Kwakkiÿo.

[69] In einer fernen, bergigen Gegend wohnte einst eine sehr arme Familie, bestehend aus einem alten Ehepaare und ihrem Sohne; aber, so kümmerlich sie auch ihr Leben fristeten, sie waren bei saurer Arbeit stets vergnügt und wohlgemuth, und als der Sohn erwachsen und ein tüchtiger Arbeiter geworden war, da heirathete auch er ein gutes, fleißiges Mädchen der Nachbarschaft, das ihm alsbald ein Kind, ein niedliches Mädchen, schenkte. Die Großeltern hatten darüber nicht minder ihre Freude, als die Eltern, und alles ging gut, bis eines Tages der Großvater erkrankte und trotz der sorgsamsten Pflege, welche ihm Frau und Kind angedeihen ließen, starb.

Nun lag die Sorge, die ganze Familie zu ernähren, ausschließlich dem Sohne ob. Aber Kwakkiyo, so war sein Name, ließ es sich nicht verdrießen und verdoppelte seine Anstrengungen, um sich und die Seinen redlich durchzubringen. Vor allen Dingen aber war er darauf bedacht, seine Mutter nichts davon merken zu lassen, wie sauer es ihm wurde; auch wußte er jeden ihrer Wünsche zu befriedigen, besonders, als ihr hohes Alter manche Beschwerden mit sich brachte und sie zu kränkeln begann.

Da aber brach zu Kwakkiyos Jammer ein großes Ungemach über die ganze Gegend herein; es war Mißwachs eingetreten, und nur Wenige hatten noch so viel, daß sie nicht zu darben brauchten. Hunger und Seuchen gaben dem Tode eine reiche Erndte; doch von Krankheit wenigstens blieb Kwakkiyo verschont, und so hielt er mit äußerster Anstrengung eine Zeit lang sich und die Seinen aufrecht. Endlich aber versagten ihm bei der kargen Kost, die er sich gönnen konnte, die Kräfte. Was sollte er beginnen? Mutter, Kind und sich selbst mit seiner Frau zu ernähren, war geradezu unmöglich; und wenn er nun daran dachte, ein Opfer zu bringen, wer konnte das sein? Am liebsten hätte er sich selbst dazu ausersehen: dann aber waren alle übrigen[70] um so sicherer dem Hungertode preisgegeben. Seine Frau, das wußte er, würde ebensowenig gezaudert haben, ihr Leben für die Ihrigen dahinzugeben, allein auch ihre Hülfe war unentbehrlich, wenn die Lage derselben nicht noch schlimmer werden sollte, denn sie allein vermochte den Haushalt zu besorgen und alle dazu nöthigen Arbeiten zu verrichten, während Kwakkiyo auf Gelderwerb ausging. So mußte denn eins der ihnen anvertrauten hülflosen Wesen, Mutter oder Kind, geopfert werden, wenn nicht alle zusammen zu Grunde gehen sollten. Vergebens flehte Kwakkiyo zu den Göttern, daß sie ihm den grausamen Entschluß ersparen möchten; die Noth wuchs mit jedem Tage. So entschloß er sich mit seiner Frau zu reden; unter Thränen legte er ihr die trostlose Lage dar und sagte, daß er nicht länger zögern dürfe, den verzweifelten Entschluß zu fassen, da seine Kräfte ihn zu verlassen droheten. Er fügte hinzu, daß er zwar sein Kindlein aufs zärtlichste liebe, allein doch dies noch eher opfern möchte, als die Mutter, an welche die heilige Pflicht der Kindesliebe und der Dankbarkeit ihn ketteten.

Kwakkiyo's Frau dachte ebenso, und obgleich ihr der traurige Opfertod des unschuldigen Kindleins die bittersten Thränen auspreßte, so vermochte sie es doch über sich, ihren Gatten in seinem Vorhaben zu bestärken. Voll unbeschreiblichen Jammers gingen die armen Eltern mit dem Kinde, das nichts von alle diesen Qualen ahnte, hinaus aufs Feld in der Absicht, ein tiefes Grab zu graben. In dieses wollten sie dann ihr Kind hineinstürzen und rasch mit Erde bedecken, da sie meinten, so würde sein Tod am schmerzlosesten sein.

Es war eine ehrwürdige, ihre Zweige weithin streckende Fichte, unter welcher Kwakkiyo die trostlose Arbeit begann; die Frau, mit dem Kinde auf dem Rücken, stand leise weinend neben ihm. Kaum aber war er durch das Wurzelgeäst und durch die oberste Lage des Bodens mit seiner Hacke gedrungen, als sein Auge durch einen goldigen Glanz geblendet wurde, der ihm aus dem dunklen Erdreich entgegenschimmerte. Verwundert grub er[71] den Gegenstand, den er erblickt, vollends aus und entdeckte zu seinem maßlosen Erstaunen, daß es eitel Gold war, ein großer, schwerer goldener Kessel.

Da sah er wohl, daß nun alle Noth vorbei war. Tief ergriffen dankte er den Göttern, die ihm und seiner braven Frau zum Lohne für die treue Liebe zu seiner Mutter, der sie mehr als ihr eigenes Leben zu opfern nicht gezögert hatten, noch zu rechter Zeit Hülfe gesandt und ihn mit einem Schlage zu einem reichen Manne gemacht hatten. So bekümmert die Gatten ausgezogen waren, so voll Jubel kehrten sie heim, und alle Nachbaren rings umher freuten sich mit ihnen und priesen Kwakkiyo's frommen Sinn und der Götter Gnade, die ihn so herrlich aus großer Noth gerettet.

Quelle:
Brauns, David: Japanische Märchen und Sagen. Leipzig: Verlag von Wilhelm Friedrich, 1885, S. 69-72.
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