Nesimi.

[92] Samstag die cypressengleiche

Holde ich zuerst ersah,

Und sie machte ganz zerstreut mich

Und zum Ruhelosen da.


Sonntag ward ich wonnetrunken

Stürzte nieder sinnberaubt,

Sah ihr Antlitz, und des Mondes

Leuchten ich zu sehen glaubt'.


Montag endlich das Geheimnis

Meines Herzens ich verrieth

Ihr, der rosenwangig Holden,

Deren Aug' Narzissenblüt'.


Dienstag ward ich Jäger, streifte

Beutelos durch Feld und Wald;

Doch ich selber fiel als Opfer

Ihr, die ewig spröd' und kalt.


Mittwoch wandelt' meine Schöne

Auf der Wiese buntem Plan,

Als der Sprosser sah ihr Antlitz,

Stimmt' er wilde Klagen an.
[92]

Donnerstag sagt' ich der Teuren:

»Meinen guten Rat vernimm,

Und verbirg dein süss Geheimnis

Vor der Welt, die gut und schlimm.«


Freitag endlich ihre ganze

Schönheit er gesehen hat –

Am Scherbet der Rubinlippen

Trank Nesimi ganz sich satt.

Quelle:
Seidel, A. (Hg.): Anthologie aus der asiatischen Volkslitteratur. Weimar: Verlag von Emil Felber, 1898, S. 92-93.
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