7. Das Märchen vom Fuchs und dem Geier.

[37] »Wir wollen wetten, Geier,« sagte der Fuchs. »Gut,« sagte der Geier. Es wird ein furchtbarer Regen herabkommen und wird hageln. Um Mitternacht wird das aufhören und es wird Frost herabkommen. »Wer wohl am meisten Kälte aushält,« sagte einer zum andern. Also: »Wir wollen Ronde machen (wach bleiben wie die Schildwache),« sagten sie.

So gegen Mitternacht fragte der Fuchs den Geier, ob er wache. »Wachst du auch, Geier?« sagte er zu ihm. »Freilich, ich wache,« sagte jener.[37]

Ein bischen später fragte der Geier den Fuchs: »Wachst du auch, Fuchs?« sagte er zu ihm. »Ein Mann wie ich sollte nicht wachen?« antwortete der Fuchs.

Wieder etwas später wurde der Geier abermals gefragt, ob er noch wache. Der Fuchs fror aber schon sehr. »Wachst du auch noch, Geier?« sagte der Fuchs zum Geier. Da antwortete dieser nur noch ganz schwach.

Da sagte der Fuchs: »Aha, der arge Geier stirbt schon beinahe.«

Als es schon nahe am Morgengrauen war, wurde der Fuchs wieder gefragt: »Wachst du auch noch, Fuchs?« Der war aber schon ganz durchgefroren und konnte kaum mehr sprechen.

Und wieder ein bischen später fragte der Fuchs noch einmal: »Wachst du auch noch, Freund Geier?« Da antwortete der Geier nicht. »Aha, der arge Geier scheint schon tot zu sein,« dachte der Fuchs und erhob sich um den Geier zu suchen.

Der Fuchs ging noch ganz aufrecht. Da fragte ihn der Geier: »Nun, wie geht's dir, Fuchs?« »Ich muss eben mal pissen,« antwortete der Fuchs.

Als die Morgenröte schon anbrach, wurde der Fuchs gefragt, ob er wache. »Gewiss, ich wache,« antwortete er.

Als dann die Morgenröte schon fast ganz hell war, wurde der Fuchs noch einmal gefragt, ob er wache. »Wachst du auch, Fuchs?« sagte der Geier zu ihm. Da konnte er nicht mehr sprechen. Der Geier schaute herab. Der Fuchs lag im Sterben und zappelte mit den Beinen.

Als die Morgenröte vollständig da war, kam der Geier herab um den Fuchs zu fressen, und das erste war, dass er dem Fuchs die Augen aushackte.

Quelle:
Lenz, Rudolf: Aurakanische Märchen und Erzählungen. Valparaiso: Universo de Guillermo Helfmann, 1896, S. 37-38.
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