60
Das heilige Feuer der Natchez

[247] Die Natchez sind Feueranbeter und glauben, daß ihr Stamm einst durch ein junges Mädchen vor dem vollständigen Untergang gerettet worden sei, weil es sich,[247] als die Sonne seit geraumer Zeit erloschen war und das schwärzeste Dunkel die Erde beherrschte, in ein Wigwamfeuer warf und verbrennen ließ, wonach sie am Himmel als Sonne erschien und die Erde noch viel wärmer und heller beleuchtete als die frühere. Ihr zu Ehren ließen nun die Natchez auf ihren Versammlungsplätzen stets ein »medizinenes« Feuer brennen und glaubten, solange dieses nicht erlösche, könne ihr Stamm auch nie untergehen.

Einige Jahre danach hatte sich ein junger Natchez in ein reizendes Mädchen verliebt und stattete diesem häufig nächtliche Besuche ab. Als nun die Reihe an ihm war, das heilige Feuer während der Nacht zu schüren und zu schützen, hatten ihn die Arme seiner Geliebten doch ein wenig zu lange gefesselt; denn als er seiner Pflicht nachkommen wollte, war das Feuer bereits erloschen. Er wollte es schnell wieder anzünden, aber die Chiefs hatten das Unglück schon bemerkt und machten es nun dem ganzen Stamm bekannt.

Darauf wurde wochenlang gefastet und gebetet, um das Unglück der Vernichtung abzuwenden, aber das Feuer war einmal erloschen und hatte seine glückbringenden Kräfte für immer verloren.

Jetzt ist jener Stamm so gut wie ausgestorben, doch trösten sich die wenigen, die noch übriggeblieben sind, mit der Hoffnung einer glänzenden Auferstehung und erzählen, daß der junge Natchez noch heute in einem Erdwerk sitze, um das heilige Feuer in seiner ursprünglichen Kraft wieder anzufachen.

Quelle:
Knortz, Karl: Märchen und Sagen der Indianer Nordamerikas. München: Verlag Lothar Borowsky, 1979, S. 247-248.
Lizenz:
Kategorien: