihr Kinder machen wollt, so geht das nicht anders, als ihr müßt einen Schlauch nehmen und zwanzig Tage und zwanzig Nächte hineinblasen, und dann werdet ihr im Schlauche ein Kind finden.

Und jene machten es so, und nach zwanzig Tagen fanden sie im Schlauche einen Knaben, so groß wie eine Nuß.

Sie nahmen ihn heraus, kleideten ihn und ernährten ihn, aber er wuchs nicht mehr, denn er wurde fünfzehn Jahr und blieb wie eine Nuß.

Eines Tages schickten sie ihn auf den Acker, um mit den Ochsen zu pflügen; und jener ging, sprang auf die Spitze des Pfluges und lenkte die Ochsen.

Da kamen dort drei Räuber vorbei, und wie sie die Ochsen allein sahen – denn den Knaben sahen sie nicht –, so fingen sie an, die Ochsen vom Joch zu lösen. Der aber[135] schlug sie mit der Treibstange auf die Hände, und diese fürchteten sich anfangs sehr, dann aber gaben sie Acht und sahen ihn auf der Spitze des Pfluges und nahmen ihn mit sich und gingen, um die Ochsen des Priesters zu stehlen.

Wie sie nun vor das Haus des Priesters kamen, da ließen sie den Knaben, der nur so groß wie eine Nuß war, durch die Risse der Tür hinein, und als dieser hineingeschlüpft war, machte er ihnen die Tür auf und zog die Ochsen heraus, und sie machten sich aus dem Staube.

Er aber wurde ein Räuber, der seinesgleichen nicht hatte, und sein Name blieb Räuber Nuß, und die Welt fürchtete ihn sehr. Endlich aber ertrank er in einem Fluß.

Quelle:
Hahn, J[ohann] G[eorg] v[on]: Griechische und Albanesische Märchen 1-2. München/Berlin: Georg Müller, 1918, S. 135-136.
Lizenz:
Kategorien: