3. Wie die Brahmaisten sie erzählen

[74] Den Engeln, den Petris, war es dreimal nacheinander mißglückt, den Menschen zu schaffen. Nun wollte es Brahma selber versuchen.

Aus seinen Lippen entsprang ein menschliches Wesen, sein Sohn, den er Brahmana nannte, das bedeutet Priester. Und [74] ihm schenkte er die vier Wedas, das sind die vier Worte aus seinen vier Mündern, und gab ihm den Auftrag, sich aus diesen göttlichen Büchern zu belehren.

Brahmana ergab sich einem Klausnerleben; da er jedoch den Angriffen der wilden Tiere ausgesetzt war, welche die Welt bevölkerten, bat er seinen Vater, ihm zur Hilfe zu kommen. Und sofort erschuf Brahma aus seinem rechten Arm seinen zweiten Sohn. Den nannte er Kshatrya, das Krieger bedeutet. Aus seinem linken ließ er eine Frau entspringen, Kshatryani, und gab sie seinem Sohne zum Weibe.

Da nun Kshatrya die ganze Zeit über sich mit der Verteidigung seines Bruders abgeben mußte, erweckte Brahma aus seinem rechten Schenkel den dritten Sohn, Waisya, und aus seinem linken Schenkel dessen Weib, Waisyani. Beide bekamen den Auftrag, sich dem Ackerbau, dem Gewerbe und dem Handel zu widmen. Als die beiden die ihnen auferlegten Arbeiten nicht allein ausführen konnten, erschuf Brahma, um sein Werk zu vollenden, aus seinem rechten Fuß einen vierten Sohn, Sudra, aus seinem linken Fuß eine Tochter, Sudrani. Er verband die beiden miteinander und befahl ihnen, die niedrigen Sklavenarbeiten zu leisten.

Nur Brahmana war ohne Gesellin ausgegangen; er beklagte sich darob beim Schöpfer und sagte, das wäre unbillig. Vergeblich führte Brahma ihm vor Augen, daß er der Lehre, des Gebets und Gottesdienstes wegen erschaffen worden wäre, daß er daher von allen irdischen Banden frei sein müßte, die ihn von seinen strengen und schweren Pflichten abhalten könnten. Brahmana blieb trotzdem auf seiner Forderung bestehen. Deshalb zürnte ihm Brahma und gab ihm zur Strafe eine Tochter aus dem verfluchten Geschlechte der Riesen zum Weibe. Das waren die menschlichen Wesen, welche die Petris erschaffen hatten; es war ihr dritter, unvollkommener Versuch gewesen, und sie waren dreizehn Faden lang.

Diesen vier Menschenpaaren entstammen die vier Kasten: die Brahmanen, die Kshatryas, die Waisyas und die Sudras. Sie vermehrten sich und bevölkerten die Erde.

Quelle:
Hambruch, Paul: Malaiische Märchen aus Madagaskar und Insulinde. Jena: Eugen Diederich, 1922, S. 74-75.
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